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gisforisdie Quellensdiriften ss

zum Stadium der flnfhropophyfeia.

Unter Mitwirkung

von

Ethnologen, Folkloristen und Naturforschern

herausgegeben

von

DR FRIEDRICH S. KRAUSS.

Band II.

3 Deutsche Sdiwankerzfitiler U
des XV. bis XVII. Sahrhunderfs.

Beinridi Bebels Facefien

herausgegeben von

KARL AM RAIN.

Leipzig

Deutsche Verlagsakfiengesellschaff

1907.


Privatdruck.

Nut far Oelehrte bestimmt.


Dem Freunde

t)T Fmedineh S. I^faass

der die Grenzen der Volkskande durch die

Anthropophyteia

welter gezogen, als Zeichen der Verehrung

Karl Am rain.



Vorbemerkraig.

Schilderungen der Sitten und Gebrauche vergangener Jahr-
hunderte haben bei der Nachwelt, weit tiber den engeu Kreis
def Historiker und Kulturhistoriker von Bernf, stets eine dank-
bare Aufnahme gefunden. Scharfer charakterisierende Zeit-
bilder, in denen sich das geheimste Fuhlen und Denken der
Menschen aller St&nde, aller Klassen widerspiegelt, sind ver-
h&ltnismafiig selten. Selbst in unserer Zeit, die doch wahrlich
fiber einen Mangel an folkloristischen und kulturhistorischen
Zeitschriften nicht zu klagen braucht, fehlte es merkwurdiger-
weise an einem ernstwissenschaftlichen Organe, welches das
Volksempfinden liber die intimsten Vorgange auf dem Gebiete
der geschlechtlichen Moral in erkenntnisklarer wurdiger Weise
zur Darstellung brachte. Dieser Mangel war fur die Volkskunde
nachgerade etwa so geworden, als ob man bei dem medizinischen
Studium Vorlesungen fiber Geschlechtskrankheiten entbehren
konne.

Es war darum fur die "Wissenschaft ein geradezu feier-
licher Moment als der I. Band der Anthropophyteia auf dem
Plan erschien. Das war wieder einmal ins Moderne ubersetzt,
das Ei des Kolumbus, wenn man sich vielleicht etwas banal,
so ausdrficken darf.

Alle akademischen Fakultaten, Juris ten, Philosophen,
Philologen, Mediziner, werden aus diesem wuchtigen Materiale
Nutzen Ziehen. Fur den Kulturhistoriker macht sich aber
angesichts dieses wissenschaftlichen Organes, welches das
Volksempfinden unserer Zeit zu ermitteln sucht, das Bedurfnis
geltend, in die Vergangenheit hineinzuleuchten, um den
Verbindungsweg mit der modernen Zeit aufzusuchen.


<SH VI J*?>

Selbstverstandlich miissen wir uns stets an kleinere Zeit-
raume halten und dafttr ein geeignetes Material beibringen.

Wir halten hierfiir in hohem Grade wertvoll alte Chro-
niken, Tagebucher und die Schwanksammlungen. Sie bieten
ein Material, welches alle Ermittelnngen, die in der Anthro-
pophyteia erscheinen, vorzliglich ergftnzen bzw. auch vielfach
verstandlich werden lassen. So steht zu hoffen, dafl auch die
nachfolgenden Blatter dem Forscher Materialien zu weiteren
Studien bieten werden.

Etwas Vollkommenes geliefert zu haben, bilde ich mir
keineswegs ein; doch glaube ich vieles Bekannte dem Forscher
in neuer Gruppierung zu zeigen, wodurch vielleicht manche An-
regung zu weiteren Arbeiten auf diesem eminent wichtigen
Gebiete gegeben wird.

Seine Erganzung findet das vorliegende "Werk in den Ver-
5ffentlichungen des „Volk&mundes", welcher die Perlen der
deutschen Schwankliteratur in geeigneter Form, beziehungs-
weise Auswahl, weiteren Kreisen zug&ngUch macht.


lnhalteverzeichnis.

Vorbemerkung.................

Einleitung...................

Das erste Bach.

1. Sprach eines Pries ters..............

2. Sprach einer Judin................

3. Vom Holler, der betteln ging............

4. Noch etwas von einem MtUler............

5. Wider einen fahrenden Schuler...........

6. Wahre Geschichte von einem Priester.........

7. Ungeschickter Dorfpfaff..............

8. Eine Ireffliche Tat................

9. Ein ungeschickter Mensch.............

10. Von einem Priester and dem Esel Christi.......

11. Ungeschickter Sprach...............

12. Eines Toren schwankliche Rede...........

13. Wahre Geschichten von Pfaff Wendel.........

14. Das hinkende Schneiderlein im Himmel........

15. Ein Zorniger..................

16. Ein Landsknecht ifit einen Kapaun aUein........

17. Banern bitten urn einen Fluch...........

18. Die frOmmsten Lente nach Bernhard Retz

19. Ein Sprach niltzlich zu merken...........

20. Lustige Tat eines Kriegsmannes von Tubingen......

21. Lustige Historie vom einialtigen Landmann und einem Dieb .

22. Vom tfirichten Bauernknecht............

23. Netter Trost..................

24. Von einem EinsiedJer oder Waldbrader.........

26. Von den Verftchtern der Kunst der Poeterey.......

26. Von eines Pfaffen ROchin.............

27. Vom leachtlertigen Abt..............

28. Sprach einer Kindbetterin.............

29. Von einem empfindsamen Pfaffen.........

30. Ein h&fllicher Bissen.............

31. Von einem Stationierer..............

32. Disput eines Juden and Christen...........


6* VIII

Zweites Such. Seite

33. Von einem Ein&ugigen...... ....... 33

34. Von einem Fatzmann............... 24

35. Von einem Boten................ 24

36. Arztlicher I return................ 24

37. L&cherlicher Spruch cines Schwaben......... 25

38. Von einem Pfaffen und einem Meflner......... 25

39. Ein Baier friflt Linsen.............. 25

40. Ein Bauer schw&ngert vne Nonne........... 26

41. Vom Edelmannsknecht.............. 26

42. Zwei Sdhne eines guten Mannes........... 27

43. Sein Spiefl taugt nichts mehr fur den Streit....... 27

44. Von einem Edelmann............... 27

45. Warum der Sohn dem Vater nachfolgt, die Tochter aber der

Mutter vorgehe............... 28

46. Ein MinoritenmSnch schwftngerte eine Klosterfrau..... 28

47. Der allergrOflte Sttnder.............. 29

48. Manchspredigt................. 29

49. Ein Pfaffe will seinen langsten Teil wider die Weiber brauchen 29

50. Von einem Sterbenden.............. 30

51. Ahnlichkeit zwischen Weib und Hund......... 30

52. Ein lustiger Koch................ 30

53. Priester und Teufel zanken sich........... 31

54. Gestdrtes Passionsspiel.............. 31

55. Einee guten Gesellen guter Schwank.......... 31

Drittes Buch.

56. Wie eine Klosterfrau beichtete............ 33

57. Drei Klosterfrauen beichten............. 33

58. Eine Fabel von Brassicani............. 34

59. Fabel von einem Meflner............. 35

60. Wunderlicbe Tauferei............... 36

61. Rechte Toren.................. 36

62. Vom M&gdlein, dessen Jungfrauschaft verloren war .... 36

63. Warum die FlOhe die Weiber mehr peinigen als die Manner . 37

64. Von einem, der gehdngt werden sollte......... 37

65. Einer hatte eine Klosterfrau beschlafen........ 37

66. Die Arglist der Weiber.............. 38

67. Vom kmderreichen Pfaffen...... ...... 39

68. Sonderliche Predigt................ 39

69. Bauer und Arzt................. 39

70. Vom kranken Bauer............... 39

71. Eine einfftltige Pfaffenantwort............ 39

72. Von einer Hure................ 40

73. Kurze Predigt................. 40

74. Welche Dinge sind nichts nutzend.......... 40

75. Was gilt bei den Deutschen als Freude........ 40

76. Unntttzes Hausgesind............... 41

77. Ungew5hnliche Dinge............... 41

78. Drei Dinge sind widerw&rtig............ 41

79. Drei Dinge miflfallen Gott........... . 41


IX

Seite

80. Vier Dinge bleiben nicht verborgen.......... 41

Vier Dinge begehren die Weiber........... 41

81. Von einem schamlosen Magdlein........... 42

82. Abermals von einem M&del............. 42

83. Wie mofi das schdne Weib sein........... 42

84. Wie man leben soli............... 44

86. Von den Bettlern..... .......... 44

86. Von der einfaltigen Brant............ 44

87. Vom Bettler and Bftckersbuben Wolfgang Osterreicher ... 44

88. Unzochtiger Bauer................ 45

89. Eine Geschichte Hieronymi Embsers des Sekret&rs von Herzog

Georg von Sachsen............. 46

90. Einer kauft viele Wiegen............. 47

91. Von einem Magdlein............... 47

92. Von eines Fursten Narren............. 47

93. Schimpflicher Sprach eines Bauernmadels........ 48



Einleitnng.

Felix Bobertag erw&hnt in einem die zwei Humo-
risien des XVI. Jahrhundert — namlich Valentin Schumann und
Michael Lindener — wiirdigenden Beitrag, welcher im Archiv
fur Literaturgeschichte Band VI, 1877 erschien, mit Bezug auf
die Schwankliteratur: „Es ist leider nicht zu vexkennen, daft
die Gelehrten sich noch verh&ltnism&fiig wenig mit der Jagd
auf dieses kleinere Wildpret besch&ftigt haben."

Dieses Bild ist ganz vorztlglich gewahlt, denn eine Art
Wildgeruch haftet in der Tat all den Schwanksammlungen
jener Zeit an. Freilich ist er nicht zu verwechseln mit dem
haut-gout jener spateren Zeit, den Boucher, der Maler der
Nymphen, und Fragonard, der Maler liebenswurdiger Freeh-
heit, in ihren mit schmunzelnder Skrupellosigkeit entworfenen
Bildern der Welt bekannt gaben.

Das ancien regime, fur dessen Geist beide Maler muster-
gtlltige Beweisstucke bieten, zeigt uns die von ttberkultur ver-
derbten, raffinierten Menschen. Erschlafft vom vielen Geniefien
suchte diese "Welt neue Sensationen, um die Wollust wieder zu
beleben. Die Hofkapl&ne, die Boudoirgeistlichen wetteiferten
mit den Tanzmeistern und hochadeligen Herrn, um die frivole
Galanterie eines wollustigen Zeitalters mit neuen Geilheiten
auszustatten.

Ganz anders geartet war die Zeit des XVI. Jahrhunderts
in Deutschland. Da herrschte i m V o 1 k e die Erotik unverhullt
und in strotzender Kraft, welche ebensowohl das Derbe, Ob-
szdne als auch Pathologische, je nach den Zeitverlauften, in den
Vordergrund treten laflt. Diese oft geradezu brutale Nackt-
heit wirkte aber entschieden weniger unmoralisch als die Geil-
heit, welche sich hinter Trikot und Gaze versteckte und eben


XII KS>

dadurch zeigte, wieviel eigentlich entbloBt war, beziehungs-
weise der Phantasie Raum gab zu traumen, was noch zu ent-
hiillen sei.

Das verdorbene Parfiim des ancien regime kennen wir
durch vielerlei Untersuchungen, wahrend wir die Erotik des
XVI. Jahrhunderts nur sehr Itickenhaft erfahren.

Man hat den eigenartigen Humor des XVI. Jahrhunderts,
der ganz hervorragend fur die Erkenntnis der erotischen Stro-
mung jener Zeit geeignet ist, viel zulange achtlos tlbergangen.
Die Mahnung Bobert ags trifft leider auch heute noch
zu und erst jetzt, nachdem durch wissenschaftiich bewahrte
Pfadfinder die Anthropophyteia und die Quellschriften zu
zu deren Studium begrtindet worden sind, darf man sich der
frohen Hoffnung hingeben, daB die Wissenschaft mehr als
bisher der Erotik in all ihren Erscheinungformen eingehendere
Beachtung schenken wird.

Wie der Botaniker an den Unkrautern und Giftblumen, die
sich in wohlgepflegten Garten und Ackern finden, nicht acht-
los voriiber schreiten kann, weil der Begriff Unkraut der Botanik
unbekannt ist, ebenso muB der Volksforscher und Kultur-
historiker alle AuBerungen des menschlichen Geistes, alle
Geistesbliiten der Gesellschaft in den Bereich seiner Unter-
suchungen ziehen, urn auf grSBtmfiglicher Grundlage die zweck-
entsprechenden Ermittelungen anstellen zu kdnnen.

Erst wenn wir die erotischen Regungen der Volksseele
kennen, konnen wir uns ein genaues und ungetrtibtea
w ah res Bild von der Kultur einer Nation machen. "Wer
Kenner des Griechentumes der An tike werden will, muB das
erotische Element im griechischen Volksleben studieren. Jeder
Universitatsprofessor mufl diese Forderung an die Altphilo-
logen stellen. Das klingtin den Ohren der meisten Gebildeten
wie eine Binsenwahrheit. Sonderbar ist es nun aber, daB man
zur Erkenntnis dieser Binsenwahrheit so schwer gelangen kann
(oder auch will!) wenn es sich um Zeiten handelt, die uns
viel naher liegen, wenn unser eigenes Volk in seiner jetzigen
Generation sowie in seinen Vorfahren in Betracht kommt.

Nicht in Frage kann stehen, ob es sich um geschmackvolle
oder geschmacklose Dinge handelt. Wer Forscher ist, hat damit
zu rechnen, auf Schritt und Tritt Anschauungen, Verhfilt-,
nissen zu begegnen, die einen ^sthetischen GenuB nach keiner
Seite hin aufkommen lassen. Subjektive Bedenken vermdgen


XIII

geradezu die Geeamtergebnissen einer Untersuchung zu ge-

fahrden und falsche Ansichten zeitigen.1)

* *

Wir bieten auf den nachfolgenden Blattern eine Reiho
derber Spafie, roher Schnurren, &tzend scbarfe Witzreden, un-
asthetische Unterhaltungen, deren Kenntnis ihrer Natur nach
als tollste Ausgeburten der deutschen Schwankliteratur auf
die Kreise der Folkloristen, Mediziner, Philologen, Archaologen
und Kulturhistoriker zu beschranken war.

Es sind Werke, mit denen voreinst die deutsche Nation,
wiirdig oder unwiirdig, in den Gang der allgemeinen euro-
paischen Literatur eintrat.

Wie diese Anknupfung vor sich ging, wollen wir in sum-
marischer Kurze versuchen darzutun.

Die regen Handelsbeziehungen bluhender Stadte Italiens
mit dem die Pracht und Sinnenlust liebenden Orient, der Trofi
fahrender Weiber, welchen die Kreuzztige im Gefolge hatten,
riefen eine fortgesetzte Steigerung des Lebensgenusses hervor.
Hand in Hand mit der Steigerung der papstlichen Gewalt
ging die Prunkentfaltung an der Kurie. Die prunkvollste
Hofhaltung kiindete den mach tigs ten Herrscher. Ein Heer
von Dienern, Priestern, Adeligen trieb sich am papstlichen
Hofe herum. Die Ausgaben wuchsen, in diesem die besten
Itrafte vergeudenden Milieu, ungeheuerlich. Feldzuge gegen
den Islam in Asien, in Afrika, in Spanien, Jubeljahre, Pilger-
fahrten nach Rom wurden ausgeschrieben zur Erhohung der
Einnahmen der papstlichen Verwaltung; das Taxen- und S port el-
system zeigte sich stets in tolleren Auswtichsen.

Im Mittelpunkt all dieses Luxus stand das scheme Weib.
Bereits bei der langen Belagerung von Accon wahrend des
zweiten Kreuzzuges wurden nach den arabischen Geschichts-
quellen den Belagerern kaufliche Frauen zugeftihrt. Ein ein-
ziges Schiff soil 300 Dirnen gebracht haben, da die nach dem
Weibe lechzenden franzosischen Soldaten sonst nicht kampfen
wollten.

Mit Bezug auf die Kreuzztige sagt Abbe Fleury: „Tous les
vices y regnaient, et ceux que les pelerins avaient apportes
de leurs pays et ceux qu'ils avaient pris dans les pays
etrangers."

f) Vergleiche dazu auch die Eingangkapitel zum I. und II. Bande
der Anthropophyteia, mit denen sich Dr. Krauss auf dem Gebiete der
Volkskunde ein Denkmal setzte.


XIV JK®

Luxus, GenuBsucht in der Laienwelt, ganz besonders aber
auch im Welt- und Ordensklerua waren die Faktoren der be-
fltigelten Sinnenlust. Aus dem Orient hatten die Pilger zum
heiligen Grabe, die Kreuzfahrer tolle Sinnenfreude mitgebracht,
die Lust am Bad, besser gesagt am Dampfbad begann, bot
sich doch damit Gelegenheit von Geschlechtsverkehr. Man
lernte rasch, daB es unziichtig sei, mit behaartem KSrper im
Baderaum zu erscheinen. Manner und Frauen sorgten, daB
all diese AnstoB erregenden Harchen entfernt wurden. —
Noch ist die Geschichtc des Bades nicht geschrieben, obwohl
dieses Kapitel zu den interessantesten unserer ganzen Kultur
gehdrt und mancher schone Beitrag in den Literaturen zu fin-
den ist.

War die Cbernahme des Dampfbades wie tiberhaupt des
Gesellschaftsbades nur eine Modesache, beziehungsweise eine
gesundheitliche Erkenntnisangelegenheit ? Eine definitive Ant-
wort kann zurzeit noch gar nicht abgegeben werden, weil die
Frage trotz all der dariiber erschienenen Schriften zu wenig
gekl&rt ist.

Wie vorziiglich man die Badegem&cher zur Nutzbar-
machung der Laszivitat und Unzucht nutzbar zu machen ver-
stand, erhellt aus der mittelalterlichen Literatur, ferner aus den
kulturhistorischen Schriften eines Branome.1)

Es hort sich zwar sonderbar an, aber ist durch die For
schungen der letzten Jahrzehnte stets ersichtlicher geworden.
Italien und die Kloster waren die Hochschulen des sich mehr
und mehr schnell ausbreitenden raffinierten Lasters. Nicolaus
von Clemangis ruft mit vielen gleichgesinnten Reformatoren
des verflachten sinnenfreudigen Klosterlebens aus: „Was sind
denn heute unsere Frauenkloster ? Sie sind nicht Gott, sondern
Venus geweiht; unkeusche, hochst unreine Orte, an denen sich
die zligellose Jugend alien Arten der Geilheit und Genufi-
sucht preisgibt. Es ist heutzutage ftir ein junges Madchen
gleichbedeutend den Schleier zu nehmen oder sich offentlich
an einem bertlchtigten Orte preiszustellen."

Wir kdnnen hier keine allgemeine Kulturgeschichte schrei-
ben, so nahe es lige, einmal zu zeigen, wie der sittliche Ver-
fall, der aus idealen Intentionen gegrundeten Kloster allge-

') Vergleiche dazu die orientierende Ausgabe. Brantdme, Leben
der galanten Damon, tibersetzt von W. A. Kastner, Deutsche Verlags
Aktiengesellschaft.


^ XV JK»

main verheerend wirkte. Die gee&mte Schwankliteratur Deutsch-
land, Italiens und von Frankreicli bietet ebenso wie die Folic
von Holzschnitten und Kupferstichen Material genug, um den
Stand vieler Kltieter zu beurteilen. In die klbsterliche Aakese
spielte eine haufig flammende Sinnlichkeit. Welche Feinheiten
enth&lt z. 6. der Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise!
Wir fuhren daraus nur eine Stelle an aus dem V. Briefe, wo-
aelbst es heifit: „Vielfach ist auch die Haut dunkelfarbiger
Frauen zwar weniger lockend fur das Auge, aber um so reiz-
voller bei der Beruhrung, und darum ist der gebeime Liebee-
genufi, welcben sie spenden, grdfler und sufter als dffentliche
Freuden; und um ihn zu genieflen, werden solche Frauen von
ihren Mannern lieber in das Schla<gemach gefuhrt als in die
Offentlichkeit."

Neben den Klosterinsassen miissen wir auch die in Italien
und in Paris studierende Jugend anfuhren, als Verbreiter und
Tr&ger der derbsten Erotik in alien ihren Formen. Weiter
sind hier zu erw&hnen die Landsknechte, welche st&ndig die
Zote kultivierten. Schliefilich durfen wir auch die Kaufleute
nicht vergessen, welche aus den italischen Handels- und See-
st&dten allerlei grobsinnliche Histdrchen mitbrachten und von
Stadt zu Stadt weitertrugen.

Das heitere Naturell der Italiener, ihr Gheselligkeitsbedurf-
nis aufierte sich auch in dem lebensfroh scbaumenden Geist
ihrer Unterhaltungen. Man freute sich der Pikanterie in jeder
Erscheinungsform. Das Leben und Treiben des Klerus, der
gebildeten Kreise bot Stoff in Hulle und Ftille.

Die besten Stucke dieser leichten Ware auch literarisch
zu verwerten, blieb einem Italiener vorbehalten, namlich Brac-
ciolini.

Die Schwanke und Schnurren des Florentiner Gian-Fran*
ceeoo Poggio BraccioliniJ) fanden bei ihrem erstmaligen Er-
scheinen — etwa 1470 — auf dem Bilchermarkte *) groBen
Beifall in der Gelehrtenwelt. All die derbsinnlichen, witzigen,
spottlustigen Histdrchen, welche sich die papstlichen Sekret&re
in frohen Stunden erz&hlten, Aran gen in immer weitere Kreise,

l) Siehe dazo die vorzOgBche mit Einleitung and Anmerkungea
Tersehene Obersetzang von Alfred Semmeraa, welche im IV. Band der
Romanischen Meistererzahler, Leipzig, 1906 erschien.

*) Poggio erwfthnt seine Fazetien bereits in einem Briefe vom
36. Oktober 1438.


62* XVI JK®

nachdem Poggio diese Kinder sinnenfroher Laune gesammelt
hatte.

Selbst die Klosterdruckerei von S. Eusebio in Bom tiber-
nahm die Drucklegung dieser keine Prtlderie kennenden
Schw&nke, um dem Lesebedllrfnis zu geniigen.

Die weite Verbreitung, welche diese von lebhafter Sinnes-
freude zeugende Sammlung pikanter Scherze in Italien hatte,
dehnte sich auch auf Deutschland aus. Hier reizten diese
Schw&nke und Schnurren zu weiterer, den deutschen Verh&lt-
nissen angepaBten Ausschmtickung, zur Nacherz&hlung und
Weiterbildung.

Der Boden dafiir war in Deutschland vorbereitet wie
kaum anderwarts. Die f glanzvolle Zeit des Bitterstandes
naherte sich dem Verfalle. Mflhsam suchte der Adel und die
eng mit ihm und in ihm verbundene hohe Geistlichkeit durch
eine auflerst umstandige und verwickelte zeremonielle Feinheit
das tJbergewicht und den entscheidenden Einflufl zu bewahren,
denn immer wuchtiger begannen die Ziinfte und die niedere
Geistlichkeit den geistigen und tatlichen Kampf.

Noch stand die Masse dem Ringen teilnahmlos gegeniiber.

Wohl empfand man im Volk den dumpfen Druck von oben,
aber noch war man sich der eigenen Kraft nicht bewuBt ge-
worden.

Je anmaBender und diinkelhafter der Adel sich gehabtc,
und die Gelehrten mit ihrer verschrobenen Weisheit auftraten,
desto mehr begannen die unteren Kreise auf rohe Nattlrlichkeit
und Einfalt zu pochen. Schlauheit setzte man der politischen
und geistigen Cberlegenheit der Herrschenden gegentlber.
Mutterwitz war die Diplomatic der weiten niederen Volks-
schichten.

Der peinlich abgezirkelten zeremoniellen Feinheit der
hoheren Kreise gegeniiber machte man sich aus der groben Un-
geschlachtheit des Volksverkehres einen wahren Stolz. Volks-
tiimlich muBte auch der niedere Klerus sprechen, um Flihlung
mit der Herde zu behalten. Der groBte Teil der Weltpriester
stammte zudem aus den untersten St&nden und erreichte bei
der mangelhaften Vorbildung vielfach niemals eine ideale Auf-
fassung des Seelsorgerberufes. Man diente am Altare geradezu
handwerkmaflig, und der halbgebildete Klerus tat sich haufig
durch besondere Boheit hervor, wie das so viele Schwanke
zeigen; Schwanke, in denen Tatsachen mit Namensangabe dor
betreffenden Priester belegt werden.


xvn

Bebel erw&hnt z. B. den Priester Mutscheler in Ulm, dann
den Priester Wendelin, Fussilin, ferner die Konkubinen der
Geistlichen. Tolle Angaben uber Geistliche enthalt die Zim-
merische Chronik. Michael Lindener weifi desgleichen wenig
erbauliche Geschichtchen von Mdnchen, Nonnen und Geist-
lichen zu berichten.

War die Geistlichkeit aber derart vielfach ganzlich ihrer
hehren Aufgabe unf&hig, wie muBte es erst in den weiten
Volksschichten aus s eh en. Wer sollte der Masse ideale Stimmung,
weihevolle Sammlung bringen ?

Die Roheit war gewaltig, aber dem Volke, meistens selbst
den hoheren Kreisen kaum bewuBt, denn fur ein derb angelegtes
Volk bleibt ein roher, ja grausamer Spafl stets noch ein be-
lachenswerter SpaB.

Was uns heute bei der Lekture dieser Dinge geradezu
als Gemeinheit empfindlich abstdBt, fand im XVI. Jahrhundert
sogar den Beifall der Gebildeten und der Frauenwelt.

Man wollte lachen und war in den Mitteln die Lach-
lust zu erregen nach keiner Seite bin irgendwie wahlerisch.
Der Schwank war in alien Formen willkommen. So zeigte sich
das Schauspiel haufig lediglich als ein Schwank in Gesprach-
form, die Meistersinger verschmahten fur ihre weltlichen Lie-
der den Schwank auch nicht, unbedenklich mischten die Fabel-
dichter die Schwanke unter aesopische Apologe. Die Prediger
konnten und mochten der Schwanke gar nicht entbehren. Der
derbete und witzigste Kanzelredner war auch gleichzeitig beim
Volke am beliebtesten.

Gemut8erheiterung stand liber der Kopfbeschaftigung. Der
volkstlimlich deutsche Humor bluhte allgemein. Die Witzreden
und Sticheleien betrafen a Her lei lose Gesellen der untersten
Klaisen, Bettler, Vagabunden, dann aber auch Volksnarren
und bauerliche Kreise.

Mit klarem Auge erkannte in jener Zeit der Professor
Heinrich Bebel, daB sich aus dem Schwank noch mehr machen
lieB. Der im Volke wurzelnde Gelehrte hatte wahrgenommen
wie reich die Quelle derben Humors sprudelte. So begann Bebel
an die bisherige Art auch Schwanke von bekannteren MeB-
pfaffen, Landsknechten, Handwerkern sowie Bedensarten be-
rtihmter Manner anzureihen.

Der Aufenthalt eines Freundes, Petrus Arelunensis, im
Bade, sowie die schwabische Sitte, den in Badeorten weilenden

Karl Amrain. Deutsche Schwankerzahler. II. II


XVIII )K®

Freunden kleine Geschenke zu ubersenden, wax 1506 die auflere
Veranlassung zur Herausgabe der sp&ter wirklich weltberuhmt
gewordenen Libri HI facetiamm, die erstmals 1508 in Strafl-
burg i. Elsafi gedruckt erscbienen.

Heinrich Bebel bat sich mit dieaer Sammlung, deren Ge-
balt durch und durch bodenst&ndig und wertvoll ist, als den
geschicktesten Nachbildner Poggios erwiesen, so weit wenigstens
Deutschland in Betracht kommt. Dieser Griff in das wahre
Volksleben erwies sich als auflerst glucklich. Allenthalben
selbst in Frankreich las man diese dem Erohsinn dienende
Sammlung und versuchte sich in mehr oder weniger gelungenen
Nachahmungen.

Neben Bebel mussen wir Augustin Tunger, den Prokurator
am Hofe des Bischofs von Konstanz nennen, der auf Ver-
anlassung des Grafen Eberhard des Bartigen von "Wtirttemberg
im Jahre 1486 eine kleinere Schwanksammlung herausgegeben
hatte. Desgleichen mussen wir Frey, den Verfasser der „Garten-
gesellschaft", erwahnen, der weiter auf Bebel aufbaute.

Weiter dtirfen wir Michael Lindener wegen seiner kultur-
historischen wichtigen Schriften nicht ubersehen und endlieh
auch die bedeutsame Zimmerische Chronik nicht mit Still-
schweigen fiber gehen.

Die Liste derber Schwankerzahler ist damit ja noch keines-
wegs erschttpft, aber die erw&hnten Namen sind alle fur die
suddeutschen Verhaltnisse ganz besonders wichtig. Ausdrtick-
lich sei auch der in Suddeutschland wirklich heimisch ge-
wordene 2dichael Lindener genannt.

An der Hand der Schriften dieser Hum oris ten und Sati-
riker bekommen wir wunderbare klare Einblicke in die sozialen
und kulturhistorisch bedeutsamen Verhaltnisse.

Wer diese Schwanksammlungen achtlos beiseite schieben
wollte, weil der Erzahlende so gar kein Blatt vor den Mund
nchmen will, der wurde geradezu unverantwortlich nachlassig
Kulturgeschichte betreiben und sich an der Geschichtsfalschung
unmittelbar beteiligen.

Fur das Treiben in den Wirtshausern, Badestuben, auf
Reisen schbpfen wir aus den berlihrten Schwanksammlungen
gerade anschaulichste Belehrung. "Wer einen wirklich brauch-
baren und zuverlassigen Gradmesser ftir die Moral-
anschauungen — im weitesten Sinne genommen — jener Zeit
gewinnen will, mufl sich unbedingt an das Studium der


6* XIX

Schwanke machen.1) Freilich fiethetischen GenuB bereiten
diese Schwanke in keinem Falle, denn vielfach stoBen wir auf
den grdBten Schmutz, aber in all dem Wust sehen wir da*
intimate Ftihlen und Denken weitester Kreise, welche im
XVI. Jahrhundert gelebt und gewirkt haben. Es ist ein Stuck
Menschheitgeschichte und darum dem Volksforscher so be*
deutungsvoll, ja geradezu kostbar.

* *

ZweckmaBig scheint es zu sein, auf die Lebensgesehichte
der hier in Betracht kommenden Schwank- und Schnurrenver-
faaser einzugehen. Wir beginnen mit Professor Bebel.

1. Heinrich Bebel erblickte etwal472 zuJustingen — Ober-
amt Munsingen — im Donaukreis des heutigen Ktinigreiches
Wurttemberg, das Licht der Welt. Er war der Sohn eines
nicht beguterten Bauern, also ein richtiger Bauernbub. Wenn
wir das betonen, mag das vielleichit etwas seltsam erscheinen,
aber die Herkunft ist fur Bebels ganzes Leben wichtig ge-
wordenl Allzeit neigte er dem Volke zu und verweilte haufig
unterm Volke, dessen Lebensbedurfnisse und Unterhaltungsstoff
er vorzuglich verstand, wfihrend andere Hum an is ten sich fern
vom Volke in dunkelhaft vornehmer Abgeschlossenheit hielten.
Unter dieser Hinneigung zum Volke hatte Bebel viel zu leiden,
namentlich nachdem die aus dem vollen Leben sch5pfenden
Schnurren und Schwanke erschienen waren.

Das Vorurteil gegen den „bauerlichen" Bebel hat es aicher-
lich bewirkt, daB Bebel, der gelehrte Lateiner, nie eigentlich
bei der Nachwelt dauernd zu den verdienten Ehren kommen
konnte.

Koch ungereimter klingt der Vorwurf, daB Bebel bei seinem
freimutigen Betonen sittlicher Sch&den bei der katholischen
Geistlichkeit sowie grober Verweltlichung der Kirche, nicht
aus der Kirche ausgetreten sei. Bebel, heiBt es, habe auf
diese Weise ganz unmannlich gehandelt. Wer diesen Stand-
punkt einnimmt, verkennt durchaus und nach jeder Seite hin .
die Tatigkeit eines Satiriker.

Bebel erhielt nach seinem Vater den Namen Heinrich, ein

*) Moralanschauungen andern sich wie der Geschmack. Man vex-
gleiche dazu die bedeutungsvollen Ausfuhrangen von Ednard Kulke in
seiner Kritik der Philosophic des Schdnen. Herausgegeben von Dr. Fr.
S. Krauss, Leipzig 1906. Seite 275 ff.

II*


6* XX

Bruder des Verfassers der Fazetien hiefl Wolfgang. Dieser
wurde 1506 Magister, hernach Doktor der Arzneigelehrsamkeit
nnd 1515 war er in Tubingen Dekan der philosophiscben Fakul-
tat. (Siehe hierzu die Bebelbiographie yon Zapf — Augsburg
1802.) Heinrich erhielt seine ersten Schulstunden in dem kleinen
bei Ulm gelegenen Orte Schelklingen.l) Im Jahre 1492 be-
gegnen wir ihm in Krakau, woselbst er sich der Bechtswissen-
schaft, den schSnen Wissenschaften und freien Kunsten wid-
mete.') Bald liefi Bebel die Jurisprudenz, die Pandekten, das
Corpus iuris ruhen, um sich vollig den schtinen Wissenschaften
hinzugeben. Unter seinen Lehrern war es namentlich Lauren-
tins Corvin, fur den Bebel grofie Verehrung hegte.*)

Wiederholt unterbrach Bebel seinen Aufenthalt, und so
sehen wir ihn im Hochsommer 1494 in Basel. Hier erkrankte
Bebel an der Dysenterie und nur mit Grauen dachte er sp&ter
«ji diesen Krankheitsfall zuruck, und zumal da das folgende
Jahr 1495 die Pest brachte, welche auch den Vater unseres
Gelehrten dahinraffte.

In kindlicher Liebe weihte Heinrich den Manen des teueren
Vaters eine prftchtige Ode in lateinischer Sprache, die wir der
Seltenheit wegen zum Abdruck bringen wollen.

Saphicon in mortem Henrici Bebel senioris qui obiit in
peste MCCCCXCV.*)

Hoc avus noster recubat sepulchro
Bebel Henricus, miseris benignus
Quern tulit canum furibunda pestis
Impia cunctis.

l) Vergleiche in Bebels Abhandlung: De abusione linguae latinae,
Siehe: Die Commentaria epistolanim conficiendarum (Argent 1503, 4)
p CXXXIII. (Phorcae 1508. 4) Bogen s. 11 j a (ibid. 1510) p LXXX usw.
Munidpes Tttbingenses, die Burger von Tubingen, vel municipes Schel-
klingenses, apud qnos ego educatus sum, et primas litems didici.

^ Bebel erwihnt in einem Gedtchte seine Rechtsstudien „Solus
ego cepi civiles discere leges—Palladiasque sequi non radis ipse scholas
cfr: Adami.

8) Vergl. Burkhard: Commentarii de linguae latinae in Germ, fatis
P. II. p. 328.

*) S. Henr. Bebel Oratio ad Regem Maximiliannm de laudibus atque
amplitudine Grermaniae (Phorcae et aedibus Thomae Anaheim 1604.
4) Bogen r. ijb.


6* XXI

Pestis hen crassans regione Sueva
Strangulans sanctoa tolerans nefandos
Integro non to poteraa scelesta
Parcere patrL

Qui 8uam duxii probitate vitam
Justus et clemens, pietate pollens
Dignus ut vivat superas per auras
Tempus in omne.

Disce mortalis petitura mundo
Cuncta fallaci, nihil et futurum
Semper aetemum, pereunt in hora
Gaudia mundi.

Tardius nunquam fluidisque lymphis
Transeunt anni, volucrisque vita
Corporis nostri fugit et venustas
Otior euro.

Horridae mortis memor ipse prudens
Esto, quae semper truculenta cunctis
Imminet fies moriture manes
Pulvis et ombra.

Haec rapit matres juvenes senesque
Abstinet nullo genito sub ore
Pauperes regum et simili revisat
Atria more.

Ezimet nee te proavum vetusta
Claritas, tutum facietve virtus
Mortequin dura subeas Avernae
Limina mortis.

Attalo nunquam preciosa vestis
Nec Gygi Lido numerosus archa
Profuit nummus, subeuntque legem
Omnibus unam.

Non Aristides potuit fugare
Integer laethum. Numa vel deorum
Cultor, et constans animus Catonis
Cedite morti.


xxn

Ergo divinum precious remulce
Numen, ignoscat scelere aggravates
Astra post mortem petiturus adsis
Chare viator.

Welch' feine Seelenempfindungen und Begungen atmen diese
Verse! Welch inniges Verh&ltnis zwischen Vater und Sohn
kunden einzelne der Strophenl Wie interessant ist es, diese
Ode zu vergleichen mit der noch anzufuhrenden Apologia Bebelii
contra Zoilum de stirpe sua. Solche Bekenntnisse des Dichters
wollen doch auch gewurdigt sein, wenn man der Personlichkeit
des Verfassers der vielgeschmahten, aber ebenso hfiufig gelesenen
Facetien gerecht werden will.

Im Hinblick auf diese bedeutsame Todesode ist es auch
wichtig zu betonen, daB Christoph Freiherr von Schwarzenberg
aus Achtung vor dem Verstorbenen und aus Liebe fur Heinrich,
den Sohn, ein Epigramm komponierte, dessen Text also lautet:

Proh superi sceptrum arcis vos demite ternis

Vivere ne praestent stamina neue secent

Cum nullis parcant rigidae, nec parcere callent

Sed sine mortales hae ratione necent

Hoc iam Bebelii commonstrat mors senioris

A cunctis cujus vita probata fuit

Hie nunc exoluit naturae debita, natos

Sed liquit binos, qui modo laude micant

Huno rogo per ducas ad celsa diespiter alme

Limine coelorum, sunt ubi regna dei. *)

Dieses Epigramm spricht fur die Wertschatzung der ge-
samten Familie Bebel, andererseits zeigt es aber auch, wie
gehr der Sohn den Vater geliebt hatte, da Schwarzenberg dem
Sonne mit dem Epigramm eine kleine Freude bereiten wollte.
Welche Tiefe des Gemutlebens lassen uns die kleinen Ztige
ahnen, und wie hinf&llig werden alle Einw&nde, Bebel sei
rechthaberisch, larmvoll und oberflachlich gewesenl

Schriftstellerisch tatig war Bebel, wie Zapf vermutet, erst-
mals im Jahre 1496, als er in Basel die Kosmographie seines

*) Epigramma Christophori Baronis de Snartzenberg Franci orientali.
in mortem Henrici Bebelii senioris qui rait pater Henrici Bebelii poetaes
S. Bebelii opera. Triumphus veneris & Phorcae in aedib. Tn. Ans-
helmi 1509. Bogen I.


XXIII J«e>

in Krakan wirkenden Lehrers Laur. Corvinus in Druck gab.
DaB uberaus seltene Work ist eigentlich eine Erklarung und
Einleitung in die Kosmographie des Ptolom&us. Zugeeignet
bat Bebel das Werk dem ihm befreundeten Hartmann von Ep-
tingen, Kanonikus in Basel. Sp&ter bat Hartmann „suo Hein.
Bebel JnstingensL Ordinario lectori poetices in universitate
Thubin, felicitatem" gesagt.

Bebel war, wie aus den Zeilen Hartmanns hervorgeht,
Lehrer der Dicbtkunst, und zwar hatte man den feinsinnigen
Mann im Jahre 1497 als Lehrer der Beredsamkeit und Dicht-
kunst nach Tubingen berufen. Hier schlofi er Freundschaft
mit seinen Schulern Melanchthon, Johann Stofler, Franz Sta-
dian und Johann Brassikan. Auch der nachmals so streitbare
Johannes Eck, welcher in Tubingen studierte, verehrte in Bebel
ebenfalls seinen Lehrer. Bebel fiigte Ecks Chrysopassus prae-
destinationiB (Aug. Vind 1514 fol) an Johann Asthmann folgende
Verse bei, die ein Schlaglicht auf das Verhaltnis zwischen Eck
und Bebel zu werfen geeignet sind. Epigramma Henrici Bebelii
Justingensis oratoris et poetae laureati ad Joannem Asthman-
num Theologum ac concionatorem Tibingensem super iudicio
Chrysopassi praedestinationis Joannis Eckii Theologi omnium
per Germaniam famigeratissimi ac subtilissimi.

Judicium nostrum tentas Asthmanne sodalis

Quanti sit nobis Eckius ille tuus.
Immo meus potius: nostra quandoque Minerva

Formatus: musis dum puer incubuit.
Est mini vir rarus simul admirabilis unus

Cuius ob ingenium Suevia tota nitet.
Ille Theologiae musas coniunxit amoenas

Doctus mellifluo cum Cicerone loqui.
Ille Mathematicus, vel quern polyhistora dicas

Si titulos omnia enumerare velis.
Trigenas tamen haud messes ni fallor in annis

Hactenus implevit: gratia quanta deum?
Hinc spes est melius consultum posteritati

Longius in vita, si superesse datur.
Attamen hunc librum numquam librare valebo

(Materia vires exuperante meas).
Dum docte, argute, vel quos praedestinet, aut quos

Praesciat ipse deus: explicat atque docet.


6* XXIV *®

t Ne fiam judex, velut olim turpis asellus

De cuculi canto, Lnsciniaeqne melo.

Tllbingae sexto die Aprilis Anno domini M. D. XIV.

Auch dieses Gedicht zeugt von dem klassischen Latein,
dessen Lehrer Bebel geworden war. Man hat nicht unrichtig
gesagt, Bebel, der die lateinischen Redner, Dichter und Ge-
sehichtechreiber erklarte, leistete ftir die Latinitat was Reuch-
lin fur die hebr&ische und griechische Literatur.

1502 war ein Pestjahr und aus gesundheitliehen Sicher-
heitsgrlinden wurde die Universitat nach Nagold und Dora-
stetten verlegt. Bebel weilte wahrend dieser Zeit in seinem
Geburtsort Justingen. Fern von dem Verkehr mit Gelehrten,
ohne Bucher dichtete um diese Zeit Bebel den Triumphus
Veneris in sechs Buchern. Die Grunde zu dieser Dichtung
gibt Bebel dahin an: „Haec cum nuper (tempore pestis quo a
Tubinga secesseram in patrioque Justingensium solo sine libris
et literatis delitescerem) mecum tacitus reputassem, cepi cogi-
tare auo pacto ociosus aliquid meditarer, unde me vixisse
testarer, deque humano genere pro virili portione mea bene
mererer, et cum illi scriptores prae caeteris oommendentur, qui
non iucunda tantum auribus sed et utilia animis excolendis
admoneant, majorisque meriti praedicentur, quam qui alter
utrum tantum sunt consecuti, cepi iocoso et figurato carmine
scelera atque flagitia horn in um detestari, ut cum iocis pro-
d e s s e m." — Wir erwahnten diese Erklarung aus dem Grunde,
weil sie uns auch die Herausgabe der Fazetien bedeutend ver-
standlicher macht. Lachenden Sinnes geiflelt im Triumphus
Veneris Bebel die Torheiten der Menschen, lachenden Auges
tut er dasselbe auch in den Schwanken und Schnurren.

In demselben Jahre 1502 besuchte Bebel Blaubeuren, Jetten-
bruck und Ingstetten, aufierdem viele Kloster. In den Buche-
reien der Monchniederlassungen suchte Bebel als gern gesehener
Gast unbekannte Schatze ftir die Geschichte oder seine histo-
rischen Abhandlungen, denen es freilich wie fast alien For-
schungen seiner Zeit an der Akribie mangelt. In dem Kloster
Zwiefalten war Bebel formlich wie daheim, denn er hatte an
dem Abte Georg Fischer, welcher sich der Mode entsprecbend
Piscator nannte, einen ausgezeichneten Freund. Bebel ruhmte
diesen Abt als einen zweiten Stifter des Elosters, Piscator

. ■

empfahl er auch seinen aus Ulm stammenden Freund Leonhard
Klemens, der in Zwiefalten Benediktiner und Prediger war.


$31 XXV

Zu den schdnsten Seiten an dem Menschen gehftrt bei Bebel
dessen unermudliches Eintreten fur gute Freunde. Fur seinen
vertrauten Freund Johann Beuchlin trat Bebel mannhaft und
wirkungsvoll auf den Kampfplatz, das beweisen die Briefe der
Dunkelm&nner.

In dem Carmen Bithmicale Magistri Philippi Schlauraff *)>
quod compilavit et deportavit, quando fuit cursor in Theologia,
et ambulavit per totam Alamanicam superiorem finden wir
folgende uberaus wichtige Stelle:

Tunc ad Tubingam abii hie sedent multi socii

Qui novos libros faciunt, et Theologos vilipendunt

Quorum est vilissimus Philippus Melanohthonius

Sicut ego cognovi: et igitur Deo novi,

Si viderem ilium mortuum, quod irem ad sanctum Jacobum,

Fuit et Bebelius, et Joannes Brassicanus*)

Et Paul Vereander, die schworen alle miteinander,

Quod vellent me percutere, si non vellem recedere?

Bebels impulsive Natur fand bei den haufigen Gelehrten-
z&nkereien an Freunden wackere Unterstutzer. Als z. B. Jo-
hann Corunnus, ein Franzose aus Chartres, Bebel literarisch
angriff und denselben einen albernen Menschen schalt, den man
nicht Bebel sondern Balbus nennen sollte, da schrieb Bebels
Schuler und Freund Jakob Heinfichmann aus Sindelfingen am
30. Oktober 1514 an Bebel und berichtete in heller Entrustung
uber die „unver8ch&mteste Bestie" Corunnus. Der so tempera-
mentvolle Heinrichmann war damals Rat bei dem Bischof Hein-
rich von Lichtenau in Augsburg.

Dieser Jakob Heinrichmann ist der Nachwelt bekannt ge-
worden durch urderbe, aber teilweise auch recht drollige An-
gaben der zukunftigen Zeiten. Diese Angaben wurden bereits

M'JS. Epistolae obscurorum virorum (Francof. 1757,8) T. I. p. 196.

2) Brassican, den Melanchthon hochverehrte, war ein vorzuglicher
Lehrer am akademischen Pftdagogium zu Tubingen. In einer weit ver-
breitet gewesenen Grammatik, deren 1. Auflage 1513 zu Strafiburg und
2. in Hagenau 1518 erschien, schOderte er im Vorwort den vorzflgUchen
Stand der akademischen Schule in Tubingen. Den auf Bebel beztig-
lichen Passus wiederzugeben, sei uns hiennit verstattet: „Qui literas
politiores scire expetit Bebelium poetam strenue profitentem quotidie
andiet". Die ganze Schflderong siehe bei Zapf: Heinrich Bebel, Augs-
burg 1802, Seite 74, Anmerkung 84. Zu den Fazetien hat Brassican
etliche sehr derbe Beitrftge geliefert.


S3* XXVI

seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts als Prognosticon
in omne aevum durans den Fazetien Bebels beigeftigt.*) Frei-
herr von Schwarzenberg hatte auf die Prognostica des Jacobi
Henrichmanni praeceptoris folgendes Distichon gemacht:

,,Henrichmannus predixit tibi vera futura
Hie nullum fallit, tu bene crede mihi."

Neben dieser ungemein beliebten Kalendervoraussage war
auch seine Orammatica sectae recentioris stark verbreitet. Vor-
zugliches leistete Heinrichmann als Orammatiker am P&da-
gogium zu Tubingen. Bei seinem Tode war er fast hundert
Jahre alt.

Neben Heinrichmann und dem bereits erwahnten Brassican
nahmen Bebels gerechte Sache in Schutz, z. B. Michael Coc-
cinius alias Kdchlin. CoQcinius war ein sehr gebildeter Schrift-
steller und Kanzler bei dem Gouverneur von Modena Veit von
Furst; wir erwahnen ferner Leonhard Klemens, Georg Hdr-
mann und Bebels eigenen Binder, den Doktor der Arzneigelehr-
eamkeit Wolfgang Bebel, welcher gleichfalls wiederholt sich
als Dichter ausgezeichnet hat.

Ungemein grofi und weit ausgebreitet ftir damalige Ver-
kehrsverhaltnisse muB der Briefwechsel gelten, den Bebel mit
Freunden und Bekannten unterhielt. Wir nennen da Johann
Casselius, Pfarrherr in Geislingen, ferner den Sekret&r des
Herzog Ulrichs von Wlirttemberg Simon Cellarius, den kaiser-
lichen Sekretar und Doktor der Bechte Johann Colaver, Leon-
hard Dtirr, Abt zu Adelberg in Wurttemberg, Valentin Ele-
phant, ein Patrizier und Senator zu WeiBenburg im ElsaB, den
Domherrn in Basel, Hartmann von Ep tin gen, den Karthauser
Mdnch Marx Fabri in Trier, Georg Hdrmann, Kanonikus des
Stiftes zu St. Moritz in Augsburg. Als Freunde und GOnner
Bebels durfen wir Namen, wie den des Dompropstes zu Augs-
burg Matthaus Lang, nachmals Kardinalerzbischof von Salz-
burg, nicht vergessen, ebensowenig Johann Naukler oder Vergen-
hanns, dann Jakob Oessler, welcher bischoflich StraBburgischer
Eonsistorialadvokat war, auBerdem den weltbekannten Augs-

l) Heinrichmann hatte 1508 an Bebel und den Freiherrn von
Schwarzenberg eine kleine Schrift mit dem Titel: „Prognostica alioauin
barbare practica nuncupata", zur Lekture ubermittelt. Bebel fand die
Prognostica so urkomisch, dafi er seinen Freund Heinrichmann bat die-
8elbe den Scherzreden anzufflgen.


6* XXVII TO

burger Konrad Peutinger. Freunde Bebels waren neben Bench-
fin auch der Augustiner M6nch Andreas Proles Provinzial
seines Ordens, ein einsichtsvoller Mann, der das Verderben der
katholischen Eirche sah und die Reformation voraussagte. Es
liegt uns fern, etwa ein vollst&ndiges Verzeichnis all der Per-
■Onlichkeiten zu liefern, welche mit Bebel in Verbindung stan-
den. Wer sich n&her damit befassen will, den verweisen wir
auf Zapfs Bebelbiographie Seite 30—44.

Ein en Namen wollen wir nur noch anfuhren, n&mlich
Hieronymus Emser, den bekannten Gegner Luthers. Bebel
kannte den Hieronymus Emser schon seit dem Jahre 1497
aus Basel her und echlofl mit Emser, der aus Ulm stammte,
innige Freundachaft. Emser erlebte wegen seines Freundes
Bebel einen seltsamen Vorfall. Als Feind der Schweizer, welche
nichts von Kaiser und Reich wissen wollten, hatte Bebel einige
epitzige Verse gereimt. Emser schrieb diese Verse einem seiner
Kommilitonen, der im Eolleg eingeschlafen war, in das Buch.
Die fur die Schweizer stark beleidigenden Verse erregten die
Gemtiter so gewaltig, dafi heftige Unruhen ausbrachen. Man
wollte Emser in das Gefangnis verbringen, aber glucklicher-
weise nahm Chriatof von Utenheim Bischof von Basel den
Emser in Schutz und behielt denselben solange bei sich bis die
Schweizer mit Maximilian I. wieder ausgesdhnt waren. Emser
wurde apater Sekret&r des Herzog Georg von Sachsen. Fur die
Fazetien hat auch Emser, wie wir sehen werden, Beitr&ge
geliefert.

Padagogen, Bechtsgelehrte, Angehdrige des Weltklerus und
Mdnche bildeten den grofien Kreis von Bebels Freunden. Es
eind durchweg klangvolle Namen, welche dartuen, daB Bebel
bei seinen Zeitgenossen in hdchster Achtung stand.

Bebels Hauptruhm besteht in seiner Lehrt&tigkeit.
Zweifelsohne war er einer der beaten Latinisten. tJberaus
leicht verstand er in zierlichen lateinischen Versen alien Ge-
fuhlen Ausdruck zu verleihen. Wir mdchten hier nur eine
Probe wiedergeben, welche geradezu den Stempel des Volks-
tumlichen tragi

Querimonia puellarum in Luciferum, qui graece Phosphorus
dicitur.

Phosphore alternae dator et minister
Lucia, et noctis nebulas opacas,
Atque funestas removens tenebras
Lumine claro.


<S* XXVIII *®

Cur diem velox prop eras olympo
Reddere, heu nostris inimice votis
Dum meos artus agasina tangens
Gaudia refert.

Cogitur tete veniente plorans
Linquere amplexus gemebunda nostros
Lucidos ignes remorare solis
Sidere pigro.

Tu puellarum invidiosa stella
Separans euheu, miseros amantes
Saepe te contra referunt puellae
Impia verba.

Desinit per te requies amantum
Desinit per te requies laborum
Desinit per te requies aratri et
Buricolarum.

Perdidit per te requiem viator
Perdidit per te requiemque pastor
Perdidit per te requiem volucris
Quadrupedesque.

Incipit per te tolerare duras
Pectoris curas hominum caterva
Incipit dulcem refugare somnum
Pulchra puella.

Ergo lucent em remorare solem
Dum duos noris recubare amantes.
Crede sejunges cupidas puellas
Ense necabis.

Ftir seine verselustige Zeit war Bebel wirklich wie ge-
scbaffen. Durch die ftbersetzungen deutscher Volkslicder und
Schnurren in die lateinische Sprache hat der Stoff zwar an
Anschaulichkeit und Wert verloren, andererseits wurde gerade
des lateinischen Textes wegen das Interesse der Gebildeten fur
Gegenstande wachgerufen, denen sonst ganz und gar nicht
dieser Wert ware beigelegt worden.

Das dlirfte ganz besonders ftir die Facetiae gelten, ferner


XXIX *i>

fur deutache Bedensarten und Sprichwcrter. Es ist wirklich
interessant zu vergleichen, wie Bebel deutsche Spruche in latei-
nische Verse umsetzt.

Wir glauben der folkloristischen Literatur einen Gefallen
zu erweisen, wenn wir etliche von Bebel gesammelte Spruche
an dieser Stelle wiedergeben, dean auch sie ceigen Bebels Liebe
zu VolksauBerungen.

Versiculi quidam Henrici Bebelii Justingensis egregias
sententias in se continentes.l)

Carmen sodaticum.

Lex bona non mala vis: sapiens: non stultus abundans
Ante ferendus erat et meritum haud favor est

Temporibus pristis sed nostro tempore vertas
Uti fertur folium: et dicere vera notes.

Sic.

Est favor baud meritum ut erit anteferendus abundanf

Stultus non sapiens vis mala non bona lex.

Vor reycher Dorheit soil weifihait ston,

vor gunst sol ouch billichkait gon,

vir gewalt dazu das recht,

ker das blat rum du wirst gewert.
Cur ego mortalis possum letarier unquam

Tempus enim quo sum vel moriturus erit.
Sed quando immineat nunquam cognoscere possum

Et quo perveniam nescius atque miser.

Ich stirb und waiB nit wan,

ich far und waifi nit wa hin,

mich nempt wonder das ich frelich bin.
Ach quis solicito non gestat mille dolores

Pectore quisque suae sustinet ecce cruces.

welcher mag syn uff erd brait und weyt,

der nit hab krutz und anfechtung zu aller zyt.
Paupertas tumida et mendax cum divite sacco
Atque senex veneris malesani et cultor amoris
Displicuisse solent hi tres hominique deoque.

Alt buler und hoffertig arm man,

richer lugner ist ouch daran.

Denen gemeyn ist got und die welt gran.

*) Cfr. Zapfe seltene Bebelbiographie S. 135 ff.


XXX K3>

Hec quatuor pervertunt omnia judicia

Piguia (sic!) dona: odium: favor et timor exitio sunt

Judiciis: per que index corrnmpitur omnis.

Gelt gunst forcht und nyd send,

die recht werffend an ein glinck end.

Hec tria pervertunt regna et urbes.

Urbes pervertunt et florentissima regna

Bes privata: simul non multum experta juvente

Consilia: atque latens funesto in corde simultas.

Aigner nutz: iunger rat und verborgener nyd (= Neid)

verderbt vil stett, land und leyt.
Haec tria facinnt sapientens virum
Haec sunt prudentis faciunt hec jure sagacem
Copia librorum cui sit pervisa frequentes
Qui mores hominum multas et viderit urbes
Calleat historias: regumque heroica gesta.

Den schrybend die site wyB und clug,

der vil biecher gelesen hat und lender gnug

erfaren dazu menchen man,

der vil alte geschichten weist und kan.
Hec sunt que maxime homines decipere solent
Decipiunt multos (ut nos docuere priores)
Et favor hand durans principis atque ducum
Et muliebris amor nec non aprile serenum

Labile vel folium quod rosa pulchra geris.
Nisus et accipiter multo discrimine equus que

Tractatur: sepe et tessera vota negat

Herren gunst und aberellen wetter

frowen liebe und rohe bletter

roB: wurffel und feder spill

betriegen menchen der eB geloben wil.
Profuit ingenium quondam coluisse per artes

Nunc valet ad mundum nil nisi divitie.

Vor zytten ward hoch geacht kunst ler

und haust ytz gelt so haust du er.
Proh dolor o superi veneratur solus abundans

Nec probus aut doctus nemo juvatque inopem.
Diligitur nullus nisi cum sit adulans

Fallere qui nescis veh tibi nunc mieero.

Allain geert wird ytz der reiche man,

fromme und kunst gat gar unden dran,

allain geliebt der schmaiher fry,

we dier kanst yetz nit triegery.


SSI XXXI JK3

Neben diesen Versiculi verdienen die Proverbia germanica
collecta atque in latinum traducta per Henricum Bebelium
bepondere Erwahnung. *) Diese Sprichworter erscbienen im
Jahre MDXLVm bei Chr. Egenolff zu Frankfurt auch in
deutscher Sprache unter dem Titel: „Sprichw6rter, Schdne
Weise klugreden darinnen Teutscher unnd anderer spraachen
Hdflichkeit, Zier, hdchste Vernunft und Klugheit, was auch zu
ewiger und zeitlicher Weifiheit, Tugent, Kunst und Wesen
dienet, gespurt und begriffen. Von Alten und Newen beschriben,
in ettliche Tausennt zusamm bracht."

Vorzugliches leistete Bebel als Gelegenheitsdichter. Mit
staunenswerter Leichtigkeit schmiedete unser Poeta laureata die
Verse, so daB die Zahl der Gedichte wirklich gewaltig groB ist.

Als VoUkommenheit ruhmte man besonders die Ars versi-
ficandi et Carminum condendorum, welche von Bebel 1506 ver-
ttffentlicht ward.

Als Gelegenheitsschrift waren ursprunglich auch die Fa-
zetien gedacht, mit denen Bebel seinen Freund den Propst
Peter Arelun beschenkte. Es sind schlichte, schmucklos er-
zahlte Schnurren und Scherzworte mit scharfen Pointen.

Eine zu StraBburg bei Matthias Schurer erschienene
Schrift vom Jahre 1512 enth&lt eine Neuauflage der bereits
1508 bei Grlininger in StraBburg erschienenen Bebeliana
opuscula nova et adolescentiae labores.

Dieses Werk enthalt die Facetiae Bebelianae ad Dominum
Petrum Jacobi Arlunnensem balneantem, welche eingeleitet
werden durch einen Vorspruch an den Leser.

Ad lectorem. — Liber

Pone supercilium lector Nasute, dicaces

Affero ego risus, atque sales lepidos
Curia me spernant, fora me clamosa refutent.

Solus ego mensis laetitiaeque cano
Atque etiam sapiens nos inter pocula tractet

Et tetricas curas mitiget ipse jocis
Nemo etiam carpet tristem qui fronte Catonen

Noverit in libris composuisse sales.
Weiter folgen einige Verse Maximiliani Transsylvani

%) Eine Neuausgabe veranstaltete Suringar, Leiden 1879.


<$* XXXIT JKd

Bruxellensis ad lectorem in conunendationem facetiarum Bebe-
lianarum.

Qui sua sub tristi semper teret ocia vultu

Et sua qui in gravibus tempora rebus agit.
Displicet haec rigidos spernunt nam saecla Catones

Parvaque nunc tetricae gratia frontis adest.
Moribus hinc nostri decet ut te temporis aptes

Inter ut humanos vivere rite queas.
Diace igitur lepidosque sales hilaresque lepores

Bebelius libro quos canit ipse suo.
Inter enim hos poteris doctissima verba referre

Namque juvant placidis seria mixta jocis.

Das m. Buoh der Scherzreden dieser Ausgabe endigt:

Plaudite et valete Joannes Mono
Zuifuldensis facetias
Conclusit.

Dieser Johannes Morio oder Narr vdn Zwiefalten, welcher
die Scherzreden beschlofl, war 70 Jahre alt und diente seiner
Albernheit halber dem Abt Georg Piscator gleichsam als Hof-
narr. Graf en, Fursten und Elosterpersonen ' hielten sich in
Suddeutschland, namentlich aber in schw&bisch alemannischen
Landen sogenannte „gute Fatzmanner". Das Lachbedurfnis
war in jener Zeit grofl; die Tatsache geht auch, wie wir weiter
unten sehen werden, aus der Zimmerischen Chronik hervor.
Die Teufelsgeschichten, die Schw&nke, schimpfliche Historien,
Spuk und Geisterrer8cheinungen lassen grelle Streiflichter uber
die gesamten Unterhaltungsstoffe jener Zeit fallen.

Den Schnurren folgen unmittelbar zum Lobe Bebels und
seiner Fazetien zwei Gedichte, die wir zur besseren Wurdigung
der Fazetien wiedergeben mussen.

I. Paulus Hugo ad lectorem, in apophtegmata Henrici
Bebelii Poetae Urbanissimi.

Si quern forte iuvant risus urbanaque verba.

Hoc opus assidua perlegat ipse manu.
At vos ite procul Critici, procul ite proterui

Et quorum pectus crassa Minerva tenet.
Vos etenim sat erit graecis ridere kalendis

Hirta ne prosequitur, quando capella lupum.
Vos et erit ridere satis cum pandus asellus

Pulsaret resonae plectra canora Lyrae.


Si* XXXIII jK3

Non ego Demoeriti risus collaudo perennes

Virtutis medius dicitur esse locus.
Vir gravis interdum solet arte remittere frontem

Et dulces hilari voce referre sales.
Vultum terrificus non servat Jupiter unum

Molliter interdum ridet Apollo bonus.
Non unam faciem semper gerit astrifer orbis

Et nive non semper terra sepulta jacet.
Nec vultum semper retinebit vir bonus unum

Temporibus vitam commodat ipse suam.
Restractare graves facie solet ille Catonis

Consilio pollens et gravitate potens.
Inter res risu dignas mensamque nitentem

Ridiculo condit fercula saepe joco.
Quid memorem risus Poeni jurantis ad aras

Ipse tuos Macedo mitto Philippe sales
An ne tuos Caesar risus Auguste tacebo?

Mordacique joco, pungere doctus eras.
Digne sed puero fueras irrisus ab hoc, qui

Dixit in urbe suum saepe fuisse patrem.
Secli sed labor est exempta referre vetusti

Humanos cunctos et meminisse duces.
Id generis passim poteris reperire magistros

Namque ferunt tales tempora nostra viros.
Bebelius, solidus Germanae laudis amator

Librum concinnum muneris hujus habet
Tempore quam multo fascem congessit in unuir

Imponitur libroque ultima lima suo.
Dignus ut inter doctorum convivia serpat.

Concinnos lepido spargat et ore sales.
Ergo quisquis eum mercaberis aere libellum

Bebelio faustos usque precare dies.

Das zweite der erw&hnten Gedichte tragt die tfberschrift
Carmen Joannis Hyphantici1) Vueissenhorensis in facetias
Bebelii.

Quern faciles risus, Milesia dicta, lepores,
Fabula, scomma, sales, et joca grata iuvant.

Qui lusus lepidos, dicteria, ludicra mores
Instructis epulis quaeque jocamur, avet.

*) Johannes Hyphanticus ein Gelehrter, der sich auch Weber nannte

Karl Am rain. Deutsche Schwankerz&hler. II. HI


XXXIV

Dulcia praesentis relegat ridicula libri

Quern modo Bebelius vulgus adire sinit.
Discedaiit tetrici caperata fronte Catones,

Et facie caedat heruica turba gravi.
Non sua res agitur, farrago codicis hujus

Perpetuo risu concelebranda venit
Naribus excussis, et ducta fronte protervi

Censores carpent (auguror) istud opus.
Clam&bunt nihil est nequeo ridere profecto,

Quid dicit? lepidos non movet ille sales.
Scribere conetur melius qui talia garrit

Sicque laborificum comperietur opus.
Namque jocos patrios latialis sermo recusat,

Plurima teutonice pulchra, latina minus.
Nec si nasutus quicquam despexerit, odit

Quilibet, et placita non sua cuique placent.
Ingenium discors tribuit natura creatis

Et varias mentes unus et alter habet.
Diversos diversa juvant, quae spreverit unus

Alter amat, cunctis nemo placere potest.
Noxia bilis inest aliis, quae tristia suadet

Omnia, nec mentes exhilarare sinit.
Contra splen petulans et pulmo mobilis addit

Perpetuos aliis et sine fine jocos.
Omnia continuo traduxit tempora risu

"Democritus fin gens ludicra cunctra sibi
Ast Heraclitus lachrymarum fonte perenni

Fievit, et est miserum quicquid in orbe ratus.
Vix semel ad risum tribulis depastus asellus

Commovit Crassum, splene minore senem.
Et varii motus animi discrimina ponunt,

Ut joca moesta tibi, tristia laeta putas.
Valdius arridet laetatus munere Bachi

Quod cui infesta sitis tristia corda premit.
Judicium variat tacito qui pectore curas

Versat, et erumnis corda sepulta gerit.
Obtulit at si cui se dulcis arnica videndam

Hoc sibi cuncta putat esse jocosa die.
Fabula temporibus certis jucunda refertur,

Et magis electo tempore scomma juvat,
Non semper citharae cant us non fistula grata est

Bes nisi legitimo tempore nullo placet.


(52* XXXV jfc©

Adde quod et gestus, et verba moventia multum
Afficerent; quorum pagina muta caret.

Finge legendo tibi predicta, solutius aequo
Bidebis, lepidos tarn movet ille sales.

Et mecum Vatem defende scholastice quando
A Criticls carpi percipis ejus opus.

rsXog.

Die Fazetienausgabe vom Jahre 1514, welche im August
bei Matthias Schurer in StraBburg erschien, bedarf nur dieser
Erwahnung, weil sie mit Ausnahme weniger Beime, einen Neu-
druck der Auflage vom Jahre 1512 darstellt.

In den Merkwlirdigkeiten der Kdnigl. Bibliothek zu Dres-
den HI. Band S. 511 bemerkt, wie Zapf in seiner Biographie,
Bebels (Augsburg 1802) erwahnt Goz: von den Scherzreden
kann man mit Becht sagen, quod rus et stivam oleant, daB sie
nach des Verfassers Ursprung schmecken und vielfach grobe
ungesalzene Zoten enthalten.

Diesen Vorwurf hat man Bebel scbon zu Lebzeiten gemacht.
Bebel war freilich nicht geleckt, wohl aber ein liebenswllrdiger
Mann, der gerne beim Volke und unter dem Volke verweilte.

Seine Schwanke und Schnurren sind bodenstandig und
atmen zum groBen Teil einen kraftig derben Schollengeruch.
Da wird kein Blatt vor den Mund genommen oder in ver-
blumter Erzahhingsweise die Lusternheit rege gemacht, viel-
mehr schlicht und natiirlich ohne spekulative Umschweife weiB
Bebel wirkliche Begebenheiten und seine etwaigen Ge-
wahrsmanner anzugeben.

In unserer sozialer denkenden und fiihlenden Zeit muB der
Volksforscher freudiger aufatmen, derartige Vorwiirfe zu er-
fahren, denn dieselben beweisen besser als alles andere, wie
tief Bebel im Volke wurzelte, wie echt und lebenswahr seine
Schnurren und Witze sind.

Wer sich erkiihnt Bebel einen Latein sprechenden Bauern
zu schelten, vergiBt daruber den feingebildeten Gelehrten, den
ein hoher Geistesadel zierte. All diese derben Fazetien wurden
doch nicht vom niederen Volke gelesen, sondern von den Gebil-
deten, vom Adel, von der Welt- und Ordensgeistlichkeit, selbst
von der Frauenwelt! Auf alle diese Kreise fallt ja der Tadel
der Norgler zurtlck. ttbrigens hat Heinrich Bebel selber, in
feinsinniger Weise die plumpen Angriffe seiner Neider und
Widersacher zuruckgewiesen und restlos entkraftet.

Ill*


6* XXXVI

Aus dem Jahre 1512 besitzen wir eine Apologia Henrici
Bebelii contra Zoilum de stirpe sua, welche erstmals 1508,
dann 1509 und auch 1514 erschien. Bebel rechtfertigt sich
in diesem Gedicht gegen einen kleinlichen Wicht, der ihm
vorwirft, er stamme von Bauern ab.

Wir halten es fur zweckgemafl das wenig zug&ngliche
Gedicht flir unseren gelehrten Leserkreis zum Abdruck zu
bringen.

Quid mihi quod sim rusticus, atque ignobilis ipse

Zoile detrectas, stulte bilinguis iners.
Si non criminibus poterit mea vita notari,

Non euro indocti verba prophana viri.
Nobilitat virtus, divinae et pallados artes

Sum quibus insignis, nobilis, egregius.
Si referam proavos (fateor) charosque parentcs

Rusticus, et duris ruris alumnus ero.
Sedula turpa fuit campum exercere feracem.

Et dives pecorum, et simplicitatis amans.
Cana fides illis, quis non reverentior alter

Divorum, rusticum cum pietate colens,
Est tamen et genitor turbae prelatus agresti

Civibus atque suis consilio, eloquio.
Vicit et aequales, viridis dum floruit aetas

Viribus atque manu corporeisque bonis.
Solus ego coepi civiles discere mores,

Palladiasque sequi non rudis ipse scholas.
Subsequeris frater (modo det tibi Juppiter annos).

Unica spes generis, spes patriique soli.
Quern modo (post sophiae studium, teneraeque juventae

Musas Hippocrates sub medica arte fovet.
Glorior hinc humuli surgam de sanguine primus

Atque meum veniat nomen in ora virum.
Namque adolescentis lauro mea tempora Caesar,

Cinxerat ex hedera conspicuumque caput,
Contulit et nobis armorum insignia, laus est

Induperatori me placuisse meo.
Accessi ob studium variis in partibus urbes

Nunc me doctorem docta Tubinga videt.
Cui tersas primus musas, Latiumque nitorem

Invexi, et teuton grammata nostra legit.
Moribus infandis tu denigrasse parentum,

Et genus et fa mam Zoile inepte soles.


6^ XXXVI1

Posteritati ego sed nostrae non sordidus auctor

Nobilitatis ero famigerumqne decus.
Cum Mario Caesar, cum Gracilis Scipio quondam

Ignoti fuerant, innumerique duces,
Donee claruerunt rebus foeliciter actis,

Sola etenim virtus nobilitare solet.
Desine quapropter sacrum irritare Poetam

Candida quern virtus eximium efficiet.

Vermerkenswerte Ausgaben der Schwanke Bebels sind
ferner jene vom Jahre 1526. — In Antwerpen erschienen die
Facetiae Bebelii 1541. — Zu Tubingen kam 1542 eine verbesserte
A ullage heraus unter dem Titel: Facetiarum Henrici Bebelii
Poetae a D. Maximiliano laureati libri tres, a mendis repur-
gati et in lucem rursus redditi. His accesserunt selectae quae-
dam Poggii facetiae. Idem Prognosticon, in omne aevum durans,
Jacobi Henrichmanni, facetiis Bebelianis non illepide additum.
Tubingae ex officina Ulrici Morhardi. — Eine starkere Er-
weiterung erfuhren die Facetiae im Jahre 1544. Aufier den
Stucken aus Poggio kamen Zusatze „Alphonsi regis arragonum
et Adelphi facetiae. Idem Prognosticon, in omne aevum durans,
Jacobi Henrichmanni facetiis Bebelianis non illepide additum.
Tubingae ex officina Ulrici Morhardi Anno MDXLIV. Dieses
Werk erlebte in den Jahren 1550, 1555, 1561 neue Auflagen.

Wichtig ist die Ausgabe von 1590, deren Inhalt schon der
Titel besagt: Facetiae Heinrici Bebelii, Superiorum Aetatum
dicta jocosa et facta ridicula continentes, in libros tres digestae,
unacum Prognostico perpetuo. Accesserunt illustrium virorum
joci et apophthegmata ex Macrobii, Pogii, Erasmi, Camerarii
et aliorum monu mentis collecta. Aucta quoque est haec no-
vissima editio aliquot lepidis et jocosis, veris tamen historiis
quae lucem hactenus non viderunt. Adjecto Indice Copiosissimo.
Francofurti. Ex officina typographica Nicolai Baffaei.

In einem Sammelband von Schnurren, der 1600 in Leipzig
der Offentlichkeit tlbergeben wurde, finden wir: Nicodemi
Frischlini Balingensis Facetiae selectiores: quibus ob argu-
menti similitudinem accesserunt Henrici Bebelii P. L. Face-
tiarum Libri tres. Sales item, seu Facetiae ex Poggii Floren-
tini Oratoris libro selectae. Nec non Alphonsi Begis Arra-
gonum et Adelphi Facetiae ut et Prognostica Jacobi Henricii-
manni.


XXXVIII jKi>

In demselben Jahre erschien eine Strafiburger Ausgabe
der Fazetien, ebenso wurden die Schnurren 1605 und 1615 auf-
gelegt, wahrend 1651 in Amsterdam eine Auflage verbffentlicht
ward, fur welche die 1600 in Strafiburg gedruckte Ausgabe '
vorbildlich war. Ein Neudruck wurde 1660 in Amsterdam
verdffentlicht. Auch in Frankreich fanden die urwuchsigen
Scherzreden Anklang.

Aus dem Jahre 1516 fuhrt Zapf die Bebeliana opuscula
nova et Florulenta nec non et adolescentiae labores librique
Facetiarum cum multis additionibus luculentis an.

Diese Ausgabe erschien bei Guillaume Vivien zu Parrhysiis
ex aedibus Nicolai de Pratis Mense Julii anno MDXVI. Es
zeigt sich also, daB die Facetien auch im Ausland Bebels
Namen bekannt machten. Die Ausgabe, welche 1526 eine Neu-
auflage erlebte, gehort zu den schdnsten und niedlichsten Druck-
erzeugnissen franzosischer Herkunft und zeichnet sich durch
ihre grofle Seltenheit aus. — Die Buckseite des Titels dieser
Ausgabe enthalt eine oratio devotissima folgenden Inhalts:

Ab Alexandro papa sexto conceditur plenaria remissio in
honorem Virginia christifere sequentem dicentibus cum devotione
orationem.

Ave virgo gratiosa:

Stella sole clarior,

Mater dei speciosa:

Favo melle dulcior.

Bubicunda plusquam rosa:

Lilio candidior.

Omnia sanctus te honorat:

Omnia virtus te decorat.

Jesus Christus te coronat

In coelis sublimior. — Amen. —

Pater noster. Ave Maria. Credo in deum.

Ad divam Mariam maris stellam.
Dulcis arnica dei rosa vernans: Stella decora

In memor esto mei dum mortis venerit hora.

Ad beatum Nicolaum Cleri patronum.
O Nicolae pii cus'tos nitidissime Cleri
Cleri sis custos tempus in omne pii

Spes mea Jesus Maria.


S^l XXXIX #g)

In Admirandam impressoriae art is adinventionem ]
N. Bonespei. T. landatorium decasticon.

Ingeniosa licet patefecerit ampla vetustas:

Ab8trnsas referans difficilesque vias.
Calcogr aphis jam victa no vis formidine cedat:

Ingeniis non est eqniparanda novis

Nam traxere sacram sacris de fontibus artem:
Artem non priscis temporibus meritam

Hac nunc arte latens quaecunque scientia fulget.
In priscum rediit lingua latina decus.

Maxima debetur tibi summo gratia regit
Hoc qui tarn clarum sparseris orbe sophos.

Zapf ist der, uhrigens gar nicht so unwahrsccheinlicfien,
Ansicht, dad diese obenstehenden Gebete vor dem An fang der
Schulstunde von der Jugend hergesagt wurden, und, daB diese
"Werke Bebels damals fur die Schuljugend bestimmt gewesen
seien. Die Scherzreden dienten dazu, der Jugend die Dumm-
heiten, Albernheiten, das unsittliche Verhalten des Klerus an-
schaulich zu machen, um die junge Welt fruhzeitig vor der-
glcichen Torheiten abzuschrecken und auf den Wegen der Ver-
nunft und der Sittlichkeit zu erhalten. Auf diese Weise
konnten die Lehrer die Scherzreden erklaren und erlautern,
wie ja auch heute noch auf Gymnasien, an denen nicht etwa
von krankhafter PrUderie angesteckte Lehrkrafte wirken, Ovid,
Horaz und ahnliche mehr den jugendlichen Lateinerscharen
vordemonstriert werden. Die Vermutung von Zapf ist so ziem-
lich allgemein angenommen worden.

Bebel war erf til It von der frohen Zuversicht, daB Deutsch-
land wegen seiner frommen und tugendhaften Bevdlkerung nie
untergehen kdnne. Indem er die Schaden und Gebrechlichkeit,
welche viele Angehorigen, insbesondere des geistlichen Standes
zeigten, der Lacherlichkeit preisgab, mochte Bebel, der zwar
kein bigotter, wohl aber ein wurdiger Katholik war, hoffen
ehestens dem ttbel beizukommen. Noch schonungsloser ging
Bebel, wie bekannt sein dlirfte, im Triumphus Veneris oder
dem Triumphus voluptatis contra virtutes vor.

Keine andere Absicht leitet da bei den Dichter, als die Un-
zucht zu schildern und Abscheu davor einzuflttBen. Das ganze
Gedicht ist eine schonunglos geschriebene Satire, doch gilt
namentlich das III. Buch Papa cum sacerdotibus dem romischen


6^1 XL

Klerus. Johannes Altensteig, ein Freund Bebels, bemerkt bei
diesem IH. Buche: „Iste liber tertius in quo poeta Bebelius
summorum pontificum, c ardi n a1i u m, sacerdotum
que, canonicorum, monachorum et monialium, philosophorum,
juriscon8ultorum, medicorum, poetarum, et scholasticorum mores
eleganter taxat, carpit et damnat, qui quum suorum inferiorum
utilitatem, commodum et salutem prospicere deberent, spiri-
tualique cibo, hoc est doctrina evangelica et salubri eos alere, et
exemplum bonorum operum aliis praebere (ut Paulus monet)
quos sanctorum patrum libros voluere deceret."

Zornerflillt sah Bebel, daB gerade jene Kreise, welche dem
Volke in moralischer Hinsicht vorbildlich sein sollten, keine
Moralisten, sondern FSrderer der Unmoral waren. An der
Zuchtlosigkeit waren die Reichc des Altertumes zu Grunde ge-
gangen; Deutschland sollte nach Bebels innerster tJberzeugung
ewigen Bestand haben, darum muBte aber eine Lauge &tzenden
Spottes tiber die Forderer der Albernheit, Zuchtlosigkeit und
Zweizlingigkeit gegossen werden.

Bebel war ein gliihender Vaterlandsfreund, und in Anbe-
tracht der Zeitumst&nde muB ihm dieserhalb auch jeder Gegner
Achtung zollen. — Zu Innsbruck hielt er 1501 an Kaiser Maxi-
milian L eine Lobrede de laudibus atque amplitudine Germaniae.
Ohne Zweifel war die Oratio Henrici Bebelii Justingensis suevi.
Ad Augustis atque sacratis Ro. regem Maximilianum de ejus
atque Germaniae laudibus, der auBerliche AnlaB fur Maxi-
milian I., Bebel zum Poeta laureata zu machen und ihm ein
eigenes Wappen zu geben. Bebels Anhftnglichkeit an das Ober-
haupt des deutschen Reiches veranlaBte den streitbaren Poeta
laureata gegen Leonhard Justinian einem Ratsherrn von Vene-
dig, welcher die KrSnung deutscher Kaiser und Konige ange-
fochten hatte, eine Apologia zu verfiffentlichen contra Leon-
hartum Justinianum Venetum, Imperatoris nomen extenuantem,
cbronationem regum nostrorum incessentem atque Germanos
barbariae ob id insimulantem.1)

Im Eifer fur sein deutsches Vaterland schrieb Bebel am
20. Januar 1515 an Desid. Erasmus von Rotterdam „Proinde
haec unum te rogo, ut ita pal am te Germanum declares tuis
scriptis, ne ullo modo aut Angli aut Galli, gens in suam lau-
dem satis effusa, possint de te superbirp, aut suum te civem
immodice gloriari."

x) Bebels Triumphus Veneris cum aliis opusculis Phorcae 1509.


XLI Jfti)

DaB Bebel mit seinen alldeutschen Bestrebungen vielfach
AnstoB erregte und haufig weit liber das Ziel sehoB, muB
billigerweise zugestanden werden. Es geht aber auch hier
nicht an, lediglich die Schw&chen Bebels zu betonen, denn da-
durch wird das Charakterbild durchaus verzerrt. Den Begriff
Patriotismus diirfen wir nicht aus unserer Zeit als Gradmesser
nehmen, ebensowenig wie die heutigen Begriffe der mora-
lischen oder unmoralischen Erzahlung Anwendung finden
diirfen auf langst entschwundene Jahrhunderte. Namentlich
muB hinsichtlich der Fazetien ungemein vorsichtig geurteilt
werden, wenn man nicht als befangen gelten will.

Gegen Bebels Scherzreden hat man bis auf unsere Tage
die scharfsten Einwande erhoben und namentlich auf katholisch
kirchlicher Seite wurde mit Tadel nicht gespart. — Wir wollen
gerne zugeben, daB vom asthetischen und literarischen Stand-
punkt der Wert der Fazetien wirklich gering ist, andererseits
aber der folkloristisch, kulturhistorische Wert geradezu un-
abwagbar erscheint.

Die Tadler vcrgessen auch standig, daB, soweit Bebel sich
nicht auf altere Quellen stiitzt, nur wirkliche Begebenheiten
in die Scherzsammlung aufgenommen wurden. Bebel, der
Freund der Monche, Bebel, der seine Sammlung dem
Probst zu Backnang und Chorherrn zu Stuttgart Peter Jakob
Arelun widmete, war schon in der Lage, die Klerisei, wo es
notig erschien, durch die Hechel zu Ziehen. Man hat sich fiir
die Freimtitigkeit, mit welcher der Poeta laureatus die Schwach-
heiten und Dummheiten einer nicht mehr auf der Hohe ihrer
Aufgabe stehenden Geistlichkeit aufgedeckt hat, dadurch zu
rachen gesucht, daB man Bebel eines liederlichen Lebenswan-
dels bezichtigte. Klipp und klar hat diese Behauptung bis
jetzt nicht bewiesen werden konnen, wofern man nicht etwa
den Umstand als gravamen ansieht, daB Bebel sich im Sommer
bei den Bauern und B&uerinnen aufhielt! Wir glauben, daB
Bebel eine frohe Natur war, aber keineswegs in tollen Zflgen
das Leben genoB. Bebel war in einzelnen Kreisen der Ge-
lehrtenzunft viel zu verhaBt, wegen seines unerschrockenen
Auftretens als daB man von dieser Seite her nicht versucht
haben sollte, nach Moglichkeit die Ehre dieses Mannes abzu-
schneiden, falls Bebel sich irgendwie grobe, sittliche Ver-
fehlungen hatte zuschulden kommen lasscn.

Ein Ver&chter des schonen Geschlechtes konnte Bebel nicht
sein, denn er besang htibsche Jungfrauen wiederholt in fein-


XLII Ke)

gefeilten Versen, so z. B. ein Magdlein Apollonia zu Zwie-
falten. Auf Agnes Betaberin eine anmutige Maid in Tubingen
machte ef ein von der Pest handelndes Gedicht und beschrieb
ganz naiv die kdrperlichen Beize der SchSnen. Immerhin sind
das doch noch lange keine Beweise fur einen ausschweifenden
liederlichen Lebensgang.

Gerade eine Persdnlichkeit wie Bebel darf man nicht
werten wollen nach einem oder zwei Werken, vielmehr milssen
wir den G e s a m t eindruck auf uns einwirken lassen. Nach-
driicklich betonen milssen wir in unserer Zeit, daB Bebel sich
durch seine Veroffentlichung keineswegs die Gunst seiner hoch-
ges tell ten GOnner oder seiner gelehrten weltlichen und geist-
lichen Freunde etwa verscherzte. Im Gegenteil, man begliick-
wiinschte den Dichter sogar in gebundener Bede. Nicht un-
erwahnt wollen wir lassen, daB die Scherzreden zu Lebzeiten
des beruhmten Latinisten nicht in deutscher Sprache cr-
schienen sind. Beziiglich des Todesjahres schwanken die An-
gaben zwischen den Jahren 1514—1518.

Zu Lebzeiten Bebels sind die Fazetien mindestens funf-
mal neu aufgelegt worden. Insgesamt erlebten die Scherz-
reden ctwa 21 Auflagen in lateinischer Sprache, ein Beweis
fur den Anklang, den sie bei der gebildeten Welt fanden.
1558 erschienen fur die der lateinischen Sprache unkundigen
Person en „die Geschwenck Henrici Bebelii, welcher von Kaiser
Maximi Hani ist zu einem Poeten gekront worden. In drey
Bttcher getheilet, gebessert unnd gemehrt. Sampt einer Prac-
tica und vorzeichen zuktinff tiger Ding, so biB auf den J tings ten
tag under den menschen gemein sein werden. Durch einen
guten Gesellen auB Latein in das Teutsch gebracht. Ge-
truckt im Jar MDLVIH."

Lange Zeit glaubte man hinter dem guten Gesellen Michael
Lindener suchen zu sollen, anscheinend aber ohne Grund, da
die ftbersetzung ganz wortlich und roh ist, also dem phanta-
sievollen Stil Lindeners wenig entsprechend.

Die Dedikation dieser Schwanke besagt: Dem Wolberedten
und der rechten fast wohl erfarnen Ersamen Mann, Peter Jakob
Arelunensi, Probst zu Backnaw, Korherrn zu Stutgarten, unnd
fiirstlichen gnaden Bhatsherren, wtlnscht Henricus Bebelius
vil gl ticks und heil. Zu Tubingen VI Id us Maias im jar
MDVI. Darnach beginnen die Scherzreden „Der Geschwenck
so Heinricus Bebelius der Poet, in seiner Jugent gescHrieben
hat." Dem dritten Buche sind einzelne Gedichte von Paul Hugo,


<gai XLIII

Johann Weber beigefugt sowie Bebels Apologie gegen den Ver-
laumder seines Geschlechts. Es folgen daranf: Liebliche und
auBklaubte Geschwenck Poggii florentini des trefflichen Bed-
ners", auBerdem heiflt es „hie folgen ander kurtz geschwenck,
Alphonsi des Kunigs der Arragonier, und ander trefflicher
Menner." Den Beschlufi machen die „Vorzeichen zukunfftiger
Ding wie sie im teutschen gebraucht und gesagt werden, zu-
sammengetragen durch Jacobum Henrichmannum von Sind el-
fin gen." Im Anfang folgt eine Palmeselpfedigt, wobei der
Esel nach seinen GliedmaBen ausgelegt wird.

Weitere deutsche Bebelausgaben stammen aus den Jahren
1589 und 1606. All diese Ausgaben gehoren zu den Sclten-
heiten auf dem Buchermarkt. Die Auflage vom Jahre 1606 ist
unter 50 Mark nicht mehr zu haben, und dementsprechend sind
die Preise fur die sehr selten gewordenen fruheren Ausgaben
geradezu ungeheuerlich gestiegen.

Moge unsere Auswahl von den Fazetien Bebels der ge-
samten Bebelforschung forderlich sein.

2. Jakob Frey.

Was Jakob Frey betrifft, aus dessen „Gartengesell-
schaft" wir die erotischen StUcke bringen, so konnen wir uns recht
kurz fassen, da der V. Band des leicht zuganglichen V o 1 k s -
m u n d e s eine gut orientierende Einleitung von E. K. B1 ii m m 1
en thai t. Eingehender befaBt sich mit unserem Schriftsteller
namentlich Johannes Bolte, auf den die Forschung ge-
wiesen sei.

Aus dem Leben Freys sind uns nur sehr wenig zuver-
lassige Angaben bekannt. Angeblich stammt er aus StraBburg
im ElsaB. In Maursmunster, etwa 8 Kilometer sudlich von
Zabern im UnterelsaB, wurde Frey Stadtschreiber. Des
Schwanksammlers Tod fallt in das Jahr 1562.

Frey hat sich auf dramatischem Gebiete mehrfach schrift-
stellerisch betatigt und dabei ebensowohl das ernste wie das
lustige Genre gepflegt. In letzterer Beziehung war es ein uber-
derbes Fastnachtspiel, das von einem Kramer und zwei Magden
handelt, von denen eine schwanger, die andere nicht schaff-
lustig war.

In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Frey eine Lebens-
beschreibung von 43 edlen Mannern des Altertumes aus. Vor-
bildlich fur dieses Werk, welches 1562 erschien, ist etwa Cor-


nelius Nepos mit seiner Freude an edien Taten, an Beispielen
von Treue, Gerechtigkeit und Frommigkeit. Die fur alte und
junge Leute bestimmte „Gartengesellschaf t" hat F r e y s Namen
unsterblich gemacht. Dieses "Work erschien 1557 zu Strafiburg
und erlebte, soweit die heutige Forschung feststellen konnte,
bis zum Jahre 1612, die fur jene Zeiten geradezu ungeheuer-
liche Zahl von 16 Auflagen. Indessen wurde die Gartengesell-
schaft nicht nur haufig neu aufgelegt, um der Nachfrage des
kauflustigen Publikums zu gentigen, vielmehr wurde das Buch
direkt nachgeahmt. Martin Montanus schrieb einen zwei-
ten Teil zu der Gartengesellschaft.

Das "Werk von Frey haben fur weitere Arbeiten benutzt:
Schumann 1559, Bernhard Hertzog 1560, der Verfasser des
SchiId burgerbuches 1597. Dietrich Mahrold reimte 1608 acht-
undzwanzig Geschichtlein aus der Gartengesellschaft. Den
Gelehrten des Auslandes wurde das kecke Buch zuganglich,
nachdem 1568 Hulsbusch einen Teil lateinisch iibersetzt hatte.

Frey verdankt die Verbreitung seiner „Gartengesellschaft"
in erster Linie Heinrich Bebel, aus dee sen Scherzreden
und Schnurren er insgesamt 73 Nummern schopfte, wahrend
24 Schw&nke den Fazetien Poggios entlehnt sind.

Freilich erklart das die Beliebtheit des schnurrigen Buch-
leins keineswegs ganz. Die Losung dtirfte in der auflerordent-
lich anschaulichcn "Weise und in der behaglichen Breite liegen,
mit denen Frey die kleinen "Witze alterer Herkunft neu zu
erzahlen verstand.

Nicht als ftbersetzer alterer Humanisten hat sich Frey
einen Namen zu schaffen gewufit, sondern als freier Bearbeiter
vorhandener Stoffe. Der Stadtschreiber von Maursmiinster
wuBte die einfachsten Motive durch Personenangabcn und
Lokalisierungen reizvoll zu gestalten.

Frey weifi ganz genau, was er dem sinnfrohen Leser
seiner Zeit bieten darf. Gerade darum spiegelt sich, wie ein
farbenprachtiger Begenbogen, der mannigfach gestaltete, aber
stets elementare Volkshumor von dem Spruhregen der in der
^Gartengesellschaft" gebrachten Witzreden.

Was die Schnurren in etwa an Lebenswahrheit verlieren,
wenn Frey seine Vorlagen abandert oder sogar kombiniert,
das gewinnen sie doch durch die Erganzungen und Lokali-
sierungen.

1st mancher in der Gartengesellschaft erzahlte Schwank
auch nicht re vera vorgekommen, wie Frey selber in seiner


<9^l XLV

Einleitung zu dem witzigen Buche bemerkt, so sind doch alle
Schwanke lebensmoglich und wahrscheinlich. Das trifft ganz
besonders zu fttr die erotischen Schnurren.

Fassen wir diesen derben Stich ins Frivole und Pikante
sch&rfer ins Auge, und vergegenw&rtigen wir uns die Beliebt-
heit der „Gartengesellschaft", dann erhalten wir kulturge-
schichtlich recht wertvolle Anhaltpunkte fttr die Moralan-
schauungen jener Zeit. DaB einzelne Gelehrte z. B. Cyriacus
Spangenberg 1570, Georg Nigrinus 1571, Johann Fickler 1581,
Theobald Hoeck 1601, Lazarus Sandrub 1618, Burchart Gens-
scheddel 1619, Konrad Dannhauer 1642, Moscherosch 1642 die
„Gartengesellschaft" sehr abf&llig beurteilten und schmahten,
andert an der Tatsache der Beliebtheit des Buches kein jota.
Man mochte sogar sagen, gerade aus der Verdammung der
„Gartengesellschaft erfahrt die Moralanschauung jener Zeit
ihre wahre Illustration, namentlich wenn man sich der vielen
Nachahmungen erinnert, welche die Gartengesellschaft erfuhr,
und wenn man beachtet, daB bedeutende Manner, wie z. B.
Fischart 1575 die Schnurren von Jakob Frey lobend er-
wahnten, endlich, daB die Zahl der Norgler sehr gering ist.

Wenn Johannes Bolte in seiner vorzilglichen 1896
erschienenen Ausgabe der Gartengesellschaft von Jakob Frey
bemerkt „seine Erzahlungen von Buhlerei und Ehebruch, von
geilen Frauen und verliebten Greisen gehen weit tiber das MaB
des Gestatteten hinaus" (vergleiche Einleitung p. XXX), so
trifft dieser Vorwurf gemessen an den Anschauungen unserer
Zeit durchaus und ohne jedwede Einschrankung zu. Ganz ent-
schieden irrtilmHch und unzutreffend ist aber dieser Vorwurf,
wenn wir uns das Zeitalter, in dem Frey lebte, vor Augen
halten. Keinem Gelehrten wird es doch einfallen, die Garten-
gesellschaft in Anbetracht ihrer Entstehungzeit der porno-
graphischen Literatur zuzahlen zu wollen! Alt und jung las
ungescheut dieses Buch, welches nach dem Wunsche des Ver-
fassers „die schwer verdrossenen Gemiiter wieder rekreiern und
aufrichten" sollte. Zweifelohne ware manches tadelnde Wort
auch nicht gefalien, wenn Frey in seinem Biichlein der katho-
lischen Geistlichkeit weniger libel mitgespielt hatte.

Man fasse diese Worte nicht miBverstandlich dahin auf,
als ob wir etwa ftir den Humor Freys eine Lanze brechen
wollten. Parteistellung zu nehmen wfire mehr wie tdricht, bei
einer Arbeit, die ganz objektiv Tatsachen beizubringen sucht.
Wir miissen immer wieder und wieder betonen, daB Humor eine


(s^i XL VI

variable GrfiBe ist, und daB es unzulassig ist, uns ere
Anschauungen iiber lustige und humorvolle Geschichtchen einer
weit zuruckliegenden Zeitepoche unterscbieben zu wollen.

Pflichtgem&B baben wir doch auch den Angaben des Ver-
fassers Beachtung zu schenken.

Von groBer Wichtigkeit sind die erlauternden Vorbemer-
kungen, die Jakob Frey seiner gartengesellschaft" mit auf
den Weg gab. Es heiBt da unter anderem:

„Dann obgleich wohl etwan gute Schwenck darinnen seind,
so der Wahrheit ungleich, so ist doch mOglich, das solchs oder
der gleichen beschehen sein mag oder noch beschehen mocht,
wie sich dann noch heut bey tag etwan seltzam Ding mit
Worten oder Wercken auff die Ban schicket welches man sunst
nit geglaubt noch vermeint het Dann es ist wol zu vermuten,
wo kurtzweilige leut und die gem bei einander sind, zusamen
komen, da locket ja ein Argument das ander herfur, damit die
Gselschaft dester mehr lustig und leichtsinnig ist, ja das ihnen
ein halber Tag kaum zweyer Stunden lang gesehen wirt. Ich
hab auch nichts, so ungeschicklichs oder unge-
biihrlichs vor erbaren Frawen oder Jungfrawen
zu reden were, hieher setzen noch anziehen wollen.
Dann je Frawen und Jungfrawen alle Ehr, Zucht und
Erbarkeit in alle Weg zu erbieten ist und auch er-
botten werden solle, wie wol ich von etlichen, doch nit vielen,
die eben desselben gleichen Volcks, kleine schimpfliche Meldung
allein zu guter Warnung gethon haben. Darumb ich auch
gedencke, ob ich schon etwan die geistlichen oder weltlichen
angetast, so ist es doch nur zum Schimpff und Niemand zu
Nachteil oder Schmach beschehen: man kumpt doch sunst je
zu zeyten mit dern gleichen Waidspriichen und schertzlichen
Materien so wercklich herftir, und geht so glat und wohl ab,
das man sein billich lachen und darumb nit ziirnen sol.

Dernhalben bitt ich, daB mir von niemands nichts in argem
uffgenomen oder also gegen mir verstanden werde. Wer waiBt
es, ob ich mich auch etwan in diser Gartengesellschaft wlirde
finden lassen; dann ich mich vor lan gen Jar en darein zu
schreiben angeben und mit FleyB befohlen babe." —

Grund, diese Angaben zu bezweifeln, liegt in Wahrheit
kaum vor. Frauen und Jungfrauen haben, wie wir weiter
unten aus der Zimmerschen Chronik ersehen werden, in jener
Zeit noch weit tollere Sachen als Frey solche erzahlt, mit an-


(531 XLVII jK£>

gehort und mitgemacht. Der beste Zeuge dafiir, dafi Frey
nicht zu kraB geschildert hat, ist wohl Michael Lindener, dem
wir uns an dritter Stelle jetzt zuwenden wollen.

8. Michael Lindener.

Wie bei Jakob Frey sind uns auch aus dem Leben
Lindeners nur luckenhafte Nachrichten uberkommen.

Das Jahr seiner Geburt fallt etwa auf 1520. Lindener
stammt aus Leipzig und laflt sich dort nachweisen bis zum
Jahre 1544. Nachdem er eine Zeitlang Famulus von Luthers
Gegner Hieronymus Dungersheim aus Ochsenfurt war (er ver-
hdhnte ihn als filzigen Dr. Ochsenfart), lieB er sich an der
Universitat Leipzig immatrikulieren. Wie Frey war auch
Lindener protestantisch und zeigte kirchlichen Einrichtungen
gegenuber eine gewisse Gleichgultigkeit.

In spateren Jahren treffen wir Lindener in Suddeutsch-
land. Zwischen 1553—56 war Lindener nach einer Priifung
in Ulm als Lehrer tatig. Nach der Ulmer Zeit hat er dann
Studien betrieben und bei „gelerten Leuten und in Libereyen
etliche antiquitates historiarum gesucht." Als Ubersetzer Sa-
vonarolas und Herausgeber theologischer wie historischer
Schriften verdient Lindener ernste Beachtung.1) 1565 erschien
in Nurnberg, verdeutscht durch M. Lindener, Poeten: „Des
Sunders Spiegel, sieben schoner Trostpredigt von der Welt
Jammer und Not, dazu wie man BuB thun soli und selig
werden."

Wir fuhren das an, um darzutuen, daB Lindener wirk-
lich durch und durch gebildet war.

Als Korrektor in der Druckoffizin von Daubmann erwarb
er sich das Vertrauen seines Prinzipales, der ihn wiederholt
nach Frankfurt auf die Messe schickte. Auch dieser Umstand
ist beachtenswert, weil daraus ersichtlich wird, daB Lin-
dener keineswegs der unzuverlassige, verkommene Mensch
gewesen sein kann als den man ihn hinzustellen beliebte.

Bei dem sehr bosen Kllang, den Lindeners Name in
der Literaturgeschichte hat, muB man unbedingt die sparlichen
aber doch auch erfreulichen Lichtblicke im Leben dieses be-
gabten, aber sehr leichtblutigen Mannes, fixieren.

1) Vergl. Archiv far Literaturgeschichte 1878, S. 434 ff.


@H XL VIII /<d

Die Veroffentlichung eines Schnurrenbtichlein, welches
miter dem absonderlichen Titel „Katzipori" 1558 erschien, ist
fiir viele Gelehrte AnlaB gewesen, den Stab tiber Lindener
zu brechen, ohne daB man sich bemtifligt gefiihlt hatte, das
Urteil einer Revision zu unterziehen.

Wie engherzig also hat man bisher vielfach Michael
Lindener beurteilt! Oberflachlich geradezu erschreckend
leichtfertig ist es, diesen Charakter lediglich nach seinen zwei
Schriften Rastbiichlein und Katzipori werten zu wollen! Ge-
wiB, vom literarischen Standpunkt beurteilt, gehdren das Rast-
bilchlein und Katzipori zu krassen Auswiichsen eines auBcrlich
leichtlebigen und in den Sitten grenzenlos derb gearteten
Mannes. Sind das aber schon gentigende Anhaltpunkte, um
einen Mann nach alien Seiten zu wiirdigen ? Ist es nicht denk-
bar, ja wahrscheinlich, daB auch im Taumel der hochsten
Lebensfreude Lindener innerlich herb und ernst war ? Seine
Tatigkeit als Savonarola-tlbersetzer beweist es ja!

Wir haben Holzschnitte, Kupferstiche, Radierungen, kurz-
um bildliche Darstellungen berilhmter Meister, in denen Vor-
gange derbster Sinniichkeit gewahlt wurden. Wie toricht ware
es, aus solchen Tatsachen Beweise schopfen zu wollen, dafl
jene Kiinstler vollkommen liederliche Menschen gewesen seifcn!

Leider haben sich viele Literaturhistoriker nicht frei-
machen k6nnen von der Unart, Schriftsteller vollig mit deren
Werken zu identifizieren. Wenn ein Hinterwaldler oder Chro-
wot etwa Zola als den Dichter der Pornokratie oder Wieland
als Vertreter der Pornographie ansieht, so laflt man das mit
einem stillen L&cheln durchgehen. Wenn aber Literaturhisto-
riker mutatis mutandis ebenso urteilen, dann mufl dagegen
ganz bestimmt angekampft werden.

Erich Schmidt hat Lindener eigentlich erst im wahren
Lichte gezeigt, indem er die folkloristische Bedeutung dei
Schriften Lindeners leise andeutete. Sehr richtig bemerkt
Schmidt: „Er setzt mit zwei kecken, spater vielgescholtenen
Btichern die Richtung Poggios, Bebel und der Elsfisser fort.44

Von folkloristischen Standpunkt aus muB man sagen, Lin-
dener tibertrifft Bebel und die Elsftsser, weil er der groB-
artigste Gelegenheitschriftsteller ist, den die Schwankliteratur
jener Zeit kennt.

Im Strudel des gesellschaftlichen Lebens zeigt er uns fast
alle Kontraste, alle sinnlichen Leidenschaften seiner Zeit.


(SSI IL Jfcd

Durch die Mehrzahl seiner Geschichten geht ein satirischer
Ton, der alle Beachtnng verdient. Aftergelehrte, Bnchdrucker,
Buchbinder, Bauern, Geistliche, anmaBliche sauffrohe, freB-
lnstige Junker, grausame Juris ten, dumme Studenten, dreiste
oder tdrichte Weiber, all diese Stande waxen Lindeners;
Feder darstellungswert. All diese Typen besitzen bei Lindener
einen ungleich hftheren Wert als bei Bebel, und dessen Nach-
ahmern, weil in den meisten Charakteren Lindeners intimstes
wirkliches Leben pulsiert. Es sind leibhafte Erlebnisse, die
uns in den Katzipori vorgef uhrt werden und gerade darum, weil
sie so menschlich sind und dabei so begrenzt in Heimat und
Personlichkeit liegen, wir ken sie so m&chtig; darum sind die
Vorgange fur den Kulturhistoriker und den Folkloristen der-
art wichtig.

Katzipori ist ein uberaus wichtiges Schwankbuch, welches
Michael Lindener auf Bitten ,viler gutter frommer auB-
erlesenen bundten und rundten Scbnudelbutzen' herausgab. Wir
haben keinen AnlaB daran zu zweifeln, daB Lindener von
seinen zu groben SpaBen aufgelegten Kumpanen zu der Heraus-
gabe fdrmlich gedrangt wurde.

Wie sich Fischart den absonderlichen Titel erklart, er-
hellt klar aus seiner Anfuhrung; 1575 und 1582 sagt er: „Das
ich jz der Eulenspiglischer und Katzenborischer art Bollwagen-
buchern geschweige", und 1590 heiBt es: „Bollengespr&ch
Gartenzech: Auch defl M. Linders (sol) Katzipory gestech."1)

Aus den Stichproben, welche wir geben, wird der Leser
erkennen, daB diese Derbheiten tats&chlich an der Grenze der
Schmutzliteratur stehen. Lindener kennt seine Zuhdrer und
deren Geschmack, und so scheut er sich nicht „das Nackteste
der grobianischen Volkssitte zu berichten". *)

Freilich, wenn wir gerecht urteilen wollen, muss en wir
anerkennen, daB Katzipori und Bastbuchlein, wie bereits G o e -
deke ausdrucklich betont, durch die alteren Fastnachtspiele
tlberboten werden. Lindeners Stil ist von einer starken Komik;
das ist jene ubermtltige tJppigkeit und Tollheit, jener burleske
Humor, welche das Merkmal von Fischarts Schriften bilden.

l) Siehe dazu die: „Zeitachrift fflr deutsches Altertum und deutsche
Literatnr". Herausgegeben von Elias Steinmeyer, XXI. Band, Berlin 1877,
Seite 436. ..Michael Lindeners Katzipori von Camillas Wendeler.

*) Vergleiche Gervinus: Geschichte der deutscben Dichtung V. Auf-
lage, II. Band, S. 534.

Karl Amrain. Deutsche Schwankerz&hler. II. IV


Nicht unzutreffend hat man darum Lindener den Vorlaufer
Fischarts genannt.

Sehr rich tig bemerkt Bobertag „Man vergiBt jetzt nor
allzuleicht, wie viel Vorteil alien Arten der Poesie eine sinn*
liche, anschauliche Sprache bringt." Die ungesuchte und da-
bei uberaus treffende Bildlichkeit des Ausdruckes, die frische
Kraft des Stiles mussen wir Lindeners Schwanksammlung un-
bedingt zuerkennen.

Ein keeker sprudelnder tJbermut steht dem lockeren Ge-
sellen zur Verfugung. Turmhoch steht seine Ausdrucksweise
uber jener der Mehxzahl von Verfassern anderer Schwank-
bucher. In dieser Beziehung beruht Lindeners tfberlegen-
heit auf den gleichen Verh&ltnissen, welche den Beiz jeder
Volkspoesie gegeniiber der Poesie der Gebildeten, der Kunst-
poesie bedingen.

Gar manchmal zieht der Schriftsteller uns in seinen Katzi-
pori tief in die gemeinen Niederungen des Erdendaseins hinab
in einer Weise, die jeden Kulturmensehen verletzt. Lindener
machte damit Zugeet&ndnisee an den Z eitgeschm ack.

Bereits die Fastnachtspiele des 15. Jahrhundert lassen krafi
die Freude an Schmutz und Obszdut&t hervortreten. Spezifisch
Number gisch, wie Wendeler behauptet1), ist das keines-
wegs, nur ist diese Tatsache in Nurnberg akten- und damit
weltkundig geworden. Man vergleiche die von Dr. W i 1 h e 1 m
Budeck verdffentlichte ,Geechichte der ttffentlichen Sittlioh-
keit in Deutschland', 2. Auflage, Berlin 1905; ebenso zeigt die
Zimmerisehe Chronik, daB die Freude am Schmutz weitver-
breitet in alien Schichten der Bevfilkerung von Deutschland und
Frankreich war.

Lindener steht fast einzig da, was die vielen Um-
schreibungen fur die Vorg&nge aus der niederen Geschlechts-
sphftre anbelangt. Sein Wortschatz ebenso wie seine Kenntnis
von Sprichw5rtern und Volksreimen ist fur den Sprachforscher
eine reiche Fundgrube geworden. Neben der eben erwfihnten
Sprachvirtuositat muB auch bei Lindener betont werden,
daB er vorzuglich die Eigenart der verschiedenen deutschen
Landschaften, durch welche er auf seinen Kreuz- und Quer-
fahrten gekommen ist, beobachtet und in seinen Schriften
niedergelegt hat.

>) C. Wendeler im XXI. Band der Zeitsehrift fur deutsches Alter-
tum und deutsche Literatur.


(gat LI jfce)

Namentlich wichtig sind seine Angaben uber das Leben
und Treiben in den Kreisen der Drucker, Papierer, Buchbinder,
der Karten* und Briefmaler der Formschneider der Formstecber.
Seine Einblicke und Ausblicke, welche er uns auf das Heine
Leben des Schriftetellertumes jener Zeit und was darum und
daran hangt, tuen laflt, sind fur jeden Leser fesselnd.

Bastbuchlein und Katzipori gehorten zu den weitverbrei-
teten Buchern. Namentlich Katzipori ist voll gegenwartiger
lebendiger Laune; man steht mitten unter lauter Bewegung und
Leben. Lachenden Mundes geifielt Lindener wie Bebel die
Mdnche und sittenlos dahinlebenden Nonnen, die dunkelhaften
Gelehrten, die Arzte, Richter, kurzum alle die Zungenkramer.

Eindringliche ironische Moral verbirgt sich oft hinter den
grotesken einf&ltigen und ungeschlachten Schwanken. — Heute
gehdren Lindeners Biicher zu den grofien Seltenheiten auf
dem Buchermarkte. Lindeners Schwanke dagegen haben
sich im Volke vielfach frisch und lebendig erhalten.

Einen weiteren Bestandteil unserer Sammlung von wich-
tigen erotischen Schnurren und Schw&nken verdanken wir der

4. Zlmmerlsehen Chronik.

Die Chronik gehSrt zu den inhaltreichsten, kostbarsten,
historischen Schriften, welche Deutschland besitzt.

Begonnen wurde diese Chronik von Mitgliedern der graf-
licben Familie Zimmern, und das Werk blieb lange Zeit auf
den engen Kreis des Grafenhauses beschrankt.

Als Hauptverfasser mu£, wie Dr. B a r a c k1), der Heraus-
geber dieser umfangreichen Chronik uberzeugend dargetan hat,
Graf Froben Christoph Zimmern gelten. Neben ihm haben wir
seinen Sekret&r Johannes Muller zu nennen. Ursprunglich
glaubte man, Wilhelm Werner Freiherr von Zimmern sei der
Autor dieser geradezu unschatzbaren Chronik. Nachgewiesener^
mafien hat aber dieser Freiherr nur Beitr&ge geliefert, darunter
zwei Gedichte, einen geistlichen Spruch und ein uberaus lau-
niges — an Versen etwas sehr reiches — Gedicht von einem
weltlichen 'Kloster. Wilhelm Werner Freiherr von Zimmern,
geboren am 6. I. 1485, als der jungste von vier Sdhnen, war
ein uberaus gebildeter Herr, welcher ziemlich in der Welt

') Siehe die mit liebevoHem Fleifi vertffentlichte Wiedergabe der
Handschrift, die 1882 in Q. Auflage erschien.


L1I JKd

herumkam. Dieser lebensfrohe, heitere Mann wurde 90 Jahre
und 1 Tag alt, sein Verscheiden erfolgte am 7.1. 1575. Ahnlich
wie dieser Freiherr war auch Graf Froben Zimmern — geboren
1519, gestorben 1567 — eine frohsinnige Natur und ein Lieb-
haber von allerlei derben Spafien und Schwanken. So wurden
die Witzreden der Tagesneuigkeiten dieser Chronik eingereiht.
In einzelnen Fallen best&tigt die Zimmerische Chronik die von
Lindener in Katzipori gebrachten Schw&nke. Es bleibt dem
Literaturhistoriker vorbehalten, nach dieser Seite hin ent-
sprechende Nachforschungen anzustellen. Noch sind ja die
reichen Schatze der Chronik nicht alle gehoben.

Von Mitgliedern der graf lichen Familie unternommen, blieb,
wie erwfihnt, das Werk, welches mit dem Jahre 1566 im ganzen
als abgeschlossen betrachtet werden kann, lange auf den Kreis
des Grafenhauses beschrankt. Erst die Neuzeit wurde auf-
merksam auf dieses wichtige Werk, welches reich ist an Er-
eignissen, die Beziehung haben auf das deutsche Vaterland,
auf Kirche, Lebensweise, Aberglauben, politischen und religitisen
Betrug, auf moralische Anschauungen bei Deutschen, Franzosen
uad Spaniern. [

Ein frischer Hauch volkstumlicher tfberlieferung zieht sich
durch die ganze Chronik und wird dem auch von Uhland hoch-
geschatzten Werke fur alle Zeiten Lebenskraft verleihen, weil
die Chronik nicht nur eine eigentliche Geschichte des Hauses
Zimmern bietet, sondern auch andere Geschlechter und Ereig-
nisse berlihrt. Die Schwanke bilden nicht das kleinste Mo-
ment, welches der Chronik dauernden Wert verleihen, denn
die Schnurren sprechen fur die Zustande jener Zeit.

Allerdings muB man davor warnen, Gesamtzustfinde des
gesellschaftlichen Lebens nach den Schilderungen der Schwank-
erzahler und Satiriker werten zu wollen. Dazu sind alle die
Erz&hlungen doch zu einseitig.

Unsere moderne Zeit kSnnten wir ja auch nicht einzig
werten etwa nach den Veroffentlichungen der Witzbl&tter oder
den fulminanten Beden des Staatsanwaltes. Immerhin gewinnt
man an der Hand dieses Materiales interessante Elnblicke;
ebenso Verhalfc es sich mit den Schwanksammlungen des
XVI. Jahrhunderts.

Hochst bedeutungsvoll werden aber die Schwanke, wenn
wir sie in einem so umfangreichen Werke wie jenem der Zim-
merischen Chronik finden. Da kann nicht die oftbeliebte Er-
klarung herhalten, die Witze seien fur die Kneipe bestimmt ge-


ft* LIII JKd

wesen wo sich liederliche Gesellen trafen. Man mag sicK noch
so sehr die Ohren verschlieflen, aber trotzdem bleibt es wahr,
viele Sp&Be der Schwanksammlungen, ja gerade jene, welche
die grdbste Sinnlichkeit atmen, wurden ebensowohl in den
Volksschichten als in den Kreisen der Gebildeten von Laien
und Geistlichen erzahlt. Wir mussen da auf eine Erklarung
des Zimmeriscben Chronisten verweisen, welche besagt: „Man
muB zuzeiten den ernsthaftigen und leidigen Fallen auch g u t e
Schwanke und andere Bos sen anhenken. damit
die Handlungen durcheinander vermiscbt und der Leser guet-
willig behalten werd."1) Als Folklorist niuB man sich redlich
freuen, daB in der Zimmerischen Chronik so haufig der histo-
riscbe Faden abreiBt, und daftir eine Fulle von Sittenschilde-
rungen, Gebrauchen, Sagen und Schwanken eingeschoben wird.

An chronologischen und sachlichen Schnitzern fehlt es
zwar nicht, aber das fallt bei dem umfangreichen Werke und
deasen sonstigen Vorzugen nicht sonderlich in das Gewicht und
ganz besonders nicht hinsichtlich der Mehrzahl folkloristisch
bedeutungsvoller Angaben. Sonst macht das Werk den Ein-
druck groBer Wahrheiteliebe, sagt doch der Chronist3): „Die
Historici die ubergeen dises alles und will niemands der groBen
Herrn Privatleben anruren oder der Katzen die Schellen an-
henken, sonder schreiben mertails von ires Bauchs und von
Gewins wegen, daran sie doch ho'chlich Unrecht thuen und
billicher weren Schmaichler und Orenmelker, dann historici
zu nennen, dann nit allein das ldblich und so das Liecht
erleiden mag, zu beschreiben, sondern vil mehr das unldblich
und ungepurlich, damit sich die Nachkommen dass erinnern und
zu vermerken, warumb etwann Gott ein ganz Kunigreich sinken
last und erschrockenlich straft."

Umfassend gebildete, mit der deutschen Literatur bekannte,
mit den Empfindungen der Volksseele vertraute Manner, die
groBe Beisen im In- und Ausland gemacht hatten, an Ffirsten-
hGfen verkehrten, am Beichskammergericht in Speier und am
Hofgericht zu Bottweil tatig waren, scheuten sich nicht die
groBten Derbheiten dem Papiere anzuvertrauen. Nichts zeigt
wohl besser als diese Hinweise, wie gesellschaftsf&hig das
einmal war, was wir als schmutzige Unterhaltungsliteratur

\) Siehe Band IV. Zimmerische Chronik, II. Auflage,, Seite 13,10 ff.
3) Siehe Band III. Zimmerrische Chronik, II. Auflage, Seite 261,8 «.


LIV m

oHne Bedenken erklaren. So wandeln sich moralische An-
echauungen.

"Wie bei Bebel, Frey, Lindener usw. spielen sich auch die
moisten in der Zimmerischen Chronik berichteten Vorfalle in
Suddeutechland ab, daneben erhalten wir intereasante Streif-
lichter auf das Leben an verschiedenen Hflfen.

Obwohl die Chronik hoohdeutsch geschrieben ist, zeigt die
Spraohe vielfach die Eigenheit der sehwabisch allemannischen
Gegend.

Mit Rucksicht auf den wissenschaftlichen Charakter dieser
Verbffentlichung lieB es sich nicht umgehen, die zweifellos
sehr starken Kruditaten der Originalvorlagen wiederzugeben.
Gerade aus der freien Zusammenstellung dieser uberderben
Schnurren empfangen wir ein wahrhaft getreues und
ungetrubtes Charakterbild der Sitten bzw. Anschauungen jener
Zeiten. Vergessen wir nie, daB aus den Schwanken und Schnur-
ren eines Bebel, Frey, Lindener, Tunger die Stimme des Volkee
heraust5nt I

Es ist wahr, mancherlei in all diesen Fazetiensanunlungen
erfullt uns mit auBerstem Widerwillen, aber wir mussen als
Gelehrte unbedingt gerecht sein und nicht ausschliefilich den
MaBstab unseres modernen Empfinden und Gewohntsein an-
legen, wo die Eigenart einer anders denkenden Zeit zum Aus-
druck gelangt.

Vor allem mussen wir uns ganz entschieden vor dem bis-
lang so haufig begangenen Fehler hliten, all die unverblumten
rohen Spafie lediglich dem sie erz&hlenden Schriftsteller wie
Bebel, Frey, Lindener usw. in die Schuhe schieben zu wollen.
Diese Schriftsteller haben mit einem feinen Empfinden fur die
Begungen der Volksseele lediglich bestehende, lebwarme,
wesenhafte Witzworte, komische Ereignisse, derbe Schlagfertig-
keiten aktenkundig gemacht.

Nicht die unverhullten Bedensarten verkommener Tauge-
nichtse haben wir vor uns, sondern den bei der ehrbaren Manner-
und Frauenwelt beliebten Erheiterungstoff, das die
frdhliche Geselligkeit fordernde Unterhaltungsmate-
rial. Es ist lebfrische Kraft des Volkes, welche sich in derb-
stem Humor auBerte.

Diesen Humor kennen zu lernen, bezwecken die nach-
stehenden Blatter, mit deren Verdffentlichung wir uns den
Dank aller Volksforscher und Kulturhistoriker zu gewinnen
hoffen.


LV PG>

MancHe Seite durfte dem Fachmann aus seinen Spezial-
studien bekannt sein; vielleichit wird man aber trotzdem die
Verdffentlichung begruBen, weil dem Forscher damit manebes
schwer zugangliche und seltene Werk ersetzt wird oder doch
der Zusammenh&nge wegen leichter erreichbar ist.

Wir mochten nicht schlieBen, ohne daran erinnert zn haben,
daB Martin Luther ein besonderer Freund derbster Anekdoten
war, ferner, daB Goethe fleiBig alle Schwankbucher des
XVI. Jahrhunderts, soweit sie ihm erreichbar waren, ge-
lesen bat.



Die Spruche,

welche Heinrich Bebel der Poet in seiner

Jugend geschrieben hat.

Karl Amrain. Deutsche Schwankerafhler. II.

1



Das erste Buch.

1. Sprueh eines Priester*.

Als nnser Furst Herzog Ulrich von Wurttemberg als
Sieger im Kriege einem Orafen Schlofi und das dazugehSrende
St&dtchen abgenommen hatte, kam ein dem Grafen verwandter
Priester. Dieser erzahlte und bekannte traurig, wie das St&dt-
lein und das Schlofi vom Herzog gewonnen und eingenommen
worden sei. Der Graf antwortete, es lage ihm nicht sonderlich
viel daran, und es ware ihm kein Schaden, denn er hatte ea
nicht wollen teurer verkaufen. Daraufhin versetzte der
Priester: „In Wabrheit, das hore ich gern, denn ich habe schon
sehr besorgt, daB wir's nicht zu gering oder noch geringer
verkauften." Der Priester war namlich auch dabei, als man
das Schlofi und das Stadtlein aufgegeben hatte.

Vergleiche dazu die Zimmerische Chronik 2. Auflage Bd. H,
8. 74—75, wo der Vorgang weit genauer geschildert wird.

Es beiflt dort:

Graf Ludwig von Leonstain1) kam in dem bayrischen
Krieg*) in groBen Unfahl; dann als er uf des Churfttrsten,
Pfalzgraf Philipsen, Parthei, do zoch im Herzog Ulrich von
Wurtemberg fur das Schlofi Leonstain, das belegert er. Das
Schlofi wardt beschossen, das mans in wenig Tagen ufgab.
Ich hab mehrmals von Herr Gotfridt Wernhern Freiberren
von Zimbern gehSrt, das er sampt etlichen Verordneten vom
Herzogen bei den Ersten ins Schlofi sei kommen. Ihm ist
zu der Beut worden ein uberaus schon Schlofi an aim Kasten,

l) Leonstain, Leostain, Lewenstain, LSwenstein.

J) Bayrischer Krieg, er begann 1504 (bezw. schon 1593), siehe
Zimmerische Chronik Bd. II, 398/399. — Vgl. Hausser, Geschichte der
rheinischen Pfalz I, 486.

1*


bo noch vorhanden, und ain Wetzger; dann Graf Ludwig
hatte sich vor dieser Belagerung wohl hesorgt und derhalben,
was ihm lieb, uf ain Ort gethon und geflehnet. Unter anderem,
so in der Besatzung zu Leonstain bliben, war ain Pfaff. Der
kam in wenig Tagen, nachdem sie das Schlofi ufgeben, zu
dem Grafen, klagt ihm mit wainenden Augen den grofien
Verlust, wie sie das Schlofi hetten ufgeben mussen, auch hatte
der Herzog die ganz Grafschaft ingenomen. Der Graf wollte
sich unerschrecken erzeigen, sprach: „Mein Herr Hanns seit
zufriden, ich welt das Schlofi nit theurer verkauft haben."
Hierauf der Pfaff: „Ach, gnediger Herr, das hdre ich von
Herzen gern, dann ich nur besorgt, wir hatten's zu vil wolfail
geben." Und wie wol graf Ludwigen nit geheuer bei der
Sache, so muest er doch des Pfaffen geschwinde Antwurt
lachen.

2. Spruch einer Jiidin.

Vor einiger Zeit war ich in dem Stadtchen Hechingen,
welches im Herrschaftgebiet der Grafen von Zollern liegt.
Dort traf ich eine schdngestaltete htibsche Jiidin, welche frohlich
und zu guten Schw&nken aufgelegt war. Als ich ihr im
Gesprach riet, den christlichen Glauben anzunehmen, antwortete
sie gar nicht ungeblihrlich, sondern meinte nur, nach ihrer
Ansicht gelte die Beschneidung gerade eoviel wie die Taufe.
Nun fragte sie mich, wie hoch denn ich die Taufe einschatze.
„Sehr hoch," sagte ich und, „ohne sie bleibt den Menschen die
Himmelpforte verschlossen". — „Wir Judinnen halten aber
von der Beschneidung gar nichts." Wie ich nun nach der
Ursache frage, versetzte sie: „Wir wollten lieber, dafi dem
Glied, welches an unseren Mannern beschnitten wird, ein Stuck
hinzugesetzt, statt weggenommen wurde."

Bei Jakob Frey: Gartengesellschaft: lebt die Jiidin,welche-
viel mehr von der Taufe als von der Beschneidung halt, in
Landau. Bei Frey soil die Jiidin einer „guten" Heirat
wegen, sich taufen lassen. —

Vergl. Lundorf, Wissbadisch wisenbrunlein 1610—11 2,
Nr. 9.

Bottmann, Lustiger historien-schreiber 1717 s. 462 (3,85).
J. B. Bouaseau, Toutes les epigrammes, Londres 1880
p. 107 (7. 12).

Domenichi, Facetie 1581 p. 138.

Vergl. die kritische Ausgabe von Jakob Freys: Garten-


<SSt 5 Jfc©

gesellschaft, welche Johannes Bolte im 209. Bd. der Bibliothek
- des literarischen Vereina in Stuttgart, gedruckt in Tubingen
1896 gibt.

3. Vom Mtiller, der bettein ging.

Ein Bettler kam zu einem Backer und begehrte als Hand-
werksgenosse ein Almosen. „So, welches Handwerk hast du
denn betrieben," fragte der Backer. „Ich war Mtiller," ver-
setzte der Angeredete. — „Ach! Wie viel Bauern sind denn
in deine Miihle gefahren?" — „Sieben." „Hdre ich richtig?
Sieben? O, du ungeschickte grobe Flegelskappe 1 Eher h&tten
diese sieben Bauern bettein gehen milssen, als ich." Mit diesen
Worten wollte der Backer auf den landlaufigen Spruch von der
Stehlsucht der Mtiller lenken.l)

Bei Jakob Frey: Gartengesellschaft, sind es 19 Bauern,
welche bei dem verdorbenen Mtiller in Sempach im Schweizer-
land mahlen lieflen.

Bolte vermerkt in seiner Freyausgabe noch: Kurtzweilige
und lacherliche Geschicht 1583, S. 536 b. Goedeke, Schwanke
1879 Nr. 79. Bobertag, 400 Schwanke, Nr. 281.

ttbersetzung bei Hulsbusch 1568 p. Ill De aporiato mo-
lit ore, qui mendicabat! —

Lundorf, wissbadisch wisenbriinlein 2, Nr. 4 (1611).

Zincgraf-Weidner, Apophthegmata 4, 178.

J. P. de Memel, Lustige Gesellschaft Nr. 561 (1695).

C. A. M. v. W., Zeitvertreiber 1666, s. 193.

Philander, Zeitverkllrzer 1702, Nr. 219.

Domenichi Facetie 1581 (p. 181).

Cluchtboek, Antwerpen 1576, p. 68, Nr. 84 (vergl. Bolte,
Tijdschrift voor ndl. Taalkunde 10, 133). „Van den meulder,
die den Backer om Broot badt, ende van den goeden raedt,
die den Backer hem gaf, om niet te bedelen' = Groot Klugt-
boek, Amsterdam 1680, p. 68.

Freudenberg, Etwas fur alle 1732, Nr. 123.

4. Noeh etwas von einem Mtiller.

Ein Vogt oder Amtmann hatte seinen Mtiller beim Dieb-
stahl erwischt und lieB ihn dem Galgen uberliefern.

') Vergleiche auch ^Deutsche Schwanke des 16. Jahrhunderts".
Ausgew&hlt und bearbeitet von E. K. BIQmml und Joseph Latzenhofer.
Bd.Y des von Dr.Fr. S.Krauss herausgegebenen „Volksmund", Leipzig 1906.


SSI 6 Jfce)

"Wie nun der dem Tode Geweihte die Leiter hinaufstieg,
um an den Strang gekniipft zu werden, bat und beschwor der
Vogt den Miiller, er solle ihm doch einen einzigen Muller
nennen, welcber ehrlich, fromm und treu ware. „Wenn ich
einen Eid leisten sollte, ich kdnnte keinen ehrlichen Muhlen-
besitzer nennen," beteuerte der Muller. „Wenn dem also ist,"
erkl&rte der Vogt, „dann steige wieder herab und bleib am
LebenI Lieber will ich doch schon dich, den ich nun einmal
kenne, als einen anderen Muller, der am Ende gar noch ein
groBerer Dieb als wie du sein kdnnte."

Ahnlich bei Jakob Frey: Gartengesellschaft: Welches
die fromm en Muller sind. — Vergl. auch: Schimpf und Ernst
1545. — Schertz mit der Wahrheit 1550. — Kirchhof, Wendun-
mut 1, 290. — Philander, Zeitverkurzer 1702, Nr. 214.

6. Wider einen fahrenden Schiller.

Man findet mitunter Schiller, welche nicht studieren, auch
nicht arbeiten wollen, die aber hin- und herlaufen und betteln.
Arme einf&ltige Bauern betrtigen sie mit allerlei Buberei und
Schelmenstreichen. Sie behaupten, im Frau Venusberg ge-
wesen zu sein und allerlei Ktinste und Zauberei dort erlernt
zu haben. Sie verheifien Wunderdinge, von welchen ich viel im
Buche Triumpho Veneris geschrieben habe.

Gen Justingen kam solch ein Schtiler zu einem Wagner,
welcher schon oft von solchen Geeellen betrogen worden war.
Von diesem bat er als Meister der sieben freien Ktinste auch
darum, weil er im Venusberg gewesen sei, ein Almosen. Darauf
fxagte der Wagner: „Mein lieber Freund, bist du das nachst-
verschienene Jahr auch dort gewesen?" — „Nein!" — „Nun,
so gehe hin und komme mir ja nicht mehr her, denn ich werde
dir nichts geben!" Der fahrende Schtiler war unwillig, be-
sonders, weil der Wagner ihn dutzte, denn die Deutschen haben
es also im Branch, daB sie nur Freunde und Bekannte, aufier-
dem schlechte, unbeachtenswerte Menschen dutzen. „Warum
IHrzet Ihr mich nicht, ich bin doch ein Meister der sieben
Ktinste und dazu ein halber Gaukler?" — Da erkl&rte der
Wagner: „Ich kann mehr wie du! Mein Handwerk ernahrt
mich, mein Weib und sieben Kinder 1 Du kannst dich mit
sieben Kilns ten allein nicht nahren und gehst betteln. Darum
mufit du mich ehren, nicht ich dich!" tJbel verspottet und


verlacht muBte der Schuler scheiden. So geschieht denen recht,
die sich all ein des Titels ruhmen, sonst aber niohts leisten
konnen. Die sind ja aucb alleweil stolzer und ubermutiger
als jene, welche ebensoviel wissen und yiel studiert haben.

6. Wahre Gesehlehte von einem Priester.

Ein Priester yon Ulm predigte in einem Flecken am
Aschermittwoch, dem ersten Fasttage, und sprach: „Liebe
Sdhne Gottes I Heute verbiete ich euch alle menschliohe Speise."
Damit wollte er die Enthaltung yon FleischgenuB ankundigen.
Hun Bprach ein anwesender Bauer: ,,Das wird ja gut fur
mich sein, da ich mein Heu noch nicht verkauft habel Wenn
dem wirklich so ist, wie der Seelsorger gebietet, mtUBten die
Leut' doch Viehfutter, Heu und Stroh essen!"

Eben derselbe Priester predigte weiter: „0, ihr lieben
Bruder, hutet euch vor dem Teufel, denn er ist der boseste
Mensch unter alien Menschen! Hanget an der Liebe Gottes,
welche so silB ist als die gedorrten Holzbimen." Die Bauern
pflegen die Holzbirnen zu dorren und bis in die Faatenzeit
aufzubewahren; dann gieflen sie Wasser daran, lassen die
Frucbte weich werden, bis daraus eine suBe Bruhe wird. Mit
dieser Bruhe verglich der Pfaffe die Liebe Gottes.

Aufierdem sagte er in dieser seiner ersten Predigt: „Dieser
Predigtstuhl, liebe Bruder, ist jetzt krank, es wird ntttig
sein, aus einer Eiche einen neuen zu machen, welcher stark
und fest ist, der alle meine Worte tragen kann, wenn man
mir alle meine Bucher bringt, wie die Predigten des Meisters
Grutsch, die Predigten von S. Crix, der mit einem Sessel
durch die H. E. geschossen ward, die Predigten Discipuli,
die Predigten Dormi securi und dergl. noch viel mehr, die
ich jetzt nicht alle erz&hlen und dartun kann."

Vergleiche dazu Bernardino Ochino 12. Apolog desLBuches.
Der Bischof aus Datia fuhrt neue Fasten ein usw. Volksmund,
Band VII.

Auch die Zimmerische Chronik bietet zahlreiche Belege
fur den hGchst unerfreulichen Grad der Geistesbildung vieler
Pfarrer und Klosterpersonen.


<S2* 8 Jfcd

7. Ungesehiekter Dorfpfaff.

Ein ungesehiekter Dorfpfaffe wufite nicht, was er am
heiligen Ostertag im Hochamt singen sollte.1) Er schickte darum
seinen Meflner zu dem Priester im n&chsten Dorf und liefi
bei demselben erfragen, was zu singen ware. Der Bescheid
lautete Besurrezi. Der Meflner als lateinunkundiger Mensch,
konnte das Wort nicht behalten, doch blieb ihm bewuflt, das
der Ausdruck mit Be begann. Unterwegs sprach er alle Augen-
blicke die Silbe Be aus, um dieselbe nicht zu vergessen. Wie
er nun wiederum heimkam, und der einf&ltige, ungeschickte
Pfaffe die Silbe Be horte, sagte er: „Es ist gut, ich ver-
stehe es wohl, was man tun soil, man mufl Bequiem singen (das
ist eine Messe fur Verstorbene), denn es gehort sich, das heute
zu halten und den Tag der Erhebung des Leichnams Jesu
Christi, der auch in drei Tagen gestorben ist, zu ehren."')

8. Eine tretfliehe Tat.

Zu Freiburg muflte ein Mann ungebuhrlich lang im Bad
auf Wasser warten, auch bis er gezwackt und gerieben wurde,
damit der Schweifl recht ausgesondert werde. Als die Sache
gar nicht beginnen wollte, ging der Badende ein wenig ab-
seite und setzte den durch das Hintergewolbe austretenden —
Schweifl auf ein Hauflein zusammen. Endlich kam der Bade-
knecht und wollte unseren Mann auch ein wenig reiben. Der
sagte aber: „Geh weg! Ich brauch deine Beiberei keineswegs,
denn der unsaubere Schweifl ist schon von mir gewichen."
Kurz danach merkte man am Geruch, was das fur ein
Schweifl war.

9. Ein ungesehiekter Mensch.

Zur Osterzeit fragte in Beutlingen ein Schneider seinen
Knecht, ob er schon zum Sakrament gegangen sei, und den
Leib Christi empfangen habe. — „Ja," versetzte der Knecht,

*) Pfaff Leichtenhendle antwortet am Altar dem ihm ministrieren-
den Priester Hans Hemler, der die Epistel nicht fand und darum
statt derselben sang: „Ich kanns nicht mehr singen, ich find nichts
mehr, do ist nicht mehr geschrieben" in feierlicher Form> um den
Gottesdienst nicht zu stSren, „Das Dich der Rit schende in das bOsser
Aug*!" usw. S. Zimmerische Chronik, 2. Aufl., Bd. II, S. 470.

*) Vergleiche dazu die von Bernardino Ochino im 34. Apolog,
IV. Buch, gebrachte Variante. „Volksmund", Bd. IX und X.


^ 9 )Kg

„ich bin dazu gegangen und babe da von gekauft." — „Gekauft ?
Ja, wieso denn gekauft?4'--„Ei, ich bin zum Altar ge-
gangen und habe fur die Sach einen Pfennig geopfert!"

Da strafte der Schneider den Knecht und sprach: „Dieser
Schatz kann ja mit alien Giitern der Welt nicht bezahlt noch
verkauft werden."

„Meister, das ist ein Irrtum von Euch! Das kann nicht
stimmenl Ware es so, wie Ihr sagt, so bek&men weder ich
noch du etwas von dieser Kostbarkeit."

10. Von einem Priester und dem Esel Christ!.

Ein Priester predigte einem groben Vblklein vom Einritt
Christi in die Stadt Jerusalem und erwahnte, Christus habe
dabei auf einem schonen hohen Gaul gesessen. — „S'ist ja
nicht wahr," mahnte der Messner leise, „es ist nur ein Esel
gewesen!" — „Du Narr," schrie jetzt der Priester, „geh hin
und ktiB dem Esel das hintere Gewolbe! Kbnnte ich doch
nur auch in anderen Sachen meinen Heiland und Seligmacher
ehren, keine Arbeit sollte mir zu sauer sein. Ich will des
Heilands Ehre beschirmen, so wahr ich Johannes heiBe."

Dieselbe Materie behandelt Jakob Frey: Gartengesell-
schaft. Der Frauenbrudermdnch wehrt aber dem Sakristan
noch weit drastischer mit den Worten: „Es ist deiner Muoter
Fut gewesen! Gang hin und leek den Esel im Arsch!" —

Siehe auch Hulsbusch 1568 p. 165 Carmelita monachus con-
cionatur ingressum Christi in Jerusalem.
Kirchhof, Wendunmut 1, 2, 70 (1563).
Zincgr&f-Weidner 4, 242.
Den roomschen Uylenspiegel 1671 s. 494.

11. Ungeschickter Spruch.

Zwei Bruder kannte ich, deren Vater gestorben war. Als
die Beerdigung stattfand, hatte der eine Bruder eine schwarze
Kappe aufgesetzt, der andere gegen alien Brauch eine rote
Kappe. „Warum kommst du denn mit einer solchen Kopf-
bedeckung?" fragte strafenden Tones derjenige, welcher die
schwarze Kappe trug. „Ach," versetzte der Gefragte, „ich
trauere in der roten Mtitze ebenso gut wie du in der schwarzen
Kappe."


^ 10 Kg

12. Eines Toren sehwinkliehe Rede.

Mir wnrde von einem tdrichten Burachen berichtet, welcher
mit heller, klarer Stimme laut sang, als man seine Mutter
beerdigte. Als ihn der Vater hierfur strafen wollte, sagte er:
„Vater, ich glaube, du bist nicht recht bei Vernunft. Du
bestellst Priester und l&Bt sie singen, wahr end ich umsonst
singe und gar noch bestraft werden soil."

Siehe hierzu Bernardino Ochino IV. Buch. 31 Apolog, wo-
selbst der junge einfaltige Mann beim Be gracilis seiner Frau
singt. Volksmund, Band IX und X.

13. Wahre Gesehlehten von Pfaff Wendel.

Georg Ehinger, ein hochgepriesener Bitter, hatte einen
Dorfpriester, einen Herrn Wendel, gegen welchen die Bauern
klagten. Sie begehrten vor ihrem Grundherrn einen anderen
Seelsorger. Herr Wendel entgegnete hierauf: „Gebet mir aber
auch andere Bauern, denn die Kerle kann ich gar nicht mehr
ertragen." Spater fiihrten dieselben Bauern wiederum Klage
gegen ihn, weil er so selten Messe lase. — *„Ja, das hat seine
guten Grunde," liefi sich Pfaff Wendel horen. „Lese ich
haufig Messe, dann werden es meine Bauern bald selber kdnnen,
dieweil sie so dicht dabei stehen! Dann aber wtirde meine
NutznieBung geschwacht und gemindert." Item, Pfaff Wendel
wurde zum drittenmal verklagt, er sei selten daheim und
wiirde stets ausw&rts essen. „Ganz recht," bejahte der Be-
klagte, „aber in meinem Brotkorb sind inzwischen sogar die
M&use krepiert. Kein Witziger wird mir rebus sic stantibus
raten, daheim zu bleiben."

Vergleiche Bernardino Ochino, 45 Apolog I. Buch; die
Bauern setzen ihren Seelsorger ge fan gen, um denselben stets
bei der Hand zu haben. Volksmund, Band IX und X.

14. Das hinkende Schneiderleln im Himmel.

Ein hinkender Schneider kam zur Himmelspforte und bat
Sankt Peter um Einlafi. Wegen der vielen Diebstahle, welche
. der Bittende nach Schneiderbrauch auf dem Gewissen hatte,
wies Sankt Peter ihn ab. „Ach, laB mich doch um alle Barm-
herzigkeit hinein," bat der Schneider, „vor lauter Mlldigkeit
kann ich nicht weiter. LaB mich hinter den Ofen sitzen


(9^1 11 Jfce)

und gib mir die schlechteste Arbeit, ich will's geduldig tragen."
SchlieBlich liefi sich Sankt Peter yon diesem Bitten und Flehen
erweichen, und flugs war unser Schneiderlein im Himmel.
Kurzweil halber ging nun eines Tages der liebe Oott mit dem
ganzen himmlischen Heer aus dem Himmel, um sich in einem
aufierhalb des Himmels befindlichen Garten zu erlustigen. Im
Himmel blieb allein der Schneider. Der besichtigte nun ganz
gem&chlich den Himmelssaal. So kam er auch zu dem Sitz
des hdchsten Kdnigs und konnte von da aus aller Menschen Tun
und nnterlassungen erblicken. "Wie unser Schneiderlein in
voil em Schauen ist, sieht er ein altes Weiblein, welches einer
anderen Frau, die an demselben Bachlein Kleider wusch, diese
Kleidungsstueke wegstibitzte. Da wurde unser Schneider
furchtbar aufgebracht, denn er empfand, welche Sunde das
Stehlen doch ist. Basch erwischte er den Fufischemel Gottes
und warf denselben nach dem "Weiblein. Der HimmelskOnig
vermifite bei seiner Heimkehr sofort seinen Schemel und forschte
uberall nach, wohin derselbe gekommen war. Endlich mufite
sich der Schneider verantworten und die Ursache angeben. „0,
lieber Sohn," sprach mildl&chelnd der himmlische Kdnig, „wenn
ich so rachgierig ware, wie du, ja, dann hatten wir schon lange
gar keine Stlihle und B&nke mehr hieroben!"

Ausfuhrlicher erzahlt Jakob Frey in der von ihm beliebten
breiten Behaglichkeit, dieselbe Geschichte. Fur Bebel gilt:
Kurze ist des Witzes beste Wiirze.

Siehe weiter Krauss: Sagen der Stidslaven 2, Nr. 128.

Loesche, Analecta Lutheran a 1892, Nr. 317.

Wolf, Deutsche Marchen und Sagen 1845, Nr. 16: Ian im
Himmel.

15. Ein Zorniger.

Ein Hafner beichtete, da sein letztes Stfindlein gekommen
war, dem Priester. Alles war gut, nur wollte der Hafner seinen
Feinden nicht vergeben. „Wenn du nicht vergibst, wirst du
»n die Hdlle hinabgestofien werden," mahnte der Beichtvater.
— „Wenn's so ist, dann mach dich nur bald von mir, dann
brauche ich keine letzte Clung. Denn alsdann wird die Hdlle
gezwungen, mich in tausend Teufels Namen roh und ungesalbt
zu verschlingen!"


12 Jfcd

16. Ein Landskneeht IBt einen Kapaun allein.

Aus Frankreich kam voreinst ein Landskneeht nach Frank-
furt und kehrte im „Boten Ochsen" ein. Der Landskneeht besaB
zwar schlechte Kleider, aber einen gespickten Geldbeutel, darum
bat der Wirt seinen Gast, er moge doch hinauf an den Tisch
zu etlichen vornehmen Kaufleuten sitzen. Das verdrofi die
Kaufleute gewaltig, obwohl sie es nicht gut hindern konnten.
Als die Suppe aufgetragen wurde, zog jeder Kaufherr einen
silbernen Ldffel hervor mit dem Bemerken: „Ein Schelm,
wer keinen Silberldffel hat." Der Landskneeht merkte bald
die Stichelei, sebwieg aber fein still und machte sich einen
Ldffel aus Brot, den er nach kurzem Gebrauch verzehrte mit
den Worten: „Ein Schelm, wer seinen Ldffel nicht friBt."
Jetzt waren die Kaufleute wieder wtitend und schalten und
knurrten gewaltig. „Es ist ein Schelm am Tisch, der mit
seinem Mund den Wein unrein macht," hieB es in der Bunde,
und so oft einer dem andern zutrank, zogen alle die Wisch-
tiicher hervor, wischten sich den Mund und wiesen einander
die Becher und fragten, ob sie's getan h&tten. Da gab's natilr-
lich nur Entschuldigungen. Unser Landskneeht wuBte damit
bald Bescheid. Flugs trank er seinen Becher aus, warf ihn
auf den Tisch, so daB er einem Kaufherrn ins Antlitz flog
und sprach: „Dafl euch der Teufel hoi', ist denn etwas un-
reines in meinem Becher?" — Kurz danach trug man einen
Kapaun auf, um den einige Krammetsvdgel gelegt waren.
Basch griffen die Kaufleute nach den Krammetsvdgeln, damit
der Landskneeht nichts bekommen sollte. Ohne langes Zaudern
spiefite der Landskneeht den Kapaun auf und legte den Braten
auf seinen Teller. „Ja, ja, ich sehe wohl, es ist jedem Mann
um ein Vogel zu tuen." So behielt er den Braten und hatte die
Herren grundlich abgefiihrt.

17. Bauern bitten um einen Fluch.

In Sachsen war mal auf einem Bauerndorf den Landleuten
das Fluchen verboten. „Lieber SchultheiB, so kann's nicht
weitergehen," meinten sie eines Tages. „Gib uns wenigstens
einen Hausfluch, damit sich das Gesinde regieren l&fit." —
„Na, was wollt ihr denn fur 'nen Fluch ?" ,,Hm, lieber Schult-
heiB, etwa die Pestilenz." „Gut! Abgemacht! Ihr mdgt dazu
auch noch die Franzosen haben."


6Sl 13 Jfce)

*

18. Die frdmmsten Leute nach Bernhard Retz.

Wir erdrterten einmal, wie sehr doch alle Stande und Orden
von ihren eigentlichen Satzungen sich entfernt h&tten und wie
alle gar nicht mehr an die Frommigkeit der Altvorderen heran-
roichten. Nur die Bauern seien allein noch fromm. „Ach was,"
nahm bei diesem Gesprache mein Wirt, Herr Bernhard Retz,
das Wort, „meines Erachtens sind die Bader die allerfrommsten
Leute, denn sie bereiten im Bad ebenso dem Armen wie dem
Keichen das warme Wasser."

19. Ein Sprneh nutxlich zu merken.

Konrad Wilensis sagte mir einstens, er wolle mit dem
Schwert den Tod eines seiner Freunde rachen, der neulich
ein junges Weib genommen habe und daneben ein grofier
Eiferer sei. Da sagte ich zu ihm: „Ach, lieber laB ihn leben,
denn er lebt sich selber zur Marter und Pein. Es ist dir
viel bafi geraten, wenn er zehn oder mehr Jahre in hdchstem
Kummer und steter Sorge leben mufi, statt daB er mit einem
Schlag all seine Schmerzen ende. Der tragt wahrlich ein
schweres Kreuz, welcher ein eifersuchtiger argwdhnischer Mann
sein will."

20. Lustige Tat eines Kriegsmannes von Tliblngen.

Conrad Bichel von Tubingen unter dem Oberherrn iiber
die Soldaten des Kaisers Maximilian war ein beherzter redlicher
Mann. Der lag einmal nick lings auf dem Stroh im Lager
und versah sich keiner Fahrlichkeit. Doch da kam ein anderer
Kriegsmann, welchem Bichel einige Zeit vorher eine Un-
billigkeit erwiesen hatte. Wie jener den Bichel auf dem
Biicken liegend fand, sprach er nach Art, Natur und Bedlich-
keit der deutschen Nation: „Wenn du nicht am Boden l&gest,
wurde ich dich mit meinem Schwerte erstechen." Hierauf
entgegnete Conrad Bichel: „Wellst du mich nur verletzen, wenn
ich stehe, zur Wehr bereit und fertig bin, so will ich diese
Nacht nicht aufstehen." Am andern Tage aber erstach er
ihn mit einem SpieB oder Schafflin.

21. Lustige Historie vom einf&ltigen Landmann and einem Dieb.

Meine Herren von Stoffel, von freiem, trefflichem Adel,
die man sonst Freiherrn nennt, hatten auf einem Dorf einen


14 JKD

Rentmeister. Aus bauerischer Ein fait schickte derselbe mal
einen Dieb, den er angeklagt, gefangen, gebunden und zum
Galgen verurteilt hatte, zu einem Priester in die Kirche, damit
er seine Sttnden vor dem Tode bekenne und beichte. Nachdem
der Dieb feierlich versprochen hatte, wiederum zuruckkehren
zu wollen, lieB man ihn in die Kirche. Da legte er ein Sunden-
bekenntnis ab und achtete hiernach nicht auf das ihm in der
Kirche zustehende Freistattrecht, das kein Mensch hfitte ver-
letzen kdnnen (wie das an vielen Orten nun einmal so be-
stimmt ist). Der Dieb verliefi also die Kirche wieder und
ging zu dem Amtmann (oder auch Rentmeister geheiflen), lieB
sich binden und stieg dann so frohlich zum Galgen hinauf,
daB man hatte meinen kdnnen, der mir von Jugend auf be-
kannte Mensch habe den Tod von Herzen begehrt. Viele legten
es hernach dem Priester ubel aus, daB er den unweisen, un-
besonnenen Dieb nicht ermahnt habe, sich der kirchlichen
„Freiung" zu bedienen.

22. Vom tdrichton Bauernknecht.

Eine sehr reiche Witfrau hatte einen einzigen Sohn, der aber
wenig Verstand besafl und ziemlich tdlpelhaft war. Der gewann
eine in der Nahe wohnende adelige Jungfrau lieb und wollte
sie zur Frau haben. Die El tern der Jungfrau waren zwar adlig
aber sehr arm, und litten ziemlichen Mangel, so daB an
standesgemafle Verheiratung der Tochter nicht gedacht werden
konnte. So besannen sie sich nicht lange, als der reiche
Baueratolpel als Freier auftrat. Die Bauersfrau war bei der
grofien Unbeholfenheit ihres Sohnes besorgt, die Jungfrau
wurde aus diesem Grunde noch absagen und so begann die
Mutter, ihrem Sohn Schliff beizubringen. Als der torichte
Bauer erstmals zur Jungfrau ging, um sich mit ihr zu ver-
loben, 8chenkte ihm das Fraulein schbne, sorglich zu be-
handelnde Handschuhe. Die zog er an. Unterwegs begann
es zu regnen. Da verdarben die Handschuhe in den Grund.
„Lieber Sohn," mahnte die Mutter, „du h&ttest die Hand-
schuhe fein zusammenlegen und im Busen aufbewahren sollen."
Als er wieder zur Jungfrau kam, verehrte sie ihm einen
Sperber. Da beherzigte der Bursche die Lehre der Mutter;
er wickelte den Sperber in ein Tttchlein und schob das in
den Busen. Daheim konnte er der Mutter nur einen toten
Vogel zeigen. „H&ttest du ihn fein auf der Hand getragen,"
lieB sich die Mutter vernehmen. Beim dritten Male erfreute


15 JKS

ihn die Jungfran mit einem Treydaieb. Das trug der
TGlpel auf der Hand, wie er den Sperber hatte tragen sollen.
Die Mutter schimpfte und sagte: „H attest es einem Bofi an
den Schwanz binden muss en." Schliefilich schenkte die Jungfrau,
welche stets grSBeres Mififalien an den Sitten und am Tiefstand
seiner geistigen Bildung empfand, dem Bauernkerl ein Stuck
Speck. Das band der TSlpel jetzt seinem Pferd an den Schwanz.
Beim Heimritt ging der im Dorngestrupp an Baumstammen
und Stauden hangenbleibende Speck ganzlich zu grunde. t)ber
solche tolpelhaft ungeschickte Sitten war die Mutter ganz
trestles und furchtete, die Braut werde einen solch geistes-
armen Freier ausschlagen. „Ich gehe wohl am beaten selber
zu der Jungfrau und deren Eltern und halte an um die Hand
fur meinen Sohn," dachte die Mutter und machte sich auch,
nachdem sie ihrem Sonne aufgetragen hatte, gut das Haus zu
huten, auf den Weg.

Bei den Eltern der Jungfrau brachte die Mutter ihre
Wunsche zweckm&Big an, wodurch sie es erreichte, daB man
Tag und Stunde der Hochzeit festsetzte.

Inzwischen hatte der daheim gebliebene Sohn Hunger be-
kommen; er ging also in die Kticbe, warf Schmalz in eine
Pfanne und schlug Eier hinein. Da er einen guten Tropfen
Weines trinken wollte, ging er unterdeasen in den Keller.
Kaum hatte er das Fafi gedffnet, so schoB der "Wein derart
aus dem FaB, daB der Bursche sich nicht mehr zu helfen
wuBte. Auf diese Weise floB das FaB aus und der Keller voll.

Was jetzt? Damit die Mutter solches Unheil nicht sfthe,
streute der Tolpel den ganzen Keller voll Mehl, um damit
den Keller auszutrocknen. Basch und ungestum sprang er
wieder hinauf und schreckte durch sein uberlautes Wesen
eine brtLtende Gans auf. Die schrie unaufhttrlich Gag, gag,
gag und fldBte damit dem Narren solchen Schrecken ein, daB
er befurchtete, sie drohe ihm mit ihrem Geschrei. Flugs
ergriff der Tdlpel das schnatternde Tier und hieb demselben,
damit es nur ja nichts verrate, den Kopf ab. Damach bestrich
sich der sinnlose Bursche den ganzen Kttrper mit Honig,
schnitt die Federbetten auf und walzte sich in den Flaum-
federn, daB er uber und liber gefiedert war. So glaubte der
Bursche am beaten Stellvertreter der Gans zu sein; er setzte
sich auf das Nest und wollte die Eier ausbruten.

Ala die Mutter heimkehrte, fand sie die Ture verschlossen.
Sie klopfte und klopfte, doch der Sohn antwortete nur mit


^ 16 ^

Gag, gag, gag; endlich, als die Mutter schimpfte, auch heftig
drohte, sprang der tolle Kerl von dem Neste auf, dffnete
und lieB die Mutter herein. Diese war vor Schrecken sprachlos,
als sie die tollen Streiche ihres Sohnes sah, doch mochte sie
den Dummen nicht ausschimpfen, da die junge Braut ver-
heifien hatte, gleich einmal nach ihrem Brautigam sehen zu
wollen. Die Mutter verzieh dem Tdlpel die Dummheit und
wies ihn rasch an, wie er seine Braut empfangen solle, daB
er namentlich seine Auglein fein und lieblich auf die Jung-
frau werfen mdge.

Kaum betrat nach kurzer Zeit die Braut das Bauern-
haus, da warf der Bauernsimpel der Jungfrau viele Schafs-
augen, die er vorher den Tieren ausgestochen hatte, in das
Angesicht. Der Narr hatte das GeheiB seiner Mutter auf diese
Art verstanden.

Trotz all dieser Ungeheuerlichkeiten gab der Beichtum,
welcher das beste Unterpfand fur die Liebe ist, den Ausschlag
fur die Heiratsplane.

Ist ein Mensch reich, so kann er ja alles bekommen, was
er will, auch Adel, Gestalt, Schdnheit, Verstand und Weisheit.

Bebels Erzahlung war die Vorlage fur die weit ein-
gehendere Darstellung, welche Frey in seiner Gartengesell-
schaft dies em Gegenstand widmet.

Siehe: Grimm, Kinder- und Hausmarchen 3, 60 (1865).

Hub, die Komik und humoristische Literatur der dent-
schen Prosaisten des 16. Jahrhunderts 2, 303 (1857).

Goedeke, Schwanke des 16. Jahrhunderts 1879, Nr. 11.

Hulsbusch, Sylva sermonum iucundissimorum 1568, S. 104.

Colshorn, Marchen und Sagen 1854, Nr. 84.

Philander, Zeitverkurzer 1702, Nr. 20.

J. P. Waltmann, Der in alien Wissenschaften erfahrene
Pickelhering 1720, S. 40, Nr. 15.

a) Der Tdlpel besudelt die von der Braut geschenkten
Handschuhe, erwurgt den geschenkten Habicht, tr&gt die Egge
auf den Handen und lfcBt den Speck vom Pferde heimschleifen.

Haltrich, Volksmarchen aus Siebenburgen 1885, Nr. 66.

U. Jahn, Schwanke und Schnurren aus Bauernmund 1890,
S. 100.

Chambers, Popular rhymes of Scotland 1870, p. 101.

Halliwell, Popular rhymes and nursery tales 1849, p. 37.

Krauss, Marchen und Sagen der Sudslawen 2, Nr. 106,
107 (1880).


6SI 17 JKS

Lambert, Revue des langues romanes 3, 15, 149.
Liebrecbt; Germania 14, 88.

Leskien Brugman, Litauische Volkslieder und Marchen 1882.
S. 467 u. 32 mit der Anmerkung auf Seite 573.

b) Der T5lpel wischt den Wein mit Mehl auf.
H. Morlini Novellae 1520 No. 49.

Basile, Pentamerone 1637 I. No. 4.
Andrejanoff, Lettiscbe Marchen 1896. No. 73.
Knoop, Volkssagen aus dem dstlichen Hinterpommem 1885,
S. 114, No. 237.

Krauss, Sagen und Marchen der Slidslaven, No. 106, 107.

c) Der Tdlpel ttttet die Gans und setzt sich an ihrer
Stelle auf das Nest.

Blade, Contes pop. recueillis en Armagnae 1867 p. 21.
Erauas, Sagen und Marchen der Sudslawen 1, 265 No. 57.

d) Er wirft der Braut ausgestochene Schafsaugen zu.
Blade, Contes pop de la Gascogne 3, 125.
Beauvois, Contes pop de la Norvege 1862 p. 203.
Cosquin, Contes pop de la Lorraine 2, 178, 182.
Krauss, Sagen und Marchen der Sudslawen 2, 106.
Sebillot, Litt. ovale de la Haute Bretagne 1881, p. 104.
Pitre, Novelle popolari toscane 1885, No. 33.

Vinson, Folklore du pays basque 1883, p. 97. Und die
weiteren Quellen in den Anmerkungen, die Bolte in seiner
Ausgabe von Freys Gartengesellschaft angibt.

28. Netter Trost.

Ein Bauer hatte ein schamloses ehebrecherisches Weib.
Auf die Dauer ward dem Mann das Unwesen seiner Frau
zu arg, und so klagte er sein Leid dem Schwiegervater mit
dem Bemerken, er wolle sich scheiden lassen. Der trostete
seinen Tochtermann und sagte: „Lieber, sei guten Mutes!
Lafi ihr die Sitten und Lebensweise noch eine Zeitlang. Sie
kommt schon noch zu Scham und Keuschheit wie ihre Mutter,
mein Weib. Die war in ihrer Jugend ganz schrecklich dem
Laster der Unzucht ergeben, jetzt, da sie alt geworden, ist
sie die allerkeuscheste Frau. Also ist doch wohl auch Hoff-
nung vorhanden, daB sich die Tochter einmal bessem werde."

Vergleiche dazu Jakob Frey: Gartengesellschaft, Von
einer Thochter, die irer Mutter in alle Weg nachschlug, bzw.
in der Ausgabe von E. K. Blumml „Volksmund(< Bd. V unter

Karl Amrain. Deutsche Schwankerzahler. II. 2


18 *Q)

„Wie einer seinen Schwiegersohn trdstet". — Siehe Dietr. Mah-
rold im Schmahl vnndt kahl Boldmarseh Kasten 1608 „Von
einer hnbschen undt lieben tochter die ihrer frommen Matter
in allem Thun undt lassen nachschlug".

Augustin Tungers im Jahre 1486 ersehienene Facetien,
welche er Graf Eberhard im Barte verehrte, enthalten dieselbe
Schnurre. Dieselbe wird von Tunger lokalisiert: „In dem
Dorf Mais am Mylwegs von Chur ist gewesen ein Frow." Siehe
Aug. Tungers Facetien herausgegeben von Adelbert v. Keller
1874.

24. Von einem Elnsiedler oder Waldbrnder.

"Wir haben neulich einen Waldbruder mit langem Bart
gesehen. Dieser Einsiedler wurde von vielen wegen seiner
grofien Heiligkeit geachtet und geehrt. Da stand aber einer der
Unsrigen, der wenig von der Heiligkeit der Einsiedler halt, auf
und sagte: „Woraus schliefiet ihr auf seine Heiligkeit? Viel-
leicht aus seinem langen Barte? Ach, ihr einfaltigen Gesellen!
Wenn der lange Bart die Frommigkeit ausmachen wurde, dann
ware ein Bock ja am allerfrommsten."

25. Von den Verftehtern der Kunst der Poeterey.

Einer meiner Schiller sagte mir neulich, daB ihn sehr viele
haasen wurden, weil er sich der freien Kunste befleiBige.
„Sind denn deine Neider auch gelehrte Leute," fragte ich. „Ach
nein," vernahm ich da, „es sind grobe unkundige Leute, welche
der Kunste nicht achten." „WeiBt du nicht," sprach ich, „daB
die Kunst nur jene Leute zu Feinden hat, als jene, welche sie
nicht verstehen! Das besagt ja schon ein altes Sprichwort.
Kummere dich hinfurder nicht um solche Leute sondern mach
es wie der Fuchs. Dieser schlug mit seinem Schwanz an
einen Baum und hoffte Birnen herabzuschlagen. Vergebliches
Bemuhen. Als keine einzige Birne fiel, sagte unser Fuchslein:
,0 wie bitter sind diese Birnen, ich mdchte keine essenl' Item
von demselben Fuchs erzahlt man ferner, er sei etliche tausend
Schritte hinter einem Esel gelaufen und wartete bis die Hoden,
welche sehr wackelten, herunterfielen. Obwohl nun die Hoden
so aussahen als ob sie nicht mehr lange oben bleiben wurden,
und der Fuchs sich schon auf den Frafi freute, war auch bier
das Warten vergeblich. Endlich sprach der Gefoppte: „0
wie schwarz und stinkend sind diese Hoden, ich hatte sie


19 *3>

nimmer essen kdnnen/' Also verachtet auch kein Gelehrter
oder Weiser die Poeterei oder andere gute Kunste, das tun
lediglich jene, die nichts gelesen oder gelernt haben; ihnen
eind die Kunste schwarz, stink end, bitter. Diesen miBgdnne
ieh ihre Unwissenheit gar nicht.

26. Von eines Pfaffen Kdehin.

Unsere Vorfahren haben gesagt, vordem als die Welt
noch besser und frdmmer gewesen, seien die Pfaffenkdchinnen
in den Luften geangstigt worden, gerade als wenn Jagdhunde
wilde Tiere jagen. Nach der Jagd fand man sie zerrissen.
Hdrte ein Mensch das Gejaid und leistete er Hilfe, so fand der
Hilfeleistende sicherlich am anderen Morgen ein zerhauenes
Glied oder sonst ein Kdrperstuck bei der Hausture von Teufeln
aufgeh&ngt vor. Neulich bat nun ein Priester, der seiner Kdehin
in alien Stucken Folge leistete, den Pfleger im Dorf, er mdchte
(die Kdehin im Schlitten herumfahren, wie es Brauch zur
Winterszeit und an Fastnacht sei. Als der Pfleger Anstalt
machte, dem Wunsche nachzukommen, sprang ein Weib herbei
und rief: „Vor Zeiten haben die Teufel die pf&ffischen Huren
in der Luft umhergefuhrt, jetzt besorgen's die Pfleger und
Gewaltigsten dieser Welt. Darum geschehen alle Dinge in
verkehrter Weise."

27. Vom leiehtfertlgen Abt.

Ein Abt hatte ein Magdlein geschwacht und da er genug
von ihm hatte, auch satt war, jagte er die Annate mittellos und
ohne Entschadigung von dannen.

Das Magdlein ging traurig zu seinem Leibherrn, einem
Edelmann und klagte, wie der Abt zwar Geschlechtsverkehr
gepflegt habe, aber nichts von einer Gegenleistung wissen

wolle.. J .! ?W

Der Edelmann wurde bei dem Abte vorstellig, konnte aber
durch seine Boten weder durch Bitten noch Drohungen etwas aus-
richten. Endlich machte er sich selber auf und forderte ernst-
lich 40 Gulden fur das Magdlein. Dem Abte war die Strenge
des Edelmannes wohl bekannt und so sagte er, nach seiner
Begel und Satzung dtlrfe fur den Beischlaf mit einem guten
Tdchterlein nicht mehr als zwanzig Gulden gefordert werden.
„Steht das in euerer Begel," fragte der Edelmann und fugte

2*


20 Jfcd

entsetzt hinzu, „o Gottl Was ist das fur eine Regel! Was
fur eine Religion, was fur eine Geistlichkeit, die nicht
Satzungen bezuglich der Enthaltung der Heiligkeit gibt, son-
dern schamlose Dinge behandelt." „Sprich nicht so heftig
wider die heiligen Vater/' mahnte das Abtlein, „der oberste
Priester, der Papst, hat ja die Bewilligung und Best&tigung
gegeben." „Bei der Hand Gottes," schwur jetzt der Edelmann,
„weder Vater noch Papst ist fromml Was geht's mich an,
was der Papst erlaubt hat? Habe ich's best&tigt, daB der
Papst zu meinem und der Meinen Nachteil und Schaden etwas
erlaubt hat? Wann du mir nicht in kurzer Frist Genugtuung
leistest, so wird dich weder Papst noch Regel genligend vor mir
beschutzen."

Dam ach zog der Edelmann weg und lie'B dem Abte 6f fent-
liche Absage ankunden. Die Versdhnung erfolgte erst als der
Abt der verletzten Jungfrau zur Heimsteuer 100 fl., ein Haus
und Grund, wie sie einem Bauern *geh5ren, gab. So kam das
Abtlein die Rechnung teuer zu stehen.

28. Sprueh einer Kindbetterin.

Zu einer Frau, die geboren hatte, kamen die Weiber der
Nachbarschaft, um der Wdchnerin Gltlck zu wunschen. Wie
es dabei zu geschehen pflegt, sagten die Weiber, das Kind
gleiche dem Vater geradezu merkwurdig. „Hat's denn auch
eine Platte auf dem Kopf," fragte da rascb die Wdchnerin.
Dadurch war erwiesen, daB dieselbe Ehebruch mit einem Geist-
lichen getrieben hatte.

29. Von einem empflndsamen Pfaffen.

Ein mir sehr wohl bekannter Pfaffe httrte einem Bauer
die Beicht, doch wollte er demselben die Lossprechung nicht
erteilen, weil sich in seinem Hause ein offenbarer Sunder
aufhalte. Der Bauer erschrak gewaltig und leugnete. „Wahr
ist's," versetzte der Beichtvater, „denn du haltst einen Kuhstier,
der den Kuhen helfen muB, Jungvieh zu machen. Ich kann
dich ohne zuvor den Rat etlicher Doctores zu erholen, nicht

80. Ein haBlieher Bissen.

Als Priester Fiscilinus einmal in ein Wirtshaus ging,
sah er den Wirt in eine Ofenkachel brunzen und so fragte


^ 21 ^

er ihn, warum er das t&te. „Darum, weil ich morgen aus*
ziehe," entgegnete der Gefragte. Kaum war der Wirt hiuaus*
gegangen, da schiB Fiscilinus hinter den Ofen. Wie der Wirt
wieder die Stuhe hetrat, roch er sofort den gr&ulichen Gee tank
hinter dem Ofen und so stellte er den Pfaffen zur Rede.
Fiscilinus antwortete: „Weil du morgen ausziehest, hast du
in die Kachel gehrunzt, ohne der Zier des Hauses zu achten.
Ieh aber will heute schon wieder weiter und habe noch viel
weniger auf die Zier des Hauses geachtet. Deshalben schifi ich
hinter den Ofen, damit ich das Haus noch stinkender verlasse."

Dieselbe Geschichte bringt Jakob Frey in seiner Garten-
gesellschaft unter dem Titel „£in Pfaff zeert zu Abendt und
schisse hinder den Ofen. Frey verlegt den Vorgang nach
StraBburg im Elsafl in das Wirtshaus „Zur Lunge". Die Zeit
ist zwei Tage vor Weihnachten, es herrscht drauBen groBe
Kalte, denn der grobe tolle Pfaffe, genannt Pfaff Holch, kommt
in die Wirtsstube, um sich zu warmen und ein halbes MaBlein
Wein zu trinken. — Bei Jakob Frey gibt der Wirt auch an,
daB er in die Wanzenau (ein Dorf ndrdlich von StraBburg)
ziehe, um dort Wirtschaft zu halten.

Kufz angebunden fertigt bei Frey Pfaff Holch den fra-
genden Wirt ab: „Schmeckt er dir nit, so trag ihn hinaus und
ziehe darnach aus, wann du willst."

Vergleiche: Waldis, Esopus 4, 35 (1558) „Vom jungen
Gesellen und einem Wiert". — Tabourot, Les contes facecieux
du sieur Gaulard 1603. — Den roomschen Uylenspiegel 1671. —

Andere Erz&hlungen mit einem ahnlichen wenig erquick-
lichen Schlusse sind: Eulenspiegel hist. 69 — Pauli Nr. 373.
Nasr-eddins Schwanke libers, v. Camerloher 1857 No. 74.

81. Von einem Stationlerer.

Ein Mdnch, den man nach dem Brauch der Zeit Stationierer
nannte, weil er mit Reliquien umherzog, fand statt des Heilig-
tumes eines Tages Kohlen vor, welche ihm lose Briider heim-
lich zugesteckt haben muBten. Basch gefaBt meinte der Mdnch:
„Das sind die Kohlen, mit denen man den heiligen Laurentius
verbrannt hat." Diese Stationierer sind alle Schelme, die sich
nicht entbldden, erdichtetes Zeug vorzubringen.

Diese Schnurre ist entnommen Bocc. Decamerone VI, 10:
Frate Cipolla promette a certi contadini di mostrare lorn


6* 22 JK3>

It penna delta agnolo Gabriello, in luogo della quale trovandi
carboni, quelli dice esser di quelli cbe arrostirono San Lorenzo.

Ahnlich lautet die Schnurre in der Zimmerischen Chronik.

Der Siationierer Martin Vischer aus dem Kloster St. Bern-
hard, welcher in Schwaben umherzog und Geld sammelte, zeigte
in Me&kirch nach einer bei Saufgelagen verbrachten Nacht als
Heiligtum — Heu, welches ihm lose Zech-Gesellen an Stelle
des wirklichen Heiligtums in den Mantelsack gesteckt hat ten.
Es heifit daruber in der Zimmerschen Chronik 2. Aufl. II. Bd.
S. 452. „Morgends prediget der Pfaff und nach besehehener
Ermahnung zum Volk um ain Almosen, zeucht er das Heu
usser dem Wetzger, und wiewohl er erscbrack, jedoch erholt
er sich wieder, wollts verbossern und spricht, es sei das
Heu, das unsers Hergots Esel uf den Palmtag gessen hab. Dess
wardt ein grofi Gelachter in der Kirchen."

32. Disput eines Juden und Christen.

Mathias von Ulm, kein weiser, doch bibelfester Mann,
disputierte mit einem Juden, ob der judische oder christliche
Glaube besser oder wahrer sei. „Ibr Juden seid nicht be-
zeichnet mit dem Zeichen der Taufe und ihr werdet am jtingsten
Tage gleichwie die unbezeichneten Hunde in einer Stadt von
dem Hundeschl&ger geschlagen werden. „Wir aber als die
Gezeichneten werden frei und ledig sein."

„Wo seid ihr denn gezeichnet," erkundigte sich der Jude.
„Wir haben das Zeichen der Taufe, welches tief in unserer
Seele vorhanden ist." — „Dieses Zeichen der Seele wird man
am jtingsten Gericht, da ihr mit dem Leibe gegenwartig seid,
gar nicht sehen kdnnen," sagte der Jude und meinte ferner:
„"Wir Juden aber sind mit der Beschneidung an der Vorhaut
gezeichnet." „0 du unverschamter Jude, wolltest du wirklich
im Angesicht des hdchsten Bichters bei so viel tausenden von
Menschen deine verborgenen Glieder vorzeigen? Geh an den
Galgen mit dieser deiner Schamlosigkeit." So glaubte Mathias
den Juden abgefuhrt zu haben.


Zweites Buch.

82. Von einem Ein&ugigen.

Ein Ein&ugiger bekam ein schon „ttberstampftes" Midchen
zum Eheweib und doch hatte er gemeint, es sei eine noch ganz
reine Jungfrau. Als er des Handels inne wurde, rupfte er
ihr die Missetaten heftig auf, doch die Dime meinte: „ Warum
soli ich so gleich ganz und rein sein, wahrend auch du nur
ein gutes Auge hast?" — Da sagte der Mann: „Diesen
Schaden habe ich von den Feinden empfangen." — „Ich aber
habe den meinen von guten Freunden," erkl&rte schlagfertig
das Weib.

Vergleiche hierzu Jakob Frey: Gartengesellschaft, „Von
einem, der sein Frau stetigs ein hur schalt und was sie ihm
daruber zur Antwort gab", und ferner Jakob Frey: Garten-
gesellschaft: „Von einem alten wolversuchten, verhurten
reutter, welcher auch auf der Bulschaft ein Auge verlohren.
— Vergl. Zacharia, Fabeln und Erzahlungen 1777, S. 107:
„Der alte Reuter und seine Br aut." — Siehe auch Die Schw&nke
von Dietrich Mahrold 1608, No. 21: Von einem Trefiler zu
Wittenberg, der seine Frau stetigs ein Hur schalt, und was
sie ihm daruber letzt zur Antwort gab. — Vergl. Pfeiffer,
Zeitschrift f. dtsch. Altert. 7, 367 (Altdeutsche Beispiele No. 34).
Eirchof, Wendunmut 1, 340. Lundorf, Wissbadisch Wis en-
brunlein 1, 156 No. 71 (1610). Freudenberg: Etwas fur alle
1732, No. 224. — Le tombeau de la melancholic 1660 p. 93. —
Domenichi, Facetie motti et burle 1581 p. 57. — Nugae venales
1720, S. 46. — Seb. Scheffer, bei Mel an der, Jocorum atque se-
riorum centuriae 1603, No. 276. — Lyrum larum lyrissimum
1701, No. 13z\ — Vademeoum fur lustige Leute 1, 193, No. 239
(1767).


24 ^

84. Von einem F&timann.

In Zweifalten erzahlte mir mal einer im Scherz1), der
Beischlaf sei keine tddliche Stlnde, denn nur Lebende kdnnten
ihn vollziehen. Auch sei dies keine Kapitalsilnde, weil es
nicht um den Kopf, sondern unten am Bauch geschehe; endlich
sei die Stlnde nicht diumale, denn der Beischlaf erfolge meistens
bei Nacht.

85. Von einem Boten.

In dem Stadtchen GeiBlingen war ein Bote eingekehrt;
ihm setzte eine ehrbare Frau eigenen Harn auf als guten Bhein-
wein. Wie er diesen gekostet und den Betrug verstanden
hatte. meinte der Bote: „Dieser Wein schmeckt ganz nach
der Art des Fasses." Wie das FaB also auch der Wein.

Vergl. Poggio Bracciolini, Schwanke und Schnurren.

Bomanische Meistererz&hler Bd. IV, S. 70, No. 70.

Siehe auch: Anthropophyteia Bd. III. Deutsche Bauern-
erzahlung, No. 39.

Siehe auch Jakob Frey: Gartengesellschaft, Kap. 123,
Eine Wurtin gab eim Gast Bruntz ftir Malvasier zu drincken. —
Langius: Democritus ridens 1689.

86. Antlieher Irrtnm.

Die Arzte haben eine Arzenei, die nennen sie von dem
Kraut Satyrion-Stengelwurz-Diasatyrion. Sie soil gut sein,
um Lust zur Unlauterkeit zu bringen. Nun lebte da ein alter
Scheisser, welcher ein junges Madel zur Frau genommen hatte,
und, um der Braut auf der Geige eins vorspielen und Kurzweil
treiben zu kOnnen, bat der Mann einen Arzt um diese Arznei.
Der Arzt behandelte gleichzeitig einen am Fieber darnieder-
' liegenden J tingling, der laxiert werden sollte. Uneer Arzt be-
reitete beide Arzneien und verwechselte dieselben in dem Ge-
sch&ftseifer. So bekam der fiebernde Jungling das Diasatyrion
und der alte Mann ein Laxativum.

Kaum hatte der Jungling die Medizin eingenommen, so
begann die Wirkung und die ganze Nacht vexierte ihn der
aufstehende Schwanz. Tiber solche Arznei war der Kranke

*) „Im Scherz" sollte dieser Zusatz nicht wie die geistreiche
Fassung dieser ganzen Schnurre etwa dafur sprechen, dan der Abt
von Zweifalten der geistige Vater dieser Witzworte ist?


6* 25 Jfc§

unwillig, denn derartige Wirkungen hatte er nicht begehrt.
Der Alte hingegen gedachte, als er seine liehe Braut umfangen
hatte, mit Hilfe der Arznei w acker zu scherzen. Noch war
er im Beginn des Liehesspieles, da beschiB er die Braut und
das ganze Bett. Das war das erste Bankett, das er seiner Braut
geschenkt hat.

In der Zimmerischen Chronik wird der Schauplatz nach
Augsburg in das Jahr 1518 verlegt. Der blamierte Mann,
welcher das Weib beschmutzt, ist Herr von Guettenstein.

Die ganze Geschichte wurde Kaiser Maximilian hinter-
bracht und rief allgemeines Lachen hervor. Siehe Zimmerische
Chronik, 2. Aufl., II. Band 259—61.

87. Laeherlieher Sprueh eines Sehwaben.

Gen Rom zog mit einem Sehwaben ein Baier. Als sie eines
Morgens im Wirtshaus etliche Eier gegessen hatten und wieder
unterwegs waren, sagte der Schwabe zum Baier: „Ich habe
den Wirt mit List betrogen." — „Womit," erkundigte sich
der Baier. ,Jch habe in einem Ei ein gauzes Huhnlein ver-
schlungen und dafur nichts bezahlt," erkl&rte der Schwabe.

88. Von einem Pfaffen and einem MeBner.

Ein Pfaffe und ein MeBner waren ubereingekommen, daB
der MeBner an einem hohen Festtag alles Opfergeld an sich
nehmen dlirfe von den Weibern, bei welchen der Pfaffe schon
gelegen hatte. Wenn ein derartig bezeichnetes Weib an den
Altar trat, sagte der Pfaffe zum MeBner: „Nimm bin! Ver-
stehest wohl das Opfer!" Schon waren dem MeBner auf diese
Weise viele Gelder zugeflossen, als auch des MeBners Weib
dem Altar nahte. Siehe auch bei dieser Frau sagte der Pfaffe:
„Nimm hin!" — Der MeBner meinte: „Es ist mein Weib."
— Darauf erkl&rte der Pfaff: „Nimm hin lieber Bruder,
denn ich will dich in unserem Pakt nicht betriigen; es stehet
dir billig zu." Also geschieht den Spflttern, daB auch sie
oft zu Spott und Schande werden.

89. Ein Baler frifit Linsen.

In einem Wirtshaus setzte man dem aus Baiern stammenden
Gast Linsen vor. Als Liebhaber von Hulsenfruchten aB der


^ 26 ^

Baier sich derart voll, daB er nachts In das Bett schifi. Morgans
wurde er vom Wirte seharf angefahren. „0 Wirt, was hast
du mir vorgesetzt," sprach der Baier.
„Linsen," entgegnete der Wirt.

„Jawohl, es sind Linsen gewesen, denn lind leis sind
sie von mir geschlichen."

40. Ein Bauer sehwangert *ne Nonne.

Im Jahre 1507 schwanger te ein Bauer nicht weit von
Tubingen eine Nonne oder so ich recht gedenke, waren es
deren gar zwei. Den Bauer schalt die Mutter sehr ernstlich.
Doch der Bauer, sonst ein grober Filz, antwortete weislich:
„Mutter, ich tat's ja nach deinen Befehlen. Allzeit lehrtest
du mich, wie ich mit frommen und geistlichen Leuten Umgang
haben solle, weil der Prophet David spricht: „Mit den Hei-
ligen wirst du heilig. — Also habe ich deinem GeheiB ent-
sprochen und wurde nicht nur ein Mann, sondern ein heiliger
Mann!"

Nach Bebel crzahlt den Vorfall Jakob Frey in seiner
Gartengesellschaft: „Von eins Bauren Sun, der zwo Beginen
schwanger macht."

Ferner. Kurtzweilige und lustige Geschicht 1583, S. 542.
— D. Mahrold: „Von eines Bawren Sohn, der zu Frankfurt
ahn dem Mayn zwo Beginnen oder Nonnen dick und schwanger
macht." Bl. 93 b. Bolte macht auBerdem auf das Meisterlied
des Ambr. Metzgers (1573—1632) „Der Bauersohn und die
beiden Nonnen" aufmerksam. Cfr. Bolte: Jakob Frey, Garten-
gesellschaft Tubingen 1896, S. 193.

41. Vom Edelmannskneeht

Der Knecht eines Edelmann es muBte auf eine Zeit mit
der Herrin in das warme Bad. Nun begab es sich, daB der
Frau im Bad Laub von einem Baume zwischen die Beine go-
raten war. Der Knecht wollte das Laub entfernen, aber dartlber
erzurnte die Edelfrau gewaltig, weil der Knecht ihre FliBe
dabei beruhrte, denn es gibt auf der Welt nichts hoffartigeres
als ein reiches Weib. Die Herrin verklagte den Knecht bei
ihrem Ehemann und bekam auch Recht. Spater als der Knecht
wieder in Gnaden aufgenommen wurde, sprach er zu der Frau:
..Wenn ich jemal, liebe Frau, mitten in der Fotze ein Buschlein


<S* 27 jKd

Rauten sehen sollte, go werde ich es weder wegtun noch heraus-
ziehen."

42. Zwei Sdhne eines guten Mannes.

Ich kenne einen Mann, dessen Magd zwei Sdhne gebar.
Im Scherz sprach da oft und haufig dieser Mann: ,Jch habe
doch eine sehr treue Magd. Ohne Argwohn hatte sie ja den
einen Sohn verbergen und unterdrucken kdnnen, aber nein,
die ehrliche Dirne hat sie mir alle beide gegeben."

48. Sein SpieB taugt nlehts mehr fur den Streit

Zur "Winterszeit kam ein junger Geselle zu sein em Liebchen,
einer schdnen blitzsauberen Maid. Wie er nun zum venerischen
Turnier die Lanze ansetzen wollte, da wollte sein Glied nicht.
Nichts konnte der Geselle ausrichten und so sch&mte er sich
dessen gewaltig. Das bemerkte unsere seelengute Dirn und
teilnahmevoll meinte sie: „LaB dich doch das nicht kummern!
Die Kalte ist schuld daran." „Nein wahrhaftig nicht," ver-
8etzte eilig der Bursche, „8olches hat mir mein Geselle mehr
denn einmal getan, sogar im Sommer, wann der Tag am
heiflesten ist."

Vergleiche dazu: Brantdme: Das Leben der galanten
Damen, ed: Willy Alexander Kastner, II. Auflage, Seite 3/4.

44. Von einem Edelmann.

Mir erzahlte gelegentlich ein Edelmann, er sei im ersten
Jahre seiner Verheiratung mit dem Schwiegervater mal nach
Speier zum Bischof geritten. Wegen Mangel an verfugbaren
Betten1) muBten beide Herrn beieinander schlafen. In derNacht
griff nun der junge Verheiratete nach dem Schwiegervater in
der Meinung, es ware sein eigenes junges Weib. Der An-
gegriffene begann da aber laut zu rufen: „Ich bitte dich,
hdre auf und lafl das unterwegs, lieber Tochtermann. Ich
habe dir darum meine Tochter gegeben, damit ich vor dir
sicher sei."

*) Diese Schnurre gehdrt mit zu den verbreitetsten. Stets ist
der Mangel an Betten die causa efficiens. Wenn man das als schlechte
Erfindung anzugeben bellebte, so bedachten jene AuBerer nicht,
daB mittelalterliche Betten Prunkstucke waren.


28 jfte)

46. Warum der Sohn dem Vater naehfolgt, die Toehter aber

der Matter vorgehe.

Wenn man unsere Weiber fragt, was die Ursache sei.
daB die Sdhne den V&tern folgen, die Tdchter aber den Mllttern
vorgehen, so antworten sie weder falsch noch unschicklich:
„Die Toehter geht vor der Mutter, damit die Mutter sieher
und gewifl ist, daB das ihr Kind sei. Der Sohn folgt aber
hinter dem Vater, daB dieser dem Sonne rucklings zeige und
andeute, daB jener sein Sohn sei. Dieweil er etwa mdchte
durch das Weib betrogen werden, darum muB der Sohn folgen
und nicht vorweg gehen wie die Tdchter. Denn gewisse Dinge
stellt man gewdhnlich vor die Augen, die ungewissen aber sieht
man meistenteils rucklings und von hinten an."

Es war Branch des Altertumes, daB in dffentlichem, feier-
lichen Gang die Frauen voraustraten, die Manner nachfolgten
und wiederum, daB die Tdchter der Mutter voraus, die Sdhne
aber dem Vater nachgingen. Auf alien alten Kirchen und
Jahrtagsstiftunggemalden sieht man die Tdchter vorausgehen.
Nach Lang (Chr. J. Grimm: Deutsche Bechtsaltertttmer Bd. I,
4. Auflage, Seite 566) geschah es aus Sittsamkeit, damit die
Mutter 'die Toehter im Auge habe; die Sdhne waren aber schon
Knechte, Knappen des Vaters.

46. Ein Mlnoritenmdneh sehwftngerte eine Klosterfrau.

In ein Frauenkloster kam ein Minorit und wurde da sehr
wohl von den Ndnnchen gehalten. Aus Dankbarkeit predigte
er denselben uber den Glauben und die Lehre Christi. Fur die
schdnen Ansprachen zeigten sich die Klosterfrauen wiederum
erkenntlich und um dem Prediger einen Beweis der Ehrung
zu geben, fuhrten sie den Mdnch in ihr Schlafhaus. Wie es
nun mitten in der Nacht war, fing der Bruder mit lauter
Stimme zu schreien und zu rufen an: „Ich tue es nicht! Ich
tue es nicht! Ich tue es nicht!" Durch das Geechrei wurden
die Nonnen wach, sie liefen herzu, trdsteten den Bruder und
fragten: „Warum weinet und schreiet Ihr?" Da antwortete
er: „Eine Stimme kam von dem Himmel her, die bekundete,
ich solle eine der jungen Schwestem umhalsen, darauf werde
sie von mir einen Bischof empfangen und geb&ren. Das will
ich aber nicht tun."

Wie das die Schwestem vernahmen, fuhrten sie ihm eine


SSI 29

jungere Nonne zu. Als diese den Bruder aber sab, fing sie
an, sich zu widern und ging zuruck. „Scbau Liebe," sagten
da die anderen Nonnen, „wenn man von uns das begebren
sollte, so wurden wir willig sein!" Nach solchen Ermahnungen
ergab sich die anfangs zaudernde der gottlichen Stimme und
empfing von dem Mdnche. Als die Zeit gekommen war, schenkte
sie einer Tochter das Leben.

Als man nun den Bruder schalt und ihn die Sache ent-
gelten lieB, sagte er: „Sie hat nit wollen willig sein, hat dem
gOttliohen Willen widerstrebt, darum hat sie zur Pein und
Strafe eine Tochter geboren!"

47. Der allergrOfite Sander.

Ein Pfaffe, welcher einen Argernis erregenden Lebens-
wandel fuhrte und spater auch zu ewigem Gef&ngnis ver-
urteilt wurde, kam zu einem kranken Manne. Diesem salbte
er mit dem Krankenol die Glieder, mit welchen der Kranke
gesundigt hatte. SchlieBlich fing der Pfaffe an auch des Mannes
Scham zu sal ben. Da begann der Leidende zu sprechen: „Wenn
man all die Glieder salben soil, welche gesundigt haben, dann
lieber Herr salbet hier nur ja viel 01 hinein. Unter meinen
samtlichen Gliedern ist dieses der allergroBte Sunder."

48. Monehspredlgt.

Ich horte einen Mdnch vom Or den der Observanten einmal
wider die Kleiderpracht eifern und wet tern. Die heftige Aus-
sprache gegen den KleideruberfluB lautete: „Die Buhler in
unserer Stadt strecken ihre Latze soweit aus den Hosen hervor
und verwickeln und verstopfen's mit so viel Tuchlein, daB
die Metzen w&hnen, es seien Zumpen. Nein, es sind keine
Zum pen, sondern nur Lumpen."

49. Bin Pfaffe will seinen langsten Teil wider die Weiber

brauehen.

In der Einleitung zu der Predigt sagte ein Priester, er
habe drei Partikel — er meinte eine in drei Teile geteilte
Predigt — und mit dem langsten, groBten und meisten wolle
er die Weiber einmal antasten und ihnen wie man sagt den
Text wohl lesen. Als solche Worte ein Bauer vernahm, sprach


dieser zu seinem Weibe: „Gehe mit mir hinaus, meine liebe
Greta; den Teufel soli er mit seinen Partikeln anrubren, aber
dich darf er mit Gottes Willen nicht anstofien."

50. Von einem Sterbenden.

Es war einer dem Tode nahe, der fragte seinen die Nacht-
wache haltenden Freund: „Meinst du auch. dafi ich sterben
werde?" — Da antwortete dieser: ,,Bekenne dich. erforsche
dein Gewiasen, damit du Gott Bechenschaft abgeben kannst,
denn lange lebst du nicht mehr." Daraufhin sagte der Kranke:
„Bring mir main Niederkleid." — „Wozu denn das?" — „Ach
weiflt du. wenn ich sterbe, mitehte ich meinen Hintern be-
deck en, damit die Wtirmer mir nicht hineinschlupfen."

51. Ahnliehkeit zwischen Weib and Hand.

Un8ere vergleichen Weib und Hund also, daft sie sagen;
wie die Hund seichen, wann es ihnen gefallt, also weinen die
Weiber. wenn sie wollen. Wie dann Juvenalis in der Satire
6 und Ovid, der Poet, sagen:

Weibs Augen sind dahin gestellt,
DaB sie weinen wann's ihnen gefallt.
Drum dich das nit bewegen soli,
Denn es Trug ist und Listes voll.

62. Ein iustlger Koch.

Wendelin Steinbach, ein trefflicher Theologe und „die
Zeit oberster Befehlstrager der Schule zu Tubingen", hatte
einen Koch namens Wilhelm, ein zu alien Schwanken auf-
gelegter Mensch, der selten n tiebtern war.

Neulich sagte er zu einem Jungen: „Weifit du die Ur-
sach, warum dein Hintere einen solch schandlichen Geschmack
hat?" Der gute und zuchtige Junge schwieg fein still, doch
da nahm der Koch abermals das Wort: „Ich will es dir sagen;
Die Hebamme hat diesen Ort nicht genugend abgewaschen."
Basch und unbedacht versetzte jetzt aber der Bursche: „Hore
auf, also zu wahnen, denn die Luft desselben Landes ist so
vergiftet und so stinkend, gleichfalls auch der Wind, welcher
an diesem Orte durchgeht, und keineswegs der Ort an und
fur sich."


<SH 31 jKd

63. Priester and Tealel sanken sieh.

Ein ungelehrter, grober Pfaffe wollte von einem besessenen
Menschen den Tenfel anstreiben und sagte: ,,Dn boser Geist,
komm heraus." Da antwortete der Teufel: ,,Nolo, ich will
nicht." „Quare nollis, warom willst du nicht?" fragte der
Priester. „Quia rumplas in Grammatica, denn du fehlest in
der Grammatik," kritisierte der Teufel; der Priester hingegen
sprach:

„Bonam est latinum

Dum te fugabo ad latrinam."

„Ein gut Latein muBt du Ion gehn daraus,

Wann ich dich hinjag bias ins Scheisshaus."

Da antwortete der Teufel: ..Welch' grober und ungelehrter
Teufel wird das sein milssen, dem du eine Seele nehmen so list.
Jeglicher so dir seine Seele befehlen wird. muB mindestens
einmal in der Woche ein Augenmerk auf sie haben."

Daher kommt das alte Sprichwort, mit welchem man die
ungeschlachten Pfaffen verspottet: „Es muBte ein heilloser
Teufel sein, dem du eine Seele entfuhrst."

64. Gestdrtes PasslonsspleL

In einem St&dtchen spielte man die Leidengeschichte
Christi. Ein kraftiger Bursche wurde bloB und nackend als
Christusdar8teller an das Kreuz gehangt. Wie der nun eine
Weile am Kreuz hing und hinabsah, erblickte er unten ein
hubsches Mad el, das er innig lieb hatte. And&chtig, hold-
selig spielte die Dime Maria Magdalena und reizte mit ihrer
formvollendeten Gestalt den Christusdarsteller in solcher Weise,
daB diesem der „Knecht" aufstand und alle herumstehenden
Menschen den Vorfall mit ansahen. Die Sache wurde immer
arger und arger, so daB man das Madel hinwegfiihren muBte.
Auf diese Weise wurde der Argwohn, den viele der Anwesenden
hatten, nachdrtlcklich bestarkt und bestatigt.

Vergl. Anthr. I, No. 86. Der Banater im Tingl-Tangl.
Seite 96.

66. Eines guten Gesellen gater Schwank.

Ein schwabisches Sprichwort besagt: Ist an Sankt Jo-
hannestag das Wetter schon und beiter, so geraten die Hasel-


32 Jfci)

nusse wohl. Als das im letzten Jahre auch der Fall war und
ein Mann schrie, die Haselnusse warden in Hulle und Fiille
wachsen, da antwortete einer und sagte: „Daram werden die
Fotzen teuer werden." — „Warum meinst du das?" — „Weil
viele Madchen schwanger werden, Denn viele junge Gesellen
gehen mit vielen jungen Magdlein in den Wald oder kommen
darin zusammen. Daselhst pflegen dieselben der Liebe und
des Fotzenspieles."

Ahnlich: Poggio Bracciolini, Bomaniache Meistererzahler,
IV. Band, No. 146 „Im Mai haben die Frauen die grofite Arbeit".
Vergleiche dazu auch die Nachweise.

D. Mahrold 1608, No. 85. — Hulsbusch, 1568 p. 133. —
Agricola, Sprichwdrter, 1529, No. 159. — Pauli, Schimpf und
Ernst 1545, Bl. 36 a. — Kirchhof, Wendunmut 1, 69. — Me-
lander, Jocoseria 1631, p. 307 u. 117. — Comptes du monde
adventureux, 1555, No. 3. — Fischart, Geschichtsklitterung. —
Schertz mit der Warheyt 1550, Bl. 40 a.


Drittes Buch.

56. Wie eine Klosterfrau beiehtete.

Als eine Klosterfrau einem Priester beiehtete, sagte sie
auch, sie habe sich bisweilen mit einer fremden Guggel be-
deckt. „Das schadet nichts," meinte der Priester, „was ist
aber darunter verborgen gewesen?" — „Ein Mdnch," sagte
die Klosterfrau. „Hlite dich fortan vor diesen Kleidern,"
sagte der Priester, „auf dafi du nicht verletzt werdest; denn
allerlei Unflat liegt unter diesem kleinen M&ntelein". Da meinte
die Nonne; „£in Mohr macht einen anderen nicht schwarz."
Da ward der Priester zornig und fuhr auf: „Ei so bleib eine
Hure wie vordem." — „Werfet aber nur den ersten Stein
nicht auf mich," liefl sich die Nonne rasch noch hdren.

57. Drei Klosterfrauen beiehten.

Drei Klosterfrauen beichteten einem Priester. „Ich hab
ein fremdes Messer in meine Scheide gesteckt," gestand eine.
Der Priester verstand das nicht, erwog auch den Sinn nicht
weiter, da ja Weiber in ihrem Aberglauben haufig die gering-
fugigsten Dinge fur Todsunden ansehen. Die zweite Nonne
sagte, sie habe zwei Messer in ihre Scheide gesteckt. Auch
dieses Gest&ndnis beachtete der Beichtvater nicht. Die dritte
Klosterfrau meinte, sie habe drei Messer eingesteckt. „Was
schadet das," fragte etwas erstaunt der Priester. Jetzt mufite
die Nonne deutlicher werden und erklaren, sie habe sich von
einem Manne herumrollen und putzen lassen. Jetzt ging dem
Beichtvater das Verst&ndnis auf. Rasch lief er den beiden
Sunderinnen nach und rief: „Hort! Dir schelmischen Huren,
Ihr seid nicht absolviert, da Ihr nicht aufrichtig beichtet.
Penis et cultellus non sunt idem."

Karl Am rain. Deutsche Schwankerzahler. II. 3


(55* 34 JKd

68. Bine ftbel von Brassleanl.1)

Ein Schuster hatte sein Weib im Verdacht as mdchte
wohl eine Buhlerin sein. Nun machte er sich eines Tages mal
auf, gleich als ob er auf den Jahrmarkt wo lie. So band er
aller lei Schuhe zusammen und zog hinweg. Als er vor das
Dorf gekommen war und ein Kirchlein erreicht hatte, warf er
das Bundel Schuhe von den Achseln, lOste das umhullende Tuch,
bracbte die Schuhe in dem Kirchlein in Sicherheit und fullte
endlich das Tuch mit Steinen. So ging der Schuster wiederum
heimw&rts, doch der art, daB kein Mensch sah, wie er in das
Haua hineintrat. — Des Schusters Weib rief den SchultheiB,
um mit diesem in Abwesenheit ihrea Mannas zu scberzen. Der
SchultheiB kam aber nicht sogleich, so daB die Frau wutend
wurde. Kaum langte der Ersehnte endlich an und hatte den
FuB auf die erste Staff el gesetzt, da lief ihm die Buhlerin
entgegen und fuhr ihn an: „Warum bleibst du solange aus?"
— „Ich habe zuerst noch mussen einen Acker mit Gerste
ans&en." — „ A lies Ungluck wunsche ich deiner Gerste,"
schimpfte das Weib, und um anzudeuten wie wenig Gedeihen
der Gerste zu wunschen sei, hob die Frau ihre Kleider bis
zum Nabel in die Hdhe und sagte: „Wolle Gott, daB in Euerem
Acker nit weniger Gerstenkdrner wachsen, denn da sind der
H&rlein an meiner Klumpsen, wie Ihr es hier sehet." Jetzt
zog der SchultheiB seinen Gesellen aus dem Latz hervor, und
der war bloB und von einer ziemlichen Lange: „Nicht kleinere
Ahren sollen darinnen aufwachsen, denn da ist dieser mein
Stengel, den du auch siehest," meinte der SchultheiB. Wie
all das der geprellte Schuster horte, welcher unter den Latten
verborgen lag, nahm er etliche seiner Steine, warf dieeelben
hinab und schrie: „Nicht mit weniger Blitz, Donner und Hagel,
als diese meine Steine sind, wolle Gott den Acker auch ver-
wusten und verderben."

') Johann Brassikan war ein Freund von Bebel. Melanchthon
sch&tzte diesen Freund Bebels besonders hoch. Als Lehrer am akade-
mischen Pftdagogium zu Tubingen gab Brassikan 1519 eine Grammatik
heraus, deren erste Auflage in StraBburg und deren zweite Ausgabe fin
Hagenau 1518 erscbien. In dieser zweiten Auflage verOffentlichte
Brassikan in der Vorrede unter der Oberachrift „Joannis Brassica&i
ad externarum nationum ernditissimos epistola" eine Lobrede auf das
Padagoghun in Tubingen.


631 35 KD

50. Fabel von einem Mefimer.

Ein MeBner namens Allewelt hatte eine seitlang in einem
Frauenkloster gedient. Mit einem Male kam ihn die Geilheit
dee Fleisohes an. Bo nahm er denn ein Bohr, redete bei einem
Ofen durch dasselbe mit Sehr eck en erregender Stimme wie ein
Geiit: „0 ihr Tochter, hdret das Wort Gottes t" — Voller
Schrecken vemahmen die Schwestern diese Geitterstimmt und
getrauten sich nicht zu antwort en. In der dritten Nacht, in
welcher sich die Stimme wieder vernehmen lieB, fielen die
Schwestern ehrfurchtsvoll auf die Knie, denn sie mein ten, es
sei ein Engel Gottes, der da spreche. Sie faBten ein Hers
und fragten: 0 du Engel Gottes, kunde uns den Willen des
Herrn." — „Das ist der Wille des Herrn, daB Allewelt bei
euch ichlafe," rief der MeBner durch das Bohr. Wie die
Schwestern das hdrten, wurden sie stutxig, denn niemand wufite,
was das bedeuten solle. Sich alien Menschen su unterwerftn,
das konnte ein Engel unmttglich verlangen. Sie beratechlagten
lange bin und her und legten endlich das Gebot und den Willen
des Engels dahin aus, daB der MeBner, der Allewelt hiefi, sich
ihres Beischlafes und Willens bedienen solle. Vielleioht sollte
aus der Klostermitte ein Bischof oder gar der Papst geboren
werden.

Allewelt, der MeBner, wurde also gerufen und dann in
eine Kammer eingeschlossen. Zuerst ging die Oberin in die
Kammer, um der Stimme des Engels zu gehorsamen. Beim
Heraustreten sang die Oberin: Laetata sum in hit, quae dicta
sunt nihi, d. h. ich hab mich erfreuet in den Dingen, welche
mir gesagt word en. Darauf ging die zweite Vorsteherin hinein,
um dem Willen des Engels Genuge zu leisten. Wie diese
herauskam und zugleich wie die erste Schwester Sundenver-
gebung erlangt hatte, sagte sie: Te deum laudamus, mit lieb-
licher Stimme. Die dritte sang beim Herauskommen: Laeta-
bitur iustus in Domino, d. h. der Gerechte wird sich freuen
im Herrn. Die vierte sang: Gaudeamus omnes, das ist, wir
sollen una alle erfreuen. Dem MeBner wurde die Sache aber
zu toll und als er beinahe seine Kraft erschOpft, lief er zur
Ture hinaus und heulte grausam: Mihi autem nimis, d. h. mir
aber ist's zuviel. Die anderen Nonnen schrien und riefen
dem MeBner nach und klagten: „Wer wird uns des Ablasses
teilhaftig machen ?"

t

3*


^ 36

00. Wunderliche Taulerei.

Ein Pf af f e sollte ein Kindlein tauf en. Im Zeremonienbuch
fand er geschrieben; Salta per tria (d. b. blattere drei Seiten
weiter). Der Pfaffe verstand den Satz nicht recht und tat
dreimal yorne bei dem Taufstein springen.

„Herr," sagten die Bauern, „was tuet Ihr da ? "Wir haben
also nie taufen gesehen." Der Pfaffe versetzte „Es ist gut".
Die Anderen verstanden die Worte nicht. Nun las der Taufende
weiter: Immerge intus, das verstand er dahin, er musse in
den Taufstein scheifien — denn immergere und merdare stimmen
mit den Silben und nach gemeinem Hall schier ein wenig zu-
sammen. Immergere besagt aber eintauchen, wahr end scheifien
merdare heifit. Der Pfaffe wollte aber nicht vor den Bauern
in den Taufstein cacare und so hiefi er die Leute einen Augen*
blick die Kirche verlassen. Dann zog er rasch die Hosen
hinab und schifi in den Taufstein. Das sah aber trotzdem ein
Bauer durch eine Klumpfen der Kirchture und rief dem Pfaffen
zu: ,»Der Teufel lafi seine Kinder in diesem Taufstein taufen,
ich will's nicht tuen." Mit diesen Worten zog er ab und
trug das Kind ungetauft heim.

61. Rechte Toren.

Ein treuer Liebhaber seiner Buhlerin.

Ein frommer Spieler.

Ein barmherziger Landskneeht,

62. Vom Magdlein, dessen Jungfrausehaft verloren war.

Es beichtete einst ein Magdlein und bekannte, wie es
auch die Jungfernschaft verloren habe. Daruber wurde der
Beiehtvater gewaltig bdse, schimpfte und wetterte und verglich
damit andererseits die herrliche KrOnung der Jungfrausehaft
im Himmel. Er machte ein langes und breites daher, erzahlte
viel von der edlen Burg der Jungfrausehaft und warum es sich
dieses edle treffliche Schlofi so leicht habe aufschliefien lassen.
Das beichtende Madchen wurde ganz ungeduldig und meinte:
„Glaubet nicht, ehrwurdiger Beiehtvater, daB es ein gar so
festes Schlofi gewesen ist! Ein jeder Bauernknecht im Dorf
konnte es ja aufschliefien und es haben's auch ihrer nicht
wenig aufgeschlossen."


6* 37 *e)

68. Warum die Fldhe die Weiber mehr peinlgen als die

Manner.

Ein Schuster in der Eeichenau, ein wunderlicher Dichter
vieler guten Schw&nke, sprach mal zu etlichen Edelfrauen:
„Saget mir doch bitte die Ursache, warum eigentlioh die Fldhe
die Weiber mehr und besser anf alien, beiflen und peinigen als
die Manner?" Daruber konnten die edlen Frauen keine Aus*
kunft geben, aber sie hielten inst&ndig an, er mtige es doch
bitte sagen und drangen solange auf den Schuster ein, bis er
seine Bereitwilligkeit erkl&rte. „Gut denn, hdret die Ursache!
Sobald die Fldhe der Speise satt sind, haben sie bei den Weibern
nachts dabei den FluB und finden Wasser genug darin, um
den Durst loschen zu kdnnen." Daraufhin meinte eine der
Edelfrauen: „Hdret, ich habe es nie empfunden, daB die
Fldhe dahin geben, um sich zu w&ssem." — „Ja," antwortete
der Schuhmacher, „solches geschieht darum, daB sie nicht
haufenweise dahinziehen."

64. ,Von einem der gehangt werden sollte.

Als ein Misset&ter am Galgen baumeln sollte, kamen etliche
geistliche Schwestern, um den armen Sunder zu trdsten. „Ja,
wer seid ihr denn eigentlich?" fragte der Misset&ter. „Wir
sind Tdchter Gottes," antworteten die Gefragten. „Na, so
kommet n&her her zu mir, wir wollen eine Heirat feiern," meinte
aber mit viel unztlchtigeren Worten der Delinquent, „weil wir
soloh einen reichen Schwiegervater haben."

66. Einer hatte eine Klosterfrau besehlafen.

Einer beiehtete, er habe eine Klosterfrau fleischlich erkannt.
Der Priester wollte diesen Sunder von der sch&ndlichen Liebe
mit eindringlichen Ermahnungen abbringen und sagte unter
anderen Dingen: „Die Klosterfrauen sind tot fur die Welt,
sie sind der Welt abgestorben und sollen allein Gott ergeben
sein und ihm dienen." „Herr," sprach da der Beichtende, „es
ist dem nicht also, denn sie hat sich unter mir derart getibt,
bewegt und gehoben, daB sie einer lebendigen Person vdllig und
ganzlich gleichkam. AuBerdem dienen sie nicht allein Gott
sondern zuweilen und besonders an den hochzeitlichen Tagen
auch den Menschen und unterwerfen sich deren Dienstbarkeit."


38 K»

66. Die Arglist der Weiber.

Eine Frau liebte einen Jungling, konnte indeasen ohne
Aufwhen zu erregen, mit ihm nicht zuaammenkommen und
dwfte aus dem gleichen Grunde den jungen Mann auch nicht
anaprechen. A 1b findiger Weiberkopf wu&te aber die Lieb-
ergluhte einen Ausweg listigster Art. Die Frau beichtete
einem Mdnche, der dea Junglings nachster Naohbar war, indem
tie sagte: „Lieber Herr und Vater, Ihr habet an diasem jungen
Gesellen (hier nannte sie den Namen) einen merkwurdigen
Naehbar. Er gehet vox meinem Hauae auf und ab, schaut
mir stets auffallig nach und wird mich mit derartigen Ab-
sonderliohkeiten noch in ein boses Geschrei bringen. Unter-
aaget doch, lieber Beiehtvater, diesem jungen Manne, mir so
naehzusteUen." Der ahnunglose Mdnch verhiefi der Listigen,
welche den Jungling nur zur Liebe entflammen wollte, bei dem
jungen Manne vorstellig zu werden. Der Jungling war sich
keiner Schuld bewufit und merkte den Betrug und die Weibar-
list, ohne indessen den Willen der Frau zu erfiillen. Als das
Weib sah, daB es nicht an das Ziel seiner geschlechtlichen
Wunsche komme, liefl es einen mit Gold besetzten prachtigen
Frauengurtel herstellen und ging damit nebst andexen achdnen
Zierstiicken ftir Weiber ganz aufgeregt zu dem Mdnche und
beklagte sich, der Jungling habe solche Kostbarkeiten ge-
schickt, die man nicht "annehmen kdnne. Die Listige bat den
Mdnch, er solle die Sachen dem Jungling selber zuruckbringen.
Das tat denn auch der Mdnch und brachte mit grofiem Un-
willen und Grimm dem verb luff ten jungen Mann die wertvollen
Gegenstande. Auch jetzt mufite die Liebegirrende umsonst
warten. Nicht lange hernach als des Weibes Gatte fiber Land
gereist war, kam die Frau abermals zu dem Mdnche und klagte,
der Jungling sei zwei Nachte vorher an einem Baum empor-
geklettert und in das Schlafgemach eingestiegen. Der Mdnoh
war uberaus erzlirnt und schalt den Jungling kraftig aus,
doch der Jungling wuflte nun, daB er bei der Frau gut an-
kommen werde, darum schlich er sich zu ihr und verbrachte
frohe Stunden. So ward in Summa der Mdnch Ursache dieser
zusammengefugten Liebe.

Aus Boccacio. Vergl. Dr. M. Landau, Die Quellen d.
Decamerone. 2. Aufl.: Der Beiehtvater als Postilion d'amour,
Seite 127.

Vergleiche: Barbazan I. 229. Legrand III. 232, Du che-


6* 39 *i>

valier qui list aa fame confeese. — Vergl.: G. Papanti im
Caialogo dei novellatori in prosa (Livoxno 1871, No. 28).

67/ Vom kinderrelehen Pfaffen.

Etliche Pfaffen waren beim Pfarrberrn in Blaubeuren
zu Gast geladen. Der Tisch war mit Bechern und Trink-
geschirren aller Art besetst, und die Pfafflein begannen gegen-
seitig ibre grofie Armut aufzurupfen. „Warum bast nioht
auch du solcbe und soviele Trinkgeschirre," wurde einer der
armsten Pfaffen gefragt. Dieser antwortete im Zorn: „Wena
ich so viele Becker als Kinder hatte, wurde ich ihrer wohl aeht
haben." So gab er der Wahrheit selber Baum.

6$. Sonderllehe Predigt

Ein Priester predigte und erwahnte, Adam habe an fangs
den Apfel nicht essen wollen. Doch Eva sei unwillig geworden
und habe gedroht: „IB von dem Apfel oder ich laufe dir weg
und gehe in das sch&ndlichste Hurenhaus."

69. Bauer and Ant.

Ein schlichter einfaltiger Bauer kam mit dem Harn zu
einem Arzte. „Von wannen kommt er?" erkundigte sich der
gewissenhafte Arzt; doch der ungeschlachte Bauer meinte ver-
schmitzt: „Herr Doktor, Ihr werdet es am Harn wohl find en."

70. Vom kranken Bauer.

Es wurde ein Bauer von demselben Leiden auf das Kranken-
lager geworfen, an welchem sein Weib und alle seine Kinder
gestorben waren. Die Nachbarn und Preunde redeten ihm zu,
er moge die Sterbesakramente empfangen und seine Sache wohl
bestellen. Das schlug der Kranke ab und sagte: „Mein Weib
und meine Kinder haben sich daran den Tod gegessen, das will
ich nicht nachmachen."

71. Bine einf&ltige Pfafienantwort.

In Konstanz war einer, der in den geistlichen Stand ein-
treten wollte. Die Ezaminatoren fragten ihn, ob er denn


SSI 40 JKd

auch ehelich geboren sei. Der angehende Pfaffe glaubte, man
erkundige sich nach seinem Vaterlande und antwortete: „Ich
bin nicht von Legitimo thoro (also nicht ehelich) sondern von

72. Von einer Hure.

Ich hdrte gelegentlich, wie sich zwei Weiber herumstritten
und dabei schimpfte eine die andere: „Du bist ja eine Hure!u
„Es ist wahr/' entgegnete die also Beschimpfte, „aber du war est
gerae meines Standee und Wesens. So bist du aber derart
ungeetaltet, daB dich kein Mann darum bitten will."

Vergleiche dazu Jakob Frey: Gartengesellschaft; von zwei
bdsen zanksuchtigen Weibern. — Kircbhof, Wendunmut 1,
375 (1563). 7, 162. — Lindener, Katzipori. — Adelphus, Mar-
garita facetiarum 1508. — Frischlin, Facetiae 1600, p. 7. —
Melander, Jocoseria 2, Nr. 131.

78. Kurze Predigt

Ein Pfaffe sollte seinen Bauern predigen. Wie er nun auf
den Predigtstuhl hinaufkam, begann er: „Es grufiet euch
Lukas, der Arzt, wie es denn die heilige Schrift innehalt."
Darnach stockte er und wuBte nicht weiter. Nun erhob sich
der vornehmstc Bauer der Gemeinde und sprach: „Wir sagen
dem Arzt Dank, und wenn Ihr etwa wieder zu ihm kommet,
so entbietet ihm in unser aller Namen freundlichen GruB."

74. Welche Dinge sind niehts nutxend.

Eine polnische Brucke, ein bdhmischer Mdnch, eine schwa-
bische Nonne, ein dsterreichischer Kriegsmann, Andacht der
Welschen, Fasten der Deutschen. All diese Stuck der Erde
sind keine Bohne wert.

75. Was gilt bei den Deutschen als Freude.

Willst du einen ganzen Tag frdhlich sein, so gehe in das
Bad. Nach dem Bad zechen die Leute und werden frdhlich.

Willst du eine ganze Woche frdhlich sein? LaB dir die
Ader.


Willst du einen ganzen Monat frShlich sein? Schlachte
ein Schwein, so hast du Wurst und Braten auf lange Zeit.

Willst du ein gauzes Jahr frfihlich sein? Ninun ein Weib.
— Manche sagen zwar, die Beue komme vor Ablauf eines Jahres.

Vergleiche hierzu Anthropophyteia, Band HI, Seite 132.
Spruoh der Israeliten.

76. Cnnatzes Hausgesind.

Eine Henne, die keine Eier legt. Ein Schwein, das nicht
ferkelt. Eine Kuh, die keine Milch gibt. Eine Tochter, die
nachts aus dem Haus l&uft. Ein Sohn, der ein Spieler ist. Ein
Weib, das heimlich vertut, was der Mann gewinnt. Eine
schwangere Magd.

77. Ungewfthnliehe Dinge.

Ein Magdlein ohne Lieb,

Jahrmarkt ohne Dieb.

Ein alter Jud ohne Reich turn.

Ein alter Stadel ohne Mans.

Ein alter Pelz ohne Laus.

Ein alter Bock nicht im Bart greifl.

Eine alte Nonne ohne Geistlichkeit.

78. Drei Dinge sind wlderwartig.

Die Katze mit der Maus,

Zwei Hahne in einem Haus,

Zweier Manner Schwestern

Die bleiben selten ohne Zank und Hader.

79. Drei Dinge mlBfallen Gott

Hoffartige Arme. Reiche Liigner. Alte Buhler.

80. Vier Dinge bleiben nicht verborgen.

Die Liebe. Der Husten. Das Feuer. Der Schmerz.

Vier Dinge begehren die Weiber.

Geliebt zu werden von schonen Gesellen. Viele Kinder
zu geb&ren. Sich kdstlich kleiden. Herrschen im Hause.


SSI 42 jK$

81. Von einem sehamlosen Magdlein.

In meinem Vaterlande lebte ein nicht gut beleumdetes
Magdlein. Einmal hatte deasen Vater zu Ehingen auf dem
Markte ein Schwein gekauft, welches das Madchen heimtreiben
muBte. Der Buokweg fuhrte durch einen Wald in welchem
es einen jungen Gesellen antraf. Der junge Geselle mochte
Gefallen an der dralien Dime gefunden haben, denn er sprach
sie an, sie moge doch eine kleine Weile niedersitzen und mit
ihm rasten. — Das ubrige versteht man ja wohl. — Das Madel
zeigte sich anfangs sprdde in der Hoffnung, der Jungling werde
rasch ungestiimer werden. Umsonst, man kam schon gegen
den Endteil des Waldes, ohne daB der Jungling ein Wort
verloren h&tte, und das Madel merkte, wie der junge Geselle
ganz und gar von seinem Begehren abkam. Beherzt meinte es
darum schlieBlich: „Lieber Buhle, daB ich noch deiner vorigen
Bede gedenke, wenn ich dir zu Willen sein mSchte, wo sollte
ich denn inzwischen mein Schwein anbinden?" Dieser Spruch
ist Viele Jahre in meiner Heimat als Sprichwort ublich gewesen.

Vergl. Anth. I. Nr. 153, S. 187.

82. Abermals von einem Madel.

Es beichtete ein junges Magdlein, mit Mannern auf dem
Heu gewesen zu sein. „Was hast du denn daselbst getan?"
fragte der wiBbegierige Beiehtvater, worauf das Madel gleich-
sam verspottend erwiderte: „Pfuh! Wisset Ihr nicht, Herr,
was die jungen Gesellen mit den Madels auf dem Heu aus-
richten ?"

Vergleiche: Anthropophyteia, Bd. II, No. 380, S. 272/73.

88. Wie mufi das schttne Weib sein.

Das Weib ist mit alien Gaben der Natur und der Gestalt
gezieret, welches ein Kopfchen hat aus Prag, die Brust aus
Osterreich, den Bauch aus Frank reich, den Blicken aus Brabant,
weiBe Beine und Hande von Kbln, die FuBe vom Bhein, das
Biischlein aus dem Baierland, Arschbacken aus dem Schwaben-
land. Hat ein Weib all diese Eigenschaften, so wird es
als vollkommen schon zu erachten sein. — Auch jenes Weib
wird indessen ganzlich vollkommen sein, welches drei harte,
drei weiche, drei kurze, drei lange, drei schwarze, drei weifle,
drei rote hat.


^ 43

Die harten sind die zwei Braste und der Arsch.
Die weiehen sind die zwei H&nde und der Bauch.
Die kurzen sind die Nase und die zwei FilBe.
Die langen sind die Finger und die zwei Seiten.
Die schwarzen sind die Augen und das FOtzlein.
Die roten sind die Wangen und der Mund.
Die weifien sind die Beine und der Nacken.

Vergl. Krauss, Streifziige im Reiche der Frauenschonheit
8. 30. Der Wunschzettel eines Schdnheitsverehrers enthalt
folgendeg Begehren:

„£ine schdne Jungfrau, davon ich sag',

Die soil haben ein Haupt von Prag,&)

Zwei Auglein klar aus Frankreich, *)

Ein Mundlein rot aus Osterreich,8)

Von KOln zwei schneeweifie H&nden,*)

Von Brabant zwei achmale Lenden,5)

Zwei Brustlein rund aus Niederland,e)

Zwei Fufllein schmal aus Engelland,7)

Aus Hispanien ein schon weiB B&uchelein,8)

Aus Flandern zwei dralle Armelein,9)

Ein rund Arschelein aus Sehwaben,10)

Welch' Jungfrau dies hat, ist wert aller Gaben.

Vergleiche liber die „Streifzilge im Beiche der Frauenschdn-
heit", Dr. Max Bartels in der Zeitschrift fur Ethnologie,
S. 674, Berlin 1903.

Siehe aueh Anthropophyteia Bd. I, No. 110. Bei den
daselbst aufgezahlten Eigenheiten eines schonen Madchen spielt
die Zahl drei eine grofie Rolle. Vergleiche dazu: Brantdme,
Das Leben der galanten Damen von Willy Alexander Kastner,
Leipzig 1904, II. Auflage Seite 177.

') Also wie bei Bebel:

2) Jedenfalls ist die Lebhaftigkeit gemeint.

3) Rot, weil schwellend, lustverlangend.

*) Die H&nde Kdlnischer Jungfranen werden viel gelobt.
Bei Bebel wird eine feine Ruckenzeichnung begehrt.
Osterreichische Niederlande.

Englischen Fufien sagt die Anthropologic grofle Breite zu.
Diese Forderung wird bei dem gelblichen Teint der Spanier sonst
meist auf nordische Madchen bezogen.

9) Flandrische Arme waren das Ideal mancher lebensfroher Maler.
,0) Wie bei Bebel.


6* 44 JK3>

84. Wie man leben soil.

So du gesund leben willst, lafi dir einmal im Jahre die
Ader, monatlich bade einmal, einmal wdchentlich ube den Bei-
schlaf aus,1) ifi und trink am Tag zweimal, bei Nacht schlafe
ruhig und lang.

85. Von den Bettlern.

Im Gesprach biefl es 'mal, die Bettler hatten die meisten
Kinder. Da ftufierte einer der Anwesenden: Die Bettler legen
sich ohne Sorgen und mit guter Sicherheit zusammen. Sie
wissen ja, dafl sie nicht selber die kommenden Kinder aufzu-
ziehen brauchen, sondern wir milssen das tuen. Sie machen
die Kinder und wir milssen sie mit unseren Almosen auf ziehen."

86. Von der einfaltigen Brant.

£in Bauer hatte einem Landwirt seine Toehter zur Frau
gegeben. Als nun der junge Ehemann in der Brautnacht seinem
Weibchen das Band der Liebe aufringeln wollte, jenes Band
um deasentwegen die Menschen ja meist einander heiraten, da
eilte der Mann aus dem Ehebett. „Wohin willst du denn?"
fragte ganz erstaunt die erwartungsvolle junge Gattin. „Wei6t
du, ich will ein Speidel bringen, mit welchem ich dir, Liebste,
das heilige und unversehrte Kndpflein deiner Scham umso
leichter erdffnen und auseinander klieben kann." Wie die
junge Ehefrau diese Worte hdrte, fiel sie ihrem Manne um den
Hals, bekannte ihm eine grobe Verfehlung, indem sie sprach:
„Bleibe nur bier! Du bedarfst weder eines Kolben noch eines
Speidel, denn meines Vaters Knecht hat vor drei Jahren auch
dazu keines Speidels bedurft." Solches schreibt Brassicanus.

87. Vom Bettler und Baekersbuben Wolfgang tisterreieher.

Wolfgang Oesterreicher tibernachtcte einmal in einem
Bauernhaus. Er schlief auf einer harten Bank und war davon
am anderen Morgen naturlich ganz steif und fest. Beim Auf-
stehen fand er am Haupte eine Flaumfeder von einer Gans.

') Luthers Vorschrift lautete:

In der Woche zwier
Schadet weder Dir noch mir
Und macht im Jahre hundertvier,


45 JKd

„Ach, wie hart und libel bin ich diese Nacht auf dieser Bank
gelegen," jammer te er und fugte hinzu: „Wie mag es aber
erst jenen ergehen, welche etwa auf tausend oder mehr Federn
Uegen und ruhen."

Dieser Wolfgang wurde 'mal yon einem Edelmanne heftig
ausgescholten, weil der Edelmann zwei Hosen geschenkt hatte,
welche Wolfgang sofort wieder yerkaufte. „Wie hatte ich
die Hosen behalten sollen, dieweil du sie nicht hast behalten
kdnnen, obwohl die Hosen dein eigen waren ?" Dieser Wolfgang
Oesterreicher pflegte auch zu sagen, er sei ein Hofmann, da
man ihn lieber auf dem Hofe als im Hause sahe. Weiter sagte
er, er ware viel reicher denn sein Vater. Dieser habe von
den Gutern jahrlich funfzig Gulden Zins gegeben. Er brauche
es nicht mehr. Das war auch verstandlich, denn Oesterreicher
hatte alles vertan, verprafit und verschlemmt. Einmal wurde
Wolfgang von einer Bauerin gebeten, er solle ihr eine kranke
Kuh wieder gesund machen. Oesterreicher gab auf solches
Begehren der Bauersfrau ein Briefchen, in welchem angeblich
etliche Charakter standen. Dieses Brieflein mufite man der
Kuh an den Hals hangen. Wolfgang nahm ftir das Mittel
sieben Pfennige und zog davon. Die Kuh wollte aber augen-
scheinlich nicht gesunden und die Bauersfrau schopfte Verdacht,
wohl betrogen worden zu sein. So machte sich denn eines Tages
das Bauernweib auf den Weg und ging zu einem Pfaffen, damit
dieser das Brieflein entziffere. Der um Aufschlufi gebetene
Priester las der Bauerin den Text vor: „Iflt du, so genesest
du, — Frifit du nicht, so genesest du nicht, — Sieben Pfennig,
das ist mein Gewinn, — Bias mir in den Arsch, ich fahre dahin!"

Solche Schnurren gibt es die schwere Menge. Vergl. z. B.
Der Pesttalisman No. 233 der Schwanke Poggio Bracciolini,
Bomanische Meistererzahler, Band IV Seite 158 oder auch
z. B. No. 210, S. 147.

88. Unzuchtiger Bauer.

Eine edle Frau, welche jedenfalls sehr geschlechterregt
war, hatte einen starken, sonst aber unbescheidenen Bauern
zu sich geladen, auf daB der starke Kerl ihr bei nachtlicher
Weile eins auf der Geige machen sollte. Der Bauer war aber
schlafdurstiger als begierig, den Leib der Edelfrau zu besitzen.
So verschlief der Bauernkerl die gauze Nacht und als er
gegen die Morgendammerung endlich aufwachte, ermahnte ihn


46 JK©

die Frau, welche von dem ausgeruhten Karl einen ganz - be-
sondern GenuB erhoffen mochte, er solle ihr einmal einen Dianst
erweuen. Schon nahe der Tag und dann musie er ja aufstehen
und mit den Knechten an die Arbeit gehen. Sohalkhaf t meinte
die edle Frau, die sich an dem Fingerring zu sohaffem machte
und ihn herumtrieb: „Meine Glieder sind ganz erkaltet und
auch etwas eingezogen; ich glaube, der Tag ist schon gleich
da." Statt den Sinn dieser Worte zu verstehen, meinte der
grobe ungeschickte Bauer: „Furwahr Frau, Ihr sagt riohtig,
der Tag ist nahe, denn ich wollte auch game 'mal scheiAen."
Das hielt der Kerl fur ein sicheres Zeichen der MorgenrSte.

89. Eine Geschiehte Hieronyml Embsers des Sekret&rs von

Herzog Georg von Sschsen.

Eine Mutter fragte ihre verheiratete Tochter, wie sich
denn der Mann anstelle, ob er auch nachts tuchtige Dienste
leiste. „Gar nichts tut er," erkl&rte die Tochter, „hochstena
greift er mir zuweilen ein bischen an den Bauch." — „Wenn
er dich wieder mal begreift," meinte die Mutter, „so schreist
du miaul Fragt er, was will mein liebes K&tzchen, dann
gibst du ihm zur Antwort: carnem in carnarium meum —
ein Fleischlein in mein Batzlein! Aus diesen Worten wird
dein Mann deine Wunsche entnehmen kdnnen und dann mag
er wohl dir den Willen erfullen." Drei Nachte hernach tastete
der Ehemann wieder 'mal am Lei be seines Weibohens herum.
Getreulioh befolgte die liebeshungrige Gattin den mutterlichen
Bat, und kaum hatte der Mann die Miau-Wunsche vernommen,
da bewies er sich als tapfer und mannlich. An einer derartigen
Fleischversorgung fand die Frau groften Geschmack und sie
bat bald so haufig um Wiederbeginn des Spieles, daB der
Mann des Fleischausteilens ubermude ward und sich m&Bigte.
Unvermindert schrie indessen die Frau im Bette Miau Miau,
so daB der Mann der Wunsche ganz verdrieBlich wurde. Heim-
lich kaufte er Kraut und legte es unter das gemeinschaftliche
Ehebett. Als nun in der n&chsten Nacht das liebeedurstige
Frauchen wiederum ihr Miau seufzte, wischte der Mann unter
das Bett, griff nach dem Kraute, warf es vor die Gattin
und sprach: „FriB auch ein wenig Kraut dazu."

Davon kommt das Sprichwort: „IB neben zu auch Kraut,"
welches fur die gilt, welche das Fleisch essen, das Kraut
aber liegen lassen.


90* Siner kauft vftslo Wlegen.

Im Frankenlande gebar eine Fran ihrem Ehemanne vier
Wochen nach der Heirat bereita einen Sohn. Eilends ging
der besturzte Mann auf den Markt und kaufte so viel Wiegen,
daB ein ganzer Lastwagen damit beladen war. Als er mit
seiner seltsamen Fracht heimkam, fragten die Leute den Mann:
„ Warum bringst du denn so viele Wiegen mit?" — „Ich be-
darf ihrer wohl," meinte der Mann, „denn dieweil das Weil)
so fruchtbar ist, daB es in solch kurzer Zeit gebaren konnte,
werde ich fur die Folge dieser Dinge kaum genug haben."

91. Von einem Mftgdlein.

Ein Bursche drohte einem Madel, er werde nachts haim-
lieh zu ihm kommen. „Das wirst du schOn bleiben last**,"
meinte das Madel, „denn ich nehme ein Messer in das Sett zu
mir und wenn du kommst, werde ich dich ganz bestimmt er-
etechen." Trotz dieser wenig angenehm klingenden Erdlfnung
kam der gute wagelustige Geselle doch bei der Naeht Heim-
lich in das Schlafgemach des guten Dirnleins. Er fand das
Madel im Bett und es schien fest zu schlafen. Da stellte tick
der Bursche an als ob er wieder davongehen wolle. Wie das
Magdlein solches wahrnahm, schrie es ihm gleichaam, als of>
es eben erst aus dam Sohlafe erwache, nach und sagte: „Bleibe
nur da, denn ich habe kein Messer bei mir."

92. Von eines Fursten Narren.

Es ward einem Kurfursten in Deutschland ein Narr ge-
schenkt, ein visierlicher Mensch, der wollte sich nirgends be-
halten lassen, war oft aus der Htiter Hande entlaufen. Zuletzt,
wie man ihn einmal erwischt hatte, lieB der Herr ihn ein-
schlieBen in eine furstliche Kammer. Nun ward aber dem
Narren mit der Zeit der Bauch voll und er hatte Not zu
scheifien. Weil er nirgendwo hinauskonnte und auch keinerlei
Geschirr yorhanden war, darin er hatte sein Sack machen
kdnnen, nahm er des Herren Stiefel und schifi einen grofien
Dreck hin ein. Bald darnach kam der Furst, der wollte die
Stiefel anziehen und auf die Jagd ausreiten. Wie er aber den
einen FuB hineinsteckte und durch die Weichheit und den
jGestank auf die Tat aufmerksam wurde, fragte er den Narr:
„Narr, wer hat das getan?" Der Narr leugnete zuerst und


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meinte, er wisse nicht, wer das gemacht habe. „Wer kann
es denn sonst wohl gemacht haben, wenn nicht du," fragte
der Fiirst abermals und fiigte hinzu „es war ja kein Mensch
hier." Da antwortete der Narr, „es muB vielleicht das Zaun-
koniglein dieses getan haben." Da mufite der Herr, weleher
ein solches VOglein im Vogelbauer hatte, hell auf lachen, daB
der Narr den kleinen Vogel besehuldigte, einen solch groBen
Kuhfladen gesetzt zu haben.

98. Sehlmpflieher Sprach eines B&uernm&dels.

Edelleute ritten am Neckar entlang und kamen bei Bauern-
weibern vorbed, die am Wasser Wasche hielten. Das Wetter
war ziemlich kalt und die Weiber hatten rote FuBe. „Wie
kommt ihr denn zu solch roten FttBen ?" fragte einer der Edel-
leute im Spafi. Da antwortete eine witzige Bauemdirne: „Weil
wir Feuer in den Fersen haben." — „Feuer? So! Nun dann
bitt ich dich, du mdchtest mir dieses Butlein anzunden,"
damit zeigte er seinen Gesellen aus dem Latz. Basch hob die
flinke Wftscherin die Kleider uber ihren Hintern auf und
zeigto denselben mit den Worten: „Httr lieber Herri Steig
berab, komm und blase mir das Feuer in meiner Kuohe wieder
auf, denn es ist vdllig verloschen."

Siehe dazu auch M. Lindener, Katzipori.

Druck von Augant Pries In Leipzig.

 

 

 


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