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Privatdruck.

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Dem Folkloristen

DL* Friedrieh S. Krauss

gewidmet

von

Jakob Ulrich.

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ßisforische Quellenschriften m

zum Studium der Hnfhropophyfeia.

Unter Mitwirkung

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Ethnologen, Folkloristen und Naturforschern

herausgegeben

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Dh FRIEDRICH S. KRAUSS.

Band L

& » is Volkstümliche kkis
Dichtungen der Italiener.

Deutsch
von

JAKOB ULRICH.

Leipzig

Deutsche Verlage * Hcttengesellsdiatf

1906.


Privatdruck.

Nur für Gelehrte bestimmt.

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Dem Folkloristen

Dl Friedrich S. Krauss

gewidmet

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Jakob Ulrich.

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Einleitung.

L

Charles Nieard hat in seinem verdienstvollen Buche über
die französische Yolksliteratur*), das allerdings nicht vom Stand-
punkte des Folkloristen aus geschrieben ist, vielmehr das
Ergebnis eine Razzia auf die Kolportageliteratur beschreibt,
diese in vierzehn Kapitel eingeteilt: 1. und 2. des Almanachs;
3. Sciences et arts; 4. Facéties, hone mots, calembours;
5. Dialogues et catéchismes; 6. Discours, éloges funèbres;
7. Types et caractères; 8. Vies de personnages illustres ou
fameux vrais ou imaginaires: 9. Religion et morale; 10. Cantiques
spirituels; 11. Epietolaires; 12. Linguistique; 13. Education;
14. Romans, nouvelles et contes.

Die italienische Literatur besitzt wie die deutsche, die
spanische wie die englische natürlich ähnliche Erzeugnisse. Ich
beschäftige mich hier nur mit deren einem Teil im Italienischen
und zwar den Verserzählungen, den Storie popolari in
verso2). Da haben wir zunächst einige Sagen aus dem
klassischen Altertum wie Orpheus, Jason und Medea,
Perseus und Medusa, Pyramus und Thisbe, Sextue
Tarquinius und Lukretia; die Erzählung von Karciss
ist nur ein Bruchstück einer vollständigen Übersetzung der
Metamorphosen Ovids. Aus dem Volksbuche der Sieben
weisen Meister von Rom hat Golascione von Perugia die
Erzählung Yaticinium geschöpft» die eine gewisse Ähnlichkeit

J) Ch. Nisard, Histoire des livres populaires ou de la littérature
du colportage. Deuxième edition. Paris, Dentu 1864.

2) Von vielen gibt Passano, I noveüerieri italiani in verso.
Bologna. 1868. Auszüge.


— VI —

mit Josephs Traum hat. Dem Ermogene, dem Sohne eines
Kaufmanns aus Alexandrien, ist die Fähigkeit geschenkt worden,
die Sprache der Vögel zu verstehen. Er hört von zweien
dieser Tierchen, die auf dem Mäste des Schiffes sitzen, mit
dem er in Begleitung seines Vaters fahrt, die Voraussagung,
er werde König werden und sein Vater ihm dienen. Als er
diese Prophezeiung dem Vater erzählt, wird dieser böse und
wirft ihn ins Meer; der Knabe wird gerettet und dessen
prophezeites Schicksal geht in wunderbarer Weise in Erfüllung1).
Nicht wenige Stoffe, die Boccaccio in seinem Decamerone
bearbeitet hat, sind auch der Gegenstand von Verserzählungen
geworden. Die Geschichte der Gis monda, welche dem von
ihrem Vater ermordeten Guis card o folgt, nachdem sie sein
Herz gegessen, ist mehrfach bearbeitet worden: von dem
Florentiner Benivieni (f 1542), von dem Fiemontesen Annibale
Guasco (f 1619), von Antonio Saffi aus Forli und einem
Unbekannten; sie ist die erste Novelle des vierten Tages.

Die Erzählung von dem angeblich stummen Gärtner im
Kloster (III, 1) ist nicht bloss von La Fontaine und Casti
bearbeitet und von Brugiantino versifiziert worden; wir haben
auch eine zweite separate Ausgabe unter dem Titel: El Bolognese.
Decamerone 11, 4 ist bearbeitet in der Novella di Paganino
e Bicciardo, 11, 7 in der il Soldan o betitelten. Die Novelle
von Gerbino (IV, 4) ist ebenfalls von einem Unbekannten in
Verse gesetzt worden; sehr verbreitet war auch die Geschichte
der Griseldis (X, 10), die Petrarca ins Lateinische übersetzte
und die für uneern Geschmack unerträglich ist2). Mehr oder
weniger veränderte Separatausgaben sind Historia de
Prasildo et de Liebina aus dem Orlando innamorato
und Historia del Be di Pavia, welche die bekannte Episode
(canto XXVIII) des Orlando furioso wiedergibt, während die
Novelle ,Perche si dice e fatto il becco а l'oca* dem
Mambriano des Francesco Belli entlehnt ist, vgl. Rua, Le novelle
del Mambriano pp. 27—44. — Unter dem Namen Glitia
Veronese versinzierte ein Unbekannter die durch Shakespeare
berühmt gewordene Erzählung von Borneo und Julie, während
der Stoff von ,Zähmung einer Widerspenstigen* den Inhalt des
Büchleins A. Volpinos: Novella di Madonna Isotta da

*) S. Chauvin, Syntipas s. 193; Loiseleur, Essai sur lee fables
indiennes pp. 162—163.

2) S. B. Köhler, Kleinere Schriften H, 505—555.


— vn —

Pisa ausmacht. — Bartolommeo Davanzati und Bernardo
Giambullari brachten den ,dicklen Tischler' in Verse1).

Andere Stoffe laden zu einer eingehenderen Besprechung
ein. Den Inhalt des Volksbuches von Florindo und
Chiarastella gibt R. Köhler2) folgendermaßen an: Guusse,
König топ Spanien, trifft auf einer Heise nach Rom in der
Nähe Roms eines Nachts einen Landmann, der den Himmel
betrachtet. Auf die Frage des Könige erwidert der Landmann,
er sei ein Astrolog und habe jetzt das Geschick seines eben
geborenen Sohnee in den Sternen gelesen und zwar sei diesem
Sohn bestimmt, einst Nachfolger des ihn fragenden Königs zu
werden. Der König stellt sich darüber erfreut und bittet,
den Knaben ihm zu überlassen, damit er ihn seiner Bestimmung
gemäss erziehe. Der Sterndeuter erwidert, er wisse zwar wohl,
dass der König den Knaben nur verlangt, um ihn zu töten,
aber trotzdem wolle er ihm ihn übergeben, denn was die Sterne
verkünden, werde doch geschehen. So erhielt der König das
Kind, welches er bald darauf im Wald in einen Graben warf,
nachdem er es vorher mit einem Messer am Hals verwundet
hatte. Ein römischer Baron Fosco fand auf der Jagd das
verwundete Knäblein, Hess durch einen Arzt die Wunde heilen
und nahm es an Kindesstelle an. Zum Jüngling herangewachsen,
erfuhr Florindo, dass er ein Findelkind sei und beschlose, zum
grossen Leidwesen seiner Pflegeeltern, in die Welt zu ziehen,
um seinen Vater zu suchen. So kommt er nach Saragossa,
wo die schöne Prinzessin Chiarastella, die Tochter des
Königs Guusse, ihn zum campione (Kämpen) und scudiere
(Knappen) macht. Bald aber kommt ein Abgesandter des
Könige Gabrino von Portugal, des Bruders des Guusse, und
ladet die Prinzessin zu einem grossen Fest in Portugal ein.
Die Prinzessin mues der Einladung folgen, Florindo aber beim
König Guusse zurückbleiben. Er ist über die Trennung von
Chiarastella sehr betrübt und seine Betrübnis fällt dem König
so auf, dass er ihn nach deren Ursache fragt Florindo, der
den wahren Grund nicht gestehen will, erwidert, er sei darüber
betrübt, dass er seinen Vater bisher vergeblich gesucht habe
und erzählt dem König, wie er als Findelkind aufgefunden

!) Siehe Ulrich, Romanische Schelmengeschichten. Leipzig.
1905. p. 10411.

2) Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1869, 380. Ein
billiger Neudruck findet sich in der bekannten Sammlung von
Sal an і in Florenz.


— VHI —

worden sei. Natürlich ist der König sofort überzeugt, den
Sohn jenes sternkundigen Bauern тог sich zu haben. Er
achreibt alsbald einen Brief an seinen Bruder Gabrino, worin
er ihn bittet, den Überbringer des Briefes töten zu lassen
und übergibt Florindo diesen Brief. Florindo langt richtig
in Portugal an, als er aber den Brief abgeben will, schläft
der König grade. Indem Florindo nun indessen im Garten
umherwandelt, trifft er auf die Prinzessin Chiarastella, die
über seine Ankunft freudig überrascht ist. Trotz seinem
Widerstreben öffnet sie den Brief und liest ihn, Bäsch eilt
віє in ihr Zimmer und schreibt einen anderen Brief, worin
Gabrino aufgefordert wird, ein grosses Turnier zu veranstalten
und dem Sieger — hoffentlich werde dies der Überbringer
des Briefes sein — Chiarastella zu vermählen. Diesen Brief
übergibt Florindo dem König Gabrino, das Turnier findet statt
und Florindo wird als Sieger mit Chiarastella vermählt.
Während der Hochzeitefeierlichkeiten trifft ein Bote aus Spanien
mit der Nachricht von dem plötzlichen Tode des Königs Guusse
ein. So wird Florindo fast gleichzeitig Gemahl der Chiarastella
und Nachfolger ihres Vaters. — B. Köhler verweist gleichzeitig
auf den verwandten altfranzösischen Dit de Constant, der
zuletzt von Wessel of sky, Romania VT, 161 gedruckt wurde,
hin und auf von Hahns griechische und albanische Märchen
No. 30. Der Berliner Sanskritist A. Weber hat1) eine
indische Erzählung analysiert, in der das Motiv des Uriasbriefee
und der ,Gang nach dem Eisenhammer* zusammengeschweisst
sind und die Sage von der Geburt Kaiser Heinrichs des Dritten
(Gebrüder Grimm, Deutsche Sagen. Berlin 1878, 11, 177)
herangezogen nebst verwandtem Material

Auch die Novelle von Busotto, deren ausführlicher
Titel den Inhalt ziemlich genau angibt — der dem Esel eines
Müllers aufhelfen will und ihm den Schwanz ausreiset, aus
Angst flieht und einer jungen Frau eine Fehlgeburt verursacht,
einem eine Börse übergibt, dem sie nicht gehört und drei
schöne Urteilssprüche erhält, hat Parallelen in der indischen
Literatur und im Märchen3). In Prosa behandelte im
XIV. Jahrhundert Sercambi aus Lucca3) in seiner Erzählung
de iusto iuditio den gleichen Stoff. Ich folge hier wieder

i) Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1869, 10 ff.
8) Benfey. Pantschatantra I, 394.
*) Ed. d'Ancona. Bologna. 1871.


— IX —

der Inhaltangabe R. Köhlers1). Landrea hat ein Felleisen
gefunden und gibt es uneröffnet seinem Eigentümer, einem
Bürger aus Lucca, zurück. Dieser behauptet, es seien
100 Gulden darin gewesen, Landrea aber habe 10 davon ge-
stohlen und laset ihn festnehmen, um ihn in Lucca тог Gericht
zu stellen. Auf dem Wege dahin hilft Landrea ein in einen
Sumpf gefallenes Pferd herausziehen, reiset ihm aber dabei
den Schwanz aus, und der Eigentümer des Pferdes geht nun
mit, um ihn auch zu verklagen. Als sie eine Strecke gegangen
sind, scheut ein Pferd, auf welchem eine Dame sitzt, тог
Landrea und wirft die im sechsten Monat schwangere Dame
ah, welche auf der Stelle eine Fehlgeburt zur Welt bringt.
Der Gemahl der Dame schliesst sich den beiden Klägern an.
In der Nahe топ Lucca springt Landrea топ einer Brücke
ins Wasser, fällt aber dabei auf einen Mann in einer Barke
und erschlägt ihn dadurch. Er wird wieder ergriffen und der
Bruder des Getöteten geht als vierter Kläger mit. Die Richter
in Bologna fällen folgende Urteile: 1. Das Felleisen mit den
90 Gulden gehört dem Kläger nicht, da dieser eins mit
100 Gulden verloren haben will; Landrea soll es also behalten,
bis sich der Eigentümer findet. 3. Landrea soll das Pferd,
dem er den Schwanz ausgerissen, so lange hei sich behalten
bis ihm der Schwanz wieder gewachsen ist; dann soll er es
dem Kläger zurückgehen. 3. Er soll die Dame so lange zu
sich nehmen, hie sie wieder im sechsten Monate schwanger
ist. 4. Er soll sich unter der Brücke in die Barke stellen
und der Kläger sich топ der Brücke auf ihn herabstürzen.
— Wie man sieht, stimmen die Versnovelle und die Prosa-
erzählung nicht ganz mit einander überein.

Den Inhalt der Geschichte топ den zwei Priestern
und dem Altardiener erzählt H. Varnhagen9) folgender-
massen: „In einer Pfarre in der Nähe топ Siena lebten ein
Pfarrer, ein Priester und ein Altardiener. Alle drei waren
in die hübsche Frau eines dem Pfarrbezirke angehörigen Bürgers
verliebt. Als diese eines Tages in der Kirche war, benutzte
der Priester die Gelegenheit zu einer Liebeserklärung. Auf
dem Kirchhof begegnet ihr der Pfarrer und später der Altar-
diener, die beide ebenfalls ihre Liebeserklärung anbringen.

1) Kleinere Schriften II, 578,

2) Über eine Sammlung aller italienischer Drucke. Erlangen.
1892. pp. 40 ff., eine Schrift, in der sich wertvolle Angaben über
Novellen, die auch hier erwähnt werden, finden.


X

Die Frau läset sich mit keinem ein, sondern meidet eine Zeitlang
die Kirche. Als sie aber an einem Festtage wieder in ihr
erscheint, wiederholt sich der nämliche Vorgang, weshalb sie
nun von der Kirche ganz fern bleibt. Als eines Tages ihr
Gatte die Ursache hiervon zu erfahren fordert und ihr mit
einem Messer droht, wenn sie nicht die Wahrheit gestehe,
erzählt sie ihm alles. Auf Anweisung des Gatten muss sie
nun zur Kirche gehen und allen drei Liebhabern, die ihre
Werbungen wiederholen, Erfüllung ihrer Wunsche gegen
Bezahlung bedeutender Geldbeträge verheissen und sie zugleich
alle zu einer und derselben Stunde in ihre Wohnung bestellen.
Ihr Gatte, erklärt sie, werde zu der Zeit nach Siena verreist
sein. Der Gatte läset alsdann einen grossen Zuber mit Wasser
füllen und setzt letzterm ein Quantum Färberwaid zu. In der
Nähe wird eine geräumige Tonne aufgestellt und die Frau
erhält ihre Instruktion. Zur festgesetzten Stunde ist zuerst
der Priester zur Stelle. Er übergibt der Frau das versprochene
Geld, 110 Florins, und läset sich dann von ihr überreden, in
dem bewussten Zuber ein Bad zu nehmen, infolgedessen er
vollständig schwarz gefärbt wird. Da pocht der Gatte an der
Tür und verlangt Einläse. Die Frau stellt sich sehr erschrocken
und veranlasst den Priester, eich in der Tonne zu verstecken.
Ebenso ergeht es den beiden andern Liebhabern, von denen
der eine um 121 Florins, der andere um 200 Lire erleichtert
wird, so dass alle drei eich in der Tonne zusammenfinden,
worauf der Gatte die Öffnung verschliesst und die Tonne über
Nacht stehen läset. Am folgenden Morgen ruft er die Nachbarn,
wohl zwanzig an der Zahl, zusammen, damit sie ihm behilflich
seien, die Tonne aus dem Hause zu bringen. Einige blicken
in das Innere und erklären, als sie drei schwarze Gestalten
sehen, es sässen drei Teufel da drinnen. Der Gatte macht
darauf den Vorschlag, zum Zwecke der Vertreibung dieser
höllischen Gäste nach der Pfarre zu schicken und den Priester
nebst dem Pfarrer und dem Altardiener holen zu lassen. Es
wird auch ein Bote abgeschickt, der aber natürlich die Pfarre
leer findet. Darauf wird zum Abte eines Klosters gesandt,
der alsbald auch erscheint in Begleitung von Mönchen, welche
das officium sanctum singen, Psalmen sprechen und viele
Reliquien sowie das Kreuz tragen. Darauf wird die Tonne
geöffnet und die drei vermeintlichen Teufel kommen heraus. Die
Bauern stürzen sich mit Stöcken auf sie und prügeln sie weidlich
durch, während der Abt das dirupisti spricht und mit dem


— XI —

*) S. meine Ausgabe in den Romanischen Forschungen, Bd. XX.

Kreuze in der Hand sie in die Hölle bannt: „Gehet, Verfluchte,
in das ewige Feuer !" Die Unglücklichen entfliehen und gelangen
wipder in die Pfarre.44 — Varnhagen verweist auf die 9. Novelle
Sercambis (Auegabe Renier) und das IV. Kapitel von Somadevas
Kathararitsagara (deutsch von H. Brockhaue).

Eine Storia del Bolognese, deren einziger bekannter
Druck auf der Bibliothek von Bergamo aufbewahrt wird1),
erzählt uns, wie ein junger Bitter in einem Walde in ein gast-
freundliches Frauenkloster gerät und dort im Vertrauen auf
seine Manneskraft infolge einer Wette mit der Äbtissin all
sein Gut verliert. Zurückgekehrt gewinnt ein Abt, den er
unterwegs antrifft, die gleiche Wette, verliert aber zusammen
eine andere mit seinem Gefährten, die sich um das Ausblasen
einer Kerze ungefähr wie in Zolas La Terre dreht. — Auch
die Storia del Galonaco di Siena hat, wie d'Ancona nach-
wies, eine indische Parallele.

Ins Altertum gehören die Höhlen von Fiesole, einer auch
sonst sagenumwobenen Stadt. Sie wird von einem gegründet,
der aus dem Osten gekommen ist und sich König Atalante
nennt, gerät dann in die Hände des Inders Burrasso, eines
grausamen Menschen. Um der Gefahr zu entgehen, von ihm
getötet zu werden, gräbt ein Edelmann von Fiesole eine Höhle
in den Berg, um für sich und seine Kinder einen Zufluchtort
zu erhalten. Die Göttin Diana bewohnt mit einer Nymphe
schon längere Zeit diesen Berg, den auch ein Schäfer mit
zwei Schwestern besucht. Eines Tages überraschen er und
eine der beiden Schwestern Diana an einer Quelle, wie sie
eben im Begriffe ist, sich auszuziehen; der Hirt flieht, um das
Schamgefühl der Göttin nicht zu verletzen, lässt aber seine
Schwester zurück, mit der Diana liebreich spricht. Der Hirt
kommt voller Schrecken zu seinen Eltern und erzählt, was
vorgefallen ist; einer seiner Nachbarn, der in die Schwester
verliebt ist, eilt zu ihrer Befreiung herbei; Diana segnet die
Ehe der beiden, nachdem deren Vorbedingungen mehr als
genügend erfüllt sind.

In dem Esempio d'un giovane ricchissimo wird die
bekannte Geschichte von dem reichen Jüngling erzählt, der
sein väterliches Erbe verschwendet hat und sich an einem
Balken aufhängt, der unter der Last zusammenbricht und


— XII —

Siehe R. Köhler, Kleinere Schriften II, 213.
a) Siehe A. d'Ancona, Poemetti popolari pp. 1—52.

einen Schatz zum Vorschein bringt, den der Vater vorsorglich
dort verborgen hatte.

Giambullari Bernardo ist auch der Verfasser eines
Gedichts, in dem der Teufel auf den Esel eines Klosters
steigt, es versteht, sich von den Mönchen zum Abte wählen
zu lassen und dort eine neue „Ketzerei" einführt. Vom Teufel
im Nonnenkloster erzählt eine Novelle des Franzesco da
Barberino.

In der Geschichte des Kastellans wird erzählt, wie
er lange die römische Gampagna ausraubt und von einem
Mönche bekehrt, der ihm zur Busse für seine grässlichen
Sünden auferlegt, eine einzige Nacht in einer Kirche im Gebete
zu verharren; wie der Teufel in verschiedenen Gestalten und
vielfachen Weisen umsonst versucht, ihn davon abzubringen;
wie er zu einem Musterleben zurückkehrt, einen Spital für
Pilger und Kranke gründet und sich ganz ihrem Dienste
widmet1)

Die Novelle von dem Eifersüchtigen von Florenz ist
lange nicht so interessant wie die im Text gegebene von dem
Eifersüchtigen. Ein Bildhauer hat eine bewegliche Statue
geschaffen, welche der Frau eines Bürgers gleicht; der schlägt
in seiner eifersüchtigen Wut der Bildsäule den Kopf ab, ohne
damit aufzuhören, zum Hahnrei gemacht zu werden.

Die wenig interessante Novelle von Ginevra degli Almieri
handelt von einer Scheintoten.

Wichtig dagegen sind für die vergleichende Literatur-
geschichte die beiden Geschichten von Johannes Chry-
sostomuB und St. Albanus, die im Grunde identisch sind.2)
Ein Einsiedler, der sich die himmlische Glorie erwerben wollte,
hatte sich besonders Enthaltung von Wollust, Totschlag und
Meineid auferlegt. Aber der Teufel läset zu seiner Einsiedelei
eine hübsche junge Königstochter gelangen, die sich auf der
Jagd verirrt hat und ihn um Unterkunft während der Nacht
bittet Der von den Sinnen überwältigte Einsiedler tut dem
Mädchen Gewalt an und tötet das Opfer seiner Wollust; den
Boten des Königs, welche die Verirrte suchen, schwört er, es
sei seit Jahren kein Mensch mehr in dieser Einsiedelei
erschienen. So hat er in kurzer Zeit die Frucht so mancher
Jahre des Gebets und der Kasteiung zerstört. Als er plötzlich


— XIII —

*) Siehe Bédier, Les fabliaux. Paris 1893. pp. 406.
2) A. d'Ancona, Poemetti popolari Bologna 1889. pp. 391—658.
S) Crane, Italian popular tales p. 307. Imbriani, Novellaja
fiorentina pp. 93 ff.

wieder zu Verstand gekommen ist, hofft der Lüstling, der
Mörder und Meineidige, es sei ihm die Aassicht auf das ewige
Heil noch nicht ganz abgeschnitten, wenn er seine Busse noch
strenger gestalte, am Boden krieche, das Auge nie zum Himmel
erhebe und nicht spreche, bis Gott ihm ein sichtbares Zeichen
schicke, dass ihm seine Untaten verziehen sind. Einige Jahre
spater kehrt der seiner Tochter beraubte König auf der Jagd
in den Wald zurück, wo der Einsiedler, mehr Tier als Mensch,
haust. Als er vor den König geführt wird, ist nun die beste
Gelegenheit für ein solches Zeichen: Das getötete Fräulein
erscheint lebendig, König und Gott verzeihen ihm und bald
stirbt er, um in die ewige Wonne einzugehen.

Die Geschichte von Lodovico und Madonna Bea-
trice behandelt das gleiche Thema wie der altfranzösisch»
Schwank: Der geprügelte und zufriedene Hahnrei Dem Ehe-
mann kommt mit Hecht die Treue seiner Frau verdächtig vor;
er verkleidet sich und wirbt um ihre Gunst. Die merkt zur
rechten Zeit, dass sie ihren Mann vor sich hat, sperrt ihn in
ein Kämmerlein und läset ihn von seinen eigenen Leuten
ordentlich durchbläuen. Hochbeglückt sinkt er dann in die
Arme seiner treuen Gattin.1)

Die sehr verbreitete Novelle Ottin eil o e Julia9) stammt
wahrscheinlich aus der gleichen Quelle wie das französische
Volksbuch, Pierre de Provence et la belle Maguelone,
nämlich aus einer Erzählung von Tausend und einer Nacht.
Ottinello entführt Julia, die von ihrem Vater verfolgt wird»
Die Liebenden schlafen in einem Walde ein; ein Falke trägt
den Schleier Julias weg; Ottinello sucht den Vogel zu erreichen
und wird bei seiner Verfolgung von Korsaren zum Gefangenen
gemacht. Nach vielen Abenteuern finden sie sich wieder,
heiraten und der Vater Julias verzeiht ihnen.

Die Geschichte von der Königin Stella und Matta-
bruna, welche die Leiden schildert, welche eine Schwieger-
tochter mit ihren Kindern von ihrer Schwiegermutter zu er-
dulden hat, gehört dem grossen Sagenkreise von der unschuldig
verfolgten Frau an.8)


— XIV —

*) VgL d'Ancona, la figlia del re di Dada und Suchier in
der Einleitung seiner Ausgabe der Manne quin e Beaumanovis.
Paris 1884.

2) S. G. Gröber, Lat. Litteratur p. 412.

Das gleiche laset sich von St. Uli va sagen, die sich
eher die Hand abschneiden laset, als dass sie ihrem unnatür-
lichen Vater zu willen ist.1)

Viele Abenteuer sind zusammengesehweisst in l'innocenza
trionfante (die triumphierende Unschuld). Leodoro, dem König
von Armenien, wird ein Sohn geboren, den aber ein ungetreuer
Bitter, dem er anvertraut worden, mit dem Seinigen vertauscht
und in den Tigris wirft. Von einer Löwin gerettet, wird er
von einem Hirten aufgenommen, der ihm den Namen Leonildo
gibt; er wächst zu einem tüchtigen und tapfern jungen Mann
heran. Nachdem er verschiedene Proben seiner Tapferkeit ab-
gelegt, zieht er an den Hof des Könige von Medien und ver-
liebt eich in dessen Tochter Bodisbe, mit der er nach Armenien
flieht. Dort angekommen hört er, dass die Königin auf eine
falsche Anklage wegen Ehebruchs hin zum Tode verurteilt ist;
er kämpft mit dem Ankläger und zwingt ihn, sterbend ihre
Unschuld zu erklären. Beim ganzen Hofe beliebt entdeckt
er nicht lange nachher eine Verschwörung, welcher der König,
also sein Vater, hatte zum Opfer fallen sollen; aber als er
später, in seiner Ehre angegriffen, den angeblichen Königsohn
tötet, wird er ins Gefängnis geworfen, wo er an einer Gedenk-
münze, die er am Halse trägt, von dem erkannt wird, der ihn
in den Flues geworfen. Dieser entdeckt dem König die Wahr-
heit, wird zum Tode verurteilt und auf die Bitte Leonildos
hin zu ewiger Haft verurteilt; Leonildo selbst wird vom Vater
anerkannt und führt mit ihm und mit Weib und Kind ein
fröhliches Dasein.

Das Buch von Birria und Gieta ist die Italianisierung
einer lateinischen Komödie, welche W. Müller 1840 in Bern
herausgegeben hat, und welcher dem Vital von Blois zu-
geschrieben wird.2)

Die Kaufmannstochter, welche am ersten Abend
ihrem Gatten entfloh, ist eine graziöse Geschichte. Ein
Kaufmann hatte eine ebenso schöne als naive Tochter, der
ein junger Mann im Spasse sagte, ihre Schönheit wäre ohne
Gleichen, wenn man ihr ein Kind machte. Sie fragt natürlich
sofort, wie man das zu Wege bringe, und ihr Vater züchtigt


I.

Llombruno.

Erster Gesang.

(1) Allmächtiger Gott, der du im Himmel bist, himmlischer
Vater and heiliger Heiland, der du das Gute und Böse eines
jeden weiset und deesen Weisheit überall herrscht, der du
jedem, der dich anruft, Gnade gewährst, sei mir so gnädig,
dass ich einen schönen Gesang dichten kann, der jeden vom
Kopfe bis zum Scheitel gefalle. (2) Meine Herren, ich finde,
dass durch die Armut viele Leute ins Unglück geraten sind
und ihre Freiheit verloren haben, so hart hat sie die Armut
verfolgt. Ich will hier eine Geschichte davon erzählen, von
einem armen Manne, wenn ihr mich anhören wollt, der aus
Armut in solche Not geriet, dass er eines Tages dem Teufel
eines seiner Kinder gab. (3) Der arme Mann war Fischer
und zog jeden Tag zum Fischfang aus. Zu seinem Unglück
fing er immer wenig Fische. Land oder Beben hatte er auch
nicht, doch sechs Kinder zu ernähren, und sein Weib war
blühender als eine Bose und er erhielt sie nur vom Fischfang
und von gar nichts anderem. (4) Eines Morgens erhob sich
der gute Mann und ging wieder mit seiner Barke auf den
Fischfang. Und an jenem Tage fing er gar keinen Fisch,
sodass ihn Verzweiflung erfasste. So kam er zu einem
Inselchen, auf dem sich der Teufel befand, der zu ihm sprach :
„Was willst du mir geben, wenn ich dir Fische und recht
viel Geld gebe?" (5) Und er antwortete: „Da du es kannst,
befiel mir, was ich tun kann." Der Teufel setzte seine Mienen
auf und sprach: „Wenn du mir eines deiner Kinder auf dieses
Inselchen bringet und mir versprichst, mich nicht zu täuschen,
so will ich dir Fisch und viel Geld in Gold und Silber zu

Volkatftmliobt Dichtungen der Italien». 1


2

deinem Fortkommen geben.u (6) Und jener gute Mann hatte
darüber grossen Schmerz, aber ans Armut muse er es ihm
wohl versprechen. Er sprach also : „ Ich will dir den kleinsten
geben und ihn auf diese Insel bringen." Und der böse Teufel
kargte nun nicht ; er nahm Fische und füllte damit die Barke,
dann gab er ihm viel Geld, dass er es mit sich nehme und
sagte: „Wenn du mich tauschen solltest, würde ich dich
ersäufen." Und jener gute Mann antwortete kühn: „Sicher
werde ich dich nicht betrügen." Dann ging er mit den
Fischen* und recht viel Geld nach Hause. Er kaufte gute
Kleider für sich, sein Weib und seine Kinder und versah
das Haue mit Lebensmitteln; wegen des Knaben hatte er
grosses Weh im Herzen. Nun rief er seinen jüngsten Sohn
und in der Barke führte er ihn mit sich; rudernd gelangte
er zur Insel, wo er ihn aus der Barke nahm und sagte:
„Warte, bis ich zurückkehre!u Und so liess er um solchen
Gewinn das Söhnchen, das nicht einmal sieben Jahre zurück-
gelegt hatte. (9) Und jener gute Mann schied von dannen,
denn den Tod des Kindes wollte er nicht sehen. Und der
Teufel kam geradenwegs daher und wollte ihn mit sich nehmen,
um ihm dieses Schicksal zu bereiten. Das Kind war sehr
erschrocken, denn es hatte niemand, der ihm beistand, und
mit solcher Kraft schlug es das Kreuz Christi, dass der
Teufel wegfloh. (10) Das Kind blieb unter grosser Furcht
mutterseelen allein auf jener kleinen Insel und schaute in die
Höhe und sah dort eine Frau in Gestalt einer Jungfrau
stehen, die im Gesichte einem Adlerweibe glich, und sie kam
auf das Kind zu und sprach: „Fürchte dich nicht, ich will
dich von diesem Orte wegnehmen." Das Knäblein sagte:
„Ich will von hier nicht weggehen, denn ich muss auf den
Vater warten. „Gerade zu deinem Vater will ich dich tragen,"
sprach die Frau und nahm das Kind und fing an, sich in die
Lüfte zu erheben, und trug es so hoch, dass ihm die Haare
verbrannten. (12) Dann zeigte sie ihm das schöne Land da
oben und ihr Schioes, das in weiter Entfernung lag — vier-
hundert Tagereieen und noch mehr erwähnen die Bücher —;
jenes Adlerweib aber mit dem trefflichen Kinde legte den
Weg in einer Nacht zurück durch Zauberei ; am Abend hatte
sie es von der Insel weggenommen und am Morgen kam sie
schon in ihrem Schlosse an. (13), Sie legte es in einem
schönen Saale nieder und sagte: „Erwarte mich hier, bis ich
zurückkehre.u Sie trat in ihre Kammer ein und wurde ein


Fräulein, das geradenwegs aus dem Paradies zu kommen
schien, denn sie leuchtete mehr als der Morgenstern, und
der glänzenden Sonne glich sie; mit vielen schönen Kleidern
war sie angetan und hatte noch nicht zehn Jahre überschritten.
(14) Das Mädchen, von dem ich euch spreche, hies s Madonna
Aquilina und rettete den Knaben vor dem Teufel, als sie ihn
von dem Strande wegtrug. Sie ging zu ihm und sagte: „Gott
gebe Dir einen guten Morgen! Ich bin die, die dich тог
dem Teufel rettete und dich so hoch trug.44 (15) Und jenes
Kind dankte ihr in seiner guten Art höflich und sagte zu
ihr: „Madonna, des bin ich froh und werde immer Euer
Diener eein.a Und sie antwortete: „Habe keine Angst; ich
werde dir noch grössere Freude machen.4* Sie war zehn
Jahre alt und er sieben, und er blieb noch mehr als acht
Jahre Jüngling. (16) In der Zwischenzeit übergab sie ihn
einem Lehrer zum Studieren und er machte gute Fortschritte
und lernte auch Fechten und Turnieren und wurde ein tüchtiger
Mann im Waffenspiel und seine Hiebe konnte keiner ertragen,
und wohl sprach jeder aus jenem Lande: „Sicher ist dieser
der Sohn eines Barons oder eines Grafen,u so tüchtig und
wohlgebildet sah er aus. (17) Als sie an Jahren gewachsen
waren, glich sie einer Lilie und er einer Hose, und jenes
Weib voller Schönheit sagte: „Mein Herz wird nie Huhe
haben, wenn ich nicht meinen Wunsch erfülle. Möge es dir
gefallen und gerne, dass ich deine Gattin sei und du mein
Mann, da ich dich zu einem stattlichen Jüngling auferzogen
habe." (18) Und er hat, wohlgezogen wie er war, geantwortet
und zu ihr gesagt: „Madonna Aquilina, mit grosser Mühe
habt Ihr mich aufgezogen, nachdem Ihr mich vom Strande
weg gerettet. Ich bin bereit, zu tun, was Euch gefallt.a
Seinen Namen nannte er jedermann, und von da an hiessen
ihn die Leute Liombruno. (19) Und dann heiratete er sie mit
allen Förmlichkeiten. Und sein Schloss war stark und mit
allem Nötigen versehen, und hatte in der Luft zwei Tore,
die durch Zauberei und zwar so gebaut waren, dass nie-
mand dort eintreten konnte gegen den Willen der Madonna
Aquilina. (20) Und Liombruno kannte den Zauber und
ging nach Belieben dort ein und aus, und oft ging er zu
Turnieren und zeichnete sich dabei aus, und jene Frau voller
Liebreiz liebte ihn von Tag zu Tag mehr, denn er war schön
und anmutig, so dass ihre Leidenschaft für ihn keine Schranken
kannte. (21) Aber als er eines Tages schlechter Laune war,

1*


sagte sein« Frau zu ihm: „liebster Mann und Gatte, weswegen
bist du so zornig gegen mich?" Und Liombruno antwortete
ihr: яFrau, ein heftiges Sehnen ist in mir erwacht; meine
Bruder und meinen Vater und meine Eltern möchte ich wieder
einmal zusammen sehen." (22) Die Frau sagte: „Wenn du
gehen willst, versprich mir ohne Trug, vor Jahresfrist an dem
Tage zurückzukehren, den ich dir als Termin setze." Und
Liombruno versprach, dies ohne Pein zu tun, und sie gab ihm
dann einen Bing, der ihn vor Unheil schützen sollte. (23) Und
sie sprach dabei: „Dieser Bing diene dir zu deinem Vergnügen.
Was du von ihm verlangen magst, Geld und Gut, wird er
dir nach Wunsch liefern. Aber zeige ihn niemand, sonst ist
er unwiederbringlich verloren. Und mach, dass du in einem
Jahre zurück seiest, und wenn du langer bleibst, dürfen es
nicht mehr als vier Tage sein." (24) Und Liombruno sagte:
„Gerne". Uud jene edle und anmutige Frau liées, bevor er
sich zu dieser Reise aufmachte, vier Tage prächtigen Hof
halten und Hess ihn zum Bitter schlagen und das glänzende
Schwert wurde ihm umgürtet, und nachher nahm Herr Liombruno
Abschied. (25) Er brauchte vierhundert Tagereisen, um in
sein Vaterland zurückzukehren, aber jene Frau liess ihn durch
Zauberei einschlafen und befahl ihrer Kunst, ihn nach seinem
Lande zu befördern. Und so schlief er am Abend ein und
am Morgen war er in seiner Heimat. (26) Und als die
Morgenröte anbrach, erwachte Liombruno und erhob sich auf
seine Fusse und sah eich um; das schöne Land hat er wieder
erkannt und als feingesitteter Bitter hat er demütig Gott
gedankt und dann seinen Bing um Erhörung gebeten und es
kam alles, was er von ihm verlangte. (27) Dank seiner
Wunderkraft verschaffte ihm der Bing zuerst einen guten
Benner, dann ein schönes und prächtiges Kleid, wie es einem
Bitter wohl ansteht, dann ein mit Talern zu diesem Zwecke
wohl versehenes Kästchen, und dann kamen auf dee Bitters
Wunsch Mannen zu Fuss und zu Pferde. (28) Und mit diesem
Volke und diesem Kästchen ging er nach Hause, wo er seinen
Vater fand ; und seine Brüder waren gar glücklich, das Kästchen
aber bot er der Mutter an, drin Geld für Freunde und
Verwandte war, die alle sagten: „Willkommen sei Herr
Liombruno." (29) Und alle sprachen nachher: „Liombruno,
wo bist du denn gewesen?" Und Liombruno antwortete: „Um
die Wahrheit zu sagen, bin ich bei gewissen Kaufleuten ge-
wesen, bei denen ich viel Geld verdient habe und die mich


wegen der guten Dienste, die ich ihnen geleistet, mit Kleidern
schön ausgestattet haben und denen ich es verdanke, Bitter
mit goldenen Sporen zu sein." (30) Wohl neun Monate blieb
er da und machte beständig jedem seiner Freunde und
Verwandten Geschenke, und auch in WaffenÜbungen und
Turnieren tat er sieh oft hervor. Und Liombruno wurde von
allen geehrt. Als die neun Monate um waren, sagte er zu
seinen Eltern: „Ich muss nun Abschied nehmen; (31) denn
ich habe jenen Kaufleuten versprochen, vor Ablauf des Jahres
zurückzukehren." Da sagten sofort seine Verwandten: „0,
Liombruno, wohin willst du gehen? Der König von Granada,
der hier in der Nähe wohnt, will seine Tochter verheiraten
und hat ein Turnier ausrufen lassen: wer darin Sieger ist, soll
sie heimfuhren.u (32) Als liombruno das hörte, kam ihn Lust
an, sein Gluck zu versuchen. Von dem Binge erbat er eich
sofort einen schönen Benner mit einer prächtigen Büstung,
und was er verlangte, stellte sich sofort ein. Liombruno
wappnete sich dann und nahm Abschied von seinen Leuten,
die alle weinten. (33) Als Liombruno Abschied genommen
hatte, ritt er so lange, bis er in Granada ankam, wo das
Turnier angesagt war. Und das prächtige Fest war schon im
Gange, und so ging er am folgenden Tage auf die Wiese, wo
das Volk sich versammelt hatte: dort war auch ein gar starker
Sarazene, der beinahe schon Sieger im Wettkampf war. (34) Dieser
Sarazene besass eine solche Stärke, dass sich keiner an ihn
heranmachen wollte, und er war so tüchtig und strotzte so von
Kraft, dass seinen Hieben keiner widerstehen konnte. Und
Liombruno voller Vornehmheit stellte sich ihm entgegen und
der Sarazene sagte: „Ergib dich mir, oder wenn du kämpfen
willst) mach dich bereit.u (35) Liombruno antwortete: „Gerne",
und entfernte sich mit seinem Pferde, um zum Anlauf aus-
zuholen. Und der Sarazene, der so stark und so stolz war,
nahm feste Stellung auf seinem guten Benner und wandte sich
seinem edeln Gegner entgegen. Beide Bitter spornten ihre
Pferde heftig, und nun werdet ihr von ausserordentlichen
Hieben hören. (36) Der Sarazene und Herr Liombruno trafen sich
gegenseitig mit aller Kühnheit und jeder gab dem andern
einen schweren Hieb; aber der Sarazene war der verlierende,
und die Büstung, die er anhatte, nützte ihm keine Bohne,
denn der edle und kräftige Liombruno stiess ihm das Eisen
und den Speer so tief ins Herz, dass er ihn tot vom Pferde
warf. (37) Als der Sarazene tot vom Pferde gefallen war,


— 6 —

durchritt Liombruno das Feld und brachte alle, die er antraf,
zu Fall, so dass ihm alle den Platz frei gaben, denn wohl
schien er ein edler Paladin und mit lauter Stimme sagte jeder:
„Mutiger Mann, kämpfe nun nicht langer, denn die Ehre des
Turniers gehört dir." (38) Der König liées den Bitter kommen
und sprach zu ihm: „Tapferer Held! Meine Tochter sei dein
Weib, du mein Schwiegersohn und ihr Gatte.u Und Liombruno
sagte: „Gerne tue ich, was Euch gefällt, hoher ruhmreicher
König." Aber bevor er sie ihm gibt, will er sich mit seinen
Baronen beraten. (39) Der König fragt seinen Weisen und
sagt: „Was dünkt Euch топ dem Bitter?" „Dir müest es
wissen", sprachen diese. „Vielleicht hat er in seinem Lande
ein Weib; auch scheint er mir nicht топ so edler Abkunft,
dass er zu einem solchen Zweck zu Euch passe. Wenn er auch
wacker und voller Kraft ist, scheint er uns nicht der richtige
Gemahl für Eure Tochter« Aber wenn Dir nach unserm Bate
handeln wollt, so macht, dass jeder sich einer Sache rühme
und dass er ohne Aufschub den Beweis leiste." Und so Hees
er am folgenden Tage alle seine Barone in einem Saale ver-
sammeln und befahl, dass jeder vortrete, seinen grössten Preis
nenne und ihn dann vorzeige. (40) Der eine rühmte sich
seines schönen Weibes, der andere seines schönen Hauses, der
eine seines schnellen Pferdes, seines trefflichen Benners, der
andere eines edeln Sperbers oder Falken, ein dritter eines
Palastes oder hohen Turmes, ein vierter unterfing sich irgend
eines Unternehmens. Und ab jeder geprahlt hatte, wurde auch
Herr Liombruno gefragt. (41) „Nun", sagte der König, „habt
Ihr gar nichts zu rühmen?" Und Liombruno antwortete und
sprach: „Heilige Krone, verzeiht! Ich rühme mich meiner
Dame, der schönsten, die man finden kann, und in zwanzig
Tagen will ich das beweisen." (42) „Du bittest mich um eine
Frist von zwanzig Tagen und ich will dir dreissig gewähren."
Liombruno sprach zu seinem Binge: „Bringe mir schnell
Madonna Aquilina her." Diese Dame aber wollte, weil er ihr
die Treue nicht gehalten, nicht kommen, damit er sein Benehmen
bereue ; rasch vergingen achtundzwanzig Tage und am dreissigsten
sollte er den Kopf verlieren. (43) Am dreissigsten Tage kam
sie und hielt sich ausserhalb der Stadt auf. Eine ihrer Zofen
schickte sie verkleidet an den Hof des Könige, und als der
Herrscher sie sah, die voller Anmut war, sagte er zu Liombruno :
„Ist das dein Weib?" Und der antwortete: „Nein, lieber Herr!"
(44) Dann trat eine Kammerjungfer vor den König und seine


7

Barone, und als der König diese betrachtete, die so schön
gebildet war, sprach er zu Liombruno folgendermassen: „Ist
das dein Weib, edler Kämpe ?" Liombruno antwortete mit
sanfter Stimme: „Beide sind ihre Dienerinnen-u (45) Und
Madonna Aquilina kam schliesslich mit ihrem holden Antlitz,
das Glanz ausstrahlte; dem Blicke des Könige zeigte sie sich
und schied dann ohne zu verweilen von dannen. Und als
der König sie betrachtet hatte, sagte er zu Liombruno: „Edler
Herr, verzeiht mir.u Und der antwortete: „Verzeiht eher
mir." (46) Und Liombruno nahm Abschied und ging hinter
seiner Frau her. Sie wartete auf ihn auf einer schönen Wiese
und Liombruno bat sie weinend um Gnade. Und sie sprach:
„Falscher, Treuloser, dein Tod täte mir trotzdem noch leid."
Mit Zauberei ging die Dame davon und liées ihm weder
Rüstung noch Pferd. (47) Weder Hüstung noch Pferd liess
sie ihm, und Liombruno trat in ein Wäldchen ein und traf
da drei Strassenräuber, die alle voller Verzweiflung schienen,
wie ich im zweiten Gesang euch sagen werde samt dem, was
dem Hitter begegnete. Der erste Gesang von Liombruno ist
nun beendigt; Christus und seine Mutter mögen euch vor
Unglück bewahren.

Zweiter Gesang.

(1) Herrscher der ewigen Reiche, du biet licht, Tod und
Leben; du beherrschest die ganze Welt und nahmst Fleisch-
gestalt an in der gnadenreichen Mutter. Gib mir Gnade, o
Herr, dass ich die schöne blumenreiche Geschichte fertig reime*
Im Namen Gottes will ich den zweiten Gesang von Liombruno
beginnen. (2) Ihr Herren, im letzten Gesänge sagte ich euch,
wie Liombruno dem Teufel entrann. Dann erzählte ich wieder
Punkt für Punkt, wie er mit grossen Ehren zum Vater zurück-
kehrte, auch was er dann tat und wie Madonna ihn verliess
und іЬщ weder Waffen noch Pferd liess und wie er in eine
schwierige Lage geriet. (3) Drei Strassenräuber hatten zwei
Kaufleute mit grosser Grausamkeit getötet und ausgeraubt
und hatten ihr Geld zum Verteilen auf einer Wiese auf einen
Stein gelegt. Und jeder schien sehr aufgeregt und sie machten
zusammen einen grossen Lärm und zogen die Schwerter, um
sich zu töten, und das alles um einen Mantel und ein Paar
Hosen. (4) Den Mantel wollte der eine, die Hosen der andere,
und sie konnten nicht einig werden, weil dann der dritte leer


— 8 —

aueging, und so wurden alle drei böee. Unterdessen kam
Liombruno herbei, als sie gerade feet auf einander einhieben,
und der älteste rief ihn an und Liombruno eilte rasch hin.
Und er sprach zu ihm: „Wackerer Freund, achte sehr auf
diese Dinge. Gib dein Urteil über diesen hübschen Mantel
und diese Hosen ab.u Liombruno antwortete ihm: „Dass
ich einen gerechten Entscheid fällen kann, mögt ihr mir die
guten Eigenschaften des Mantels und der Hosen künden, da
ihr sie offenbar kennt." (в) Einer топ ihnen, welcher der ver-
ständigste war, fing an, zu Liombruno zu sagen: „Du sollst
wissen : Wer diesen Mantel an hat, kann von keinem lebendigen
Menschen gesehen werden. Und von der Trefflichkeit dieser
Hosen will ich dir sagen: Wer sie trägt, läuft schneller als der
Wind, denn mit Zauberei wurden sie verfertigt." (7) Liom-
bruno sagte: „Das könnte ich nur glauben, wenn ich es selbst
probiert hätte." Und der älteste antwortete ihm: „So zieh
sie an und geh damit auf diesem Wege einige Schritte."
Liombruno zog sie ohne Zögern an und so bekleidet bat er
einen um den ManteL (8) „Wenn das wahr ist, was ihr sagt,
so ist der meiner Treu einen grossen Schatz wert" Der
älteste sagte: „So zieht ihn doch an; er wird euch Gewissheit
geben, dass dem so ist!" Und er legte ihn um und sprach:
„Seht ihr mich?" „Nein, meiner Treu," sagte jeder; und er
nahm das Geld, wie es ihm beliebte, denn keiner von ihnen
konnte ihn sehen. (9) liombruno zögerte keineswegs; er
trug Mantel und Hosen weg. Und die Räuber blieben traurig
zurück und namentlich waren sie über den ältesten erzürnt.
„Er ist dein Freund, und ein Verwandter von dir," sagten
sie zu ihm, „und du hast ihn so entwischen lassen." Der
älteste sprach: „Ich kenne ihn weiter nicht und ich sah ihn
sonst nie als in diesem Walde." (10) Aber alle Ausreden,
die er vorbrachte nützten ihm nichts: sie wollten ihm keinen
Glauben schenken und spraohen: „Du hast ihn weggeschickt,
um ihn später aufzusuchen, wenn es dir passt." Und voller
Wut drangen sie mit ihren Degen auf ihn ein und brachten
ihn auf jener Wiese zu Tode. (10) Und ale dies vollbracht
war, wandten sie sich zu den Steinen mit dem Gelde, und
als sie sahen, dass dies verschwunden war, gerieten beide in
grosse Wut und jeder beschuldigte den andern, es gestohlen
zu haben. Und mit ihren Schwertern hieben sie so fest auf
einander ein, bis beide zu gleicher Zeit tot am Boden lagen.
(12) Und Liombruno, der das grosse Getöse hörte, wandte


sich um und sah zu, wie sie mächtige Streiche führten und
wie eie voller Wut einander zusetzten* Ohne Aufschub kehrte
er zurück und nahm nach Belieben der Gulden drei tausend
und siebenhundert und eilte dann schneller als der Wind weg.
(13) Und Liombruno wanderte so lange, bis er in eine Stadt
kam und dort in eine Herberge eintrat, wo er drei Kaufleute
traf. Und er grüsste sie und sie standen auf und erwiderten
seinen Gruse. (14) Und als Liombruno die Kaufleute sah,
die ihm Ehre erwiesen, sprach er mit sanfter Miene: „Setzt
euch, edle HerrenIй Und Liombruno sprach zum Wirte:
„Bring Wein, und zwar vom besten, und gebt diesen Kauf-
leuten zu trinken, denn ioh will mit ihnen einen vergnügten
Tag machen. (16) Der Wein wurde also gebracht, und als
sie getrunken hatten, sprach Liombruno und sagte zu ihnen:
„Edle Kaufleute, ihr sucht die Welt nach allen Eichtungen ab
und besucht alle Reiche und Lander. Weift mir doch das
Land über dem Meere, wo Madonna Aquilina wohnt" (16)
Keiner von ihnen konnte es ihm sagen; der eine wie der
andere der beiden Kaufleute sagte: „In meinem Leben habe
ich nie von einem solchen Lande reden hören.u Der älteste
aber sprach: „Du könntest tausend Meilen, Wochen und
Monate wandern, du fändest eine ähnliche Sache nicht; sicher
könnte dir dat nur der Wind zeigen." (17) Liombruno
sprach: „Ist denn keiner da, der mir sagen könnte, wo ich
den Wind antreffen kann?" Der älteste antwortete: „Wenn
du auf jenen Berg steigen und dort die Winde abwarten
wolltest, die bei einem Einsiedler Herberge nehmen; es sind
ihrer mehr als sechzig, wenn sie bei einander sind, und alle
gleichen einem Menschen. (18) Aber probiere es nicht etwa,
die Reise zu wagen, denn nur ein Eremit war dort und der
wird von den Winden hingetragen. Und das erneuert sich
mit jedem Jahresanfang, wie es der Himmelsgott angeordnet
hat. (19) Jener Berg ist so hoch und so steil, dass, wenn
irgend jemand den Aufstieg zu seinem Unglück unternimmt,
er auf der Hälfte des Weges abstürzt und tot unten in der
Ebene aufgefunden wird. Deswegen fürchtet sich jeder dorthin
zu gehen." Liombruno sagte: „Und doch muss ich hinziehen."
(20) Koch war die Sonne nicht untergegangen, als Liombruno
von diesen Abschied nahm. Die Kaufleute hatten ihm Weg
und Aufstieg des Berges gewiesen und er hatte ihnen dafür
gedankt. Er macht sich auf, zieht den Mantel an und bedient
sich auch der Hosen, um geschwinder bei dem Einsiedler zu


— 10 —

sein. (21) Mit der Wimderkraft, die sie besassen, marschierte
er fröhlich, kam zum Berge und stieg ohne Furcht hinan.
Er kam zur Zelle des Einsiedlers und klopfte an. Der
Klausner wunderte sich und machte das Zeichen des Kreuzes;
dann öffnete er das Turchen und sah niemanden. (22) Und
jener Einsiedler hatte grosse Furcht und glaubte, es sei der
Teufel, der alle hintergeht. Liombruno trat etwas zurück,
zog den Mantel aus und rief Christus und die heilige Mutter
an ; dann trat er an das Pförtchen. Als der Klausner die
reine Jungfrau nennen hörte, fasste er wieder Mut. (23) Noch
nicht ganz war die Sonne untergegangen, als, wie die Geschichte
berichtet, Liombruno bei dem Einsiedler ankam. Und dieser
sagte: „Freund, wie bist du hierher gekommen und auf welcher
Seite bist du aufgestiegen? Hierher ist nie ein Mensch ge-
langt, der Wind habe ihn denn hergetragen." (24) Und
Liombruno antwortete ihm und sprach zu dem Klausner: „Mein
Schicksal hat mich hieher gebracht und diese Hosen habe ich
zu solchem Ende getragen. Voller Sehnsucht bin ich nach
meinem Weibe, das auf dem Grunde meines Herzens ruht.
Madonna Aquilina heisst sie und das Land, das sie beherrscht,
ist offenbar absonderlich." (25) Der Klausner sagte unter
dem Einflüsse Gottes zu Liombruno: „In meinen Leben habe
ich nirgends ein solches Land nennen hören." Liombruno
sagte: „Ich bin dahin belehrt worden, dass die Winde hier
einkehren. Im Namen Eurer Höflichkeit bitte ich Euch, fragt
sie mir zu Liebe danach, wenn sie kommen." (26) „So tritt
ein," sagte der Einsiedler, „bis die Winde einer nach dem
Andern hereinkommen. Dann will ich fragen, ob einer es
wiese." Liombruno trat in die Zelle ein, wo der Einsiedler
wohnte, um dort zu bleiben, bis alle die Winde zurückkehrten.
Und jener Einsiedler fragte und beschwor sie im Namen
Gottes. (27) Zuerst kam der Westwind, dann der grosse
Südwestwind, plötzlich nachher der Ostwind, der grosse Ver-
wüstung mit sich bringt; ebenso kam der Hauptwind und der
griechische und der Meereswind, der Auster und Boreas, der
von jenseits der Berge und andere Seewinde aus ihrer Höhe.
(28) Und jener gottbegnadete Einsiedler fragte einen der
Winde nach dem andern und beschwor ihn im Namen Gottes,
ihm Kunde über jenes Land zu geben. Jeder sagte: „Ich bin
nie dort gewesen." Aber einer sagte: „Der Sirocco muss noch
zurückkehren; vielleicht weiss der etwas davon." (29) Unter-
dessen war der Sirocco angekommen und jener Einsiedler be-


schwor ihn bei der Kraft Gottes nach jenem Lande, wo die
Madonna Aquilina ist. Der Sirocco antwortete: „Dort bin
ich schon gewesen und werde morgen früh dorthin zurück-
kehren." Und Liombruno sagte: „Wenn es dir recht ist,
will ich mit dir kommen." (30) Der Wind sagte: „Willst
du mit mir kommen? Jenes Land ist sehr entfernt und ich
könnte nicht auf dich warten, Freund, so dass du umsonst
redest" Liombruno sagte: „Ich kann dir wohl folgen über
Berg und Tal, wenn du mich morgen rufen willst, wenn du
auf dem Funkte bist, aufzubrechen." (31) Der Sirocco sagte:
„Ich will dich rufen, da du mit mir kommen willst; aber
nirgends werde ich auf dich warten, das sag ich dir und das
sollst du wissen. Strasse und Weg will ich dir weisen und
will sehen, ob du mir nachkommst." „Ich bin zufrieden",
sagte Liombruno, „wenn du mir nur diesen Dienst erweisest".
(32) Und der Klausner gab ihnen zum Nachtmahl, was er
hatte, und der Engel des Herrn besuchte ihn. Der Klausner
ging mit Liombruno zu Bett, der die Beinkleider nicht aus-
zog, um sofort bereit zu sein, wenn der Wind ihn rufe, und
um ihm an den Ort zu folgen, wo er hinging. (33) Als
der Tag hell wurde, rief der Sirocco Liombruno und sprach:
„Freund, willst Du mitkommen?" Und er antwortete: „Ich
bin bereit". Ohne Zögern schritt er hinaus, und der Sirocco
wies ihm Weg und Steg und sagte: „Siehst du den Berg,
der in weiter Ferne liegt? Dort wirst du mich finden, wenn
du mir nachkommst" Dann machte sich der Sirocco pustend
auf und Liombruno nahm von dem frommen Klausner Ab-
schied und eilte in schnellem Laufe hinter dem Winde dahin
und legte den Mantel an. Bald kam er dem Sirocco zuvor
und kam so früher als dieser auf dem Berge an, so dass er
auf ihn warten musste. (35) Da sprach der Wind: „Was
für ein Mensch bist du, dass ich dich auf dem Wege nicht
gehen konnte? Und du marschierst eben so schnell und noch
schneller als ich, und ich glaubte, du könntest nicht mit-
kommen? Siehst du jenen Berg in der Ferne? Dorthin
muset du mit mir gehen, und dann werde ich dir, lieber
Freund, dass Schloss der Madonna Aquilina zeigen." (36) Dann
machte sich Sirocco wieder auf den Weg und Liombruno zog
seinen Mantel an und war dem Winde bald ein gutes Stück
voraus, der Liombruno manchmal anrief, der sich umwandte
und Antwort gab. Und so langte er vor dem Winde an und
nahm den Mantel ab. (37) Als das geschehen war, kam der


Wind an und sprach: „Ich versichere dich, lieber teurer Freund,
dass du der schnellste Laufer bist, den ich in meinen Leben
gesehen habe. Erhebe dich nun und sieh dort das Schloss".
Damit schied der Wind von ihm und schlug einen andern Weg
ein; Liombruno aber eilte nach dem Schlosse. (38) Voller
Fröhlichkeit trat er sofort ein und stieg im Palast empor.
Im Saal stand das Mahl bereit, denn Madonna Aquilina will
essen. Er setzte sich und ass aus dem Teller und die Dame
sah den Bitter nicht. (39) Ein Hof fraulein schnitt vor und
ein anderes diente mit dem Becher. Und Liombruno ass mit
gutem Appetit, denn er hatte es nötig, und niemand sah ihn.
Aber jene Frau wunderte sich über das Essen, das vor sie
kam, und es schien ihr, ale esse sie nicht den vierten Teil
von dem, was sie sich reichen liées. (40) Und jene edle und
königliche Dame überlegte und sagte sich in ihrem Herzen:
„Das ist ein Zeichen, dass es Liombruno schlecht ergeht;
dass er entweder tot ist, oder in grossem Unglück sich be-
findet. O ich Unselige! Eine grosse Sünde habe ich begangen,
dass ich ihm weder Waffen noch Pferd liées, während ich auf
seinen Fehler nicht hätte sehen sollen." (41) Durch die
Wunderkiaft des Mantels sah die Dame ihn nicht an ihrer
Seite, und Liombruno beeass noch den Bing, den sie ihm beim
Weggang gegeben hatte. Und jener Bitter mit der hübschen
Erscheinung liées ihn auf den Vorechneideeteller fallen; und
als die Frau ihn sah, hub sie an zu sprechen: (42) „Das ist
der so liebliche Bing, den ich Liombruno gab. Der hätte
ihn noch froh machen können, wenn ich ihm nicht seine Kraft
entzogen hätte. Immerdar wird mein Herz traurig und meine
Seele in Schmerz getaucht sein." Und wegen des grossen
Kummers, den die Dame empfand, fiel sie halbtot auf die
Bank hin. (43) Und die Kammerzofen gingen aus der
Kammer, wie die Herrin es befohlen hatte, und Liombruno
ging hinein und liées sich am Bande des Bettes nieder, auf
dem die Dame vor Schmerz schlief. Er beugte sich über sie,
küsste ihr helles Antlitz, und dabei erwachte die Frau.

(44) Liombruno legte den Mantel wieder an und sie sah
niemanden. Plötzlich sagte sie in ihrem Herzen: nO ich
Elende, Unglückselige! Ich glaubte Liombruno wäre hier; ich
habe gewiss nur geträumt. 0 weh! Mein Trost ist dahin!
Das ist ein sicheres Zeichen, dass Liombruno tot ist."

(45) Da die Frau nichts sah, fing sie ein ander Mal an zu
schlafen, und Liombruno tat wieder das Gleiche und erschreckte


— 13 —

II.

Geschichte von drei verzweifelten Burschen und

drei Feen.

(1) Derjenige, der von Johannes nackt im Flusse Jordan
die Taufe empfing, welcher der Gründer des Christentums
wurde und uns von Sünden rein wusch, leihe mir seine Hülfe,
denn ich weiss selbst, dass ich einer solchen Aufgabe nicht
gewachsen bin. Deswegen stärke er mein Gedächtnis, dass
ich die schöne Geschichte erzählen kann. (2) Da ihr hieher
gekommen seid, um mich anzuhören, so leiht * nun meiner
Bede Eure Aufmerksamkeit, denn ich weiss, dass die Geschichte
euch allen gefallen wird. Bei seiner Geburt wurde sein Glück
jedem Geschöpf zugeteilt, nur muss man es durch die Welt
in Stadt und Schloss überall suchen. (3) Und wenn man es
nicht im eigenen Lande findet, muss man ein anderes ab-
suchen, bis man es entdeckt und dabei Mühe, Drangsal und
Ungemach nicht fürchten. Selten erreicht man das Gute,

die Fran noch mehr; aber diesmal wandte rie sich so schnell
um, dase er sich nicht mit dem Mantel decken konnte, und
sah sie ihn ein bischen, bevor er das Kleidungsstück an-
gezogen. (4 в) Und die Dame tat dergleichen, als ob sie
schliefe, und Liombruno zog den Mantel aus; sie faaste ihn
rasch mit den Händen, bevor er im Mantel verborgen war,
und so stark, dass sie ihn drückte und sagte: „Wer hat dich
dieses Zauberwerk gelehrt, das du anwendest, und wer hat
dich hierher gebracht?" (47) Und Liombruno erzählte ihr
alles, wie es zugegangen, von den Strassenräubern, die er ge-
funden, von dem Mantel und den Hosen, von dem Winde,
der ihm den Weg zeigte. Und ihnen fehlte jetzt nichts
mehr; jedes legte dem andern die Arme um den Hals und
auf jenem Bette schlössen sie Frieden. (48) Und so lebten
sie in vollkommener Liebe mit einander, so lange es Gott
gefiel. Ich aber bitte den allmächtigen Jesum Christum und
seine Mutter voller Hülfe, dass sie alle wackeren Leute be-
schütze und hüte, sie in Frieden und Eintracht erhalte und
uns bei unserem Ende in seine Glorie aufnehme. Euch zu
Ehren ist dieser Sang gedichtet.


— 14 —

ohne vorher d&e Gegenteil durchgemacht zu haben. Berg und
Tal muss man durchstreifen! denn wenn du träge bist und
immer an einem Flecke sitzest, wirst du, das sag ich dir,
dein Glück nicht finden, wenn du dich nicht rührst und
tummelst. (4) Jeden Ort muss man absuchen, manchmal
findet man es auf einer Wiese. Es waren einst drei ver-
zweifelte Burschen, die nicht wussten, was sie anfangen sollten,
bis sie sich zusammentaten. Jeder fing zugleich zu reden
an: „Wohin gehst du?" „Was machst du?" „Ich will es
dir gern sagen, wenn du mich anhören willst. (5) Manche
Strecke habe ich zurückgelegt und bin auch gerne bereit,
deren noch manche zu machen mit gesenktem Haupte, bis
ich es nach so vielen Seufzern irgendwo hinlegen kann." Der
andere antwortete: „Und ich armer Kerl, ich bin entschlossen,
im Guten oder im Bösen aus so viel Kümmernissen heraus-
zukommen, und wenn ich mich eines Tages ins Meer stürzen
müsste." (6) „Ich s ehe, dass jeder von euch verzweifelt ist.
Wenn wir uns Gesellschaft leisten wollen, können wir die
Welt so lange durchqueren, bis uns vielleicht ein Glück zu
Teil wird." Und so wurden sie einig. Zusammen nahmen
sie ihren Weg auf und waren eines Abends in einer Herberge
und am Morgen zogen sie weiter. (7) Sie waren alle leicht
gekleidet, aber weil die Beise weit war, erbaten sie sich Brot
vom Wirt an jenem Abend, und jeder hatte ein Flaschchen,
und weil der Wirt auf die Länge des Weges hinwies, so
füllte jeder das seine mit Wein. So marschierten sie bis
zum Untergang der Sonne und dann lagerten sie sich auf
einer Wiese.

(8) Der eine sagte: „Es wird besser sein, zuerst zu
Nacht zu essen und uns dann zum Schlafe niederzulegen."
Während sie sich noch unterhalten, erscheinen plötzlich drei
schöne junge Mädchen unter ihnen, so dass diese nur staunen
müssen; und kaum sind die Mädchen angekommen, fangen
sie an, zu sprechen: „Seid uns alle drei willkommen, da ihr
hier Herberge genommen habt." (9) Der eine von ihnen
sprach: „Seid auch ihr uns willkommen ! Wohin geht ihr um
diese späte Stunde ! Wenn ihr nichts dagegen habt, ruht hier
mit uns aus und irrt nicht weiter durch Busch und Hain.
Da wir unser drei und ihr euer drei seid, mag jeder für diese
Nacht eine nehmen, und jede von euch sich mit einem von
uns vergnügen, und morgen werdet ihr gehen, wohin es euch
behagŁw (10) Eine antwortete: „Bildet euch das ja nicht


15

ein, denn in keiner Weise wirst da mich berühren, da hattest
mich denn zum Weibe genommen; unter anderen Bedingungen
wirst du mich nicht haben. Aber wenn du mich heiraten
willst, so höre meine Bede: Ich will etwas tun, was dich
fröhlich machen wird, und dir als Mitgift soviel Gut ver-
schaffen, dass du dein ganzes Leben dich dessen freuen
kannst.u (11) „Wisse", antwortetete dieser dem Weibe, dass
ich jetzt nicht zu heiraten gedenke, es sei denn, wie ihr sagt,
dass diejenige, die ich heimführen würde, mir soviel Gut mit-
brächte, dass ich mein ganzes Leben dessen froh würde. Solche Be-
dingungen würde ich vielleicht eingehen ; auf andere Weise würde
ich keine nehmen". (12) Die Frau sagte: „Verlange nur und
erbitte, was du willst, denn du sollst es haben". Er ant-
wortete: „Wenn du mir gibst, was ich verlange, will ich für
immer der Deine sein. Eine Börse möchte ich, so beschaffen,
dass sie immer voller Geld wäre, und jedes Mal, wenn ich sie
öffnete, sollten hundert Dukaten herausspringen". (13) „Hier
ist die Börse, die du von mir verlanget". Und der sagt:
„Ich möchte es aber probieren". Diese nestelt an der uffnung
der Börse herum und läset hundert Dukaten ihm zu Füssen
springen. Der, welcher denkt, dass dies ihm nur nützlich
sein könne, nahm jene mit den schönen Antlitz zum Weibe
und steckte ihr seinen Bing an den Finger. (14) Die andere
sprach zum zweiten von ihnen: „Und was denket du in deinem
Herzen?" Er sprach: „Ich will weder Silber noch Gold,
vielmehr einen Teppich von feiner Farbe, der mich ohne
Bast ungesehen in jeden Kreis trüge." Den besagten Teppich
beschafft die Frau und spricht: „Mach einmal damit die
Probe". Der legte ihn um die Lenden und gab Befehl, ans
Ende der Wiese liess er sich tragen und kehrte schnell
zurück; das Mädchen hat er sofort geheiratet, denn die Sache
schien ihm gut zu gehen. Und dann sagte die dritte ohne
Zögern: „Was hast du dir ausgedacht, Gefährte? Sag es
mir". „Wenn du wüsstest, was ich mir ausgedacht habe und
du es mir liefern könntest, liebliches Antlitz, würde ich dich
heiraten, wie die andern getan, und stände immer ohne Bück-
halt zu deinen Diensten". „Verlange nur, was du willst".
Und er sagte, er wolle ein Horn, bei dessen Blasen jedesmal
zehn Schaaren von Bewaffneten erschienen. (17) Denn wenn
ich recht viel Geld wollte, würde ich einfach ein Land mit
Krieg überziehen und aus Furcht würden sie ohne Säumen
eine grosse Summe zahlen, um vom Kriege befreit zu werden;


— 16 —

denn meiner könnten sie sich ja nicht erwehren, wenn ich
so viele Lente gegen sie ins Feld führte". Das Madchen,
das mit ihm spricht, sagt: „Hier ist das Horn; probier es
und blase einmal"! (18) Und er nahm das Horn und hat
es geblasen; sofort erschienen die Reisigen, sehn Schaaren,
jeder wohl bewaffnet, und wohl zeigen sie sich von Kraft und
Mut beseelt. Koch einmal hat er geblasen und ebenso viele
sind wieder auf den Plan geruckt. So hat er zehn Mal ge-
blasen, bis hundert Schaaren bei einander waren.

(19) Die Proben haben sie also gemacht, die zu ihrer
Zufriedenheit ausgefallen sind, denn jeder hatte, was er wollte ;
und alle drei waren mit diesen dreien so verheiratet, dass es
keinen gereute. Und alle drei sind eingeschlafen, bis der
andere Tag am Himmel heraufstieg; aber am Morgen, als
sie erwachten, fanden sie keine von den Frauen mehr vor.

(20) Und der eine sagt: „Wo bin ich diese Nacht gewesen?"
und erzählt seinen Traum. „Ich habe einen Traum geträumt",
eagt er zu seinen Gefährten, „den ich euch auseinandersetzen
will. Es schien mir, ich habe ein Weib genommen, und wir
schäkerten mit einander. Sollte einer von euch sie gesehen
haben, denn ich weiss nicht, was aus ihr geworden ist?"

(21) Der andere antwortete: „Mir schien es gestern Abend,
als wir gerade daran waren, auf der Wiese unser Nachtessen
einzunehmen, als ob drei Frauen von guter Art gekommen
seien und uns freundlich grüssten." Der dritte Gefährte ist
voller Verzweiflung, denn er kann sich nicht darauf besinnen,
wie die Sache gegangen ist. „Auch ich," sagte er, „habe
eine geheiratet, und weiss nun nicht, wie es sich in Wirklich-
keit verhält." (22) Und der andere spricht: „Auch ich habe
ein Weib genommen, und sie schenkte mir einen gar schönen
Teppich; und obschon es dunkle Nacht war, trug er mich,
wohin ich wollte." Und der erste sagte, dass ihm die seine eine
Börse von dunkler Seide gab, aus der hundert Dukaten her-
vorsprangen, sobald man sie öffnete. (23) Und der jüngste
erzählte: „Mir gab die meine ein fein gearbeitetes Horn, das,
wenn man es blies, jedesmal zehn Schaaren feiner Leute
hervorbrachte." Als sie sich umschauten, fanden sie alle
diese Dinge in ihrem Bereich; sie sahen die Börse und den
feinen Teppich und ebenso das zierlich gearbeitete Horn.
(24) „Das muss ein wirklicher Traum gewesen sein! Machen
wir einmal die Probe und sehen wir, was daran ist!" Sie
machten die Probe und sahen, dass alles in Ordnung war;


17

den Weg nach Bom beschlossen sie einzuschlagen. Der mit
der Börse bezahlte den Wirt fur dat, was sie in seinem
Hause verzehrt hatten. Drei Monate ungefähr blieben sie
in Bom; dann beschlossen sie, andere Lander aufzusuchen.

(25) Es machte sich derjenige auf, der als erster die Börse
bekommen hatte, und schlug den Weg gegen Spanien ein.
Dem Wirte s topft er den Schnabel gut, denn an der Zeche
braucht er nichts abzuklauben. Ein gutes Stück Wegs hat
er schon hinter sich und er knausert nicht mit dem Oelde,
denn er hat ja einen, der für ihn verdient, und mit Schach
und Damenbrett hätte er zwei Säcke Oeldes fallen können,

(26) denn in diesen Spielen war er ein so guter Meister, dass
die Nachricht davon zur Königin gelangte, und gar rasch
läest sie nach ihm schicken, er soll zu Hofe kommen. Er
macht sich schnell auf den Weg und steht ohne Säumen vor
der Königin, die er sich verbeugend ehrerbietend grflsst; und
er sagt: „Hohe Frau, sagt mir, ich bitte Euch, was steht zu
Eurem Befehl?" (27) „Es ist mir von deiner Artigkeit er-
zählt worden, und wie du so gut Schach spielst und auch im
Damenbrett so geschickt bist, dass wenige dir darin gleich-
kommen. Ich trage grosses Verlangen, mit dir zu spielen,
weil du ein so artiger Meister bist." Und er sagt, gern
wolle er tun, was in ihren Wünschen liege. (28) Sie fingen
mit dem Damenbrett an und sein Spiel behagt ihr bass; und
auch er sah sie nicht ungern, denn er war schon halb ver-
liebt in sie. Sie Hessen nun das Brettspiel und machten sich
ans Schach; und sie, die Meisterin im Spiel war, hat ihm in
beiden Gattungen mindestens fünfhundert Dukaten abgewonnen.
(29) Als sie an jenem Tage mit dem Spiel fertig waren,
sagte sie: „Da wir nun solange gespielt haben, so musst du
mir wahrhaftig versprechen, heute mit mir zu Nacht zu speisen".
Und er, der die Flammen schon heftiger brennen fühlt, hat
ihre Einladung sofort angenommen und sagt: „Da es Euch
Vergnügen macht, so ist Euer Wille auch mein Wille. (30) So
haben sie also zu abend gegessen, und dann kam wieder, ohne
dass sie die Tafel aufgehoben hätten, das Damenbrett, und
sie hüben das Spiel wieder an, denn sie denkt in ihrem Sinn,
wie sie das Feuer schüren könne; und manchmal seufzt sie
und dann sinnt sie wieder, wie sie zu ihrem Ziele komme,
denn ihr Gedanke geht darauf aus, ihm den famosen Beutel
zu nehmen. (31) Und sie verstellt sich, und eagt: „Wie ein
Verrater handelet du an der Liebe", und bei diesen Worten

VolkftOmllob« Diobfcmgtn dar Italiener. 2


18

seufzt sie. Der trog schon eine Wunde im Herzen, und hei
diesen Worten horchte er auf; die hat ja weder Gatten noch
Herrn und kann ihn nach Herzenslust an sich fesseln, und
zwischen ihren Seufzern sagt sie ihm, dass sie insgeheim mit
ihm reden möchte. (32) Und so sprach sie denn: „Da der
Liebesgott mich betrogen hat und mich zwingt, dir ganz zu
Willen zu sein, so bin ich eine Königin, wie ich dir erzählt
habe. Wenn es dir also gefiele, mich zum Weibe zu nehmen,
so kämen wir beide auf unsere Rechnung, und so will es das
Geschick. Aber darauf gehe ich immerhin blos ein, wenn du
mir den wunderbaren Beutel zum Geschenk machst. (33) Und
weiterhin sollst du mir zeigen, wie du dich dabei benimmst,
und mir das nicht vorenthalten, wenn du nach deinem Be-
lieben die Gulden hervorbringst; wahrhaftig, ich weiss nicht,
wie das zugeht." Und er sagt: „Pass also auf! Wenn du
die Börse nimmst und sie ohne Säumen an den Lederteilen
schüttelst, kommen immer hundert Gulden heraus." (34) „Das
ist fürwahr eine wunderbare Geschichte! Zum Herrn dieses
Beichee will ich dich machen und als Gemahlin will ich dein
eigen sein, wenn du mich einer solchen Gnade würdigst."
Dieser, dem das Herz im Leibe zappelt, und der sieht, dass
das, wonach er sich sehnt, sich verwirklichen will, spricht zu
ihr: des bin ich zufrieden; du sollst den Beutel haben, wenn
du zuerst tust, was ich dir sage. (35) Bleib ein wenig hier
und dann komm zu mir. Ich mache mich auf den Weg,
komm allein hinter mir her und dort wirst du mich allein
finden." Und so verstand sie wol ihn am Narrenseil herum-
zuführen. Er gab ihr die Börse und dachte keinen Augen-
blick daran, auf solche Weise geäfft zu werden. Diese erhob
sich und begab sich in ihr Gemach, nachdem sie Biagio gesagt
hatte, er solle nachkommen. (36) Dann aber gab sie ihren
Dienern Kunde: „Bleibt hier fest auf dem Platze! Wenn
Biagio sich anschicken will, hier einzudringen, laset in auf
keine Weise ein. Oder noch besser: gebt ihm zehn Streiche
mit den Prügeln auf Abzahlung; sagt, ihr wisset nicht, wer
er sei, schmiert ihn tüchtig durch und jagt ihn fort" (37) Da
nähert sich auch Biagio gleich der Türe. „Hola!", sagt einer
zu ihm; „was hast du hier zu suchen?" Biagio der das Ge-
hirn im Hintern hatte, sagte: „Den Laufpass sollet du be-
bekommen, wenn du jetzt auch noch so fein daherkommst.
Hör, was ich dir sage: Auf dein Gerede gebe ich garnichts
und in die Gemächer der Königin bahne ich mir einen Weg."


— 19 —

(38) Schon sind vier Stallknechte zur Stelle, die ihm das Fell
gehörig durchgerben. Vier Stöcke bringen ihn zum Tanzen
und mancherlei Süssigkeit fallt dabei für ihn ab, und der
Gang erdröhnt wie ein Fase oder eine Höhle, und wie sie ihm
nun den überflüssigen Saft ausgepresst haben, entweicht er
unter Holzmusik durch die Türe.

(39) Der arme Bursche weiss nicht was machen; einsam
und in aller Stille macht er sich auf dem Weg. Nach Born
kehrt der Bejammernswerte zurück und fand die beiden Ge-
fährten in grösster Fröhlichkeit vor. Und er sagte zu einem
von ihnen: „Lieber Bruder, du musst mir deinen Teppich
leihen, denn ein Weib hat mich kräftig zum Narren gehabt
und mich um die Börse erleichtert (40) „Meinen Teppich,"
spricht der Gefährte, „will ich dir nicht leihen, denn ich
fürchte, du würdest ihn verlieren." „Ich muss in ihre Ge-
mächer eintreten, und dazu brauche ich ihn ; denn meine Börse
muss ich wieder haben." So lange haben віє mit einander
geredet, bis sie einig wurden; er legte den Teppich an, zog
davon und kam im Paläste der Königin an. (41) Sofort
trat er durch das Fenster der Kammer, wo die Königin der
Buhe pflog; aber geschickt wie sie war, merkte sie das gleich,
denn Biagio wanderte nicht unsichtbar. Sie war in der Ver-
8tellungskun8t Meisterin und sagte: „In grosses Staunen hast
du mich versetzt; weswegen hast du mit deinem Kommen so
lange gezögert? (42) Ich wenigstens bin nicht schuld daran.
Solltest du mich etwa ganz verlassen haben?" „Jetzt, wo
du mich hast durchprügeln lassen, willst du es natürlich nicht
gewesen sein." „Biagio, in äusserste Verwunderung bringet
du mich mit dem, was du eben gesprochen hast". Und er
erzählt ihr, wie die Sache zugegangen, und sie tut dergleichen,
als hätte sie Mitleid mit ihm. (43) „Einen Zweifel sollst
du mir heben. Vor Schrecken bin ich bleich geworden und
fast in Ohnmacht gefallen, als ich dich durch das Fenster
eintreten sah! Warum hast du dich nicht der Türe bedient?"
„Wenn ich diesen Teppich in meiner Gewalt habe, so trägt
er mich ohne Begleitung wohin ich will." »Das könnte ich
nun nicht glauben, ohne es probiert zu haben," sagte die
Königin. (44) „Das ist ja unglaublich und ich staune nur."
Biagio sagt: „Möglich iet's schon," und ist auch bald bereit,
mit der Probe nachzugeben. nSag mir einmal, fährt man,
wenn man diesen Teppich anhat, unsichtbar, wenn du es ge-
statten willst?" „Sicher unsichtbar, wenn man will," antwortet

2*


Biagio; „du kannst es ja durch die Bäume des Palastes
probieren. (45) Du kannst ihm befehlen, was du willst,
und überall hin wird er dich geleiten; wenn du nicht willst,
brauchet du auch nicht gesehen zu werden, und Fenster oder
Tur schlitzt nicht vor ihm.u Die Dame zog ihn an und
sagte dann: „Siehst du mich? Bin ich gerade oder krumm?"
Biagio antwortet: „Ieh sehe nichts," und sie findet rasch die
Türe. (46) Biagio blieb allein in der Kammer zurück. Sie
zeigte sich ihren Dienern und belehrte sie über die Kraft des
Teppichs. Dann sagte sie zu allen ihren Kammerjungfern,
es möchten zwei von ihr ins Gemach gehen, um das Bett zu
machen: „Und wenn ihr einen aufrecht oder sitzend findet,
so schlagt schnell Lärm, und die Knechte werden mit Un-
gestüm dorthin laufen." (47) Und als sie ankamen, fanden
sie den, welcher auf die Königin wartete, und ohne ihn zu
grüesen hüben die Weiber ein mörderliches Geschrei an. Und
sobald die Knechte das gehört haben, waren sie hinter Biagio
her, und jeder sagte: „Wenn ich dich recht einschätze, bist
du sicher ein Dieb." (48) Und sie fingen an, ihn durchzu-
hauen." Biagio sagte: „Ich bin kein Räuber." Er aber
kriegt den Buckel so voll Haue, dass er zur Tür des Gemaches
und hinausläuft, und voller Angst flieht der Bedauernswerte,
während ihm vor Zorn das Herz bersten will. Und er sagt:
„Ich Armer! Was soll ich weiter tun?" Und damit nimmt
er wieder den Weg nach Born auf.

(49) So kam er denn eines Tages zu seinen Gefährten
und war unzufrieden und zornig, wenn er gedachte, welcher
Schimpf ihm angetan worden und wie ihm der Teppich ent-
wendet worden war. „Leih mir," sagte er zu dem andern,
„dein Horn, denn ich will nach Spanien zurückkehren und dieses
so lange mit Krieg überziehen, bis ich sie gefangen und das
Land verheert habe." (50) Der Gefährte sagt: „Sprich nicht
davon, denn ich bin sicher, du würdest es verlieren, wie du
es mit dem Teppich gemacht hast." Biagio aber setzte ihm
so lange zu, dass er es ihm schliesslich lieh. Biagio nahm
es und zog wieder seiner Wege. (51) Und als er in einer
Ebene an der Grenze jenes Landes anlangte, die ihm günstig
schien, fing er an, jenes Horn zu blasen, und hat so viele
Reisige zusammengebracht. Die Nachricht davon gelangte
endlich auch zur Königin, und da dieser schwere Drohungen
ausstiess, wurde sie schliesslich nachdenklich. (52) So schickte
sie also Späher, um zu erfahren, wer er sei, und als sie es


erkundet, sagte sie: „Den werde ich ohne Kampf versöhnen,
wenn ich nur Gelegenheit finde, mit ihm zu sprechen." Und
sie gedachte, zu ihm in die Ebene hinunter zu steigen, und
hatte alles wohl überlegt. Mit ihrem Gefolge stieg sie zu
Pferde und schlug den Weg nach dem Lager ein. (63) Sie
gelangte ins Lager vor die Standarte und fragte, wer der
Herr sei; dann stieg sie geschickt aus dem Sattelbogen und
erwies ihm ganz besondere Ehre. „Ich möchte," sagte sie,
„den Grund wissen, weswegen du in solche Wut geraten bist."
Biagio sagte zu ihr: „Du sollst'e erfahren und jeden an mir
geübten Betrug musst du bezahlen." (54) „Wenn dir je
eine Beleidigung sollte angetan worden sein, so weiss ich
nichts davon und trage auch keine Schuld daran. Meine
Barone müssen die Ursache gewesen sein, wenn dir je ein
Schimpf widerfuhr. Aber ich weise, dass du klug und weise
bist und dem Schicksal zu danken hast, das dich mit so viel
Gaben des Körpers wie des Geistes ausstattete, dass du zum
Herrn dieses Beichs geworden bist" (55) Und ich verpfände
dir meine Treue, dass mir dein Kommen lieber ist als ich
sagen kann, und dein Scheiden bereitete mir so grossen
Schmerz, dass, wenn ich daran denke, es mir immer noch
kalt über den Bücken läuft In allem, was ich kann, will
ich dir gern gehorchen, und wenn ich dich in irgend etwas
beleidigt haben sollte, tut es mir leid und habe ich darob im
Herzen grossen Kummer. (56) Das Reich stelle ich vollständig
zu deiner Verfügung und alles, was darinnen in meiner Macht
ist, wenn nur ein so gräeslicher Krieg zu Ende ist Und in
meinem Sinne bin ich ganz verdutzt, und mit mir alle grossen
Herrn in diesem Lande, die wahrhaftig nicht die Hälfte
deiner Kriegsmacht zur Verfügung haben. (57) Du würdest
mich aus grosser Verwunderung befreien, wenn du mir den
Sachverhalt wahrhaftig erzählen wolltest, ob es durch
Schwarzkunst geschieht, dass so grosses Volk zu deinem Be-
fehle steht0 Biagio antwortete: „Meine Macht dir zu er-
klären liegt ganz ausser meiner Absicht, damit du mich nicht
wieder hinter das Licht führest, wie du es so trefflich ver-
stehst; diesmal nämlich soll dich der Spass teuer zu stehen
kommen." (58) „Dann willst du also so grausam sein, mir
Ungebührliches zuzufügen? Nun, wenn es dir mir gegenüber
an jedem Entgegenkommen gebricht, so gebe ich mich ganz
in deine Hand! Nimm dieses Messer, s to es es mir ins Herz
und durchbohre meine Seele, damit mit Recht man dich herz-


los nennt, weil du tötest, was dir ergeben ist." (59) Als er
diese Worte gehört hat, rente es ihn und er wandte seinen
Sinn; in seinen Herzen war er traurig und er sagte bei sich :
„Es ist wohl wahr, dass ein Weib kann, was es will, und einem
weiss für schwarz vormalt." Und er überlegte in seinem Geiste
und sprach zu der Frau folgende Worte: (60) „Ich schenke
dir das Leben und dein Land. Gib mir meine Börse und
mein*» Teppich, nnd ich will mit meinem großen Heere ab-
ziehen, nicht ohne dir dieses Geheimnis mitgeteilt zu haben."
Diese bedrängt ihn, es ihr sofort zu sagen, Biagio aber
schwieg bei allen ihren Worten. Sie sprach: „Tu mir dies
kund, und du sollst noch viel mehr als alles dies haben."

(61) Und sie fuhr fort: „Wenn du mich Hebst, Herr mit
dem anmutigen Antlitz, befreie mich in diesem Punkt von
jedem Zweifel." Biagio sprach zu ihr: „Siehst du dieses
Horn? Yon seinem Wesen sollst du einiges wissen. Sobald
ich es blase, bei Tag oder bei Nacht, kommen zehn Schaaren
Gewappneter, die alle zu meiner Verfügung stehen." Die
Frau sagte: „Wie ist denn das möglich?" Und Biagio ant-
wortet: „Das sollst du mit deinen eignen Augen sehen."

(62) Es antwortete die Frau: „Befriedige meinen Wissens-
durst; ich will ein wenig zur Seite treten, und wenn du mir,
Herr, diese Gnade erweisest, sollst du Teil an meinem Beiche
haben." Mit ihrer Frechheit verstand sie, welche diese Kunst
wohl kannte, ihn so weit zu bringen, dass er das Horn in
ihre Hände legte, und sie hat es voller Freude in Empfang
genommen. (63) Sie stieg zu Pferde und entfernte sich ein
bischen; dann erkannte sie, dass dies eitel Feenwerk ist, und
fängt das Pferd zu spornen an. „Mein Schade ists," sagt
Biagio, „und ich trug die Schuld, denn von neuem hab ich
mich foppen lassen." Und da das Horn nicht mehr in seiner
Gewalt war, waren auch die Schaaren der Reisigen weg.
(64) Diese wandte sich ihrer Heimat zu und Hess Biagio
allein, der verzweifeln wollte. Und er sagte bei sich: „Ich
bin doch ein rechtes Vieh! So geht es dem, der sich nicht
zu lenken weiss." Er sieht, dass seine Leute ihn verlassen
haben, und er spricht weiter: „Lass ihn gehen, lass ihn
gehen, den armen Tropf; sein Schicksal hat es wohl so haben
wollen ! "

(65) я Was soll ich tun?" sagt Biagio. „0 ich Unglück-
seliger, der ich so schönen Gewinn eingeheimst habe, dass ich
nicht mehr zurückkehren kann, um meine teuren Gefährten


23

wiederzusehen!" Und er wollte sich ganz der Verzweiflung
hingeben. Aber was nutzt's? Umsonst jammert er, denn so
ergeht es dem, der sich nicht zu lenken weiss, und dem, der
jedermann zu viel Vertrauen schenkt. (66) Biagio befand sich
in einem Irrgarten, wie er nie in einem grösseren gewesen
war, und aus dem herauszukommen ihm unmöglich schien;
denn sein zu grosses Vertrauen hat ihn zu dem gebracht, was
er nun muss über sich ergehen lassen. Halb leblos weiss er
nicht, wohin er sich wenden soll, und so bittet er in Jammer
und Fein den Himmel, ihm Hülfe zu schicken. (67) Aber
jene Fee, die ihm die Börse*) geschenkt hatte, wollte ihn
nicht im Stiche lassen und bewirkte, dass er in jener Um-
gebung eine Feige fand, und von diesen Feigen will ich euch
erzählen, dass sie eine Kraft besassen, über die ihr werdet
mächtig lachen müssen. (68) Jedes Mal, wenn Biagio eine
davon ass, wuchs ihm ein Schwanz um eine Hand breit! Er
hatte grossen Hunger und ass also darauf los, bis er manchen
Beif davon hatte; dann sagte er schliesslich: „Noch bin ich
gar hungrig und doch will ich nicht weiter essen." Und so
liess er den Feigenbaum und wanderte weiter, und der Schwanz
schlängelte sich mindestens sechs Mal um seinen Leib. Es
war Januar und der Beif deckte alle Saaten zu. Als er über
einen Hügel gekommen war, richtete er seine Augen in die
Bunde und sah am Abhang einen anderen Feigenbaum, der
auch mit Früchten beladen war, und an dessen Fuss blieb er
stehen. (70) Und die Feigen waren über alle Massen schön.
Biagio erinnert sich an den andern Baum und das Missge-
schick, das ihm jener gebracht; er steht ein bischen still und
hält an; dann sagt er: „Ich will auf gut Glück hin davon
essen, und sollten mir gar Hörner wachsen." Eine dieser
Feigen stiess er sich in den Mund, und sofort nahm der
Schwanz um eine Hand breit ab. (71) Biagio fing an, sich
zu freuen: „Vielleicht kann das noch mein Glück werden!"
und er begann von den Feigen soviel zu essen, dass der ganze
Schwanz verschwand. Bei sich dachte er nach und sagte:
„Ich will doch einmal sehen, ob ich meine Sachen nicht
wieder kriegen kann." (72) Schliesslich fand er ein Körbchen
und ging damit zum ersten Feigenbaum; acht von dessen
Früchten steckte er ein. „Wenn mir mein Vorhaben nur

*) Der Text hat fälschlich: das Horn. Oder vielleicht ist
eher zu lesen: die ihnen das Horn.


— 24 —

gelingt," sagte er, nnd nahm acht Feigen von dem zweiten Baum,
die er in einem Sacklein verwahrte. Nach der Stadt machte
er sich auf, bloe, um der Königin jene Feigen zu verkaufen.

(73) Unter dem Paläste nahm er einen Platz ein; seine
Kleider machten ihn unkenntlich. Es war kalt und unbehag-
lich. Einer war zur Königin hinaufgegangen, die in ihrem
wohlgew&rmten Gemache sass. „Drunten an unserer Wohnung
habe ich unter dem Vordach etwas gesehen, was mich sehr
in Verwunderung versetzt. (74) Ein Bauer hat da einen Korb
voll Feigen, die im September nicht schöner sein könnten;
Für acht der Früchte will er vier Dukaten haben." „Geh
schnell, lass sie dir nicht entgehen und bring sie dann schnell
herauf." Der bringt ihm die vier Dukaten und Biagio entweicht
durch das Stadttor. (75) Dann kam die Stunde des Früh-
stücks. Die Königin hatte zwei Fräulein, die mit ihr zu
Tische sassen, und beide waren wohlerzogen und schön. Als
sie sich zu Tische gesetzt hatten, reichte man ihnen das
Wasser zum Händewaschen und das Mahl begann; die Königin
liées sich jene Feigen bringen. (76) Sie nahm deren zwei
nnd reichte sie der einen ihrer Hoffräulein und sprach: „las
sie, denn sie gehören dir," und so geschah es mit den andern
zwei, die sie der andern gab. Die andern vier will sie für
sich behalten und sprach : „Die rechne ich mir als einen
grossen Genuas an," und sie assen sie mit Lust und redeten von
ihnen als von einer lieblichen Speise. (77) Das Frühstück
war halb fertig und noch wurde das Lob der Feigen gesungen,
als eines der Fräulein sprach und der Königin gegenüber
solche Worte über die Lippen brachte: „Eine traurige Ge-
schichte ist mir passiert! O weh mir, mir ist ein Schwanz
gewachsen." „Und mir auch, wie mir scheint," sagte die
andere, und damit hörten sie zu essen auf. (78) Die Königin
trat in ihr Gemach und rief auch die Fräulein herbei. Sie
heben die Böcke in die Höhe und schauen nach dem Schwänze;
und, o weh! alle dreie hatten einen, die Armen. Der der
Fräulein hatte zwei Hand Breite und der der Königin viere;
und indem sie zwei und zwei und vier verglichen, konnten
sie aus der Sache nicht klug werden. (79) Schliesslich kamen
sie darauf. Den Fräulein hatte sie je zwei Feigen gegeben
und sie fanden Schwänze von zwei Hand breit vor; sie hatte
vier Feigen und dafür das Doppelte; also konnte es nicht
fehlen: „die Feigen", sagte sie, „sind daran schuld". Nach
Ärzten liées sie schicken, um diese Miesbildung zu entfernen.


(80) Und viele Arzte fand man auch nnd alle wunderten sich
über den Fall ; und schliesslich kamen sie überein : Für diese
Krankheit gibt es kein Heilmittel. Einigen ging es sogar
schlecht, denn so wollte es die Königin, weil nach aussen hin
die Sache nicht ruchbar werden sollte. (81) Trotzdem redet
man davon und Biagio ist ins Land zurückgekehrt. Ins Haus
eines Arztes begibt er sich und hat in folgender Weise mit
ihm geredet: „Doktor, Gott schenke dir GesundheitIа „Und
Geld gebe er uns auch!" sagte der Arzt. Biagio fahrt fort:
„Und Geld sollst du auch haben, wenn du tun willst, wie ich
dir sage.u (82) Biagio war mehrere Male in der Türkei ge-
wesen und verstand die dortige Sprache ganz gui Er sagte
zum Arzt: „Mein Unglück hat mich Pein und Not genug
erdulden lassen. Ich komme aus der Nachbarschaft von
Bussland. Das Glück wandte mir den Bücken. (83) Mein
ganzes Vermögen liegt auf. dem Grund des Meeres und kaum
bin ich mit heiler Haut davon gekommen. Mein Beruf war
die Heilkunst und zufällig bin ich in dieses Land gekommen.
Nun glaube ich gehört zu haben, dass die Königin ein übles
Gebrechen an ihrem Leibe trägt. Wenn du mir ein purpurnes
Kleid mit einem kriegegewohnten Pferde und zwei Bedienten
leihst, werde ich dir sehr verpflichtet sein und den Gewinn
wollen wir miteinander teilen. (84) Aber nimm zwei Be-
diente aus fremden Landen, und du geh zur Gebieterin und
sag der Königin, wie ich gestern gerade um neun Uhr Abends
hierher kam und nach Rom ziehen wollte, wie du zufällig an
der Haustür standest, wie ich dich grüsste und wie du mich
auffordertest, die Nacht in deinem Hause zuzubringen. (85) Und
weil ich dein Berufsgenosse war, nahmst du mich auf; und
dann redeten wir von der Heilkunst und du fragtest mich
allerlei und ich gab dir über jeden Punkt Auskunft, wie ich
jede Krankheit heilen kann. Wenn du das, wie ich dir sage,
tust, sollst du fünfzig Dukaten von mir haben." (86) Als
der Arzt von Geld reden hörte, holte er ihm ein schönes
Pferd mit zwei Knechten und einen mit Buntwerk gefütterten
Rock und liess ihn ohne weiteres Reden im Hause. Fröh-
lichen Herzens begab er sich zur Königin, redete mit ihr von
ihrem Znsammentreffen, wie er zuhause einen gar kundigen
Arzt hat, der im Sinne hat, nach Rom zu gehen, (87) wo er
den heiligen Vater in Behandlung nehmen soll, denn für alle
Übel weiss er ein Heilmittel. Ich fing auch an von Euch zu
erzählen; um es kurz zu machen: auch diese Krankheit weiss


26

er zu heilen und Euch von diesem Gebrechen zu befreien.
Sie antwortet: „Wenn er ist, wie du ihn schilderst, eoll sofort
nach ihm geschickt werden." (88) Doktor Biagio kam schnell
zur Königin und grûsste sie fein. „Der welcher den Mond
und das Tagesgestirn schuf, erhalte und behüte dich und
steh dir immer mit seiner Hülfe bei.a Und die Königin
sagte in gleicher Weise: „Doktor, seid willkommen! Und
wenn Ihr wirklich zu meiner Heilung gekommen seid, sollt
Ihr Geld von mir bekommen, so viel Ihr wollt" (89) Doktor
Biagio sagt: „So ist's recht Ich bin sicher, Euch zu heilen.u
Er fing an, von seinem Unglück zu erzählen und woher er
kommt, wie er sich ausserhalb Landes befand und wie er all
seine Habe auf dem Meere verlor, wie ihr der andere Arzt
wohl erzählt habe. (90) „Auf also," sagte die Königin, „da
Ihr in Euerm Berufe so tüchtig seid, wie mir jener gesagt
hat" Und jener fuhr geschickt in seiner Hede fort: „Immer
und überall wo ich war habe ich die Krankheit in Augen-
schein nehmen wollen. Wenn ich Eure Krankheit heilen soll,
muss ich also mit dem Auge sehen und mit der Hand be-
tasten. tt (91) Die beiden Fräulein wurden Biagio zur Kur
übergeben und er begab sich in ihre Kammer. Biagio schien
jede schön, denn sie leuchteten wie die Sterne. Biagio spricht
zu jeder von ihnen: „Zieht die Unterröcke aus, denn ich
muss bei meiner Treue von Eurer Krankheit Einsicht nehmen."
(92) Sie zogen sich also beide aus und er besah alles und
betastete alles, so dass sie ihm Seufzer entlockten und ihm
die Haare zu Berge standen. Er tröstete jede: „Eure Krank-
heit wird geheilt sein,a und ohne Zögern tat er, als ob er
eine Latwerge herausnehme, (93) und dabei nahm er geschickt
eine jener Feigen und steckte sie der einen von ihnen in den
Mund, und das gleiche tat er bei der andern, und sauber wie
Gold gab er jeder noch eine. Und nach einer Weile fingen
beide an zu sagen: „Doktor so und so, wir sind von unserer
ganzen Krankheit geheilt"

(94) Die Neuigkeit drang bald zur Königin, dass die
beiden Fräulein geheilt seien, und schnell geht sie zu dem
Gemache, wo sie sich von der Wahrheit überzeugt Und sie
spricht zu Biagio: „Dein Heilmittel wird deine Börse bald
zum Lachen bringen." Und Biagio antwortet: „Die Hälfte
des Honorars möchte ich haben, denn das ist bei unsers
Gleichen Sitte." (95) Sie liess ihm ausserdem hundert
Dukaten geben und sprach: „Die andere Hälfte sollst du


haben, wenn du mich geheilt hast, und alle sollen dir auf den
Tisch gezählt werden, bevor du von mir Abschied nimmst«44
„Für heute wollen wir ausruhen; morgen wird die Sache noch
besser abgeklärt sein. Erlaubt mir also dass ich mich zurück-
ziehe; morgen soll das zweite Experiment an die Reihe
kommen." (96) Vierhundert Dukaten gab er dem Arzte,
der ihm das Kleid und das Pferd geliehen. Der war das
Geld zu nehmen nicht faul; und Biagio sprach: „Damit ich
diesmal nicht als Unmensch erscheine, so nimm diese
Kleinigkeit und gib sie dem, der mir dieses Kleid lieh, und
morgen soll es wieder in deinen Händen sein. (97) Denn
du sollst es mir so lange überlassen, bis ich die Königin von
ihrem Übel befreit habe, und dann kehre ich auch hei dir
ein und meine Ehrlichkeit sollet du an dir erfahren.44 Der
sagte bei sich: „Geh in Gottes Namen! Ich weiss, dass wir
uns mit diesen Dingern gütlich tun werden.44 „Auch diese
Fünfzig nimm noch und lohne damit die Bedienten ab.44

(98) Biagio liess an jenem Abend etwas drauf gehen; und als
der Morgen gekommen war, und sich Biagio aus dem Bette
erhoben hatte, trat er тог die Königin und besah auch ihr
Missgeschick an der Stelle, wo er den andern Heilung gebracht
hatte, und in einer Latwerge verabreichte er ihr zwei jener
Feigen und meinte dabei, es sei nicht unangenehm zu nehmen.

(99) Und die Königin däuchte es in der Tat süss und sie
sagte, das sei eine gute Latwerge. Biagio sagte: „Dieses
Heilmittel ist über alles hochzuschätzen.44 Die Königin ruht
ein bischen aus und ruft dann, dass jedermann es hört, dass
zwei Hand breit des Schwanzes verschwunden sind. (100) Da-
mit war die Königin recht zufrieden und meinte, Biagio solle
nur fortfahren. Der war aber nicht maulfaul und sagte, sie
dürfe eich nicht sehr beeilen: »Nie erinnere ich mich,
dass je einer mir gesagt hat, ich solle diese Kur so eilfertig
vollziehen, denn sie kann sehr schädlich wirken und muss
mit aller Sorgfalt durchgeführt werden. (101) Es mues Euch
genügen, dass ihr morgen früh zufriedengestellt sein werdet.
Nun möchte ich von euch eine Gnade erbitten, die ihr mir
gewähren mögt.44 „Euch einen Gefallen zu gewähren werde
ich eicher weder langsam noch saumselig sein; und indem ich
euch einen Dienst erweise, glaube ich nur einen kleinen Teil
meines Dankes für deine Wohltat abgetragen zu haben.44
(102) „Ich habe von euch sagen hören, dass ihr einen schönen
Schatz besitzt und ausserdem sonderbare Sachen, die ich gern


— 28 —

sehen möchte, wenn ihr nichts dagegen habt." Diese sagte:
„Nach dem Frühstück will ich es dir zeigen, da du es wünschest.
Alles, was ich dir an Augen ablesen könnte, möchte ich dir
zu Gefallen tun." (103) Biagio ging zum Frühstück und
sagte: „Vielleicht erreiche ich mein Ziel doch noch," und er
denkt in seinem Herzen, was er zu tun hat, um seine Sachen
wieder zu bekommen. Als er gefrühstückt hatte, liées die
Königin, um ihm ein Vergnügen zu bereiten, nach ihm
schicken und führte ihn in ihr Gemach, das mit Schätzen
ganz angefüllt war. (104) Zunächst breitete sie den Teppich,
den sie Biagio abgenommen, mitten auf dem Boden aus.
Biagio schaute ihn nur an und blieb ruhig dabei Dann holte
sie ein Buntwerk hervor und viele Juwelen, die einen Haufen
Goldes wert waren; dazu legte sie die Börse Biagios und auch
sein Horn, (100) von vielen andern Kleinodien und schönen
Dingen zu schweigen, die hier aufzuzählen zu weit führen
würde. Und die Frau sprach zu Biagio: „Nun, sind diese
meine Kleinodien nicht anmutig?" „Doch," sagte Biagio,
„ohne zu lügen." Die Frau sagt: „Wenn du mich heilst,
magst du davon nehmen, wonach dich gelüstet" (106) Biagio
sagte: „Wenn ich in mein Land zurückkehre, wird es mir
weder an Kleinodien noch an Geld fehlen. Auf der ganzen
Welt findet sich weder Schloss noch Stadt, die sich mit den
meinigen vergleichen liessen. Ich will nur denjenigen, die
mich darnach fragen könnten, die Wahrheit über deinen
Schatz möglichst genau sagen können." (107) „Damit du
diesem deinem Wunsche recht gut nachkommen könnest, will
ich von drei Dingen hier das Geheimnis mitteilen: dem Beutel,
dem Horn und dem Teppioh, deren Wert in Worten nicht
auszudrücken ist und deren Kraft ich dir blos mitteile, damit
du es in deinem Lande wieder erzählen kannst und von mir
froh scheidest. (108) Merk dir also für den Fall, dass einer
dich darnach fragen sollte: Jedes Mal, wenn du den Beutel
schüttelst, fallen hundert Dukaten heraus. Jedes Mal, dass
du das Horn ertönen lassest, kommen zehn Schaaren Gewapp-
neter." „Das ist aber grossartig," antwortete Biagio. Und
die Frau sagte: „Es kommt noch schöner. Wenn einer diesen
Teppich über die Schultern wirft und er möchte, dass er ihn
in die Luft hebe, trägt er ihn bis nach Boncesval und Mauern
und Tore schützen gegen ihn nicht, und er schreitet über
Berg und Tal und kein Wind hat seine Geschwindigkeit. Ist
es nicht grossartig, sag mir, dass diese Dinge solche Kraft


— 29 —

Ш.

Novelle von drei Frauen, die einen Ring fanden.

(1) Zur Zeit Merline lebten drei schöne verheiratete Frauen,
die einen Lustgarten verliessen, in dem sie sich einige Tage
vergnügt hatten, und als sie wohlgemut, heiter und zufrieden
auf dem Wege nach ihrer Heimat waren, fanden sie zusammen

besitzen?" (110) Biagio ergriff die Börse mit der Hand,
und das Horn dazu, und sprach zur Königin: „Wenn das,
was du sagst, richtig ist, gab es nie auf der Welt eine so
köstliche Sache." Damit nimmt er schnell den Teppich,
wirft ihn über die Schultern und sagt: „Vorwärts." Dann
liess er die Juwelen fallen und die Königin fing an zu schreien.
(111) Bei diesem Geschrei eilten die Knechte herbei und alle
sagten: „Was soll das heissen?" Und die Königin antwortete:
„Dem, der den Leuten zu viel Vertrauen schenkt, dem pflegt
es wie mir zu gehen. Nun kann er über mich lachen, während
ich mich hier zu Tode ärgere." Und den Knechten setzte sie
die Sache auseinander: „Und dieser Arzt ist schuld daran ge-
wesen " (112) Biagio war in kurzer Zeit bei seinen Gefährten
und erzählte ihnen den Fall in aller Ausführlichkeit, und wie
er schliesslich mit schönem Gewinn davon gekommen sei und
ein ander Mal klüger sein wolle; und damit Keiner von ihnen
sich zu beklagen habe, nahm er seine Börse aus dem Busen,
und schenkte jedem fünfhundert Dukaten, damit sie sich an
ihm erholen können.

(113) Daraue geht hervor, dass man Niemanden betrügen
soll. Die hielt, wie gesagt wurde, Biagio zum Narren und er
täuschte sie, wie wenn sie ein junger Fant wäre. Und ander-
seits soll man auch Niemanden trauen, wie tausendfältige Er-
fahrung lehrt, denn viele haben einen ihr Vertrauen gechenkt,
die dann hintergangen worden sind. (114) Wenn diese Biagio
Börse, Teppich und Horn nahm und ihn voller Verzweiflung
herumirren Hess, so liess ihn jene Fee das Geheimnis ent-
decken; dank ihr fand er die Feigen von verschiedener
Wirkung und er bediente sich ihrer verständig. Und wenn
ich die Wahrheit verkünden soll, dass jeder sie hören kann,
so sage ich: Noch heute besitzt sie ein Schwänzlein von zwei
Hand breit Langel


— зо —

einen kostbaren, blitzenden, schönen Bing von grossem Werte.
(2) Da alle ihn gesehen hatten, wollte jede ihn haben, nnd
führte dafür gnte Gründe an. Merlin, der zufällig bei dem
Lärm herbeikam, wurde die Entscheidung übertragen, und er
antwortete sofort: „Wenn ich eure Zwistigkeit wohl betrachte,
ist das eher eine Verwirrung als ein Streit, in dem man
einen Entscheid treffen kann. (3) Aber da ihr mich als
Schiedsrichter in dieser Sache bestellt habt, so verspreche ich,
der den Bing an den Pinger zu stecken, welche mit der besten
List ihrem Manne den schönsten Streich spielen wird."

(4) Die erste, welche die Frau eines Kotare war, suchte
ihren Geliebten, einen klugen Mann, auf und sprach zu ihm:
„Mein lieber fröhlicher Freund, verweigere mir jetzt einen
Dienst nicht. Führe mir, ohne dass es dich einen Heller kostet,
in unauffälliger Weise einen Zimmermann her, denn ich habe
beschlossen, heute meinem Manne einen Possen zu spielen."
(ö) Der Geliebte wollte seine Freundin nicht verlieren und
war es zufrieden, einen Zimmermeister hinzuschicken und als
der zur bestimmten Stunde gekommen war, Hess sie ihn eine
andere Türe anbringen, welche dem eigentlichen Eingang ähnlich
war, und welche in ein gewisses Zimmer im Erdgeschoss
führte. Und das tat sie, um ihrem Gatten Mühsal und Pein
zu schaffen. (6) Als die Stunde gekommen war, wo der
göttliche Apollo seine schönen Goldhaare uns entzieht, kehrt
der Gatte, des Schreibens satt, nach Hause zurück, um
sich etwas zu erholen. Die Frau, die ihn kommen hörte,
liées sich mit grossem Gekrach wie ein lebloser Körper,
der die Seele aushaucht, die Treppe herunter fallen und rief:
„Oh weh! ich bin verloren!" (7) Sofort lief der Mann
dorthin, wo sie lag, und sagte; „Mein Weib, was soll das
heiseen?" Sie gab keine Antwort, aber wandte sich mehrere
Male wie eine unbeholfene Masse herum. Auch die Magd
eilte herbei und befahl ihrem Herrn, schnell in der Lilien-
apotheke ein gewisses Ol zu holen ; die war nämlich mehr als
eine gute Meile entfernt, (8) Der schenkte diesen Worten
Glauben, da er Wahrheit von Lüge nicht unterscheiden konnte,
und wie ein rechter Gatte, der seine Frau verehrt und liebt,
rannte er in die Apotheke. Sie aber, die wenig Schmerzen
spürte, erhob sich rasch nnd verwandelte die alte Türe in eine
neue, und um den Spass zu erhöhen, Hess sie einen Wirt-
schaftereif daran anbringen. (9) Als dann der Gatte in
grosser Eile von dem Apotheker zurückkam und eine neue


31

Tür sah war er ganz erschrocken und sprach bei sich selbst;
„Ich muss mich geirrt haben." Dann sah er den Reif und
war ganz paff, und er hörte in jenem Hause überall das
Lärmen des Geschirrs uud das Bellen von Hunden, was ihn
die Hände zum Himmel erheben liess. (10) Und seufzend
sagte er: „Oh ich Unseliger! Wie geht das zu, dass ich das
und das Haus klar als das Meinige erkenne und es in eine
Wirtschaft verwandelt ist? Welches Missgeschick hat mich
so verrückt gemacht, dass ich nach Sonnenuntergang beim
Schein der Laterne nicht unterscheiden kann, ob dies mein
Heim oder das eines andern ist? (11) Ich habe nie Hunde
gehalten, und hier höre ich deren so viele, dass ein Jäger
nichts mit ihnen anzufangen wüsste. Aber sollte ich jede
Qual erdulden und dabei Leben und Ehre verlieren, so will ich
probieren, ob ich hier eintreten kann oder nicht." Nach diesen
Worten verscheuchte er jede Furcht und fing an, zu klopfen,
in der Meinung, es werde ihm sofort geöffnet werden.
(12) Aber ein Diener, der da drin versteckt war, sprach zu
ihm: „Geh mit Gott! Denn du findest hier heute Abend um
keinen Preis Herberge. Besorge deine Angelegenheiten an
einem andern Orte." Diese Antwort schien ihm so sonderbar,
dass er den Kopf sinken liess wie die Ochsen, wenn sie vom
Metzger den Todeeetreich empfangen haben; er erinnerte sich
nicht einmal mehr, Notar zu sein. (13) Ganz verwirrt ging
er weg und sprach dabei: „Die Wohnung, die mir gehörte,
ist dies nicht mehr ! Und doch scheint mir, ich habe sie eben
in raschem Laufe verlassen. Mag Gott es verstehen, denn ich
versteh es nicht, vielmehr bin ich ganz verstört, denn im
Übrigen ist die Strasse ganz unverändert." Mit diesen Worten
setzte er sich in Bewegung und zählte eins nach dem andern
die Häuser seiner Nachbarn ab, und indem er sie wieder und
wieder beschaute, täuschte er sich in keinem als in seinem
eigenen. Und als er das bei sich bedachte, beschloss er, noch
ein Mal sein Glück zu probieren, so dass ihm der Diener noch
frecher entgegentrat, (15) der zu ihm sagte: „Hergelaufener
Kerl, wenn dir noch ein einziges Wort entschlüpft, soll ein
Steinhagel über dir niedersausen, und die Hunde will ich auf
dich hetzen, bis die Kleider und Haut ganz zerfetzt sind.
Mach dich schnell auf die Strümpfe und beschleunige deine
Schritte, und behellige mich nicht noch einmal* Wenn du
ein drittes Mal klopfst, wird dich einer hören, der dich nie
gesehen hat." (16) „Öffne gefalligst, denn dies Haus gehört


32

mir," sagte der Notar, „nnd ärgere mich nicht länger." „Beim
Henker, ich will dir öffnen nnd die Kleider sollen dir rauchen!
Siehst du denn nicht, dass dies eine Wirtschaft ist? Spiel
nicht weiter den Laffen, sonst lass ich die Hunde los."
(17) Und er tat dergleichen, als ob er sie losbinden wolle.
Der aber bekam solche Furcht, dass er sich nicht getraute,
ihn weiter zu bitten, und so ergriff er die Flucht, um einem
grösseren Unglück zu entfliehen. Und um den Hunden besser
zu entgehen, wenn sie hinter ihm herkommen sollten, gab er
sich Mühe, die Strassen zu vermeiden und die Gässchen zu
benutzen, bis er schliesslich in das Haue eines Barbiers ge-
gelangte. (18) Als er sich zurecht gefunden, beschloss er,
diese Nacht nieht länger herumzustreifen. Er rief den Barbier,
nnd der kam gar freundlich herbei, unterhielt sich mit ihm
von vielen Dingen und fragte ihn schliesslich ob er vielleicht
eine törichte Gesellschaft angetroffen habe, dass er sich um
eine solche Stunde habe aus dem Hause locken lassen.

(19) Der setzte ihm vom Anfang bis zum Ende auseinander,
was ihm passiert und wie es ihm ergangen war; wie er mit
den Heilmitteln zurückkam, um seiner verunglückten Frau zu
Hülfe zu kommen, wie er alle benachbarten Häuser genau er-
kannte, das seinige aber nicht mehr da war; wie er vielmehr
an Stelle desselben eine gutbegangene Wirtschaft vorfand;

(20) und wie ein Diener ihn hatte töten wollen, der frecher
als je einer war, und wie er dem Tode durch diesen kaum
entrann. Der Barbier fing an, zu lachen, in dem Gedanken,
dass der gnte Mann träume oder dass er vielleicht, wie es
vorkommt, eins über den Durst getrunken. (21) Und um
dem abzuhelfen, sagte er zu dem Freunde gewandt: „Es wird
gut sein, wenn ihr ohne Zögern euch zu Bett begebt, da für
euch die Strassen nicht passierbar sind." Dieser, der
vom Hunger geplagt wurde und der sich wegen seines
Durstes aufziehen hörte, sagte: „Damit ich zu dem Schaden
noch den Spott habe, soll ich nun auch noch ohne
Nachtessen zu Bette gehen. (22) Du behandelet mich
wie einen Betrunkenen, und ich bin so nüchtern, wie
nur möglich. Doch heute Morgen habe ich nichts als ein
Ei genossen, so das mir der Magen zusammenschrumpft. Du
weist, dass während des Tages ich vom Schreiben mich bloss
erhebe, wenn etwas dazwischen kommt, nnd heute habe ich
beständig geschrieben. Denk dir also, wie wohl mir zu Mute
ist" Der Barbier sagte: „Es ist für Euch nicht gut, dass


за

Ihr so spät nach esset ; daraus könnte mehr Böses als Gutes ent-
stehen, und mir fiele es zur Last." Der, dessen Eingeweide
leer waren, hätte gerne zu Nacht gegessen ; aber топ Scham be-
zwungen ging er, wenn auch ungern, zu Bette. (24) Die ganze
Nacht verbrachte der Unglückselige, ohne je Schlaf zu fin-
den, damit, das erlebte Missgeschick durchzudenken und zu
bejammern, brüllend, wie die Tiger und die Bären, wenn sie
dem Jäger nicht entrinnen können, oder wenn sie sich von
den andern Raubtieren mit übermächtiger Kraft zerrissen und
zerfleischt sehen. (25) Als aber die schöne Morgenröte mit
dem Tagesgestirn sich zu offenbaren begann, beschloss dieser,
nicht länger liegen zu bleiben wie ein Feigling, sondern mit
männlichem Mute zur Wohnung zurückzukehren, und für den
Fall, dass jener Diener keine Art annehme, so viele Freunde
zu sammeln und mit solchem Ungestüm vorzugehen, dass die
Mauern sich öffnen sollen, geschweige denn die Türen.
(26) Jener Barbier, der ein ganz geriebener Schäker war,
ruhte nicht, bis er ihm eigenhändig eine Art von Panzer an-
gezogen hatte, der mehr als hundert Jahre in einer Ecke ge-
legen hatte; und an die Seite gürtete er ihm ein Schwert
von der Art jener, welche nicht so rasch aus der Scheide
fahren, und um die Ausstattung vollständig zu machen, liess
er ihn den Kopf in eine Art von Truhe stecken. (27) So
machte er sich schwach, betrübt und von der Last der Waffen
bedrückt mit dem Barbier zusammen auf den Weg; und als
sie sich auf Pfeilschussweite dem Hause genähert hatten,
sahen sie kein Wirtshausabzeichen mehr vor, so dass der
Barbier, der mit ihm an dieser Stelle stehen geblieben war
lachend sagte: „Meiner Treu, Ihr hattet gestern, wenn mich
nicht alles täuscht, einen ordentlichen Schwips." (28) „So
wahr ich dir gewogen bin," sagte dieser, war das nicht der
Fall; vielmehr muss es ein Gespenst oder der Geist eines
abgeschiedenen Feindes gewesen sein." Und es fällt ihm gar-
ment ein, die Schuld auf seine Frau zu werfen und ihr so
Unrecht zu tun; und aus Angst vor ihr stottert er und ist
fast aus dem Häuschen, und so sehr wenig weise er sich einen
Bat zu schaffen, dass er es nicht wagt, die Türe zu berühren,
geschweige denn einzutreten. (29) Sein Ehegespons, das auf
seine Bückkehr wartet, hatte eine Wache ans Fenster gestellt.
Als die ihren Herrn um die Ecke auf die Hauetüre zukommen
sah, trat ihm ganz wild entgegen und sagte: „Eine schöne
Geschichte! Ein netter Spass, den Ihr Euch da geleistet

Volkftomliohe Diohtangen der Italiener. 3


34

habt! Welches reissende Tier wäre so erbarmungslos« eine
solche Grausamkeit zu verüben !a (30) Von der andern Seite
eilte das Weib herbei, kläffend und beissend wie eine Hündin,
und tat dergleichen, als ob sie sich zu Tode weine; und da-
bei verfluchte sie den ersten, der davon sprach, sie mit einem
solchen Manne ins Ehejoch zu spannen, mit dem sie nun mehr
als zwölf Jahre in Schmerz und Pein gelebt habe. „Als ich
gestern Abend in Todesnöten war, ranntest du in grosser
Eile davon« Und jetzt kehrst du — ein Traum scheint es mir
— bewaffnet in Gesellschaft eines Haarschneidere zurück, dass
ich aus Scham für dich in den Boden sinke, wenn ich sehe,
mit was für Leuten du dich abgibst und zu deiner Gesell*
schaft einen Läusesäger auswählet, so dass mich Lust ankommt,
dir die Augen auszukratzen." (32) Er konnte lange sagen:
„Weib, hör mich doch, Undankbare, und stille deine Wut!
Die Möglichkeit, heimzukehren, wurde mir zweimal genommen
und mir solcher Schimpf angetan, dass ich zum dritten Male
nicht anzuklopfen wagte und gern oder ungern anderswo eine
Lagerstatt suchen musste; und wenn du das nicht glaubet,
so frage den, der bei mir ist." (33) „Was fur ein gutes
Zeugnis ist das gewesen! Sonst weiter keine, Herr Gatte?
Nur zu! doch sag mir gleich, wie viele Blätter dies dein
Büchlein hat, und ob die Blätter drin schwarz oder weiss
sind, damit ich schnellstens weiss, welcher Wirt dich diese
Nacht in seinen Klauen hielt.tf Als der Barbier dieses Ge-
töse hörte, machte er sich eilends auf die Strümpfe.

(34) Und der arme Gatte stand da wie angewurzelt und
zitterte auf der einen Seite und auf der andern schnaubte er,
wie einer, der im Kampf mit Weib und Magd den kürzeren
zieht. Schon schiffbrüchig will er nicht zwischen Skylla und
Gharybdis ersaufen, und bittet seine Frau, sie möge sich be-
sänftigen; ein prächtiges und schönes Kleid soll sie haben.
Bei solchem Angebot liess sie mit Blitzesschnelle den Hoch-
mut des Weibes fahren, so dass der Gatte voller Freude
zu seiner Frau sagte: „Bereite das Essen, denn ich fühle
meine Kräfte schwinden, wenn du auch nicht an das glaubet,
was ich habe aushalten müssen," „Ich glaub es, Männchen,
denn du bist ja ganz verstört. (36) Auch der gestrige
Tag zwingt mich, dir Glauben zu schenken, denn an solchen
Abenden ziehen viele Hexen mit ihrer Anführerin an der
Spitze durch die Strassen, und sinnen darauf, mit ihren
Zaubereien einen guten Mann der Sinne zu berauben, der


— 35 —

sein Hans verläset, um für seine leidende Frau Hülfe zu
holen.** (37) „So wird es sein, mein Weib; du sprichst wahr,
wie wenn du dabei gewesen wärest. Ich war im Begriff,
dienstfertig und hurtig zurückzukehren, um in die Liste der
Ehemänner aufgenommen zu werden, wie sie sein sollen, als
ich nach Hause kam und ganz baff wurde, als ich die Türen
die alt und abgebraucht waren, erneuert fand — wunderbar
zu sehen! — und darüber einen Wirtschaftsreif.** (38) Die
Frau konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen, da sie
an dem Missvergnügen, das sie ihrem Ehegespons bereitet,
Vergnügen fand. Und auch er hatte keinen Grund zur Klage,
weil die Freude dem Schmerz die Tore schloss, und neben
der erlebten Fröhlichkeit konnte die Erinnerung an das erlebte
Leid nicht aufkommen.

(39) Kehren wir nun zur zweiten Gattin zurück, welche
mit der ersten wetteiferte und sich anschickte, an ihrem Ge-
mahl ihren Willen zu erproben und schon einige Spässe aus-
geheckt hatte, die sie ihm spielen könnte. Schliesslich sagte
sie, als sie schon die Kleider ausgezogen, um zu Bett zu gehen,
zu ihrem Gatten: „Mein Gatte, du hast einen so stinkenden
Atem, daß ich mir vorgenommen habe, nicht mehr an deiner
Seite zu ruhen.** (40) Der Gatte sagte: „Sprichst du im
Ernst, mein liebes Weib, oder willst du mit mir einen Scherz
machen?** Sie antwortete: „Es ist nicht meine Art, zu spassen,
am wenigsten mit dir. Es schickt sich nicht, vielmehr ist es
eine grosse Schmach für eine Frau, wenn ein Mann bei solchen
Vorkommnissen den Blinden spielen will; zu den Frauen, die
sich das gefallen lassen, habe ich nie gehört und will nie dazu
gehören. (41) Weiter will ich dir sagen, dass ich mich von
Tisch und Bett von dir schon von mehr als einen Monat
hätte scheiden lassen; aber dein liebreiches mildes Wesen und
deine andern guten Eigenschaften haben mich zu meinem
Schaden in dieser unwürdigen Lage gehalten. Und wenn ich
dich jetzt verlasse, so fass dich in Geduld, denn ich kann es
nicht mehr länger aushalten.** (42) Da antwortete er ganz
erschrocken: „Gibt es denn für einen schlechten Atem kein
anderes Heilmittel, als dass ein Weib den Mann verläset und
ihn für immer zwingt, keusch zu leben? Du bringst mich
in eine so elende Lage, dass ich lieber nicht mehr unter den
Lebenden weilen möchte.** Die Frau sagt: „Wenn du nach
einem Mittel dich sehnst, musst du dich um Hülfe umsehen.
Ich kenne einen Barbier, der, wenn er dich bloss ein Mal

3*


— 86 —

sieht, dir sagen kann, ob dieser Fehler von den Zähnen oder
dem Magen herrührt und ob dir geholfen werden kann." Der
gute Kerl, der alles glaubt, antwortet: „Lassen wir ihn schnell
kommen!" Die Frau, die ihn schon am Bändel hat, schickt
einen Diener nach ihm, der ihr ganz ergeben ist. (44) Als
der Barbier gekommen war, sagte er sofort, dass dieses Ge-
brechen nicht aus dem Magen, sondern топ einem verdorbenen
Zahne herrühre, der hinten im Munde sitze und den er leicht
ausziehen könnte, wenn er nur während eines bald vorüber-
gehenden Schmerzes ein bischen Geduld haben wolle.
(46) Dieser sagte: „Meister, ein wenig Schmerz zu ertragen
macht mir nichts aus, wenn ich nur der Heilung sicher bin
und es nicht noch schlimmer kommt." Der Barbier, der ihn
zwischen Tür und Mauer hatte, packte ihm einen Zahn, den
schönsten und den besten, den er im Munde hatte, und hielt
ihn so in Bedrängnis, dass ein Toter aufgestanden wäre.
(46) Ptolomäus sah in seiner ganzen Astrologie, obwohl er
sie bei unbedecktem Himmel betrachtete, nie so viele Sterne,
als dieser am Schatten sah, und die Kiefer krachten ihm der-
art, dass man den Lärm, den das Ausreissen verursachte, so-
zusagen durch die ganze Gegend hörte, um von dem Schrei
ganz zu schweigen, so dass viele Leute herbeieilten. (47) Vier-
zehn Tage und mehr trug er den Kopf und die Kinnbaoken
zu seinem Verdruse angebunden, und beinahe wäre ihm der
Lebensatem ausgegangen; so grob und ungebührlich war der
Spass.

Kun soll von der dritten die Bede sein, die mit einem
Abt zu ihrem Ergötzen einen neuen Streich und eine neue
Tücke gegen ihren Gatten am gleichen Tage ersann. (48) Sie
gab ihm von einem Trank zu trinken, der ihn sofort in einen
schweren Schlaf versenkte, worauf sie froh einen Boten
zu dem Abte sandte, um seine Hülfe in Anspruch zu nehmen.
Dieser, der des Weges nicht unkundig war, eilte mit zwei
Mönchen auf heimlichen Pfaden sofort herbei und trat hurtig
und leichtfüssig ins Haue, um den Gatten ine Kloster zu
bringen. (49) Und als er dort angekommen war, liées er ihm
seine Kleider aueziehen und ein Mönchgewand anlegen. Ausser-
dem Hess er ihm, als er ihn so einem Toten ähnlich, der nie
mehr aufwachen soll, schlafen sah, eine grosse Tonsur am Kopfe
echeeren, um seiner noch besser spotten zu können, und be-
fahl, dass ihn unter den Namen des Bruders Golombin der
Sakristan zur Mette rufe. (50) Aber bevor diese Stunde sich


37

am Himmel zeigte, batte der Trank іеіпе Wirkung verloren,
eo dass dieser erwachte und sagte: „Was soll das heiesen?
Wohin bin ich geraten? Welch ungerechtes Schicksal gab
so viel Schlimmes zu? Steh auf, Frau, und hilf mir." Und
um sie zu wecken, hatte er die Hand ausgestreckt» als der
Sakristan an die Zelle trat, (61) und stark an die Tür pochend
eagte: „Schnell auf, Bruder Colombin! Im Namen des Abtes
befehle ich Euch, mit den anderen zur Messe zu erscheinen."
Der, welcher nicht wusste, wie und wann er unter eine solche
Fügung des Schicksals geraten war, stiese vor Verwunderung
einen lauten Schrei aus und machte dann das Zeichen des
Kreuzes. (52) Und indem er sich selbst betastete, sagte er:
„Nie in meinem Leben gelüstete es mich darnach, Mönch zu
werden noch wünsche ich jetzt, in einem Kloster zu sein.
Zur Mette laset mich der Abt rufen? Das ist wahrhaftig eine
zu scheussliche Geschichte, und ich kann mir kaum vorstellen,
dass mich meine Kräfte, mein Verstand, meine Kleider und,
was am wichtigsten ist, Julia mein Weib sollen im Stiche ge-
lassen haben." (63) Da kommt der Sakristan zum zweiten
Mal voller Zorn und Empörung und rief mit grossem Ungestüm
von neuem: „Schnell auf, denn schon hat es zum dritten Mal
geläutet." Bruder Colombin gerät in einem wahren Aufruhr,
und drohend antwortet er: „Wenn ich heraus komme, ver-
dammter Teufel, richte ich dich so zu, dass schleunige Flucht
dir nichts hilft." (54) Der Sakristan antwortete: „Meiner
Treu, wenn ich solche Dinge dem Abte berichte, wirst du
vom Scheitel bis zur Zehe durchgebläut werden als ein
schlechter und verruchter Bruder." Der glaubt immer noch zu
träumen und merkt nichts von den gesponnenen Bänken und dass
sein Weib ihm Widerstand leistet; einem Narren gleich tritt er
aus der Zelle (55) und packt den Sakristan am Skapulier, dass
der sich nicht zu rühren wagte; und er sprach dabei: „Nun ruf'
den Abt und seinen Stellvertreter und die ganze andere Be-
gleite chaft, denn jeder soll als gewöhnliche Kost von mir
fünfzig Faustechläge erhalten," und fortwährend prügelte
er ihn dabei Der Abt, der es hörte, eilte bei dem Getöse
herbei als wirklicher Guardian und Hirt. (55) Alle Mönche
sammelte er in ein Truppchen, um nicht blind in den Kampf
zu gehen, und jeder hielt in der Hand eine Geiseel, derart,
dass sie einen Griechen zum Lateinischreden bringen konnten.
Und als sie zu der Stelle gekommen, wo der frisoh gebackne
Mönch war, sprach der Abt zornig zu ihm: „Sag einmal,


38

Brader Colombin, weswegen bist da nicht zur Mette gekom-
men? (57) Und es genügt dir nicht, dem Abte gegenüber
ungehorsam gewesen zu sein, du musst auch noch den Sakrieten
prügeln? Aber der gerechten Strafe sollst du nicht entgehen,
bevor ich dich freigebe." Dann befahl er, ihn auszukleiden
und zu geissein, was ihm gar sonderbar vorkam, so dass er
anfing zu schreien: „Ist das eure Satzung? ich verstehe sie
nicht!" (58) Da sprach der Abt: „Bevor der Tag hell am
Himmel hinaufsteigt, wirst du sie so kennen lernen, dass du
sie einen andern lehren könntest, obschon Verstand nicht
deine stärkste Seite ist." Der antwortete: „Mönch bin ich
nie geworden, und was für ein Teufel hat mich gezwungen
diese rauen Hüllen anzuziehen und mein schönes "Weib zu
verlassen?" (59) Sprach der Abt: „Man muss ihm jeden-
falls den Grind kratzen. Packt eure Geissei, denn Worte
sind hier überflüssig: ich komme nicht daraus, ob er sich
verstellt oder ob er träumt." Die übliche Vorschrift wurde
gegeben, um ihn zum Gehorsam zurückzuführen, die ihm so
schwer fällt, und sie fingen an, ihn zu geisseln, dass ihm der
Schlaf verging, nicht bloss das Lachen. (60) „Barmherzig-
keit!" schrie der Arme, mein frommer und guter Herr Abt.
Zur Mette will ich ungerufen beim ersten Glockenzeichen
kommen; und wenn ich je von deinen Geboten abfalle, übe
keine Nachsicht, sondern verjage mich mit Schimpf und
Schande aus dem Kloster und lass mich jede Pein erdulden."
(61) Der Abt sprach da: „Du bist ein frecher Lümmel, der
du von einem Weibe sprichst, und doch nahm ich dich am
Johannistage vor fünfzehn Jahren in der Auvergne in unsern
Orden auf." Er antwortete: „Ich weiss nicht, wie das kommt,
wozu du mich verurteilet; aber ich sage dir in Wahrheit und
schwöre dir, dass mich nie darnach gelüstete, ein Kloster-
bruder zu werden. (62) Ausserdem scheint es mir, dass ich
noch vor zwei Tagen Weib, Familie und Gesinde hatte, präch-
tige Güter, Alleen und Höfe, Handel und Wandel und ein
hübsches Vermögen beisammen." Sprach der Abt: „Du kehrst
wieder zu deiner weltlichen Verirrung zurück. Die Haut
hängt dir offenbar noch nicht fest am Bücken. Auf! man
prügle ihn ein andres Mal." „Gnade, Herr Abt, um Gott,
tut das nicht, denn sofort will ich gehorchen." "So komm
also zur Mette," sprach der Abt, „wenn du nicht als ganz
dummer Mensch erscheinen willst; und bitte tausend Mal den
Sakristan um Entschuldigung wegen des gar grossen Fehlers,


— 39 —

den dn an ihm begingst, indem dn einen Monat lang jeden
Morgen mit ausgestreckten Armen am Boden kniest"
(64) Dieser, welcher die Hiebe gekostet hatte, versprach guten
Willens alles, was man von ihm wollte, und hätte Christus
verleugnet, nur um dieser Pein zu entgehen. Schliesslich fand
er sich bei der Mette ein und der Abt trug ihm auf, den
zweiten Gegengesang zu singen, wenn er nicht wolle, dass sein
Jammer von neuem beginne. (65) »Wie soll ich singen?"
sagte der Arme, „wo ich glaube, seit meiner Geburt nie sonst
einer Mette beigewohnt zu haben ? O meine süsse Julia, wer
hat dich mir geraubt ? Wollte Gott, ich wäre in deiner Nähe ;
dann ginge es mir nicht so schlecht!" Um ihn noch mehr
in Furcht zu jagen, fing der Abt von neuem an, ihn schreck-
lich zu bedrohen. (66) So sah er sich, ob er wollte oder
nicht, gezwungen, den zweiten Gegengesang anzustimmen, und
so süss stimmte er ihn an, obschon er in solcher Kunst des
Verständnisses entbehrte, dass er den ganzen Chor in Ver-
wirrung brachte und es in jener Nacht bei der Mette nicht
mehr möglich war, die Stimmen zusammenzubringen, so schön
sang Bruder Oolombin. (67) Deswegen musste er dann am
Morgen mit den Katzen unter dem Tische essen und die
Teller in die Küche tragen. Weiterhin liées ihn der Abt
wegen eines Wortes, das er gesprochen, peitschen; dann befahl
er ihm, mit einer Schlinge am Halse um Verzeihung für das
gebrochene Stillschweigen zu bitten und einen grossen Schluck
Wermut zu trinken. (68) Aber wenn ich euch alles sagen
musste, was über den Armen hereinbrach, würde die Ge-
schichte zu wortreich und der Hörer käme nicht zu Ende.
Es genügt, noch den berühmtesten Teil zu berühren, wo der
Abt ihn einen Mönche als Gefährten mitgab, der grosse Lust
hatte, ihn einmal durch die Stadt zu begleiten. (69) Als
dieser zu dem Hause gelangte, wo er mit seinem Weib zu
wohnen pflegte, sagte er bei sich: „Wenn ich je noch Blätter
umwende in meinem Leben unter jenen Mönchen in diesem
Gewände, so hole mich der Henker," und damit wandte er
dem Gefährten den Bücken, trat in grosser Eile über die
Schwelle, da er die Tür offen sah, und verlangte mit lauter
Stimme nach Julia. (70) „Da bin ich," antwortete das Weib,
„was steht zu Euren Diensten, ehrwürdiger Vater?" Und er
breitete beide Arme aus, um sie an sein Herz zu drücken, mit den
Worten: „Ich bin dein Gatte, Giani Andrea." Aber sie be-
drohte ihn mit lautem Geschrei: „Ich soll wohl eine Stange


40

ergreifen, unverschämter Pfaffe, um dir damit den Schädel
zn zerschmettern ? (71) Ist das das Beispiel eines ruhigen
Lebens, das du den Leuten dieser Welt gibst? Scham dich
dessen, was du zu mir gesagt hast, denn mein Gatte ist seit
einem Monat auf einem Landgut! Und andern Schimpf tat
sie ihm noch an, bis aus der Küche noch eine Magd erschien,
mutig und stark, zu ihrer Hülfe, und ihm zwei Näpfe auf
dem Kopf zerschlug. (72) Und das Weib begleitete ihn noch
mit der Stange bis an die Türe, um ihm die Kapuze der Kutte
in Ordnung zu bringen und um ihm die kürzesten Wege zu
zeigen. Bei diesem Lärm eilen viele Leute herbei; aber sein
Gefährte entschuldigt ihn in diesem Augenblick sehr, indem
er sagt: „Tut ihm seinen Schimpf an; der Ärmste ist ein
bischen verrückt. (73) Zu gewissen Zeiten des Jahres und gar
häufig pflegte er solche Anfälle zu bekommen, dass er einen
Monat und mehr von Sinnen war; aber nie verlor er so sehr
das Mass, dass er irgend eine Ausschreitung begangen
hätte, es sei denn jetzt, was mir Furcht einflößet Und um
grösserer Schmach zu entgehen führte er ihn gebunden ins
Kloster. (74) Der Arme wagte es nicht, auch nur ein Wort
zu sagen, um nicht von Leuten aus dem Volke erkannt zu
werden; und so wurde er ganz erschrocken und verstört, von
Furcht und Scham hin und hergetrieben, bis zur Abtei von
vielem Volk geleitet und für einen Narren angesehen, so dass
der Abt ihn sofort im Turmverliess in Böcke schliessen Hess.
(76) So lange hielt er ihn im Gefängnis, bis ihm die Haare
mächtig wuchsen, dann holte er, um ihn aus dem Kloster
herauszubringen, vorsichtig den Trank hervor und gab ihm
davon ein Glas voll zu trinken, dass seine Sinne so ihren
Pfad verloren, dass er wie tot, vom Schlafe ganz umfangen,
nach seinem Hause zurückgebracht wurde. (76) Die Frau
brachte ihn an dem gleichen Orte unter, wo er gewesen war,
als die Mönche ihn wegtrugen, und nicht lange war er dort,
so schwand die Finsternis und Phöbus stieg glühend wie ein
Feuer, herrlich und hell im Osten empor, und durchbohrte
mit seinem Strahl die Erde, bevor dieser erwachte. (77) Aber
als er wach war und sein Weib vor sich sah, betrachtet er
diese ganz verstört und wechselt die Farbe, und wiederholt oft :
„0 Gott, was hat mich für eine solche Gnade bestimmt, dass
ich dir zurückgegeben bin, mein Weib, denn ich dachte schon,
von dir verbannt zu sein, und zweifelte schon, ob ich dich je
im Leben wieder sehe." Und er fing an, all sein Unglück


41

топ einem Ende bis zum andern ihr zu erzählen, und wie nie
an irgend einem Ort ein Mensch lebte, der so viele Hiebe
bekam, wie er, und dass niemanden ein ahnliches Schicksal
traf. Es sprach das Werb: „AU dein Miesgeschick rührt, mein
Gatte, wenn ich das Rätsel recht löse, nur топ deinem
unmässigen Trinken her. (79) Wer zu тієї trinkt, träumt
тієї, und du hast gestern so тієї geschluckt, dass ich mich
schämte, deine Lebensgefährtin zu sein, und das brachte dich
ine Wackeln, denn der Mensch, der über den Durst trinkt,
gerät so ausser sich, dass ihm in einer Stunde es scheint, in
so vielen Ländern gewesen zu sein, als er in vier Monaten
nicht zu bereisen vermöchte." (80) „Kann sein, mein Weib,
dass ich geträumt habe. Immerhin kam ich letzthin als
Mönch verkleidet hierher, um dich zu umarmen, aber du ge-
rietest in eine Wut, dass ich mich jetzt noch fürchte, dich
anzusehen.- Die Frau sprach: „Halt nun den Mund und
sprich davon nicht weiter, denn es kostet mich Uberwindung,
dich anzuhören; und wegen dieses deines Lasters hoffe nicht,
von mir in Zukunft je einen Schluck ungemischten Weines
zu bekommen. (81) Bleib nun den ganzen Monat hier im
Hause, denn du gleichst einem Sperber, dem man die Augen-
lider zugenäht hat. Ich werde durch das Land Gerücht und
Mähr verbreiten, dn habest die Märkte von Frankreich auf-
gesucht, damit dein Verfehlen nicht an den Tag komme und
dir daraus Schmach erwachse." Dann machte sie sich mit
den Gefährtinnen auf den Weg und zusammen suchten sie Merlin
auf. (82) Und als sie bei ihm angekommen waren, setzte ihm
jede auseinander, was für einen Streich sie ihrem Mann ge-
spielt habe. Merlin antwortete nicht sogleich, denn er staunte,
welchen Fleiss diese Damen bei ihrem Wettbewerb entwickelt
hatten. Dann aber entschied er — und mit Becht — dass
die mit dem Zahn die Ehre des Sieges davon getragen habe.
(88) Und um der ersten und dritten zu beweisen, dass er
gerecht geurteilt habe, sagte er: „Jede von enoh hat ihren
Gatten gezwungen, eine Lüge zu glauben. Diejenige, die ihren
Mann aussperrte, liess ihm durch einen Diener Schimpf und
Schande sagen und ihn bedrohen, was auch den grössten Weisen
als Narren hätte erscheinen lassen. Und du brachtest deinen
Mann von Sinnen, indem du ihn mit jenem Trank betrunken
machtest, und auf ähnliche Weise hast du ihn dann mit Hülfe
von andern zu seinem Nachteil übertölpelt. Aber diese be-
wog ohne weiter auszuholen den Gatten mit ihrer eigenen


— 42 —

IV.

Qrlllo als Arzt.

(1) O ihr hohen und heiligen Musen, die ihr an dem ge-
weihten Born des Pegasus weilt und mit grünenden Oliven-
blättern bekränzt seid, schenkt mir wie dem Thebaner Amphion
und dem Thrakter Orpheus eure höchste Gunst, dass ich eine
Erzählung vortragen mag, die den Zuhörer ergötze. (2) Im
Dekamerone des Boccacio, in seinem Gorbaccio und auch nicht
in den fünfzig Erzählungen findet sich eine, die dem horchenden
Publikum so viel Freude und Genuss zu verschaffen im Stande
wäre. Sie handelt von einem dummen und halbverrückten
Bauer, der gewohnt war, vom Morgen bis zum Abend den
Acker zu bestellen und der den Doktor der Medizin spielen
wollte.

(3) Grillo nannte er sich mit Namen und wohnte mit
"Weib und Kindern in einer aus Schilf, Böhricht und Blättern
gebauten Hütte, in der er von dem Ertrag seiner ländlichen
Arbeit lebte. Er hatte einen Bruder, der Doktor war, einen
jeden Preises und jeder Ehre würdigen Mann. (4) Der wohnte
in einer hochherzigen Stadt, die nicht weit von jenem Land-
haus entfernt war, und lebte prächtig und fein von dem Be-
rufe, den er den ganzen Tag ausübte. Dieser Arzt, um euch
nichts zu verhehlen, träumte in einer Nacht, er sei auf das
Feld gegangen, wo sein Bruder pflügte. (5) Und es war ihm,
als ob er vom Pferde stiege und dass er den Pflug gegen seinen
Willen mit aller Gewalt schnell wegnahm, dass er der Furche
des Bruders langsam folgte und dass ein unbekanntes Etwas,
das im Acker verborgen war, ihn mitten im Pflügen zurück-

Zunge dazu, sieh den schönsten und besten Zahn, den er
hatte, ausziehen zu lassen, weswegen ich Euch den Preis zu-
erkenne.

(85) Keiner von den andern war so geschickt wie dieser,
Lug und Trug zu erkennen, und wurde unter allen am stärksten
geäfft und musete an sich den grössten Schaden erfahren, so
dass der Preis richtig verteilt ist. Und keine von euch be-
mühe sich, ihn zu erbitten, denn ich reiche ihn der, welche
die schlauste und dabei die am wenigsten verdorbene ist.


43

hielt nnd um das Ende dieser Arbeit zu sehen, entdeckte er
einen unglaublichen Schatz. (6) Und während er denn diesen
wegtragen wollte, erwachte er gegen Tagesanbruch und fand
seine Hände leer. Deswegen wollte er aber nicht ver-
zweifeln, und er befahl seinen Knechten, ihm sein Pferd vor-
zuführen, damit er sehen könne, ob das, was er geträumt,
wahr sei. (7) Als das Pferd ohne zu langen Verzug an der
Stelle angekommen war, stieg der Arzt auf und ritt schneller
als im Galopp davon, um auf seiner Reise bevor die Sonne
am Horizonte aufgestiegen war, kein Hindernis anzutreffen.
So gelangte er auf eine grüne liebliche Au, auf welcher er
seinen Bruder sah, der an der Stelle pflügte, von der er ge-
träumt hatte. (8) Und er stieg von seinem guten Benner,
schritt auf seinen Bruder zu, und rise ihm schnell den Pflug
aus der Hand; dann wandte er sich ohne Verzug an ihn und
bat ihn um Verzeihung, wenn er sich in diesem Falle einen
Fehler zu Schulden kommen lasse, da er es nicht tue, um
ihm entgegen zu treten, sondern um über eine Vermutung ins
Klare zu kommen, die ihm in einem Traumgesichte auf-
gestiegen sei. (9) Als sich Grillo so behandelt sah, packte
er wutentflammt eine Hacke und schwur bei Gott, er wolle
ihn ungespitzt in den Boden hineinschlagen und ihm den
Kopf wie eine Bübe abhauen. Aber einer seiner Knechte
eilte ihm zur Hülfe, schlug dem Bauer schnell die Schaufel
herunter und mit dem Schwerte in der Hand zwang er ihn als
verständiger Mann gegen seinen Willen zur Buhe. (10) Unter-
dessen fing der edle Arzt wie ein Ackersmann das Feld zu
pflügen an nnd kümmerte sich wenig um die Wut des Bruders
beim Antreiben der Ochsen, die eine gerade Furche zogen.
Und so lange ging er, dass, wenn er an jenem Tag zu Bette
gegangen wäre, wie Jason auf der Fahrt nach dem berühmten
und kostbaren goldenen Vliese um ihm ein Hindernis in den Weg
zu legen, hätte er keinen so grossen Schatz gefunden. Denn
mitten im Pflügen sties s der Pflug auf den Deckel eines
Grabes, das unter dem schwarzen Erdreich verborgen war,
und so sah es aus, dass den Doktor die Furcht packte bei
dem Gedanken, es sei der Höllenschlund und nicht die Öffnung
eines dunkeln Grabes, aber als er seine Augen auf den Inhalt
richtete, sah er einen grossen Schatz in dem Grabmal. (12) Der
berühmte Giani, der später Doge der Venezianer wurde, weil
er den kleinen Knaben bei sich hatte, war nicht so froh, als
er den Schatz in Altino fand, wie es dieser Doktor war, der


44

beide Hände öffnete, nnd dabei den himmlischen Herrn lobte
dafür, dass sich das, was ihm im Traume erschienen war, in
Wirklichkeit ereignete. (13) Als Grillo, der aufmerksam zu-
schaute, den Schatz sah, eilte er sohneil an den Ort, wo sein
Bruder beim Grabmal stand, und wollte auch seinen Anteil
haben. Aber damit war der Doktor nicht zufrieden, vielmehr
jagte er ihn von sich mit den Worten: Wenn er sich nicht von
dannen trolle, werde er ihn von seinen Knechten totschlagen
lassen. (14) Grillo hörte das voller Furcht und verließe mit
gesenktem Haupte das Feld; der Doktor aber war weder faul
noch müde, den ganzen Schatz aus den Boden zu heben und
ihn dann schnell wie ein Blitz von seinen Dienern nach
Hause schaffen zu lassen. Und als Grillo in seiner Hütte
anlangte, erschöpfte er sich umsonst in seinem Bemühen, das
Schicksal zu verfluchen, (16) indem er sagte: «Ach ich
Elender, Unglücklicher, wer ist in dieser Welt unter
einem schlimmeren Stern geboren, wenn ein Mann, der
an einer Stelle pfiügt, einen solchen Schatz findet, wie ich
ihn eher zu bekommen hoffen durfte, an einem Orte, wo ich
mich mit äusserster Mühsal seit zwanzig Jahren abgerackert
hatte? (16) Das ist ein allzu offenbares Zeichen meines alles
übersteigenden Unglücke, und ich kann daraus entnehmen, wie
es weiter gehen wird, wenn sich Meer und Erde, Feuer und
Luft mir entgegenstellen nnd die ganze Welt und der Himmel
mich bedrücken und das Schicksal gegen mich ist, gegen das
ich nicht ankämpfen kann, weil es schliesslich immer den Sieg
davonträgt." (17) Während sich Grillo so grämte, drängten
sich die Kinder um ihn und schrieen alle um Brot; da wuchs
ihm Schmerz und Zorn doppelt, so dass er aus innerstem
Herzen Himmel, Mond, Sonne, Nacht, Tag, Feuer, Wasser
und den ganzen menschlichen Krempel verfluchte, da er nur
zum Dulden auf diese Welt gekommen war: (18) Und er
fuhr in seinem Ergüsse fort: „Wie kommt es, dass das Glück
einem Doktor so günstig ist, dass er ohne Mühe einen so
grossen Schatz finden kann? Deswegen will ich Doktor
werden, da diese unter der Sichel des Mondes so glücklich
sind, dass sie in einem Augenblick mehr verdienen als jeder
Andere in hundert Jahren. (19) Das Vieh, den Pflug und die
Felder will ich verkaufen und Arzt werden, und wie ich hier
bloss Mühsale einheimse, will ich mit meinen Kenntnissen
Geld verdienen, um meine Lage zu verändern. An Ehre werde
ich Abend und Morgen zunehmen und hoffe in einem Jahre


so viel zu zu erwerben als andere Gelehrte in hundert und mehr."
(20) Sein "Weib, das aufs Land gegangen war, kehrte mit der
Schaufel in der Hand heim, und da sie ihren Gatten sah,
der sich leise über sein Schicksal beklagte, wurde sie nicht
müde, ihn zu befragen, welches der unglückliche Fall sei, der
seine Pein und seinen Schmerz verursachte, und so wahr er
sie liebe, möge er es ihr sagen. (21) Und der Bauer erzahlte
ihr unter schweren Klagen, wie die ganze Sache gegangen sei
und wie er den besten Entschluss gefasst habe, nämlich den,
ebenfalls Arzt zu werden und praktizierend von Ort zu Ort
zu ziehen, um reich zu werden und Ehre zu erwerben. „Und
das, was ich auf dieser Welt besitze, will ich verkaufen, um
mich fein zu kleiden und Geld ausgeben zu können." Das
Weib antwortete: „0 weh, was höre ich dich da sagen! Ich
glaube, du hast den Verstand verloren. Lass dich nicht vom
Schmerz so überwältigen, dass du deine schwaohe Seite nicht
mehr kennst. Glaubst du denn, in einem Augenblick gelehrt
zu werden, du armer kindisch gewordener Alter? Um in
diesem Leben noch Wissenschaft zu erlernen, müsstest du ja
eine ganze Stadt ausgeben können (23) und zwanzig Jahre
studieren, und dann hättest du noch nicht einmal domine
i ta los!" Grill о antwortete: „Sei nur guten Muts. Du wirst
schon sehen, wie's geht, mein feines Weibchen." Und sobald
am andern Tage die Morgenröte erschien und seine Frau
ausgegangen war, verkaufte er all sein Hab und Gut an einen
Bürger der Stadt, der Kaufmann war. (24) Hacken, Hauen,
Schaufeln, Pflüge und Ochsen, den Wagen und ein hübsches
Stück von vier Feldern und dann ebenso viel und die Hälfte
mehr, was das Weib mitgebracht hatte, alles verkaufte er.
Und dem ältesten seiner Kinder hinterließe er von hundert
Dukaten, die er als Bezahlung empfangen hatte, (25) dreiseig,
damit ihm seine Frau keine Vorwürfe machen könne, und
sprach dabei zu ihm: „Wenn du deine Mutter siehst, so gib
ihr dieses Geld und sag ihr, dein Vater habe es dir für deine
Mutter übergeben." Und der sagte fröhlichen Willens: „Mein
lieber Vater, was du gesagt hast, will ich gerne ausrichten."
Und als Grillo dieses Geschäft abgewickelt, entfernte er sich
schnell, nachdem er die andern Goldstücke in ein Geldsäckel
verwahrt hatte. (26) Lassen wir diesen in seinem Zorne nun
gehen und kehren wir zu der Frau zurück, die mit be-
kümmertem Antlitz das Haus Verliese, als sie Grillo sein Un-
glück so beklagen hörte, und im Fluge begab sie sich zu


dem Schwager und sagte: , Eines solchen Schadens versah ich
mich von Eurer Seite nicht; aber wer andern tränt, gerät
leicht ins Elend* Glaubt Ihr, ee sei mit der Gerechtigkeit
vereinbar« dam Ihr einen solchen Schatz in unserm Boden
finden und Am« der nicht Euch gehört, Euch aneignet, ohne
dass Euch der Himmel bestraft oder Euch die Erde verschlingt,
um Euch in den Höllenpfuhl zu versenken? Wenn Ihr ihn
schon behalten wollt, solltot Ihr ihn mindestens mit uns teilen!
(28) Ich weiss nicht, ob Ihr bei der Ausübung der Heilkunst,
die Ihr so lange studiertet, und beim Durchsuchen des Dreckes
und der Pisse soviel Geld verdient habt wie an einem einzigen
Morgen beim Pflügen« Ich weiss, dass diese meine Logik
Euch nicht genehm ist, denn mir ist bekannt, dass das Sprich-
wort sagt: „Du sollst den Menschen nicht an seiner empfind-
lichen Stelle berühren und mit der Wahrheit keine Scherze
treiben.44 (29) Während diese mit wutentflammten Augen so
sprach, kam ihr ältester Sohn dort an und überbrachte ihr
das Geld, das Grillo bei seinem Weggehen zurückgelassen
hatte, — wie schon gesagt dreissig Dukaten — und erzahlte
weinend, wie ihr Gatte alles, was er besass, verkaufte, und
aufgebrochen sei. (30) Die Frau schrie, ab sie das hörte:
„Ich Unselige! Durch Euch trifft mich dieses Unglück, mein
Schwager," Der kluge Arzt tröstete sie und zeigt herben
und tiefen Schmerz über ihren Kummer. Ab er nachher
gehört, durch welches Tor der Stadt er sich entfernt hatte,
lobte er Gott, da er nunmehr wusste, dass er auf dem Wege
nach der Stadt Schlaraffia war. (31) Und er sprach zu seiner
Schwägerin: „Ich will auf einen einsamen Weg, wo mein
Bruder durchkommen muss, aus Edelmut ein Säcklein mit
tausend Gulden werfen, dass sein Sinn sich ändert, er seine
Beiße durch die Welt aufgibt und ins Vaterland zurückkehrtu
(32) Die Frau sprach: „Das gefallt mir sehr und zu grösserer
Sicherheit will ich mit dir gehen.a Der Arzt sagte: „Auch
ich hab nichts dagegen,u So führte er sie einträchtig und
friedlich hinter eich auf dem Rücken des Pferdes in ein
Wäldchen, und als sie dort angelangt waren, verbargen sie
sich und warfen das Säcklein auf die Strasse. (33) Grillo
kam in übler Laune seines Weges daher und sagte, als er
an die Stelle kam, wo das Geld lag, mit zusammengekniffenen
Lippen und tiefem Schmerze den Blick gen Himmel richtend
und von schwerem Kummer bewegt: „Weswegen beraubst du
mich Elenden nicht dieses Staubgewandes ?u und in diesem


— 47 —

Augenblick setzte der Arme seinen Fuss auf das Säcklein,
bemerkte es aber in seinem Schmerze nicht (34) Аія der
Bruder sah, dass er achtlos daran vorbeigegangen war, regte
ihn sein Unglück sehr auf, und er rief ihn sofort zu sich und
zeigte ihm das Säcklein, das auf der Strasse lag, und sagte:
„Unglückseliger Schmerzgepeinigter, beklage dich über dich
selbst, du Armer. Wie willst du das erwerben, was verborgen
ist, wenn du das, was offen zu Tage liegt, nicht siehst?a
(35) Dann sagte er zu der Schwägerin: „Halte dich nun
nicht länger verborgen und entdecke dich deinem Manne, denn
er 8oll im Frieden zurückkehren und sich eures alten Nestes
erfreuen." Und er wollte Grillo jene Dukaten geben, als
dieser mit ungewohntem und schrecklichem Schrei antwortete :
„Ich will sie nicht, Verräter! Mir gehts erst gut, wenn ich
Doktor bin." (36) Dem Arzte tat das recht leid und er
sagte zu der Schwägerin: „Ihr habt meine Absicht gesehen\u
dann trennte er sich von ihr und liess sie mit kummervollen
und traurigen Herzen zurück. Die Frau wollte ihrem Gatten
folgen, um ihm den Tod zu geben, und so folgte sie ihm
ganz langsam aus der Ferne jeden Tag allein.

(37) Grillo, der zuerst wieder zu wandern anfing, setzte
seine Reiße nach Schlaraffia fort über "Hügel, Höhen, Berge
und schattige Täler, dabei manchen rauhen und wilden Wald,
manche finstere Höhle und manchen dunklen Laubgang durch-
schreitend, in den Phöbue Strahl nie gedrungen war, und
schliesslich gelangte er, wie es dem Schicksal gefiel, an die
Tore der Stadt Schlaraffia. (38) Und er ging, um dort aus-
zuruhen, in eine Herberge, die im Schild ein Fräulein von
würdiger, stolzer und hoheitsvoller Haltung führte. Als das
die Frau sah, ging sie voller Wut zum Palast des Königs,
und der müde Grillo hielt sich dort bis am andern Tag auf.
(39) Als Phöbue aus dem Osten zu uns gelangt war, erhob
sich Grillo aus dem Bette und ging sofort auf den Platz, auf
dem gerade Markt war; dort kaufte er sich einen trefflichen
rosenfarbigen Zobelmantel, der heller leuchtete als Gold, denn
wenn dieses leuchtet, leuchtete der Zobel noch mehr. (40) Dazu
leistete er sich eine grosse Scharlachkapuze, die mottenbelastet
und buntgefüttert war, und ein Barett von gleicher Farbe, das
an der einen Seite eine Münze hatte, wie es jetzt die Befehls-
haber tragen, und diesem unvernünftigen Dummkopf kostete
dies ein hübsches Paar Gulden. Überdies kaufte er noch ein
Paar Strümpfe aus buntschimmernden Stoffe, wie vor Zeiten


48

die richtigen Doktoren sie an den Ärmeln bloss mit einer
Quaste geschnürt zu tragen pflegten, und er begab sich zu
seinem Wirte zurück, um diese Prachtstücke dort anzuziehen,
und kehrte dann in einem solchen Aufzuge zurück, dass er
alle Leute zum Lachen brachte, denn er ging und wandelte
pünktlich in der vorgeschriebenen feierlichen Haltung und
spuckte ebenso feierlich. (42) Einen Hock von Damast hatte
er angezogen, einen schäbigen, schmutzigen, langen und schlecht-
sitzenden, dessen Gewebe durchschien, und ein Paar Pantoffeln,
die er umgekehrt angezogen hatte, trug er an den Füssen, so
dass der traurige dumme Mann kaum gehen konnte als einer,
der kaum welche gesehen, geschweige denn getragen hatte.
(43) Es war an jenem Tage eine grosee Kirchweih in der Stadt,
in der Hauptkirche, zu weleher, wie es bei den Christen Sitte
ist, demütig die Leute, den weltlichen Tand verachtend mit
grosser Andacht ihre Opfer darzubringen strömten, damit
ihnen Verzeihung für das begangene Böse werde und sie im
Guten besser ausharren können. (44) Grillo hört davon und
macht sich auf den Weg nach der Kirche, mit jenen Kleidern
angetan, und oft stand er auf der Strasse still, um den Mantel
zu beschauen, und dann sah er sich um, ob einer, der zum
Tempel ging, ihn auch betrachte, so dass bald eine Menge ihn
umstand, die schon gemerkt hatte, was mit ihm los war und
ihn mit lächelnden Mienen in Empfang nahm. (45) Mit den
Mützen in der Hand sagten sie: „Eure Hoheit sei willkommen!
Aber wo habt ihr Euren goldenen Gürtel gelassen, ohne den
ihr nur halb so gut ausseht?" Und er antwortete in einer
Sprache, die dem Brüllen eines Ochsens glich: „Nur Geduld,
denn in einer Stunde bin ich ein Gelehrter, und den Gürtel
will ich mir dann bald kaufen." Und ein Verruchter, der
diese frohe Szene sah, sagte bei sich: „Was soll aus diesem
Dickkopf werden ?u Und er lief auf ihn zu, packte ihn am
Kopf und deckte ihm mit jeder Hand ein Auge zu, wobei
er ihn so belästigte, dass Grillo wie ein Frosch aussah; und
er tat dergleichen, als ob er dem dummen Bauer eine wichtige
Angelegenheit ins Ohr flüstere. (47) Schliesslich gelangte er
in den heiligen Tempel und sah einen armen Teufel abseits
sitzen. Der, ein Schläuling, erkannte die Einfalt des Mannes,
zog ein schönes Büchlein ans dem Busen und beim Lesen tat
er dergleichen, als ob ein grosser unerhörter Fall darin erzählt
und aufgedeckt würde, und bald presets er die Lippen auf-
einander, bald zwinkerte er mit den Augen, so dass der Bauer


49

in helle Verwunderung geriet. (48) Und er näherte eich ganz
langsam dem Armen, welcher dergleichen tat, als habe er ihn
nicht gesehen, und weil er wohlgebildet und schön war, gefiel
er Grillo über alle Massen, und mit roher Sprache fragte er
jenen, er möge ihm, wenn es ihm gefalle, wie es seine Pflicht
sei, aus Höflichkeit sagen, wovon das Buch handle, und wem
es gehöre. (49) „Bas Buch ist mein,u sagte der Spitzbube,
„und es lehrt die Kunst der Medizin und alle andern Wissen-
schaften, und jeder Zweifel wird durch dies Buch gehoben.
Ich bekam es vor einiger Zeit von einem grossen Schwarz-
künstler, der in einem hier in der Nähe liegenden Landhause
starb, dass die Stadt Raffaria nennt; für hundert Dukaten
würde ich es nicht hergeben.u (50) Als Grillo an diesem
Büchelchen so viel Wackerkeit rühmen hörte, wuchs ihm der-
art die Sehnsucht, es zu besitzen, dass er ohne das Buch zu
sterben meinte, und er sagte zu dem armen Schlucker: „Mein
lieber Bruder, gib mir das Büchlein und weigere es mir nicht,
denn ich bitte dich um Gottes willen darum", und während er
mit ihm leise redete, drückte er ihm dreissig Dukaten in die
Hand. (51) Als der Spitzbube die Dukaten sah, überliess er
ihm das Buch, obschon er sich noch ordentlich hatte bitten
lassen, und schied von ihm, denn er konnte es kaum erwarten,
sich irgendwo zu verkriechen; bei sich selbst lachte er vor
Freude, und er hatte auch Grund dazu, denn für das Geld
konnte er tausend solcher Büchlein kaufen. (52) Grillo ging
mit dem Büchlein in die Herberge, so fröhlich, dass er nicht
einmal merkt, dass die Hosen ihm den Hintern nicht berühren ;
und er sprach bei sich: „Meiner Treu, jetzt kann mir das
Glück nicht mehr fehlen." Schon glaubt er, ein Gefäss der
Wissenschaft zu sein, und er glaubt nicht, dass irgend ein
Mensch den Mund zu einer Frage öffnen könnte, die er nicht
zu beantworten vermöchte, und auf jedem Gebiete meint er
den Andern beech amen zu können. (53) Sein Weib, das sich
an den Hof begeben hatte, verdang sich dort als Küchenmagd,
und wie es dem ungerechten Schicksal gefiel, dass keinem
lebendigen Menschen Treue hält, bewirkte es, das böse, grau-
same und ruchlose, dass einer schönen, zarten Tochter des
Königs, als sie einen Fisch ass, eine spitze Gräte in der Kehle
stecken blieb. (54) Der König, der seine schöne Tochter mehr
liebte als sich selbst, liess schnell die Arzte kommen, fand
aber keinen, der sie heilen konnte. Deswegen verzehrte er
voller Schmerzen sein Leben in Klagen, so dass das kluge

Volkitûmliehe Dichtungen der Italiener. 4


— 60 —

Weib ОтШов, wie sie dies vernahm, beschloss, eich an ihrem
Gatten zu rächen. (66) Und sie trat in die Gemacher des
Könige und warf eich ihm zu Füssen. Dann, als er ihr sagte,
sie möge ihr Anliegen vorbringen, begann sie mit demütiger
Stimme und mitleidiger Bede : Wisset, Herr, dass gestern hier
ein Mann ankam, der seines Gleichen nicht hat in der Heil-
kunst, und zwar ist er in der Herberge abgestiegen, welche
in ihrem Schilde ein Fräulein trägt (66) Ich kann dir im
Folgenden nicht alle seine Wunderkuren aufzählen, denn sie
sind zahllos; aber das wage ich dir zu sagen, dass unter dem
Monde nie ein solcher Mann war. Aber er findet es ver-
gnüglich, den Ungebildeten zu spielen und er pflegt selten
eine Heilung zu unternehmen, es sei denn, dass ihn einer mit
dem Tode bedroht, der das zu tun im Stande ist; so eigen-
sinnig ist er.

(67) Der König zögerte nicht lange, sondern liées ihn
vor sich kommen in dem Saale, in dem er vorher mit grosser
Fracht alle hervorragenden nnd berühmten Arzte der Stadt
versammelt hatte, um von der Trefflichkeit Grillos zu hören.
Als dieser aber vor seiner Majestät erschien, glaubte jeder,
einen hölzernen Kerl vor sich zu sehen. (58) Er trug seinen
mit Zobelpelz verbrämten Bock mit einem fettglänzenden
Gürtel, den er sofort gekauft hatte, als ihm das Volk das
anempfohlen, so dass er wie ein sonderbares gelehrtes Tier
aussah mit dem tellerförmigen Barett, mit der Kapuze und
den Pantoffeln, die einander gar nicht ähnlich sahen. (69) Und
als er ohne Verbeugung und ohne andere Begrüssung vor den
königlichen Thron gelangte, machte er vor dem König den
Eindruck eines dummen Viehs. Als der ihn sah, sprach er
zu ihm: „Wo habt Ihr das Wasserglas gelassen, wackerer
Doktor?" Er antwortete: „Meine Kunst besteht in anderem
als im Beschauen des Wassers." (60) Der König hiese ihn
Platz neben sich nehmen und erwies ihm wegen dieser Ant-
wort grosse Ehre. Die Arzte konnten sich nicht enthalten,
zu lachen, als Grillo redete. Schliesslich erzählte ihm der
König mit grossem Miesvergnügen den Fall seiner Tochter,
und versprach ihm mit einem Schwur, er werde ihm deren
Heilung mit einem unermesslichen Schatze lohnen. (61) Als
sich Grillo auf diesem Punkte sah, erfasste ihn grosse Furcht
hei dem Gedanken, dass er ja von der Heilkunst nichts ver-
stehe; auf seinem Antlitz spiegeln sich Trauer und Schrecken
derart, dass er nicht einmal eine Antwort findet, und gerne


— 61 —

4*

wäre er in seiner alten Heimat gewesen. (62) Schliesslich
sagte er aber doch unter grosser Furcht, dass er nicht Medizin
studiert habe, dass er erst hier als Arzt aufgetreten sei und
dass er von der Arzneiwissenschaft einstweilen niohts verstehe;
dass sein Handwerk sei, Morgen und Abend im Schweisse
seines Angesichtes den Acker zu pflügen und dass er, um an
diesem Orte zu Ansehen zu gelangen, erst seit kurzer Zeit
diesen andern Beruf erwählt habe.

(63) Als die Doktoren, die vor seiner Majestät standen,
diesen einfältigen Mann so reden hörten, fingen sie alle zu-
sammen zu lachen an, so dass Grillo mehr ais einen Seufzer
ausstiess. Schliesslich sagte einer von ihnen mit süsser Miene
zu ihm: „Gerne möchte ich von Eurer allmächtigen Trefflich-
keit irgend etwas lernen, wenn es Euch beliebt. (64) Grillo
antwortete: „Laset mich doch in Buhe! Ich bin kein Dok-
tor, ich habe es vorhin schon gesagt.u Der König packte
ihn aufgeregt am Arm und sagte dann: „Beim heiligen Gott,
wenn du meine Tochter nicht heilst, sage ich dir auf deinen
Kopf zu, dass du dieser Schlinge nicht entrinnst, und bevor
der dritte Tag vorbei ist und du das nicht tust, werde ich
dir zum Beweis dafür den Kopf abschlagen lassen!" (65) Der
Bauer redete sich aus, so gut er konnte und schwur ihm
tauend Schwüre, d«e er kein Arzt eoi; und der König raunt*
ihm ins Ohr: „Bei Gott, du lügst!" Und er konnte lange
beim Kreuze versichern und um ihm zu entrinnen neue Be-
weise anführen, der König war bereit, ihn sterben zu lassen,
wenn er in drei Tagen seine Tochter nicht heile. (66) Als
Grillo sieht, dass die Sache ernst ist, wandte er sich zu dem
König und sagte: „So wahr mir Gott helfe, da du willst,
dass ich, der ich nichts verstehe, deine Tochter ins Leben
zurückbringe, die schon halb dem Tode verfallen ist, spricht
die Vernunft mein mich vernichtendes Urteil, da sie von mir
sicherlich nicht geheilt wird, wie mich dünkt. Aber um dir
den Gefallen zu tun, bin ich es zufrieden, das zu machen,
wovon ich nichts verstehe, (67) unter der Bedingung, dass du
Alles tuest, was ich von dir verlange, und du nur zusiehst
und schweigst.u Und der König antwortete: „So will ich
jetzt tun, Meister, und zwar gerne; und ich sohwöre bei Gott,
dass ich dir eine so äusserst grosse Wohltat vergelten will,
denn dies nicht zu tun wäre ein Verbrechen." (68) Grillo
befahl dann, dass jeder, wer er auch sei, das Zimmer verlasse,
und jeder gehorchte ohne Wiederspruch. Dann musste die


52

Tochter herkommen; und mit lästiger Klage erfüllte sie der*
art das Gemach, dass man glauben konnte, sie sterbe vor
Schmerzen. Dann Hess Gxilo ein Stück Schmalz bringen und
zündete ein grosses Feuer an, (69) und schloss die Türe ohne
Aufschub, sodass er mit dem König und seiner schönen
Tochter allein blieb, die er den nackten Hintern mitten über
dem Feuer in die Höhe halten läset, so dass das Fräulein
vor Scham fast nicht wusste, was sie tun sollte. Und der
König spricht vor Empörung kein Wort, um nicht dem Ver-
sprechen untreu zu werden, das er Meister Grillo freiwillig
gegeben hat. (70) Grillo schmierte sich die Hand in grosser
Eile mit dem Schmalze, das er sich hatte geben lassen und
der schönheitgekrönten Dame salbte er die Schenkel und den
zarten Hintern. Und als diese an diese liebliche Geschichte
dachte, sprach sie in ihrem Herzen: „Der spitze Dorn zer-
sticht mir meine Kehle und der salbt mir, um mich zu heilen,
meinen Popo ! (71) Das ist doch der grösste Spass und die
gross te Dummheit, die ich je in meinem Leben gesehen habe
und an die ich denken werde.u Auch der König dachte bei
sich das Gleiche, und während er sich sehr verwunderte, brach
die Dame in ein solches Gelächter aus, dass die Gräte aus
der Kehle herausfuhr. (72) Und dann stiees sie einen
mächtigen schrecklichen Schrei aus: „Mein lieber Vater, die
Wahrheit will ich dir nicht verbergen! Dieser hat mich von
einem grausamen Tode gerettet; sicher ist er der beste Arzt
der Welt," Sie nimmt die Gräte in die Hand und öffnete
fröhlichen Antlitzes die Türen dieser Kammer; und der König,
der das sah, dankte Gott und kann Grillo nicht genug be-
glückwünschen. (73) Die Arzte waren ganz starr, und alle
die um Grillo herumstanden, taten ihm unendliche Ehre an,
weil sie fürchteten, von ihm ausgespottet zu werden. Zwei
wackere Schatzmeister führten Grillo in das Schatzhaus des
Königs und gaben ihm auf dessen Befehl ohne Aufschub eine
Million an Gold. (73) Dann führten sie ihn mit einem gold-
und silbergestickten Kleid gar lieblich angetan vor ihn, und
jeder beschaut ihn staunend vor Wunder. Der König sagte :
„Als meinen Bruder nehme ich dich an und unsere Freund-
schaft soll sich niemals mehr trennen, mein lieber Meister,
da sie den Anfang ewiger Verpflichtung bildet," (75) Sein
Weib, das sich keine Vorstellung gemacht hatte, es könne so
gehen, wie es gegangen war, war dessen sehr froh, und behielt
sich vor, sich ihm zu entdecken, und sagte oft bei sich selbst:


„Wenn es Zeit ist, werde ich meinem teuren Gatten zu wissen
tun, dass ich die Ursache gewesen bin, dass er einen solchen
Reichtum erworben hat." (76) Der König, der gesehen hat,
dass die Heilung eine andauernde ist, kann sich kaum genug
tun, ihm Freude zu bereiten, ihn zu ehren und zu lohnen,
indem er ihm bald einen prächtigen Hock schenkt oder einen
Mantel, der mit Seide oder Gold verbrämt ist, und das ist
den Ärzten so widerwärtig, dass sie aus Neid beschlossen,
ihn beim König in Ungnade zu bringen, zu dem sie gingen.
(77) Und sie sprachen davon, wie Grillo gesagt habe, er wolle in
einer Nacht alle die Kranken heilen, die im Kloster von
San Benedetto unter grossen Qualen lägen. Der König wollte
die Ausführung dieses Vorhabens sehen, liess Grillo sofort
zu sich kommen und sagte: „Meister, ich will, dass du zum
Heile der Stadt deine Wunderkraft verwendest (78) und alle
die Kranken heilest, die sich im Spital befinden, wenn dir
daran gelegen ist, mir Dienste und Vergnügen zu erweisen,
und es wirklich wahr ist, dass du mir in inniger Liebe
ergeben bist?" Grillo antwortete: „Wie soll ich bei grünen
Zweigen auf ein Mal so viele Salben und Arzneien, Pillen
und süsse Tränklein zusammenbringen, deren allzuviele sind,
um in so kurzer Zeit beschafft zu werden? (79) Dann willst
du mich auch, Herr, dazu bringen, etwas zu vollbringen, was
ich nie verstand und was mich nie gelehrt wurde. Nimm
deinen Schatz, den du fröhlichen Sinnes mir schenktest, weil
ich deine edle Tochter geheilt habe, und lass mich dorthin
gehen, wo mein Weib weilt. Ich weiss, dass sie mit andern
Leuten auf mich wartet, denn ich bin ein Bauer und Ackerer
und kein Arzt und Doktor." (80) Der König antwortete: „Du
bist zu sehr Steckkopf!ц Auf alle Fälle musst du sie heilen.
Und wenn du es tust, soll deine Belohnung so ausfallen, dass
du sagen wirst: Herr, ich lobe dich. Eine Frist von drei
Tagen setze ich dir; damit ist aber die Bedingung verbunden,
dass du den Kopf verlierst, wenn du sie nicht heilet. Wenn
du aber nach meinen Willen tust, (81) will ich dir eine
weitere Million in Gold geben und dir einen noch höheren
Ehrenposten anweisen als vorher. Zeige mir gegenüber nicht
solchen Hochmut, dass ich dich zur Hölle fahren lassen muss."
Grillo antwortete: „Es tut mir leid, о Herr, dass du von
einem einfachen Mann eine so hohe Meinung hast, aber bloss
um deinem Wunsche zu willfahren will ich, um keinen Fehler
zu begehen, etwas tun, wovon ich noch keine Ahnung habe.


54

(82) Aber da sollet an alle, die das Spital in ihrer Hut haben,
den Befehl ergehen lassen, dass eich keiner meinen Anordnungen
widersetze, scheinen sie ihnen nun gut oder schlecht." Der
König antwortete: „Damit bin ich einverstanden." Und
schneller als ein Yogel seine Flügel zum Fluge hebt, sandte
er im Laufe einen Boten zum Spital und tat das, was er
Grillo versprochen hatte. (83) Grillo selbst ging dann sofort
an den Ort hin, wo jeder, der dort angestellt war, zu seinem
Befehl stand und ihm in gar nichts widersprach. Er aber liess,
ohne weiter etwas zu sagen, im Hofe ein Feuer anzünden
und dorthin alle Kessel tragen, die man im ganzen Lande
finden konnte. (84) Ein oberer Beamter jenes Ortes sagte
ihm, er möchte, wenn es ihm gefiele, gerne von ihm wissen,
wozu er dieses anordne. Grillo antwortete: „Meiner Treu, da
du es au wissen wünschest, wäre es ohne Zweifel unrecht von
mir, es dir zu verhehlen. Ich glaube, dass der König verrückt
geworden ist, der mich hierher geschickt hat, um das auszu-
führen, was du von mir hören wirst. (85) Er will zunächst,
dass ich ein grosses Feuer anzünde und den Kesseln einen
festen Standort sichere ; diese letztern sollen dann mit Wasser
gefüllt werden; wenn dies dann siedet, sollen die Kranken,
die in diesem Spittel an Hüften- und Lendenweh, am Kopf
oder am Magen leiden, in die Kessel hineingeworfen werden;
so will er sie kochen und dann versehren." (86) „Bei Gott,
das ist eine sonderbare Kur und über meinen Herren ver-
wundere ich mich bass," antwortete der Wärter mit gesenktem
Haupt, indem er das Missgeschick der Kranken bedachte.
Der Saal, wo diese waren, befand sich in der Nähe, und als
sie von der ihnen drohenden Gefahr hörten, flohen sie wie
die Hunde aus der Küche und schrieen aus einem Munde,
dass sie gesund seien. (87) Der eine zog sich seinen Bock
an, das andere die Mütze, der eine das Hemd, der andere
die Strümpfe, ein dritter das Kleid, und alle flohen aus dem
Spittel in grosser Eile, indem sie dergleichen taten, als ob
sie über die wiedererlangte Gesundheit grosse Freude empfänden.
Aber aus Angst wartet keiner auf den andern, sondern wo
der Weg am kürzesten und bequemsten war, bewegten sie
eich aus der Stadt, und schliesslich blieb keiner mehr übrig.
(88) In hellen Scharen zogen die Leute aus, um sich voller
Verwunderung diesen Fall anzusehen; und als man die Wahr-
heit erfahren hatte, war jeder vor Verwunderung starr, und
einer sagte zu dem andern auf den Strassen : „Dieser Meister


— 55 —

Grillo ist ein Gefäss der "Weisheit und sieht dooh aus wie
ein einfacher und einfältiger Mensch, mit dem man glaubt
bloss in der Dunkelheit reden zu dürfen. (89) Als der König
die Neuigkeit hörte, stieg er mit allen seinen Baronen zu
Pferde — in seiner Begleitung war auch seine schöne Tochter —
und zog Grillo entgegen, um ihn ehrenvoll in Empfang zu
nehmen. Und als er beim Spital angekommen war, stieg er
aus dem Sattel und ging ihm mit so тієї Ehrerbietung und
so vielen Verbeugungen entgegen, dass niemand je eine solche
Feierung sah. (90) Dann hiess er ihn auf seinen Benner
steigen und er selbst wählte sich einen andern, und mit
reinem, aufrichtigem Herzen führte er Grillo zu seinem Palaste,
wo ihm der König voller Preis eine weitere ganze Million
Goldes gab, wie er ihm versprochen, und am Hofe sohenkte
er ihm ein prächtiges Haus, das mit allem nötigen reichlich
ausgestattet war.

(91) Die Arzte platzten fast vor Schmerz und hielten
sich von ihm für blamiert, weil ihn der König Tag und
Nacht, zu allen Stunden, mit Auszeichnungen überhäufte.
Unterdessen sannen drei Höflinge des Königs, die wussten,
wo Grillo seine Dukaten verwahrte, darauf insgeheim, wie sie
ihm seinen Schatz stehlen könnten, (92) und um die Mitter-
nachtsstunde, als Grillo eine Unterredung mit dem König hatte,
erbrachen und öffneten sie die Türen und raubten ihm all sein
Gold und Silber, das sie in unterirdische geheime Bäume mit
sich trugen, ohne dass Mühe oder Hindernis sie dabei betraf,
und Grille, dessen Rückkehr sich hinzog, fand da, dass ihm
sein Schatz gestohlen worden war. (93) Hierauf hub er
schwer zu klagen an und verfluchte sein Missgeschick : unter
einem so ungünstigen Stern sei er zu seinem Unglück geboren,
dass sein Haus am Hofe, in der Nähe des königlichen Palastes
nicht einmal sicher sei Und weinend begab er sich zu seinem
Herrn und offenbarte ihm seinen Schmerz. (94) Ais der König
das hörte, empfand er selbst tiefen Kummer, und liess auf
dem öffentlichen Platze ausrufen, dass, wer den ruchlosen
Täter kenne und ihn nicht angebe, gevierteilt werden solle,
und dies Hess er in allen Teilen seines Königreiche verkünden
und viele auf Verdachtmomente hin festnehmen und martern,
ohne dass etwas dabei herauskam. (95) Die Arzte, die den
ganzen Fall vernahmen, traten ohne Aufschub zu einer Be-
ratung zusammen, und als jeder seine Anweisungen empfangen
hatte, begaben sie sich sofort am folgenden Tage zu ihrem


56

Herrn und sagten: „Wir sehen, dass deine Ehre durch Meister
Grillo zerstört ist und grosse Schmach erlitten hat, denn
während er im Stande ist, alles zu erraten, will er nicht an-
gehen, wer ihm den Schatz entwendet hat, (96) vielmehr findet
er Spass daran, zu sehen, wie du in deiner Wut bald dem
Einem bald dem Andern mit Unrecht Beleidigung zufugst
nnd dem Unschuldigen Schmach antust, was die Ursache
ist, dass deine Ehre immer schlechter fährt. Lass also, Herr,
ihn zu Schaden kommen, wenn er dir nicht in kurzer Frist
den Täter angibt" Дія dies der König hörte, liess er sofort
Grillo vor sich kommen (97) und sprach zu ihm: „Ich hätte
mir nie gedacht, dass du, der du doch alles zu erraten weiset,
mir über den Verbleib nicht alles mitteilen würdest, was dir
bekannt ist. Drum, weil du dich darin gegen mich vergangen
hast, werde ich dich als einen Ungehorsamen aufknüpfen
lassen, wenn du in drei Tagen mir nicht enthüllst, wer dir den
Schatz gestohlen hat, und ihn nicht auffindest. (98) Grillo
redet sich aus und sagt weinend: „Ich weiss, dass ich nie ein
Hexenmeister war, und damit mein Leben nicht in beständiger
Gefahr sei, will ich weder Arzt noch Doktor mehr sein.
Überläse es also, wenn ich es errate, meinem Entscheid und
Befehl, ob ich von euch scheiden will." Der König sagte:
„Das bin ich zufrieden; aber wie gesagt, wenn du es nicht
errätst, wirst du am Galgen bammeln." (99) Grillo antwortete:
„So sei's denn zu meinem Unglück." Von dem König nahm
er schnell Abschied und schloss sich dann betrübt, lebensmüde,
elend und von Schmerzen gepeinigt in sein Zimmer ein. Er
denkt und denkt, und je mehr er denkt, desto wirrer wird er
in seinem Herzen und seinem Sinne, und dies Mal hält er es
für ganz sicher, dass ihm vom König das Leben geraubt wird.
(100) Unter grosser Qual verbrachte er diesen ganzen Tag,
und als es zu dunkeln anfing, hub der eine der Diebe zu dem
andern zu sagen an, er wolle zu dem Hause Grillos gehen,
um zu sehen, ob er ein Wort von ihm erhaschen könne. Und
als er dahin gelangt war, legte er sich auf die Lauer und
hörte Grillo sagen: „Oh weh, ich Armer! Beim himmlischen
Gott, von dreien haben wir nun schon einen!" (101) Er sagte
das von den drei Tagen, von denen nun schon einer vorbei
war; der Dieb aber, der horchte, glaubte, er rede von ihm,
und kehrte an den Ort zurück, wo er seine Gefährten zurück-
gelassen, und erzählte ihnen, was er gehört hatte, so dass
jeder von ihnen Angst bekam und sie beschlossen, den zweiten


zum horchen hinzuschicken, sobald die Dämmerung niedersteige.
(102) Der ging unter grosser Furcht hin, schneller als ein von
Sporn und Peitsche getriebener Gaul, und er hörte Grillo unter
schweren Seufzern sagen: „Zwei haben wir nun, es fehlt nur
noch der dritte.u Er sprach von den zwei Tagen, die ihm
sein Herr geschenkt hatte, und es schien ihm dies kein Scherz,
da der dritte herannahte, an dem er nach Hengland abreisen
sollte. (103) Aber als der Dieb, der an der Türe horchte,
Grillo sagen hörte: „Zwei haben wir nun," schied er von
diesem Orte und betrübt zu seinen Gefährten zurück, zitternd
wie ein Blatt im Winde. Und er sagte zu ihnen: „Nun sind
wir ruiniert, wenn wir keine Abhülfe gegen diesen Schaden
finden, denn Grillo hat unsern Trug entdeckt." (104) Der
dritte war ein Mann mit rotem Haar, bösartig, schlau und
scharfsinnig, und sagte: „Meiner Treu, ich kann nicht glauben,
dass Meister Grillo solche Fähigkeiten besitze, dass er mit
seinem rohen Verstände das Verborgene und Verschwiegene
erfahre und sofort einen Diebstahl enthüllen könne, von dem
sogar wir, die ihn begangen haben, kaum etwas wissen.
(105) Auch ich will in nächster Nacht an die Türe G rill o s
gehen, um zu horchen." Und als die Sonne mit ihrem Lichte
verschwunden war, ging er ohne Zögern, um Grillo kläglich
sprechen zu hören: „Ach, Boter, Boter, was gedenkst du nun
anzufangen? Da ist ja der dritte und du willst mir den
Schatz nicht geben und weiset doch, dass du ihn mir geben
kannst!" (106) Grillo sprach so mit seinem Büchlein, das er
von dem Spitzbuben gekauft katte, dessen Deckel aus einem
einfachen roten Leder bestand, und deswegen nannte er es
Boter. Und der Dieb, der auch so hiess und sich von Grillo
so nennen hörte, sagte: „Meiner Treu, der weiss, wer wir sind,
und wir sind verloren, wenn wir uns ihm nicht entdecken."

(107) Dann lief er zu den Gefährten und sagte zu ihnen:
„Meine lieben Genossen, ihr sprecht wahr, und wenn wir ihm
diese Nacht seinen Schatz nicht heimlich zurückbringen, habe
ich die Meinung, dass er uns eines qualvollen Todes wird
sterben lassen, denn er wird dem König den ganzen Fall aus-
einandersetzen, so dass, wenn wir uns nicht zur rechten Zeit
vorsehen, wir ohne Zweifel uns für begraben ansehen können."

(108) So gingen also alle einträchtig zusammen zu der
schönen Wohnung Meister Grillos und brachten ihm seinen
ganzen Schatz zurück, ihn dabei kniefällig um Verzeihung
bittend. Als sich dann im Osten der Tag zeigte, ging Grillo,


— 58 —

wie es seine Gewohnheit war, zum König und zeigte ihm den
Schatz, wollte ihm aber nicht eagen, wer ihn gestohlen hatte.
(109) Im Saale waren all die Arzte aus allen Ecken und Enden
versammelt, um zu sehen, ob Grillo erraten habe, wer die
seien, die ihm seinen Schatz gestohlen. Und als sie hörten,
dass er sie herausgefunden, verlor ein jeder vor Verwunderung
fast den Verstand, und der König hatte darob grosse Freude,
dass er vor Bührung lachte und weinte. (110) Und wenn er
ihm vorher Ehren erwiesen, so waren er und seine Tochter,
nachdem sie diesen neuen Beweis seiner Kunst gesehen, in
solchen geradezu überschwenglich. Da nahm Grillo von seiner
Majestät mit freundlichen Mienen und aus Bührung und
Furcht gemischten Worten Abschied, der ihm mit grossen
Ehrenbezeugungen und Verbeugungen gewährt wurde. (111) Der
König sagte: „Da ich dir versprochen habe, dass dein Ver-
bleiben und dein Weggehen in deinem Belieben liege, so will
ich dich jetzt zu meiner Befriedigung bis ausser die Mauern
begleiten, um dich zu ehren und dir ausdrücklich zu beweisen,
dass ich dich mehr als mein Leben liebe." Und nachdem er
so gesprochen, gab er ihm mit seinen Baronen zu Pferde das
Geleite.

(112) Grillo ritt mit seinem Schatze, den sechs Maultiere
trugen, die vorangingen, und der Herrscher folgte ihm mit
seinen Leuten. Und als sie auf einer grünen Wiese angelangt
waren, sprang zufällig eine Grille dem König in den Busen,
der sie s of ort in seine Hand einsohloss und bei sich selbst
dachte, während er sie festhielt, er wolle sehen, ob Grillo
sagen könne, was das sei. (113) Und er sagte zu Grillo:
„Mein Meister, ich bitte dich um einen letzen Gefallen, den
du mir erweisen sollst. Schlage mir nicht ab, das erraten
zu wollen, was ich hier in der Hand halte !" Grillo antwortete :
„Dem kann ich mich nicht beugen und deinem Wunsche nicht
genügen, denn ich bin kein Zauberer, wie du denket; und
wenn du das meinet, bist du eben nicht ganz bei Trost."
Der König, den diese Worte aufregten, befahl seinen Bittern,
die Schwerter zu ziehen und sprach: „Obschon es mir leid
tut, werde ich dich eines grausamen Todes sterben lassen,
wenn du es mir nicht sagst, bevor die Sonne zur Büste geht."
Da rief der Arme in seinem groseen Elende: О unglücklicher
Grillo, in welche Hand bist du geraten!*) (115) Der König,

•) Im Original ist ein Wortspiel mit Grillo und grillo (Grille),
das im Deutschen nicht wiedergegeben werden kann.


der in der Hand eine Grille gefangen hielt, öffnete, ale er
dies hörte, voller Neugierde und freudenentzündet die Faust:
„Bei Gott, er hat die Wahrheit gesagt Ich hatte es nie
geglaubt, wenn ich es von einem andern gehört und es nicht
hier vor meinen Augen gesehen hätte, nnd obschon ich es
sehe, stehe ich doch im Zweifel, ob ich es glauben soll."
(116) Dann sagte er zu Grillo: „Geh zur guten Stunde, denn
an Weisheit findest du nicht deinesgleichen. Und zu deinen
Befehlen wirst du mich zu jeder Stunde bereit finden, wie es
die Billigkeit erfordet" Und damit schied er ohne Aufschub.
Und der König kehrte mit seinen Baronen von Grillo weg
nach der Stadt zurück und kam lange Zeit aus seiner Ver-
wunderung gar nicht heraus. (117) Grillos Weib hat gesehen,
wie er Abschied nahm und das Land Verliese. Sofort sagte
auch sie dem Hof Lebewohl und folgte ihm in grosser Ent-
fernung. Und da sie grosse Angst hatte, wollte sie sich ihm
auf der Strasse nicht entdecken, sondern sie ging zuerst zu
ihrem Hanse und wartete da auf ihn voller Lust (118) Ale
Grillo ebenfalls nach Hause kam, wurde er voll Freude von
Weib und Kind in Empfang genommen und lebte müh- und
kummerlos und verjagte die gehabten Sorgen. So ging es
ihm von da an gut, und von den übelwollenden neidischen
Scharen wurde er geehrt; mit seinem Bruder sprach er nie,
der über seinen Reichtum sich ebenso ärgerte wie der Bauer
über den seinen, der eigentlich ihm gehörte. (119) Als die
aus dem Dorfe von der Ankunft Grillos gehört hatten, gingen
sie ihn zu beglückwünschen und voller Neugierde drückten
sie ihm einer nach dem andern die Hand mit einer Freude,
die ich nicht beschreiben kann, und begrüssten ihn schon von
Ferne mit Verbeugungen. Er aber nahm sie mit so würdigen
Geberden auf, dass er damit die Hunde aus der Küche ge-
jagt hätte, indem er sprach: „Scheint euoh nicht, dass ich
in Wirklichkeit in kurzer Zeit ein grosser Doktor, in allen
Wissenschaften der ausgezeichnetste, der je war, und aller Ehre
würdig, geworden sei? Denn ich kann wohl sicherlich sagen,
dass nie ein grösserer Doktor war noch sein wird, denn ich
pisse keine Schiffe und kacke keinen Dreck, nein, sondern
lauter Wissenschaft" (121) Alle hören es mit Verwunderung
und es glichen gerupften Fledermäusen die dummen Leute,
die ganz verdutzt ihre Augen auf Grillo richteten, so dass
jede Familie, ob reich oder arm, die wie es kommt, Kranke
hatte, um Bat und Hilfe zu diesem Aufschneider lief.


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(122) Und als der richtige Karr, der er war, verordnete er, um
seinen Namen bis zu den Sternen dringen zu lassen, jedem
sein Klyetier, so dass er fast die Gedärme kackte, und so
arbeitete er an diesen Schafen, wie wenn er eine lange Lehr-
zeit durchgemacht hätte, dass alle von jedem Gebrechen frei
und heil waren. (123) Weiterhin sagte noch dieser Schafs-
kopf und Einfaltspinsel, wenn er sich bei den Nachbarn rühmte,
dass er in der Schwarzkunst ein grosser Gelehrter sei und
alle Dinge errate, und dass er beim Disputieren schon
manchem den Kopf eingeschlagen habe, denn ihm hielt kein
Esel stand, geschweige denn ein menschliches Wesen, so sinn-
los redete er. (124) Und als er einmal in seinem Aufputz,
wie es zu geschehen pflegt, in die Kirche ging und der
Priester die Messe las, sprach er mit ihm, um ihn zu über-
zeugen, dass er sich geirrt habe, Dinge, dass er den Himmel
und die Sonne zum Lachen und jeden Fröhlichen und Wohl-
gemuten zum Weinen gebracht hatte; der Priester aber hielt
in seiner Predigt inne, wie wenn ein Salomo gespochen hätte.
(125) Nur wenn die einfältigen Worte des Doktors dem
Priester manchmal zu sonderbar schienen und er von Meister
Grillo den Fehler zu erfahren wünschte, den er begangen
habe, wartete er ihm mit einem andern Kauderwelsch auf,
so dass ihm nur grössere Bewunderung erwuchs, und um auf
seiner Meinung nicht allzusehr zu beharren, beantwortete er
dessen Behauptung mit Schweigen. (126) Eines Tages passierte
es, dass einem armen Teufel, einem Nachbar Grillos, ein
ganz kleiner Esel geraubt wurde, so dass er mit seinem Weibe
grosse Klage erhob und sein herbes und grausames Geschick
verfluchte samt dem Diebe, der ihn so gaschädigt hatte, denn
ohne das Grautier hatten Kinder und Weib und er selbst
die Hoffnung auf ein weiteres Fortkommen verloren. (127) Er
weinte erbarmungswürdig und wusste nicht, was er sagen und
machen sollte. Mit Seufzern betrachte er den Himmel und fing
dann mit sich selbst zu reden an: „Da in dieser sterblichen hin-
fälligen Hülle man das bischen was einem gehört nicht einmal
behalten kann, beschliesse ich, mit einem schmerzvollen Tode unter
unentlicher Qual mein Leben zu beenden." (128) Dann wandte
er sich an sein Weib und seine Kinder und sagte: „0 du
unglückselige, traurige und elende, wie kannst du solchen
Schmerzen stand halten, wo du deinen Untergang vor deinen
Augen siehst! Du wirst der Kinder und sie der Mutter be-
raubt werden und keine Kur des Meisters Grillo wird auch


helfen können, da unser Unstern es so will." (129) Das
trostlose und beklagenswerte Weib, das ihn so laut jammern
hörte, hatte ein von doppelten Schmerzen erfülltes Herz und
klagte ihr Missgeschick an. Schliesslich vertraute sie ihm
ihre Absicht an: „Mein guter Gatte, wir wollen dem Tode
entrinnen und unsern Esel suchen gehen; nimm an, was ich
dir vorschlage. (130) Geh und suche Meister Grillo auf; sag
ihm, wie uns heute Morgen unser Eselchen gestohlen wurde.
Zerraufe dir nicht weiter deine grauen Haare, denn Geheim«
nisse gibt es für ihn nicht. Er wird dir schon diese Last
vom Bücken nehmen mit seiner übermenschlichen Wissenschaf t. **
So lange redet sie auf ihn ein, dass der Gatte ohne Zögern
in aller Eile sofort zu Grillo ging. (131) Und als er vor
ihm stand, fiel er vor ihm auf die Knie vor grosser Qual
und sagte dann: „Wenn deine Ehrwürdigkeit mir nicht den
Schmerz ausreis st, den ich in meinem Herzen habe, indem du
mir den zur Kenntnis bringst, der an mir einen solchen Ver-
rat begangen hat, dass er mir mein Eselchen stahl, von dem
Weib, Kinder und ich lebten, (132) muss ich ohne jeden
Zweifel sterben. Deshalb bitte ich dich mit gefalteten Händen:
Hab Mitleid mit meiner schweren Qual und mir den Esel zu
weisen sei dir nicht zu lästig." Als Grillo den Bauer dies
sprechen hörte, antwortete er schnell mit froher Stimme:
„Zeig mir den Puls und fürchte nichts; den Esel will ich dir
schon verschaffen." (133) „Ich habe keinen,ц sagte der Bauer,
„und du scheinst mir ein Narr," antwortete Grillo: „Reiche
mir doch bitte den Arm.** »Bei Gott, ich bin ja gesund.*4
„Hol dich der und dieser! Dir scheint es sonderbar, wenn
ich dir den Puls fühle; aber wenn ich dir den Dieb in die
Hände lieferte, und du mit ihm machen könntest, was du
willst, würde dir das ganz natürlich scheinen." Er sagte:

„Herr, man muss---.a Grillo antwortete: „Tu meinen

Willen, wenn du nicht Schmach und Schande davon haben
willst.** Der Bauer sagte: „So sei's in Gottes Namen!" und
reichte den Arm, und jener befühlte ihm wie ein Träumender
den Puls, zeigte ihm ein glückseliges Gesicht und sagte zu
seinen Bedienten mit strenger Stimme, ihm ein Klyetier zu
verabreichen. (135) „Wie, ein Klyetier?** „Scheint dir das
so sonderbar?** „Bei Gott, ganz sonderbar!** „Willst du den
Esel nicht bald wiederfinden?** „Doch, aber auf die Art
möchte ich ihn nicht aufsuchen.** „Wenn ich dir den Dieb-
stahl offenbaren soll, musst du meinen Willen tun und bei


62

dem, wae ich dir sage und befehle, fest und beständig bleiben.
Wenn nicht, mach dass dn fortkommst, unwissender Narr!"
(135) Und stolz sagte er ein zweites Mal zu seinen Dienern,
ihn fest zu packen und diesem dummen törichten Menschen
gegen seinen Willen ein Klyetier zu applizieren. Und sie
packten ihn und während der Ärmste laut aufschrie, brachten
sie das Klystier an den gewohnten Ort mit so vielem Spass,
dass selbst die Steine lachten. (137) Und der Bauer, der an
solche Mahlzeiten wenig gewöhnt war, schrie, wie es drinnen
war: „Ah, ah, der Leib tut mir weh, ich bin betrogen, ich
bin tot! Was soll ich tun? und mit abgedecktem Arsch
beugte er sich nieder, um vor Grillo zu kacken. Und er machte
ihm schimpfend Vorwurfe und sagte: „Ah, Kerl, was machst
du da? Hast du kein Schamgefühl? (138) Geh und Scheies
ausserhalb des Hauses und des Höfleins, da du ja daran ge-
wöhnt bist, die Strasse zu misten, du echeusslicher närrischer
Kerl ohne Verstand, sonst jage ich dich mit dem Stock aus
dem Hause, dass es tönt." Der Ärmste, der weder lebend
noch tot war, lief eiligst mit aufgehobenen Lacken aus der
Tür und rannte in einen Graben, an einen Ort, an dem sonet
niemand sich zu zeigen pflegte. (139) Und unter Schmerzen
und mit verstörtem Angesicht kackte er mehr als er gewollt
hätte, und schrie dabei so laut, dass man es weithin hätte
hören können. Der Esel, der an jenem Orte verborgen
worden war, hatte seinen Herrn an der Stimme erkannt und
fing an, so stark zu iahen, dass der Bauer ihn sofort erkannte.
(140) Und laut schrie er: „Bei dem wahrhaftigen Gotte, wenn
ich nicht ganz in Dummheit versunken bin, ist der, der iaht,
mein Esel, der mir gestohlen wurde und den ich schon ver-
loren glaubte." (141) Dann lief er noch mit dem Dreck am
Arsch, denn er war mit dem Blacken noch nicht fertig, und
als er zum Esel ohne Aufschub gelangt war, verlor er vor
Verwunderung fast den Verstand, und von dem Orte, wo er
verborgen gewesen war, und mit unerhörter Freude und eben
solchem Vergnügen führte er den Esel mit der einen Hand
am Arsch, mit der andern am Zügel vor Grillo. (142) Und
so laut schrie er, dass alle Umstehenden eiligst herbeieilten,
um zu sehen, was das sei; und sie sahen den Bauer, der mit
jenem Eselein vor Meister Grillo stand. Und er tat allen die
Wirkung kund, die er mit seinem Klyetier erreicht hatte, so
dass jeder sich verwunderte und Grillo noch stolzer auf seine
Kuren wurde. (143) Dann fing er an, mit vornehmer Haltung


63

einherzuschreiten und nur yon Gelehrsamkeit zu sprechen und
zu sagen, er sei der weiseste und würdigste Mann, den die
Erde trage, und er werde einst auf einem hölzernen Pferde
ins Paradies einreiten, nnd die Frau, die solches hörte, hielt
sich für die Königin des Himmele, (144) nnd sprach zu den
andern Weibern: „Wie trefflich war doch der Gedanke dieses
meines Gatten, all sein Gut aufzugeben, um ein so geriebener
Arzt zu werden und mich zu dem zu machen, was ich nun
bin, so hochgestellt, dass jeder mit dem Finger auf mich
zeigt, wahrend ich früher arm und barfuss mit den Gänsen
und euch herumzuhüpfen pflegte. (145) Ale der Bruder Grillos
von seiner Gelehrsamkeit und seinem grossen Ansehen hörte,
verwunderte er sich und wurde von Neugierde gequält, und
begab sich zu ihm mit freundlichem Wesen und grüsste ihn
mit höflicher Bede, indem er sagte : „Mein lieber Bruder voller
Trefflichkeit, Geist und Wissenschaft, ich bin gekommen, dich
zu begrüssen und dir damit meine schuldige Pflicht zu er-
weisen." (146) Grillo wandte sich aufgeregt mit wildem
Antlitz gegen ihn und sah ihm fest ins Gesicht; dann sprach
er: „Als einen Bruder erkenne ich dich nicht an und kenne
dich überhaupt nicht, " und damit jagte er ihn von dannen.
Der ging voller Wut und Gift mit gesenktem Kopf und ge-
ducktem Hals davon und verfluchte sich selbst, dass sein
Bruder, der arme Kerl, ihn nicht mehr kennen wollte.
(147) So lebte Grillo lange Zeit ruhig im Frieden zusammen
mit Weib und Kindern, beständig den mächtigen und wahr-
haftigen Gott preisend, der ihm so hohe Gnaden eingegossen,
für die auf der Welt nur er ein würdiges Gefäss war. So
endigte er mit Pracht und äussersten Bezeugungen der
Himmelschuld sein Leben, denn auf dieser nützt es nichts,
Verstand zu haben, wenn nicht das Glück dazukommt.

V.

Camprianoe

(1) Um jeden Zuhörer Behagen zu verschaffen, will ich
euch eine Novelle erzählen von der Rührigkeit eines Acker-
hauers, der bloss eine Eselin besass. Wenn ihr den Sprecher
anhören wollt, wird sie euch, scheint mir, schön vorkommen,


64

und wenn mir der heilige Geist zu Hülfe kommt, kann ich
mich rühmen, mit meinem Gesang euch zum lachen gebracht
zu haben. (2) Wenn die Geschichte wahr ist, war es ein
sonderbarer Fall. Ich erzähle sie, weil der Stoff hübsch ist
und wir von einem Bauer singen wollen. So wisse denn, ver-
ständiger Leser, das s er aus Gello war und Gampriano mit
Namen hiess; wie ich schon gesagt, besass er einen Esel und
sechs Töchter, und seine Gattin war dick und sein Haus
nicht mit Gütern überladen. (3) Er sagte bei sich: „Was
soll ich anfangen! O böses Geschick, bin ich ein armer Kerl!
Sechs mannbare Töchter hab ich hier und sonst kein Gut unter
dem Dache. »Und meine Frau ist auf dem Funkte, wieder
ein Kind zu bekommen und meine ganze Habe ist ein Eselein
und fünf Franken, die mein Herr von mir verlangt. Was
sollen denn da meine Töchter machen? (4) So gehe es denn,
wie es gehen magl Ich bin entschlossen, einen Verdienst zu
suchen. Mit dem Esel will ich auf den Markt gehen! Viel-
leicht kann ich einen Handel machen. Die fünf Lire, die ich
für den Hauswirt zurückgelegt, will ich dem Esel in den Leib
treiben." Wie gedacht, so getan. (5) Dann nabm er das
Tier vor, das all das Geld in seiner Öffnung hatte; und da-
mit das Schicksal ihm wohlgesinnt sei, sagte er: „Es macht
die Geizigen traurig," und andere bescheidene Worte sprach
er. Wer lernen muss, lerne von Campriano, der etwas wagte
und dem das Glück günstig war. Hört nun, was mit ihm
passierte! (6) Als er so seines Weges zog, stiess er auf ein
paar Kaufleute, die das Land absuchten, und er hielt an, um
sich etwas mit ihnen zu unterhalten. Und solche Worte liess
er vernehmen: „Von Hause brach ich auf mit diesem Esel,
um ihn wenn möglich, noch in diesem Monat zu verkaufen,
denn er hat mir so viel geprägtes Kupfer und Silber ge-
schissen, dass ich seiner überdrüssig bin." (7) Und die Kauf-
leute machten sich über das lustig, was Gampriano vorbrachte,
und einer lachte dem andern ins Geeicht, und sie glaubten,
es mit einem Verrückten zu tun zu haben. Und unterdessen
sammelte der Esel den Stoff, den er im Leibe hatte, um ihn
von sich zu geben, und das ging denn auch ohne allzu viele
Pein seinerseits von statten, und er kakte das Geld, das er
im After trug. (8) Die Kaufleute sagten zu dem Bauer:
„Lies doch das Geld auf, das er gemacht hat." Gampriano
sprach zu ihnen: „0 weh, wenn ich so viel auflesen muss,
bin ich ruiniert! Mein Haus und ein ganzes Fass ist voll,


Ich möchte ihn verkaufen oder sonst einen Handel schliessen.
Weib nnd Töchter haben ihn so satt, dass niemand im Hause
ihn mehr will.44 (9) Da redeteu die Kaufleute mit einander
leise und wollten ihn kaufen, und fröhlich waren sie unter
einander einverstanden, ihm das zu zahlen, was er verlangen
würde. Dann sprachen sie zu Campriano: „Was soll denn
dieser Esel kosten?" Campriano sagte: „Fünfzig Dukaten,
die er ja in drei Tagen kackend einbringt14. (10) Das schien
den Kaufleuten zu viel. Sie sagten: „Hat er keinen Fehler?44
„Ihr werdet es sehen,44 sagte der; „ich will ihn gallopieren lassen
und sein ganzes Maul zeigen. Ihr werdet gehen : Er ist nicht
blind, er hinkt auch nicht, und ist mehr als hundert Dukaten
wert. Hätte ich nicht das Haus voll Dukaten, könnte man
mir Siena schenken, ich gäbe ihn nicht her.44 (11) „Ich will
mich jetzt nicht länger mit Heden aufhalten,44 sagte da einer
der Kaufleute. „Komm, ich will dir das Geld auszahlen,44
und sie gaben ihm das Geld in der Tat. Als er es auszahlen
sah, sagte er bei sich: „Wer ist von uns nun am verrück-
testen?44 Er nahm das Geld und liess sie in Frieden; nach
Hause kehrte er zurück.

(12) Er langte bei seiner Frau an und sagte: „Nun
müssen wir einen Sack voll Hirn brauchen, sonst geraten wir
in Schmach und Schande. Die Sache ist nämlich: „Ich
habe gewissen Kaufleuten den Esel mit einer Lüge verkauft,
und sie werden, wie ich glaube, bald hierher kommen. Aber
wenn wir dieser Gefahr entrinnen wollen, pass auf, was ich
dir sage. (13) Mach, dass du morgen früh aufstehst, und töte
ein paar Kapaunen, den einen röste, den andern siede in
einer Stunde, dass sie gut aussehen, und hierauf verwende
deine Muhe. Und wenn ich klopfe, sollen sie fertig sein,
denn ich will sie diesen Dummköpfen zu essen geben; und
wenn sie unter der Tür stehen, stelle sie in der Mitte
des Hauses auf, dass sie in der Kühle gekocht scheinen.
(14) Ich will sehen, ob ich diesen Kaufleuten auch die Pfanne
anhängen kann. Wenn nicht, auch gut. Das Geld werde ich
ihnen alles zurückgeben und dann der Sorge ledig sein und
so gut als möglich werden wir eben unsere Pein weiter tragen.
Drum sei gescheit, wenn sie angeführt werden sollen, und
wenn sie kommen, schicke sie in den Weinberg.

(15) Kehren wir nun zu jenen Dickschädeln zurück, den
zwei Dummköpfen von Kaufleuten, die sich mit dem Esel
nach Hause aufmachten. Die beiden Einfaltpinsel sind dort

Volkstümlich* Dichtungen der Italitntr. 5


— 66 —

angekommen und machten schnell zwei weisse Leintücher be-
reit. Und die beiden Tölpel banden die dem Tiere unter
und dann gingen sie mit ihren Frauen zu Bette, bis das Licht
des anderen Tages erschien. (16) Am Morgen erhoben sich
die Kaufleute, um zu sehen, was der Esel zu Tage gefördert
habe; sie brachten in jenen kleinen Stall einen Sack mit, den
sie zu ihrer Lust zu füllen gedachten. Es schien, als ob sie
ihm ein Abführmittel eingegossen hätten, eine so schöne
Wirkung sahen sie auf den Leintüchern. Als sie die Ware
sondierten rochen sie den Geruch: von was, merkst du wohl,
verständiger Zuhörer! (17) Von Gras, das er an jenem Abend
abgeweidet hatte, denn grün sahen sie den dampfenden Mist,
auf einer Seite mit schwarzem Stoff gemischt, der in hundert-
tausend Farben schimmerte. Als die gesehen, woran sie da-
mit waren, wurden ihre Herzen von Kummer und Zorn ent-
flammt und sprachen: „Dieser Lümmel hat uns betrogen, aber
mit seinem Tode soll er sein Yergehen büssen.

(18) Wir wollen ihn in seinem eigenen Hause angreifen
und ihm mit unsern Händen den Tod geben. Zuerst soll er
uns unser Geld herausgeben, bevor wir von seiner Schwelle
weichen. Er soll uns nicht mehr anschwindeln können!
Machen wir uns also ohne weitere Begleitung auf den Weg.
So brechen sie auf, ш Campriano zu suchen, und ihm den
Tod zu geben. (19) Campriano ging mit Karst, Hacke und
Schaufel in den Weinberg ; zwei Kaninchen besass er, von denen
er eins in seinen Mantel eingewickelt trug; das andere liess
er zu Hause, um sich auszuruhen, denn jener Spitzbube hatte
sich wohl ausgedacht, was er machen wolle: nämlich, jenen
Schafsköpfen einen weiteren Streich zu spielen. (20) Die
Kaufleute sahen ihn im Felde und gingen in aller Eile auf
ihn los; es schien, als ob sie dampften; wie ein Pfeil schwirrten
sie dahin. Campriano sagte bei sich: „Wenn ich aus diesem
Unternehmen heil hervorgehe, kann ich stolz sein." Sie kamen
heran, ohne zu grûssen; doch Campriano wollte diese Höflichkeit
nicht versäumen: (21) „Was wollt ihr so eilig, mit solchem
Ungestüm und solcher Aufgeregtheit? Sprecht schnell! Vor
Furcht vergehe ich ; macht kein so zorniges Gesicht. " Einer von den
Kaufleuten sagte: „Hergelaufener Kerl, du hast uns betrogen
und willst uns höhnen? Gib das Geld zurück, das wir dir
gaben, und nimm den Esel, der voll von Dreck steckt, wieder."
(22) „Habt ihr bloss Zorn deswegen?" sagte da Campriano.
„Seid nur ganz ruhig; euer Geld sollt ihr sofort wieder haben.


Aber zuerst müsst ihr mit mir speisen." Ans dem Mantel
hat er das Kaninchen genommen nnd zu ihnen gesprochen:
rNun seht einmal zu!" Zu dem Tierchen aber sprach er: „Geh
schnell zu Lisa und sag1 ihr, sie soll rasch Kapaunen
schlachten und den einen braten und den andern sieden.
(23) Geh schnell, dass ich dir nicht zu läuten brauche, und
sag auch, dass ich zwei Kaufleute bei mir habe, die diesen
Morgen zum Essen mit mir kommen, und dass sie den Tisch
decke und alles sauber zubereite, um Allen Ehre anzutun".
Und das Kaninchen schlug sich in das Gebüsch und liess
eich nicht mehr sehen. (24) Als das Kaninchen fort war,
sagte er: „Vorwärts, brechen wir schnell zum Essen auf!"
Er packte Hacke und Mantel und sagte: „Ich kann es kaum
erwarten, bis wir nach Hause kommen, тог Hunger gerate ich
ausser mir, und auch das Geld möchte ich euch so schnell
als möglich zurückgeben." Keiner der Kaufleute wollte ein
Wort reden, denn sie warteten ab, wo das hinauswolle.
(25) So kamen sie zum Hause; er klopfte an die Tür mit der
Hacke, die er in der Hand hielt. Und die Frau, die den
Spa es wohl kannte, zog rasch den Topf vom Kohlenbecken
und stellte ihn in die Mitte des Hauses. Dann sagte sie:
„Wer ist da?u und öffnete die Türe. „Wer Teufels wird es
sein?" sagte er, und machte ein böses Gesicht. (26) Alle
drei traten sofort in den Raum ein, und in der Mitte kochte
der Topf. Campriano sagte zu seinem Weibe: „Ist gekocht,
dass wir uns ein bischen den Gaumen kitzeln ?a Die Frau
machte mit den Kaufleuten einen Scherz, während das
Kaninchen von der Bank herunter zur Türe hinaussprang. Die
Kaufleute sahen es und einer sprach zum andern: „Wir müssen
diesen mit dem Tod verschonen und ihm das Geld lassen, das
wir ihm gegeben haben. Aber diesen Topf, der so stark
siedet, und dieses Kaninchen soll er uns verkaufen, und vor-
her treten wir nicht über seine Schwelle." Campriano sagte:
„Speisen wir, dass ich euch nachher das Geld auezahlen
kann." (28) Sie setzten sich auf dem Boden, denn so wahr
mir Gott helfe, es ist kein anderer Tisch da. Und sie essen
auf einem Block, wenn die Erzählung nicht irrt, ohne Tisch-
tuch und Tüchlein, und als Becher benutzen sie hölzerne
Näpfchen; aber mit jenen Kapaunen vergnügen sich doch alle.
Sie essen und trinken wie die Bauern, mit vollem Munde,
und beiden Blanden. (29) Als sie die Hähne verzehrt hatten,
sagte einer der Kaufleute zu Campriano: „Zu dem, was ich


— 68 —

dir sage, darfst du uns nicht nein sagen/ Und Campriano
versprach ihm. was er wollte. „Die Pfanne dort, in der du
das Fleisch siedest, sollet du uns verkaufen und dieses
Kaninchen wollen wir als Laufburschen. Sieh ein bischen»
ob bei diesen nicht eine Schraube los war!" (30) Und glaubst
du, dass Gampriano das Äuglein lachte, als er das hörte!
Und mit gar nicht rohen und langsamen Worten sagte er in
Übereinstimmung mit ihrer Bede: „0 wackerer und liebens-
würdiger Kaufmann, mit einem Gulden wirst du mich nicht
befriedigen! Für die Pfanne will ich dreissig Dukaten, denn
so viel habe ich mit ihr schon an Holz erspart. (31) Und
noch eine Wunderkraft besitzt sie: auch an Salz erspart man
viel mit ihr. Und jenes Kaninchen, das du da oben siehst,
hat mir gar lange als Laufbursche gedient, es gehörte schon
meinem Grossvater und Urgrossvater ! Er hat gewiss vom
Himmel die Gnade erhalten, nie zu altern, und um dreissig
Dukaten sollet du es haben. (32) Dreissig und dreissig macht
sechzig; von diesem Preis lasse ich keinen Heller ab." Er
rühmt sich, dass er schon mehr dafür hätte haben können, um
das Eselchen in Vergessenheit zu bringen; er schwört und
verschwört sich bei dem heiigen Kreuze, der wackere Bauer,
um sie anzuführen. Sechzig Dukaten zu zahlen waren sie zu-
frieden; ihr könnt euch denken, was das für Schafsköpfe
waren! (33) Dann schieden sie mit grossem Jubel und mit
Freude, denn sie glaubten, einen schönen Gewinn gemacht zu
haben, da der Topf ohne Feuer kochte! Und der Abglanz
ihrer Fröhlichkeit leuchtete auf ihren Gesichtern. Verständiger
Leser, warte ein bischen, und ihre Freude wird nicht lange
anhalten! Sie kamen nach Hause und rühmten ihren Weibern
die Wunderkraft des Kaninchens und der Pfanne.

(34) Kehren wir nun zu dem bekümmerten Campriano
zurück, der schon darauf ist, dass die Pfanne zurückkehrt.
Eine weitere Ausflucht hat er dies Mal nicht und er glaubt
sicher, dass es ihm nun schlecht ergehe. Seine Frau, die ihn
klagen hört, sagte: „Zweifle nicht daran, dass sie zurückkehren.
Hör aber, was ich mir ausgedacht habe, und dann magst du
es ausführen, wenn es dir gut scheint. (35) Wir haben hier
eine rostige Trompete, die schon lange an der Wand gehangen
hat. Wenn sie hierher zurückkehren, musst du zunächst
sagen, ich habe ihnen den Schaden zugefügt. Mach dazu ein
trauriges und aufgeregtes Gesicht und tu dergleichen, als ob
du Schmerz und Kummer empfindest; befestige mir eine mit


Blut gefüllte Blase am Hals, durchbohre sie dann und
ich spiele die Tote. (36) Du kannst mich dann mit dieser
Trompete auferwecken, und es wird dann scheinen, als ob es
wahr sei. Und sobald ich sie ertönen höre, erhebe ich mich
ganz verstört, erzähle, ich sei in einem Grabe gewesen und
füge eine Geschichte meiner Erfindung hinzu. Dann werden
sie Lust bekommen, meine Trompete zu kaufen, welche die
Toten auf erweckt." (37) Manchmal ist es doch gut, ein Weib
zu haben, das dir einen guten Bat gibt. Sieh diesen an, der
sinnt und sinnt, um aus dieser Gefahr zu entrinnen, und
seine Frau findet es sofort nnd sagt es, ohne weiteres Auf-
sehen zu machen. Und was nötig dazu war, bereiteten sie
vor und erwarten die Kaufleute guten Mutes.

(38) Nun kehrt die Erzählung zu den Kaufleuten zurück
an dem Morgen, wo sie ihren Frauen durch das Kaninchen
auftrugen, nicht etwa Kalb- oder Schaffleisch, Hühnchen oder
Bebhühner zu rüsten, sondern Bindfleisch, wie die Geschichte
erzählt, bloss um zu sehen, wie der Versuch ausfalle. Dann
warten sie, dass das Kaninchen zu ihnen aufs Feld zurück-
kehre, um sie zu belustigen. (39) Sie warten und warten;
das Kaninchen kommt nicht und Appetit ist doch reichlich
vorhanden! Den Kaufleuten wuchs der Hunger und es schien
ihnen Esszeit zu sein. Und da sie nicht wussten, was damit
sei, schickten sie sich an, nach Hause zu gehen. Und die
Frauen hatten das Kaninchen geschickt, aber es hatte anders-
wo einen Buheplatz gefunden. (40) „Sollte der uns wieder
angeschwindelt haben?" sagte der eine. „Und wir sind wieder
auf den Leim gegangen.M Sie gehen ihres Weges weiter und
schauen sich von Zeit zu Zeit nach dem Kaninchen um;
über das hat das Wiederkommen vergessen! Unter einander
sagen sie: „Es scheint mir, es ist spät geworden. Komm,
wir sind schön angelaufen.u So redend sind sie nach Hause
gekommen, aber das Fleisch werden sie nicht essen. (41) Ihr
wiest ja, auf dem Lande sind die Haustüren offen, damit man
nicht anzuklopfen braucht; diese Kaufleute traten also hurtig
ein, um das Bindfleisch zn probieren. Aber ihre Gedanken
waren töricht. „Nicht gekocht ist es?" schrien sie ihren
Weibern zu und rauften sich die Haare aus mit den Worten:
„Er hat uns zum Narren gehalten. (42) Der Strolch hat uns
einen aufgebunden, und mit diesem sind es jetzt zwei. Aber
warte nur, deinen Streich werden wir dir heim zahlen, denn
ich habe eine Idee. Gehen wir noch heute nach seinem Haus;


mit eignen Händen will ich ihm den Kopf spalten." Und so
zogen sie zu Gamprianoe Wohnung und hüben an, in grossem
Zorn zu ihm zu sprechen: (43) „0 elender Betrüger, ge-
meiner Bauer, euch schnell unser Geld zusammen ; wenn nicht
soll deine Sünde bestraft werden! Und damit du ein ander

Mal lernst, die Leute nicht zu betrügen---u „Niemals

habe ich jemand betrogen," antwortete Gampriano. Bei dieser
Bede antworteten die Kaufleute: „Mit dem Esel, dem Topf
und dem Kaninchen ! (44) Da hast du uns den Topf gegeben
mit der Behauptung, er besitze eine Wunderkraft, und von
dem Kaninchen sagtest du das gleiche. Als das Fleisch in
den Topf getan wurde, hast du es sofort gesotten herausge-
nommem. Als das Kaninchen freigelassen wurde, schlug es
sich in die Büsche. Gib uns ohne weitere Worte unser Geld
zurück, wenn du nicht willst, dass wir dir heisser machen
als die Sonne!" (45) Nun schien Gampriano die Gefahr da
zu sein; doch begann er mit folgenden Worten : „Verwundert
euch nicht über das Kaninchen, wenn es anderswo hingegangen
ist Ihr habt ihm ja den Weg nicht gezeigt, auf dem es
hätte zu euch zurückkehren sollen. Was nun das Fleisch an-
betrifft, das in dem Topfe nicht kochte, so hat ihn vielleicht
meine Frau mit einem andern verwechselt. (46) Wartet ein
bischen, ich will von meiner Frau hören, ob sie euch etwa
betrogen hat. Wenn sie es getan hat, will ich euch zeigen,
wie sehr sie mich damit aufgeregt hat. Lisa, komm herunter!
Du wirst schon diese Treppe herunter steigen, wenn ich mich
dir mit diesem Prügel in der Hand nähere; du weiset ja,
wie Gampriano beschaffen ist." (47) „Was Teufels soll's?
Was gibts denn?" sagte die Frau mit gesenktem Blick. „Was
soll's denn zwischen uns geben als Geschrei und Streit? Vor-
wärts, schnell sag mir, was du von mir willst und lass mich
nicht länger in Verwirrung." „Der Kukuk soll dich holen,
Unselige! Was für eine Pfanne hast du diesen da gegeben?"
(48) „Ich will dir die Wahrheit sagen, mein Mann. Den
wundertätigen Kochtopf zerbrach ich, als ich ihn wusch. Bei
meinem Gotte, ich hörte eben noch, wie er platzte! Und um
dem Tanzen des widerwärtigen Stockes zu entrinnen und nicht
mit dem Kopfe gegen die Wand zu rennen, gab ich ihnen
diesen, den sie zurückgebracht haben. Ich bitte dich, lass
Gnade für Becht ergehen." „Sind das die Ehren, die du
mir erweisest, schlechtes, elendes, schuftiges Weib? Komm
nur her; bevor dieser Tag vergeht, sollst du es büssen!"


„Mach was du willet; du findest ihn doch nicht mehr, und
wenn du mich noch so sehr prügelst.u Campriano sagte :
„Maulst du immer noch?" Er rennt auf sie zu und durch-
bohrt die Blase. (50) Da fiel die Frau zu Boden und tat,
als ob sie am sterben wäre. Als die Kaufleute sie am Boden
sahen, sagte einer zu den andern: „Du siehst, dass es Cam-
priano ernst meint. Aber ich möchte nicht, dass es sich
herumspräche, dass sie unsertwegen gestorben ist." Und jeder
tröstet Campriano: (51) „Dieser Fall schmerzt uns und tut
uns leid. Hätten wir das doch nicht mit angesehen! Wae
werden nun deine Töchter anfangen, die doch verheiratet
werden sollen?" Campriano sagte: „Eure Worte zeigen, dass
euch mein Wohlergehen am Herzen liegt. Wenn ihr wollt,
will ich sie ins Leben zurückrufen und ihr um euretwillen
verzeihen." (52) „Wie, ins Leben zurückrufen ? Bist du
etwa Christus oder Sankt Petrus, die Tode auferweckten?" —
„Ich bin-weder Christus noch Sankt Peter; aber eine Sache
wirst du sehen, die dir nicht schlecht scheinen wird, sobald
du mich die Trompete blasen hören wirst, die hier an der
Wand hängt." Dann nimmt er sie herunter, und einer der
Kaufleute sagt leise zu dem anderm: (53) „Wenn er diese
mit der Trompete auferweckt, muss ich sie auf jeden Fall
kaufen. Wird die wirklich die Toten aus dem Grabe hervor-
zaubern?" Campriano sagte: „Wenn der Sohn Gottes kommen
wird, sie aufzuwecken, und die Trompete erdröhnt, wird er
den einen Freude, den andern Verwirrung schaffen. Adam
hat sie mit eigener Hand geschaffen und mit ihr rufen wir
jeden Toden ins Leben zurück. (54) Einer der Kaufleute
sagte: „Das möchte ich gerne sehen. Spiele doch ein bischen!"
Und Campriano blies und die Frau erhob sich und tat der-
gleichen, als ob sie auferstehe; nachdem sie eine Zeit lang
geschwiegen hatte, hub sie zu sprechen an und gab ihnen zu
verstehen, sie sei als arme Seele in der Hölle gewesen.
(55) „In der Hölle sah ich den Teufel, und die Versiera, seine
Frau ; mit mir verfuhren sie wie der Wurm mit einem Kohl-
blatt; jeden meiner elenden Knochen benagten sie. Ich wollte
fliehen und rief den heiligen Paulus an und die ganze Zeit
versank ich unter Schlangen, Kröten, Taranteln und Eidechsen
in solcher Anzahl, dass tausend Karren sie nicht hätten weg-
führen können. (56) Da ich den himmlischen Ton dieser
Trompete hörte, liess mich der Teufel los. Und mit solcher
Eile kehrte die Seele zurück, als ob sie Flügel bekommen hätte,


72

um ihre Stelle in den sterblichen Körper einzunehmen. Und
immer werde ich meine Sünden beweinen, denn die Hölle ist
bitterer als Wermut." Und als sie das gesagt hatte, schwieg
sie. (57) Da sagten die Kaufleute zu Campriano: „He! hör,
was ich dir jetzt erklare! Diese Trompete wollen wir dir
abkaufen, und gern will ich mein Geld darauf verwenden.
Verlange, was du willst, und wir wollen es dir geben, denn
sie zu besitzen habe ich grosses Verlangen." „Für fünfzig
Dukaten könnt ihr sie haben, dass ich eure Sehnsucht be-
friedige." (58) Diesen schien der Handel nicht teuer und
sie konnten es kaum abwarten, ihr Geld los zu werden. Sie
nahmen die Trompete und machten sich mit ihr auf den
Weg und plaudern unter einander: „Wenn ich nach Hause
komme, hab auch ich im Sinne, diese Trompete zu probieren.
„Ich will mein Weib töten und du das deine, und dann wollen wir
sie beide wieder auferwecken". (59) Die beiden schicken sich
an, ihre Weiber in die Enge zu treiben : den Tanz hätte man
sehen sollen! Als sie bei ihrem Häuschen angelangt waren,
fingen sie an, zu schreien und zu wüten, und jeder nahm
sein Messer heraus und stach seine Frau nach dem Kopfe.
Das ganze Haus überschwemmten sie mit Blut und schlachteten
sie wie Hühner ab. (60) Als beide das Schnaufen verlernt
hatten, wollten sie mit der Auf erweckung anfangen; stark
bliesen sie die Trompete und glaubten sie damit ine Leben
zurückzurufen. Sie blasen und blasen, und keine von ihnen
steht auf! Schliesslich sehen sie ein, dass sie sie beerdigen
müssen. Einer der Kaufleute sagte: „0 weh! welch Hohn-
gelächter! Jetzt sind wir doppelt geäfft! (61) Und doch müssen
wir es durchaus wagen, wenn wir das Leben nicht verlieren
wollen* Zuerst wollen wir Campriano töten und uns dann
aus dem Staube machen". Der andere sagte: „Ich will dir
einen Bat geben, dass wir unsern Willen ausführen können:
Gehen wir in sein Haus, packen wir ihn und stecken wir ihn
in einen Sack. (62) Nachts wollen wir danu zu einem grossen
Flusse gehen, zu dem ioh den Weg wohl kenne; dort ist
zwischen zwei Höhen eine Brücke und dort werfen wir ihn
hinein ; auf diese Art wird er seine Vergehen büssen und für
alles Böse, das er getan, wird er bestraft werden." Als sie
die Sache überlegt hatten, suchten sie ihn mit einem grossen
Sacke auf, um ihn zu fangen. (63) Es war wohl drei Uhr
nachts, als sie Campriano fanden, der eben das Haus verlassen
hatte, und diese lauerten ihm sehr geschickt auf, griffen ihn


73

mit grosser Wut an und steckten ihn schnell in den Sack;
einer von ihnen lud ihn auf die Schulter, um ihn in jenes
Tal su tragen. (64) Campriano konnte nicht reden ; es schien
ale ob er schon von den Wellen Lethes gekostet habe, die
den, der von ihnen trinkt, alles vergessen lassen. Bald aber
werdet ihr sehen, dass Gott diesem zu Hülfe kommen will:
er machte, dass die beiden Kaufleute Durst bekamen, so dass
der eine zu dem andern sprach: „Wir müssen diesen hier ein
bischen ausruhen lassen. (65) Gehen wir langsam auf jenen
schönen Hügel, wo eine Quelle mit hellem Wasser rinnt". (So
viel tranken sie davon, dass sie den Durst vertrieben und
wieder in die Ebene hinunterstiegen.) — Sie Hessen also dort
Campriano liegen, denn die Mühe, ihn hinaufzutragen, erach-
toten sie nicht für gesund; sie machten sich also auf den
Weg und kamen bei der Quelle an, die auf der halben Höhe
des Berges lag. (66) Ein Schafhirt ging an der Stelle vor-
bei, wo Campriano lag, und ging in die Maremme. Campriano
hörte ihn und sagte: „Lieber Bruder" unter grosser Furcht.
„Ich will sie nicht," schrie er mit kläglicher Stimme: „eine
solche Perle geziemt mir nicht." Der Schafhirt sagte: „Wer
ist da unten? Was soll das bedeuten und was willst du?"
(67) „Ich will es dir erzählen, mein Verhängnis, Bruder. Aue
Spanien sind zwei Kaufleute gekommen. Sie erzählen, dass
Gott ihnen geoffenbart hat und dass sie aus den Sternen und
von Heiligen wissen, dass ich der Königstochter als Gemahl
gegeben werden soll. Aber an solche Zierden bin ich nicht
gewöhnt. Sie wollen mich mit Gewalt nach Spanien führen
und haben sich nur auf dem Berge aufgehalten, um an der
Quelle zu trinken." (68) „Der Schafhirt sagte: „Du bist
verückt, einen solchen Vorschlag zurückzuweisen. Wenn ich
gehen soll, will ich mit dir eine Abmachung treffen: ohne
Aufschub will ich dich eines Tages reich machen". Campriano
sagte: „Lass mich sofort los," worauf er seinem Vorschlag
folgte; der Schafhirt übergab ihm sein Vieh und zehn Gold-
gulden und sechs aus Kupfer. (69) Dann liess er sich selbst
in diesen Sack binden, und Campriano sparte dabei seine
Kräfte nicht; er aber blieb dabei ruhig wie ein Bracke. Cam-
priano ging darauf weg mit seiner Herde, so dass es schien,
er sei nie etwas anderes als ein Schäfer gewesen. Unterdeesen
kehrten die Kauileute zurück; sie luden den Sack auf ihre
Schultern, gingen weiter und warfen ihn in den Fluss. (70)
Dann traten sie den Weg nach Hause an, um ihre Angelegen*


— 74 —

heiten in Ordnung zu bringen. He! paeet auf auf meine
Worte, denn hier kommt nun dae Schönste ! Bei einer Mühle
fanden sie Campriano, der mit dem Vieh seinem Heim zu-
strebte. Als sie ihn da sahen, schlugen sie das Kreuz und
fragten ihn, ob er Campriano sei (71) Er wandte sich mit
fröhlichem Antlifz zu ihnen und sagte: „Ja, erkennt ihr mich?
Ihr glaubtet mir sicherlich viel Böses anzutun; nun steht ihr
wie die Ochsen da. In einen Sack eingewickelt warft ihr mich
in den Fluss; aber bei uns gibt es keine Gegend, die so
schön ißt wie die auf dessen Grunde; das ist sicher das Land
der Seligen. (72) Ich ging hinunter und trat in einen schönen
Garten : mit Würsten sind da die Beben angebunden ; ein Fluss
ist da, in dem der köstlichste Wein daherflieest; davon trank
ich, was in mich hineinging; gebratene Kapaune fliegen dort
herum; Berge gibts auch, die aus Käse geschabt sind; eine
Frau bereitet Makkaroni nnd macht hübsche Bissen bereit.
(73) Auf dem Pfahl der Weinrebe steckt eine Drossel und
unten an ihr findet ihr eine Apfelsine ; daneben ist ein Kristall-
becher, wenn ich mich recht erinnere, voller Malvasier; und
die Betten sind aufgeschüttelt, so dass ich einen Augenblick
ganz paff war, meiner Treu. Weisse Hirsen, Torten und
Marzipan und Piniennüsse, die auf sonderbare Art zubereitet
waren. (74) Und da waren auch viele Mägdelein, die sich
beständig miteinander belustigen. Schönere sahst du nie, nnd
ich bin sicher, ihr würdet euch verwundern, wenn ihr ihre
Unterröcke und die Dinge sähet, mit denen sie geschmückt
sind. Dazu die Küsse und die Liebkosungen, die sie dir
entgegenbringen! Ein ganzes Jahr lang möchte man nicht
von ihnen scheiden! (75) Bei deiner Ankunft waschen sie
dir die Fusse nnd trocknen sie dann mit einem feinen und
kostbaren Tüchlein. Dann erhebst du dich und setzest dich
zu Tische und sie bedienen dich mit feinem Brote, Turtel-
tauben und Wachteln; Kapaune, Bebhühner, dicke und fette
Täubchen dir aufzutragen werden sie nicht müde. Und das
darf st du glauben: da unten zahlt man keine Zeche. (76) Wie
sie mich dann an den Fasttagen, am Freitag und am Samstag
morgen, behandelten, das kann ich euch beim besten Willen
nicht sagen. Fein zubereitete Störe, lang wie Wachsstöcke,
sind dort in Sulz, und die Kräuteromeletten laufen auf den
Fusswegen, die Fässer sind voller frischer Eier, und Schleihen
Hechte, Meeräschen und Lampreten und noch andere gebratene
Fische sieht man da. (77) Ich machte mich auf, und als ich


den Flues verllese, wurden mir zehn Dukaten gegeben, denn
ee ist Sitte da unten, so viel dem zu geben, der in den Flues
geworfen wurde. Diese Tiere wurden mir mitsamt den Hauten
und Federn zum Geschenk gemacht, nicht weniger als hundert
Haupt. Jetzt fuhr ich sie nach Hause und will dann dorthin
zurückkehren, um mich noch weiter acht Tage zu vergnügen.

(78) Da ahmten die Kaufleute die Magier nach und fielen
vor Gampriano auf die Knie: „Wenn du bewirken könntest,
dass wir der Freuden jenes seligen Ortes, von dem du so
liebliches berichtest, teilhaft werden könnten, so würden wir
den Kümmernissen dieser sterblichen Welt entrissen, um uns
dorthin zu begeben. Wirf uns also, Campriano, in jenen Fluss,
dass wir einen Geschmack jener schönen Welt bekommen."

(79) „Um euch einen Gefallen zu tun, will ich umkehren."
An einem Seile band er beide fest und warf sie, um die
Sache kurz zu machen, in den Fluss. Und die Heise von
neuem mit seinem Hirtenstab antretend machte er sich mit
seiner Herde nach seinem Heim auf und freute sich mit Weib
und Kind so seines Daseins, daes er von da an kein Zahnweh
mehr spürte. (80) Und ich ging auch von dannen, nachdem
ich gesehen, dass es Glück braucht, um auf dieser Welt vor-
warte zu kommen, denn wenn uns auch Christus beistehen
will, wird dir sonst jedes Unternehmen hart und schwierig
erscheinen. Wer sich manchmal in Todesgefahr schweben
8ah, der muss wirklich einen guten Stern haben! Und damit
ist diese Erzählung zu Ende geführt! Amen.

VI.

Der Eifersüchtige.

(1) Aus Höflichkeit komme jeder Eifersüchtige mit fröh-
licher Miene mich anzuhören. Ich werde von einem Unglück-
seligen erzählen, der an der Eifersucht litt, die uns in so
schwere Bande schlägt. Seine Frau schaffte ihm schweren
Kummer. So horcht denn, ihr Herren, auf diese schöne
Geschichte: wie eine Frau von hohem Mute ihren Mann, der
die Wahrheit behauptete, der Lüge überwies. (2) Es war
ein genuesischer Kaufmann, der ein Weib zur teuren Gemahlin
hatte ; und wenn es wahr ist, so sagt uns die Geschichte offenbar,


76

dass sie schöner war als die Mairose. Und diese Eifersucht,
packte ihn so stark, dass er nirgends Buhe fand, und aus
Eifersucht, die ihm das Herz quälte, hielt er sie in einem
Turme eingeschlossen. (3) Und jene Burg hatte ihren Grund,
im Meere und nach der Landseite hin hatte er eine kleine
Öffnung gelassen und zwei starke Türen hatte er dort anbringen
lassen und die Schlüssel dazu trug er immer bei sich. In
der Mauer war ein Bad, das sich drehte, wie es Gewohnheit in
Klöstern ist und was die Frau wollte, wurde ihr mit Hülfe
dieses Bades gereicht (4) Abgesehen davon, dass die junge
Frau allein war, hatte sie alles, was ihr Herz begehrte.
Juwelen beease sie mehr als eine Königin und auch vieler
Kleider konnte sie sich erfreuen. Und doch sagte sie weinend:
„Ich Unglückselige!" und tadelt ihre Mutter, indem sie spricht:
„0 du, du elende, die du mich zum Tode verurteiltest, als
du mich so verheiratetest!" Aus lauter Traurigkeit, obschon
voll Furcht, setzte sich die Schöne nach der hinteren Seite,
die nach dem Meere hinaus lag; віє betrachtete die vorbei-
fahrenden Schiffer. In der Nähe des Turmes war ein Schiffchen,
das ein Bitter da vorüber trieb, um für seine Gesellschaft
Fische zu fangen, denn er wollte morgen ein Festmahl geben.
(6) Und als sie unten das Schiffchen landen sah und sein
leuchtendes Antlitz betrachtete, floh sie wie ein dummes Ding,
denn sie hatte Angst vor ihrem Manne. Aber der treue
Liebesgott, der das alles schaut, schlug ihn mit einer schweren
"Wunde, so dass er das Vergnügen aufgab; er kehrte nach
Hause zurück und warf sich auf sein Bett (7) Weil er sah,
dass er mit dem Gegenstand seiner Liebe für einige Zeit nicht
werde reden können, erhob er grosse Klage und zeigte tiefen
Schmerz, und war fast trostlos. Und seine Frau begab sich
mit grossem Zittern zu ihm, als sie ihn so jammern hörte,
und sprach: „Mein Gemahl, was habt Ihr denn? Welches ist
die Ursache Eures Schmerzes?" (8) Und er antwortete wie
ein Mensch, der in Verlegenheit ist: „Sonderbare Schmerzen
fühle ich in meinem Herzen. Süsses Weib, für mich gibt
es kein Entrinnen; mein Tod ist nahe. Ich sage dir, dass
ich dich als Herrin meines Gutes zurücklasse, liebe Frau, da
du mir treu und ergeben warst, denn aus dieser Welt muss
ich vor Schmerzen scheiden". (9) Sie sagte: „Gatte, bei jener
Treue, die du mir versprochen hast, beschwöre ich dich, dass
du mir die reine Wahrheit sagest, weswegen dein Geist so
aufgeregt ist Sei sicher, dieser Zustand wird nicht andauern


— 77 —

und du sollet wieder werden, wie du warst. Nun sag mir die
Wahrheit, mein Gatte, denn einen bessern Arzt kannst du
nicht bekommen!"

(10) „Da du mich beschwörst, mein feiner Geliebter,
darf ich dir die Wahrheit nicht verhehlen. Wisse also, dass
einer unserer Mitbürger, ein hervorragender Kaufmann zum
Weibe die Bose des Gartens besitzt und diese meine Pein
verursacht." Dann erzählte er ihr die ganze Geschichte, was
für eine Frau sie war und wie sie bewacht wurde. (11) Sie
antwortete wie eine wahre Freundin: „So tröste dich doch,
mein lieblicher Herr, und mach, dass man nicht weiter sage,
es könne sich dieser kein lebender Mann nähern, denn ich
mache mich anheischig, diesem Kaufmann zu beweisen, dass
er sie nicht hüten kann, diese, wie ihr sagt, so anmutige und
schöne Frau, — nackt soll sie in Euren Armen liegen."
(12) Als der Bitter seine Frau so reden hörte, erhob er eich
fröhlichen Antlitzes, nahm sie in die Arme, küsste sie auf
ihre schönen Augen, und umfasste sie so liebevoll, dass er sie
ohne zu Zögern umarmte. Und damit sie flinker und zum
süssen Spiel geneigter sei, warf er sie auf das Bett und
rechnete fest mit ihr ab. (13) Als sie mit ihrem Spass zu
Ende waren, erhoben sie sich fröhlich, ein Liedchen trällernd.
Und der Bitter war bald angekleidet und Hess seine Einechte
und Diener sich rüsten. Der kühne Bitter stieg zu Pferde
und alle begaben sich auf die Vogeljagd. Er sprach zur
Frau: „Nun beeile dich aber, die Sache in Ordnung zu
bringen, (14) so dass, wenn ich morgen vom Schloss
zurück kehre, alles durch deine Weisheit bereit sei
Wenn nicht, ersteche ich mich mit diesem Messer und
töte mich in deiner Gegenwart." Sie antwortete: „Mein
süsses Lieb, lass mich diese Angelegenheit abmachen, wie ich
es gut finde; geht und kehrt in einer Woche zurück und
alles sollt Ihr in Ordnung finden." (15) Und er reitet ohne
Zögern mit schönen Falken weg, um sich an der Vogeljagd längs
des Ufers zu vergnügen. Seine Frau strengt ihren Verstand
an und denkt stark über die Angelegenheit nach. Und ohne
Verdruss überlegte sie sich die Sache so lange, dass sie
schliesslich folgende Lösung fand: Sie bestellte einen Koffer,
in dem ein Bitter bequem sich aufhalten konnte. (16) Aus
starkem Holz, dick und mit grosser Kunst eingeteilt Hess sie
ihn machen; das zierliche Bild des Bitters liess sie darauf
anbringen, so dass es schien, als komme er direkt aus


Palästina. Als der Herr von der Vogeljagd zurückkehrte —
und blühend von Gesundheit kam er wieder, — nahm ihn
sein Weib bei der Hand und zeigte ihm sofort den Koffer
(17) mit den Worten: „Mein Herr und Gemahl, deinem
Wunsche stelle ich alles nach. Wenn du die Frau geschenkt
haben willst, musst du einige Mühsal erdulden, das heisst, du
musst sagen, dass du sofort ohne Aufschub nach Horn gehen
willst, um Verzeihung deiner Sünden zu erlangen, und mach,
dass es die Freunde und Verwandten, die Bürger der Stadt
und all die andern Leute erfahren. (18) Und dann wirst du
sie eine Strecke weit begleiten, so dass es scheinen wird, als
wärest du dort gewesen, sie dann vorausschicken und heimlich
zurückkehren: dann werde ich besorgen, dass du durch eine
List, die ich ausgedacht habe, die Frau bekommst". Und so
wie sie sagte, lies s er verkünden, und viele Leute zogen zu
seinem Hause, um ihn vor seiner Abreise noch zu sehen.

(19) Viele Leute kamen auch, ihm ihre Begleitung anzutragen,
und da war auch der Kaufmann, der die Frau die seine nannte,
um die der Hitter schmachtete. Noch mehr bot er ihm an,
und er dankte ihm und machte sich auf den Weg, um sofort
heimlich zurückzukehren. An einem Orte erwartete ihn die
Gesellschaft, und das zwar von da an mehr als einen Monat.

(20) Die Frau liess sofort den Koffer holen und steckte Stoffe
hinein, dass man darauf liegen konnte; dann versorgte sie
drin den Hitter, der mit schönen Kleidern angetan und mit
viel Gut ausgestattet war; sie gab ihm auch mit, was er etwa
nötig hatte, so aber, dass man es nicht sehen konnte. Als
all dies in Ordnung war, schickte sie nach jenem Kaufmann.

(21) Der Kaufmann kam ganz gern und ohne Zögern zu der
Frau, die er in grosser Klage fand und die er fragte, was ihr
fehle und was sie wünsche. Sie antwortete, sie jammere, weil
ihr Hitter nicht mehr da sei. (22) „Aber weswegen ich Euch
habe kommen lassen, ist folgendes: Er hat mir alle seine Habe
in diesem Koffer hinterlassen. In Wahrheit habe ich gehört,
und glaube, dass du ein ehrlicher Mann bist, weswegen ich
dich bitte, du mögest ihn bis zu seiner Rückkehr an irgend
einem geheimen Orte in deinem Hause aufbewahren. (23) Und
damit Dir sicher seid, dass er mir viel Gold und Gut hinter-
lassen hat," damit nahm sie den Schlüssel und öffnete den
Koffer und liess ihn oben hinein sehen; unten aber war der
Kitter zugedeckt und hatte ein'Schwert in der Hand, damit,
wenn es not täte, sofort seine Tüchtigkeit und Tapferkeit


dartun könnte. (24) Der gutgläubige Kaufmann sagte
zu der Frau: „Habt keine Sorge; er soll auf jede Weise
sorgfältig behandelt werden und meiner Frau will ich
ihn in Hut geben." Der Hitter aber war in diesem Koffer.
Und die Frau sprach: „Sagt ihr recht ernst, sie solle den
Schatz gut hüten, bis der Ritter zurückkehrt. (25) Der Kauf-
mann zögerte nicht; er ließ den Koffer in sein Gemach tragen;
und seine Frau bat ihn so sanft, dass sie ihn dazu brachte,
daß er zu Pferde stieg. Mit gewissen Leuten ging sie ihm
entgegen und weiss ihn mit Worten so zu kirren, dass sie
den Gatten in jenem Lande auf diese Weise wohl einen
Monat Aufenthalt nehmen liess. (26) Als die Frau den Koffer
in ihrem Gemache hatte, schien ihr dies eine sonderbare Ge-
schichte. Als sie den darauf abgebildeten Hitter sah, sagt
sie in ihrem Herzen und spricht: „Das scheint mir ja der zu
sein, den ich letzthin sah, wie er in dem Schiffchen fischte!
Wenn er es wäre, würde ich ihm Vergnügen bereiten, und
wenn es bloss wäre, dass meinem Gatten Spott und Hohn er-
wüchse." (27) Und der Hitter, der ihre Stimme vernahm und
ihre Ansicht vernahm, öffnete selbst den Koffer, sprang her-
aus und fiel vor der Frau auf die Knie. Als die Frau ihn
sah, war sie ganz erschrocken und fiel vor Angst beinahe in
Ohnmacht, aber trotzeem erkannte sie das glänzende Antlitz
und umarmte den Hitter sofort. (28) Und er entdeckte ihr,
was ihm fehle, und wie er dahin gekommen war. Da umarmte
sie ihn mit grosser Wonne und nahm ihn in ihr Bett auf.
Und er stieg auf ihren weissen Leib und büsste seine Lust
mit ihr; aber bevor der helle Tag anbrach, hatte er zehn
Bosen in ihrem Garten gebrochen. (29) Und nicht einmal
Tristan und Isolde übertrafen sie in ihrem Liebesglück. Einen
vollen ganzen Monat brachte er mit der Frau, die im Paläste
eingeschlossen war, zu. Und der Bitter zeichnete eines Tages
an der Mauer die Gestalt eines Verrückten, und zwar blieb
dieses dergestalt an der Wand, dass er es bei seinem Weg-
gehen nicht wegkratzte oder sonst zerstörte. (30) Als es der
Frau des Bitters Zeit schien, dass er zrückkehre, stieg sie ohne
Zögern zu Pferde und kehrte sofort nach Genua zurück und
den Kaufmann liess sie sofort nach Hause begleiten; dann gab
sie ihm zwei Knappen mit, um den Koffer wieder zu holen.
(31) Der Bitter, der den Tag seiner Areise nicht so nahe
geglaubt hatte, liess schmerzensvolle Klagen ertönen und sagte:
„Ich muss eben gehen." Und auch sie war mit ihren Tränen


nicht karg. In diesem Augenblick kam der Eifersüchtige, nnd
als der Ritter merkte, dass er im Hanse sei, schloss er sich
sofort in seinem Koffer ein. (32) Der Eifersüchtige blieb in
dem Zimmer nnd betrachtete die Frau hinter dem Bette, dann
gab er den Koffer zurück, den die Knappen nach Hause trugen.
Dann stieg der sinnreiche Bitter aus der Eüste und ging so-
fort dahin, wo er seine Begleitung wieder fand. (33) Und der
Eifersüchtige blieb in der Kammer zurück und plötzlich fiel
sein Blick auf die Figur, die der Edelmann gemalt hatte, der
eben weggetragen worden war. In seinem Herzen sprach und
sagte er: „Bei meiner Frau ist ein Anderer gewesen; das
merke ich an dieser Zeichnung.u (34) Seine Frau schrie er
an: „Falsches Weib, du hast mich betrogen. Eines bösen
Todes sollet du sterben und deine Sünde sühnen.u Sie ant-
wortete: „Bei dem Gotte, der am Kreuze hing, bin ich un-
schuldig. Nicht einmal ordentlich zu essen habe ich. Und
selbst wenn ich wollte, wie könnte ich dir untreu sein? (35)
Halst du mich Unglückliche nicht in diesem Turme einge-
schlossen, elender als eine arme Klosterschwester! Nie ward
ein Weib so eingekerkert wie ich.a Der Eifersüchtige, der
ihre Hede hört, glaubt, daß sie dies Mal die Wahrheit gesagt
habe, aber das Herz sagt ihm, dass sie ihm in diesem Punkte
angeführt hat (36) Da sprach er: „Mein feines Lieb, Worte
mögen unter uns nicht mehr gewechselt werden. Ich will dich zu dem
Stein Merlin's führen, wo jeder Trug offenbar wird." Als sie
hörte, dass sie ihr Gatte so behandeln wollte, sagte sie: „Um
Gottes Willen bitte ich dich um Gnade; bringe mich nicht
in eine solche Schmach !a (37) Dieser Stein, den Merlin dort
Hess, hat näh m lieh eine soche Wunderkraft: Wo immer Mann
oder Weib Übles tut, dass man ihn oder sie einen Eid
schwören läset, war der Angeschuldigte rein von Schuld, erhob
sich die Hand des Steinbildes, aber wenn er gefehlt hatte,
packte sie ihn, (38) bis er vor Gericht geführt oder der
Volksgemeinde ausgeliefert wurde. Und die Frau, die das
weiss, hält sich schon für verloren, denn sie sieht keinen
Ausweg, es sei denn, dass sie den Gatten bitte, sie nicht
dorthin zu führen, da sie, wie sie sagt, sich in nichts ver-
gangen hat; aber das nützt ihr alles bei dem Verhassten
* і й

III v/U vO.

(39) Als der Bitter die Nachricht hörte, dass jene Frau
zum Stein Merline geführt werde, nicht als ob ein Yergehen
an ihr entdeckt worden wäre, sondern weil der Gatte sie


— ai —

anschuldigte, schlug er sich mit beiden Handan auf die
Wange, indem er sagte: „Ich Elender, mein Leben ist Toller
Oram. Süsse Frau, wenn du um meinetwillen stirbst, werde
ich dir bald nachfolgen.u (40) Und er hatte so grossen
Schmerz und solche Qual, dass er kein Wort sprach. Als es
jene erfahrt, die jedes Hülfemittel kennt, um dem Schicksal
entgegenzutreten, sagte .de zu ihm : „Warum bist du so betrübt?
Kann ich irgend etwas für dich tun? Sag mir die Wahrheit
und verheimliche sie mir nicht!" Und er erzahlte ihr die
ganze Sache. (41) Sie tröstet ihn so gut sie kann und sagt
immer wieder: „Gib dich nicht langer der Traurigkeit hin,
denn wenn du die Frau retten willst, muset du dich nach
Art eines Narren kleiden. Wenn sie beim Stein sein wird,
geh hin und nimm sie fest in die Arme und küsse sie und
fliehe dann weg, und so wirst du die Frau aus dieser Schmach
befreien." (42) Der Bitter sagte: „Was du befiehlst, will
ich tun, um sie zu retten." Und sofort ging sie zu der Frau
und hat sie unterwiesen. Heimlich kehrte sie dann zurück
und richtete dem Mann die Botschaft aus. Als der andere
Morgen kam, wurde sie zu dem Stein Merlins geführt.
(43) Dort waren ihre Verwandten und Freunde mit vielem
andern Volke, und unterdessen kam mit grossem Ungestüm
der Narr an, rannte mit gesenktem Kopf in die Menge
hinein, kam zu der Frau, zögerte nicht, küsste sie mit dem
Munde auf das Gesicht, und er bekam Püffe genug, aber
flüchtend wandte er sich nach Hause« (44) Die Frau sagte:
„Ihr Herren, mein Gatte beschuldigt mich mit Unrecht und
fälscherlicher Weise, dass ich ihm untreu gewesen sei In
bester Treue kann ich euch schwören, dass seit meiner Ver-
heiratung mich nie ein Mann berührte, als der Narr, der
mich eben kuse te." (46) Als sie die Hand niederlegte, erhob
sie die Maschine, denn sie hatte die Wahrheit geschworen«
Ihre Brüder packten den Gatten und prügelten ihn mit ihren
Stöcken ordentlich durch. Ihre Schwester aber kehrte nach
Hause zurück und der Gatte war von der Sache ganz ver-
dutzt. Und dem glorreichen Gotte möge es gefallen, dass es
jedem Eifersüchtigen so ergehe, (46) Denn wer den Entschluss
faset, sich mit den Weibern abzugeben, ist nach meiner An-
sicht schlecht beraten. Ein Beispiel dessen haben wir an
Salomon, an Aristoteles und Merlin; der eine starb daran, ein
anderer geriet ins Gefängnis, ein dritter wurde gehängt, denn
ihr Verstand genügte nicht, sich vor ihren Banken zu schützen.

VoUtrtttmMch* Dichtungen der Italiener. в


(47) Bram, Лаг Бети, glaubt meinen Stage, der malien in
Florenz von -einem Weisen Terfaset werde, der sich auf das
Dkhten legt nnd der Gross nnd Klein bittet, ihre Weiber
zu bewachen, wenn sie den Schild ihrer las« blank erhalben
woBen; sonst wkd ihm Schmach топ ihrer Seite erwachsen.
Zu eurer Ehre ist dieser Gesang vwfaest.

Vfl.

Die Neocla von Prało oder die Pelle.

(1) Geweibteeter Apollo, o helles lieht, o lebendiges Bei-
spiel der heiligen Dreieinigkeit; heller warmer Glanz, welcher
auf Brden Früchte aller Art hervorbringt, bitte, sei du meia
Führer und Leiter nicht auf meine Bitten hin, sondern durch
deine Güte, und nähre mich so mit deinem Lachte, dass ich
diesem erlauchten Publikum einen Spass erzählen kann.
(2) Nicht viele Jahre sind es her, da war in Prato eine Fran,
die тог kurzem Witwe geworden war, and wie es das Mies-
geschiek 'wollte, überfielen die Gebartewehen ihre Nachbarin,
die nebenan wohnte, and niemand war dort, der ihr hatte
beistehen können, und so eihe die Nachbarm zu Halle, wobei
sie ihr Töohterlein allein Hess. (3) CPnd kaum war sie dort
angekommen, als die Wöchnerin anter grossem Geschrei eines
schönen Kn&bleins genas, das die Witwe aufhob, wasch and
salbte. Unterdessen kam -der ganze {Schwann der Weiber an,
und die Witwe kehrte in ihr Haus zurück, wo sie ihr
Töchterchen in Tranen aufgelöst fand. (4) Das Madchen haste
die 'Schreie gehört und weinte and zitterte тог Angst, und
es war ganz bleich geworden, wie ein einfaltig aad unerfahrenes
Ding, das es war. Die Mutter sagte: „Mein susses Leben,
was hast du, dass du so traurig bist?* Die Tochter sprach
mit verständigen Worten: „Wer war die, welche so schrie?"
(6) Die Matter antwortete ihr: „Die Frau Soundso schrie eo
beim Gebaren." Die Tochter sprach: „Wer hat ihr denn so
weh getan?1* Die Mutter erwiderte: »Der Schweif ihres
Gatten.M „Ach", sagte das einfältige Madchen, „was für ein
viehisches Ding! Nie soll mich ein Gelüste darnach an«
kommen! Mutter, wer hören will, der höre! Einen Mann,
der einen Schweif hat, werd ich nie zum Gatten nehmen.u


— ft* —

<«3) Di» Fnm lacht» über diese Werse und іш Friede«
lebten sie so manches Jahr cUiin, und die Tochter glich,
wosd mât Kleidern «ngeti«, einer Bonne. Die Mutter wollte
sie durohaas verheiraten, damit West und Zeit ihr keine
Ssmehuag bereiteten, und vielen Enevermittlern teüse sie ihre
Aheioht «lit sar des Feu, dass eich eine gute Partie darböte.
(7) Es vergingen nicht -viele Tage, und einer der Vermittler
send viele geeignete Partie« fur sie, unter andern einen junges
Mann der einesn Bagel ohne Flügel gtieh, von dem sie mit
der Tochter viel sprach. Die Fran, die nicht anf den Kopf
gefalle« war, sagte: „Ich «ahme ihn", und sie fragte die
Tochter, ob sie ihn wolle. Die antwortete kurs: (8) „Sagt,
smr, Mamma, hat dieser eine« Schweif?" Die Matter sasraoh:
„Gott mag dir üebles schicken! Mach, dass ich nicht mehr *
seiche Worte höre, Nimmt man eines Mssm, der keinen
Schweif hat?" Das Mädchen sprach: „Merk dir fir alle
Falle, dass ich mit den Sehwsmsen nichts «m tun habe« will!**
So findet sie keinen Gasten, der ihr gefallt, und die Mutier
weiss nicht, was sie machen soll.

(9) Die Geschichte sprach sich im Lande herum, Nencia
wolle Moss einen sam Gatten, der keinen Schwanz habe, und
dieses Gerftcht wird immer hartnäckiger. Die Mutter sucht
ihr die Grillem «m vertreiben und hast sie anf Stellen, die
wenig empfindlieh sind. Em geriebener junger Bureehe hörte
ven dem Fall; vernehmt na«, was er anstellte! (10) Der
fange Mann lebte eher in dürftigen Verhältnissen, stammte
aber aus guter Familie und war als Kaufmann geschätzt. Die
Net machte ihn esfmderisieh und er bedachte, er wurde einiges
Geld bekomme«, wenn er der Gatte der Nencia wurde, den«
ein paar hundert Dukaten besitzt sie ab Hitgift und ausser-
dem ist sie gut gekleidet. Der Kaufmann sagte sieh also:
Ich werde kein schlechtes Leben fuhren. (11) Und der be-
sagte kaufte sieh ein Eselein und schnitt ihm den Schwans
ab; dann schaffte er sich allerhand Waren an, «dt denen man
Handel treibt. Der gute Kaufmann, der Kopf und Hirn hat,
sog nun durch jene Strasse, und rief mit lauter Stimme, dass
die Nencia es hörte: „Wer will von uns Ware ohne den
Schwanz kaufen ? (IS) Kommt heraus, ihr schönen Mägdlein,
wenn ihr etwas kaufen wollt; ich will euch gern befriedigen".
Die Nencia, die ihn so reden hörte, sagte zu der Mutter:
„Nun kanast du deinen Zweck erreichen, wenn du mich mit
diesem verheiraten willst, denn er hat keinen Schweif und

6*


— 84 —

der Esel, wie du siehst, ebenso wenig." Die Mutter antwortete :
„"Wenn du ihn willst, will ich ihn dir geben", und so tat sie
wirklich. (13) Als die Hochzeit im Hause der Mutter statt-
gefunden hatte, fährte der Gatte sein Weib nach Hause, in freund-
licher Weise und mit fröhlichen Worten, um ihr das Gefass
mit gutem Trank su füllen. Und wie es Gott, unserm gütigen
Vater, gefiel, blieb die Gattin mit dem Gatten allein dort
zurück, und sie legte sich mit ihm, der mit einem guten
Werkzeug versehen war, ins Bett. (14) Der Gatte, der Łapo
hiess, fuhr ihr mit der Hand über den weissen Busen und
berührte ihr die Brüste, die zwei Äpfeln glichen, die man
gerne betastet. Nun hört, o Publikum, wie Herr Pimpel sich
hochmütig, zornig und stok zum Schleifen erhob, kräftig und
' fest wie er war. (15) Als der Gatte fühlte, dass er auf-
geweckt war, nahm er seine teure Gattin bei der Hand, die
er sachte über seine Brust führt und streichelt, um ihre Lust
zu entzünden. Sie fand den Schwanz, der einem Wickelkinde
glich, und zog sofort die Hand zurück, indem sie sagte : „Was
ist denn das, Łapo, was du hier ohne Mütze auf dem Kopfe
hast?" (16) Der gute Gatte antwortete ihr in wohlgesetzten
Worten: „Meine liebe Nencia, fürchte dich nicht, denn das,
was du gefunden, ist eine Feile, welche mir mein Gevatter
geliehen hat ; sie ist fruchtbringend, süss, wertvoll und geschätzt,
und besser als sie scheint". Da packte die Frau sie beim
Schöpfe und sagte: „Łapo, was macht man damit?" (17) Łapo
antwortete: „Man feilt damit". Die Nencia spricht: „Nimm
sie nnd feile ein wenig*'. Da nähert sich der Gatte der Gattin
und fängt frisch und froh zu feilen an mit der Feile, die
ganz in Ordnung war und die durch das Werg fuhr, das
hart neben dem Feuer lag. Mächtig feilte er das erste Mal,
wie die Esel im Wonnemonat tun. (18) Und so gut gefiel
den beiden das Feilen, dass die Mühle in vollem Laufe war.
Die Nencia sagte: „So wahr dir Gott den heiligen Frieden
geben mag, mein süsser Łapo, feile noch ein Mal ! Sicherlich
ist diese Feile echt. Ach, mach doch, dass sie niemand
nimmt!'* Und so scherzte sie mit dem Gatten und liess ihn
zum dritten Male feilen. (19) Und mit dem dritten Male
war sie nicht zufrieden, denn von neuem hiess sie ihn die
Feile anwenden. Und Łapo hilft sich mit Ausflüchten : „Ich
möchte nicht, dass sie in Stücke ginge. Du glaubet wohl,
sie sei dreissig Soldi weit. Was meinst du wohl, Nencia,
was die kostete? Die Feilen zu durchlochen wurde mit Gold


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aufgewogen!" (20) Die Nencia sprach: „Mein teurer Gatte,
das soll dich nicht am Feilen hindern; denn ich künde und
verspreche dir, meiner Mutter will ich die nötigen Dukaten
stehlen und für alles ein Mittel finden. Sag, wem gehört
sie?14 „Einem meiner Gevatter, dem ich sie zurückgeben will,
denn das ist die Pflicht eines ehrlichen Mannes, und er leiht
sie mir immer, wenn ich sie nötig habe". (21) „Tu das ja
nicht, gib sie ihm um keinen Preis zurück. Morgen gehe
ich zu meiner Mutter; sie hat eine Kassette in einer Wiege,
in dem die Dukaten liegen, die ich nehmen werde. Männchen,
spiele noch ein Mal mit mir, denn was ich dir verspreche,
halte ich. Hab keine Angst, mein Gatte, feile, feile; es
scheint mir, sie hat oben guten Stahl." (22) Die ganze Nacht
bis zum hellen Morgen erquickte sie sich an der Feile. Mit
Worten und Taten drängte sie Łapo zur Arbeit mit der Feile.
Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, zögerte die
Nencia nicht länger; nach dem Hause ihrer Mutter begab sie
sich, um ihr mit irgend einer Luge ihr Geld zu entlocken.

(23) Als sie beim Hause der Mutter war, erchien diese auf
ihr Klopfen hin. Sie ging die Stufen hinauf und ging der
Mutter entgegen, nachdem sie im Wohnzimmer stand* Die
Mutter sagte: „Jesus, steh uns bei! Was soll das heissen?"
nnd fast fiel віє in Ohnmacht. „Was willst du hier, liebe
Tochter ? Bist du verrückt, dass du so allein hierher kommst ?"

(24) Die junge Frau antwortete der Mutter: „Ich bin ge-
kommen, dir einen kleinen Besuch zu machen; es scheint
mir eine Ewigkeit her, dass ich dich nicht gesehen habe; ich
will dir einen Kues geben. Bitte, erschrick nicht, Gott steh
dir bei; gleich geh ich weg, erhol dich doch; hör mit dem
Weinen auf, denn ich kehre zu meinem lieben Manne zurück.

(25) Als die gute Mutter sie reden hörte, fasste sie sich
schnell und es schien, als freue sie sich nicht wenig; sie lobte
es sehr und ermahnte sie auch, dass sie zu Łapo zurückkehren
wolle, und sagte zu dieser, sie wolle mit ihr kommen, denn
sie war immer noch besorgt wegen des Schwanzes; aber da
die junge Frau davon nicht sprach, wollte sie sie begleiten.
(21) Da sprach die Nencia: „0 meine Mutter, holt doch eine
Flasche Tribiano, wascht zwei Gläser mit klarem Wasser,
denn wir wollen zusammen fröhlich eins trinken". Die wackere
Mutter war darin nicht geizig und holte Wein, die Nencia
aber öffnete ganz sachte den kleinen Geldschrank und nahm
die Gulden, um sie irgendwo zu verbergen. (27) Als die


_ ae —

Matter mit dem Wein zurückgekehrt war. frühstückte sie
mit der Tochter und führte lie dann ins Haue ihres Gatten,
am dann sofort zurückzukehren. Die Neneia zeigte fröhlich
and zufrieden ihrem Manne die Dukaten; Łapa war des aaah
froh und- mit zartliehen Worten küeste er sie wohl hundert MaL

(98) Nencia sprach: „Geh, mein Gatte, und bring deinen
Geratter zum Frühstück mit. Laes nur mich machen, denn
ich weiss, was ich zu sagen habe, waan er not mir redet.
Ich habe faste Hofnong und voues Vertrauen — an Verstand
bin ich nämlich nicht blind —, dass er una nur die Feile
abtritt, so dass wir in aller Gemütlichkeit feilen kennen.u
(29) Da Verliese der Gatte das Haue und begab sich zu einem
Freund», der in dürftigen Verhaltnissen war, und bald hatte
er ihm die ganse Angelegenheit anseinandergeoatzt. Der Freund
sagte: „0 liebevoller Gevatter, wenn du nur mit den Dukaten
herausrückst und mit mir armen Kerl Mitleid haben willst,
kannst du ruhig and sicher sein, aase iea die Feile schon
verkaufe.44 (30) Wie sie es abgemacht haben, so taten sie;
der Gevatter kam mit ihm zum Mittagessen. Nach dem Essen
brachten sie den Handel in Ordnung and die Nencia stand
nicht an, die Summe sofort zu bezahlen, um nach Belieben
feilen za können. Łapo nahm die Gulden, die abgezählt
wurden, und gab davon seinem Gevatter zehn Dukaten.
(31) Der Gevatter ging seinen Geschäften nach, froh über
das Essen und die Dukaten und der Gatte und die Gattin
blieben gar froh zu Hause. Łapo sagte: „Nencia, die Feile
ist nun dein. Łase aber gegenüber Niemanden ein Wort
davon über aie Lippen kommen, damit man nichts von dem
erfährt, was zwischen uns vorgeht". Sie sprach: „Behalte du
sie, zeig sie aber niemandu.

Und wahrend sie so redeten, wurde es Abend, und als
sie gut zu Nacht gespeist hatten, gingen sie zu Bette. Die
Nencia sprach gar liebenswürdig : „Mannehen, feilen wiar jetzt
ohne Furcht, denn die Dukaten meiner Mutter bewirken, dass
wir in aller Gemächlichkeit feilen können, aad wir brauchen
jetzt keine Angst mehr zu haben, sie könne in Stücke gehen,
denn sie scheint mir recht harf4. (33) Łapa sagte : „Lass die
Hände davon, liebe Nencia und bringen wir sie irgendwo anter ;
es wird schwer halten, sie bis morgen aufzubewahren ; besüaa
wir uns also damit." Łapo versank in gar sonderbare Gedanken
and machte einen guten und anständigen Plan. Um der Un*
anaehmlichkeit zu entgehen und sein Leben za fristen,


dachte er, seine Frau noch ein Mal za betrügen» (34) Und
er sprach: „Mein Weib, morgen ist Festtag und in der Ebene
von Biseaeie findet ein hübscher Tanz statt. Küste and
schmücke dich, denn das ist nur anständig. Dann werden
wir zu Fase oder mit einem Wagen zurückkehren." „Ich
habe dort recht viele achtbare Verwandte", sagte die Nencia;
„nimm nur die Fei]» mit". (3&) Gehen wir also schnell, denn
ich weiss, es wird uns grosse Ehre erwiesen werden, und
Madchen werden dort genug sein und wir werden bis um
acht TJhr tanzen. * Und so taten sie und dann kehrte Łapo
mit seiner Fran mit fröhlichem Herzen zurück, und um sich
die Fusse zu waechen, gingen sie durch den Fines. Nun hört
den Betrug Lapos. (de) Als sie das erste Mai den« Fluss
durchschritten, ging die Nencia voraus und Łapo hinterdrein,
denn so ist es Gewohnheit und Sitte. Die Nencia sieht frohen
Gemütes voraus; da sohreit Łapo laut: „Ich habe ein. Auge
verloren", und schloss dabei ein Auge und stand still. Die
Nencia sagte: „Mach dir nichts daraus, du hast ja noch ein
anderes; pass nur auf die Feile auf;" (37) Łapo setzte sich
wieder in Bewegung, die Nencia immer voraus; Łapo sprach
nicht» und tat ganz verwirrt; es scheint, er habe einen
schweren Kummer, üad als er wie gewohnt wieder durch
den Fluss schritt, schloss er auch das andere Auge und schrie
noch lauter als vorher. — Die Nencia sarach: „Was hast du,
du Dickkopf?" Łapo antwortete: „Ich sehe auch auf dem
andern Auge nichts mehr". (38) „Mein armer unglückseliger
Gatte," sagte die Nencia, „was willst du jetzt anfangen? Halte
dich an meinen Kleidern und tritt mir zur Seite, ich werde
dich überall hinführen. Aber gib- auf die Feile acht, du
Sorgloser, dean wenn du sie verlörest, wate das gar schlimm,
da du. ja nichts siehst, und ich würde dich in diesem Fluss
ersäufen. " (39) Der Gatte antwortete dem Weib»: „Führe
mich nur ganz sachte, dass ick nicht anstosse". Die Nencia
schickte sich an, durch den Fluss zu waten, denn das Wasser
war klar und von Fischen war nichts zu sehen. Als sie in
der Mitte waren, fing Łapę zu schreien an, indem er sich
mit der Hand auf die Backe schlug, und zwar noch viel stärker,
als er das erste Mal geschrieen, und weinend sagte er, er
habe die Feile verloren. (40) Ale die. Nencia hörte, dass ihm
die Feile ins Wasser gefallen sei, stiese sie ihn voller Zorn
an und gab ihm Fusetritte bis an den Scheitel hinauf und
zerries sich die Harnt, die Arme, und sprach: „Da das Leben


88

für mich keinen Wert mehr hat, will ich mich in diesem
Flflsschen ersäufen. Weh mir, dass ich geboren bin, da die
Feile mir abhanden gekommen ist" (41) Und weinend klagte
und jammerte sie lauter, als man je ein Weib klagen hörte,
und die Tränen rieselten ihr über die Backen hinunter und
nichts konnte sie trösten. Łapo bleibt ruhig und denkt an
seine Angelegenheit. Da kommen zwei Brüder des glorreichen
Francisons daher mit aufgeschürzten Kleidern, um es kühler
zu haben. (42) Als die beiden ehrbaren und heiligen Mönche
die junge Frau mit so viel Betrübnis und so viel Klagen
jammern hörten, trösteten sie sie mit guter Lehre und fragten
sie mit liebreicher Miene, weswegen sie so traurig sei Das
Weib antwortete ganz wütend: „Dieser schlechte Kerl hat
die Feile verloren". (43) Die Mönche sagten: „Man muss
danaoh suchen ; das Wasser ist hier nicht tief und wir werden
sie schon finden. Wegen so wenig soll man nicht verzweifeln.
Sucht, und wir werden euch dabei helfen. Das hat nichts
zu bedeuten : weinet nicht. Du tust ja, als ob du Matthai am
letzten wärest." Und das junge Weib sagte zu den beiden
Brüdern: „Sie hat mich fünfhundert Dukaten gekostet".
(44) Ab die Brüder hören, dass sie so viel wert ist, sprachen
sie unter einander: „Das muss ein Juwel sein oder ein Stück
ans feinem Golde oder eine Arbeit der Goldschmiedekunst,
oder eine Halskette oder eine Spange sein. Helfen wir ihr die
Sache suchen, wenn sie so wertvoll ist", und so machten sich
die beiden Brüder daran, mit aufgeschürzten Kleidern zu
suchen. (45) Und wie es ihr Miesgeschick wollte, senkten
sie den Kopf und streckten den untern Teil des Bückens in
die Höhe. Die Kencia sah einen unten aufmerksam an und
sah die Teile des Bruders, tat einen Sprung und packte sie
übermässig fest bis zum harten Teil. Der arme Bruder heulte
mit Donnergeschrei: „Zerr doch nicht so, du tötest mich ja".
(46) „Ha, Schuft, verruchter Mönch, ich soll nicht zerren?
Zerren werde ich recht", und wohl fünfzig Mal zerrte sie an
ihm, bis ihm der Saft aus dem Bückgrat lief. Drum, ihr
Zuhörer, lernt auf fremder Leute Kosten und steckt die Nase
nicht in Dinge, die euch nichts angehen. (47) Der andere
Bruder hörte den Schreienden und wandte sich um und sah
die, welche aus Leibeskräften rise, und der Fall schien ihm
gar sonderbar; er wollte ihm zu Hülfe eilen und fiel dabei
so, dass er der lange nach auf dem Bücken lag, und an der
Stelle war er abgedeckt, wo er dem Esel glich. (48) Und


89

so stark und heftig war der Stoss, dass er nicht merkte, dass
er dort abgedeckt war. Die Nencia sprang auf bei diesem
Schrei, wandte sich und bemerkte den Sperber mit dem dicken
Kopf und mit den zwei Schellen, und sie vergase den, den
sie in der Hand hatte, und lief weg um ihn mit dem Bufe
zu packen: „Das ist meine Feile". (49) Und so fest packte
sie ihn, dass sich der Bruder nicht mehr um den Stoss
kümmert, denn das Zerren dieser Ungebändigten bringt ihn
dem Tode nahe. „Tu das nicht", schreit er, „diese Prüfung
ist zu scharf". „Ah! verdammter Mönch", schreit sie, und
reiset nur noch mehr an ihm; „das ist meine Feile!" Der
Bruder keucht, um der bitteren Pein zu entrinnen: „So halt
doch ein; wenn sie dir gehört, will ioh sie dir geben".
(50) „Um Gottes willen, zerr doch nicht mehr so! Gib mir
das Messer, ich will die Feile abhauen". „Ha, verfluchter
Mönch, gib sie her, sonst will ich sie dir selbst abschneiden".
Als die Nencia im Begriff ist, das Messer zu zucken, erhebt
sich der Bruder und will fliehen. Die Nencia läuft ihm nach
und ruft: „Ich bin tot! Łapo, der Mönch rennt mit der Feile
fort". Die Nencia sagt: „0 ich Elende, Unglückselige!" Łapo
setzt sich lachend allein nieder, und der andere Bruder macht
sich ebenfalls in aller Eile davon. Nie hat ein "Weib, das
das Kind verloren hat, so stark geweint und ihren Leib mies-
handelt wie die Nencia, der am Leben nichts mehr liegt, da
sie ihre Feile verloren hat. (62) Sie spricht, als der Mönch
entflohen ist: „Was hilft es mir jetzt, zu Fest und Tanz zu
gehen, da dieser elende Gatte den Mönchen gestattet hat, die
Feile zu entwenden? Dem soll jetzt jede Liebesbegierde
vergehen: bei Gott, in diesem Flusse will ich ihn ersäufen".
Zu Lapo kehrte sie an den Band des Flusses zurück, wo sie
sah, dass er das Augenlicht wieder erlangt hat. (58) „Die
Augen wieder zu bekommen, hast du wohl verstanden ; kümmerte
dich denn gar nicht, von den Mönchen die Feile wieder zu
erhalten? Natürlich, weil dich das nichts angeht! Und doch
hab ich, um sie zu bekommen, meiner Mutter die Dukaten
gestohlen. Mit meiner Mutter muss ich noch diesen Abend
über die Sache sprechen!" Lapo antwortete: „Hab doch
Geduld; Mönche sind in Gewissensachen nicht so leichtfertig.
(54) Sie werden sie nach Hause tragen; ioh habe sehr Angst,
der Stahl sei beschädigt Wenn sie schwächer geworden ist,
ist der Schade dein. Wir müssen die Zeit abwarten, wie die
Wassermühlen, wenn der Fluss sozusagen ausgetrocknet ist,


— 90 —

warten, bis dat Wasser wieder in gewannter Menge sieb ein-
gestellt hat. (55) So müssen, Nencia, auch wir verfahren
nnd warten, bis das Ol sie wieder in Ordnung bringt. So
können wir die Feile erhalten und dürfen sie eben anstatt
zehn bloss ein Mal brauchen, denn sie fiel mir in den Fluss,
weil ich sie zu oft anwandte". Die Nencia weint vor grossem
Schmerz und sagt: „Łapo, wenn die Brüder sie uns wiedergeben,
soll es mir genügen, vier Mal im Jahre zu feilen". (56) „Wenn
du dieses Versprechen halten willst, werden die Mönche sie
uns gerne zurückgeben". „Mein Gatte, dazu will ich mich
gerne verpflichten, unter der Bedingung, dass du heute Abend
wieder anfanget, denn ich spure, dass ich es so nicht lange
aushahe und aus dem Leben scheiden musste, wenn du diesen
Abend nicht ein wenig feiltest". (57) So kehrten sie einträchtig
nach Hause zurück. Die Nencia sprach: „Willst du nicht zu
den Mönchen gehen, um dir die Feile zurückgeben zu lassen?
Wegen der Verzögerung könnten sie sie versetzen; unterlass
es nicht um Geld oder Gut". Lap o macht sich mit schnellen
Schritten auf, tut dergleichen, als ob er zu den Mönchen
ginge und kehrt mit Erfolg zurück; nachts gehen sie wieder
ins Bett. (58) Lapo verhält sich ruhig und spricht nichts.
Als er aber sein Weib in der Nähe fühlt und die Bettwärme
ihn durchdringt, zeigte sich Bruder Zebedäus, der im Ver-
borgenen geblieben war. Die Nencia packte ihn am Kopf:
„Ich habe beschlossen, dir den Hochmut abzugewöhnen und
dich etwas demütig zu machen. Die Kirche will ich auf den
Kirchturm setzen." (59) So stieg die Nencia auf ihn und
und setzte ihm die Mütze auf den Kopf. Ob sie gut arbeitete,
braucht ihr nicht zu fragen, und wie sie sich anschickt zu mahlen.
„Eher werde ich dich zerbrechen, als du dich abdeckst", und
damit bedrängte sie ihn so oft und führte ihn hin und her,
dass Bruder Zebedäus zu weinen anfing. (60) Von dem Honig,
der sich aus dem Fässchen ergoss und dem Weinen, das er
angehoben, wird sie ganz nass, so dass Lapo anderer Aneicht
wird', denn das Mark flieset ihm aus den Knochen. Und
Bruder Zebedäus verpflasterte sich die Haare, so dass es aus-
sah wie eine Leimmischung, und sich, sei es im Ernst oder
imSpass, die Bäuchlein nicht mehr einander nähern wollten, (61) es
sei denn, wenn es notwendig ware. So sprach er zu der Frau,
und so verging ein Monat und mehr. Die Neacia empfindet
bittern Schmers darüber: „Nicht befohlene Fasten läset er
mich einhalten". Lapo will sie mit Schersen hinhalten, aber


91

dieser Mond laset sich nicht mit Stroh abfüttern, denn je
mehr er isst, desto mehr hat er Hunger. (62) Die Nencia
ist verzweifelt und kann sich nicht mehr anf den Fussen halten.
„Der macht das bless, um mich zu ärgern. Diese Nacht,
wenn er eingeschlafen ist, will ich ihm die Feile abschneiden,
das verspreche ioh dir". Lapo geht ohne Sorge zu Bette,
die Nencia aber will ihren Vorsatz in die Tat umsetzen;
Lapo schläft und sie wacht, und schneidet ihm schliesslich
die Feile ab, (63) und will sie in die Tasche stecken. O weh,
bei lebendigem Leibe klappt sie zusammen. Lapo starb tat-
sächlich and schweigt für immer; die Nencia ist voller Angst.
In ganz Prato verbreitet sich die Nachricht davon, so dass
auch der Podesta davon borte; sie wurde verhört und verbrannt.

Nachtrag zur Einleitung.

Die Nenela топ Prato ©der die Falle wird auf das

Urteil Librie hin von Paesane eine sehr anmutige, aber recht
freie Erzählung genannt. Passano braucht sonst für derartige
Erzeugnisse stärkere Ausdrücke. In der Unerfahrenheit des
Mädchens erinnert die Geschichte an die Episode: Trübert
Hahn im Korbe1) und die Fabel vom Kaninchen, ist aber
sonst ganz eigenartig. Ich bereite einen Neudruck vor.

1) Ulrich, romanische Schelmengeschichten, Leipzig 1905.


92

Belfagor.

Der Erzteufel Belfagor wird топ Pluto in diese
Welt mit der Verpflichtung geschickt, ein Weib zu
nehmen* Er kommt, nimmt eins, aber da er ihren
Hochmut nicht ertragen kann, zieht er es vor,
wieder in die Hölle zurükzukehren.

Man liest in den alten Erinnerungen der Florentiner
Dinge eine Geschichte, die auch von einem gar heiligen Manne
erzahlt wird, dessen Leben von allen seinen Zeitgenossen sehr
gefeiert ward. Als dieser einst in seine Gebete vertieft war,
sah er mit deren Hilfe, wie unendlich viele Seelen der elenden
Sterblichen, die unausgesöhnt mit ihrem Gotte starben, zur
Hölle gingen, und alle, oder doch die meisten von ihnen,
klagten, dass sie durch nichts anderes, als weil sie ein Weib
genommen, in diesen unseligen Zustand geraten seien. Darüber
waren Minos und Bhadamanthys und die andern Bichter der
Unterwelt so sehr verwundert, dass sie diese Verleumdungen
gegenüber dem weiblichen Geschlechte nicht glauben konnten;
und da jeden Tag die Klagen wuchsen, und sie Pluto
gebührend alles berichtet hatten, wurde beschlossen, diesen
Fall mit allen höllischen Fürsten reiflich zu prüfen und dann
einen Entschluss zu fassen, der für den besten gehalten würde,
diesen Trug aufzudecken und in allem die Wahrheit zu
ergründen. Als sie also zur Beratung znsammenberufen
worden waren, liess sich Pluto folgendermaßen vernehmen:
„Obschon ich, meine Lieben, durch himmlische Anordnung und
unwiderruflichen Beschluss des Schicksals dieses Boich be-
herrsche und keinem Urteil des Himmels oder der Welt
unterliege, habe ich doch beschlossen, weil es von Seiten
derer, welche die Macht besitzen, am besten ist, die Gesetze
zu befolgen und das Urteil anderer höher zu schätzen, es
möchte mir von euch ein Bat gegeben werden, wie ich mich
in einem Punkte zu verhalten habe, wegen dessen unserem
Beiche Schmach erwachsen könnte. Denn es sagen alle Seelen
der Männer; die in unser Beich kommen, dass das Weib die
Ursache gewesen sei; und da uns das unmöglich erscheint,
fürchten wir, wenn wir auf diesen Bericht hin entscheiden,
wir könnten als zu grausam verleumdet, und im andern Fall
als zu wenig streng und als geringe Freunde der Gerechtigkeit
verschrieen werden. Und weil die eine Sünde die lüderlicher


— 93 —

und die andere die ungerechter Menschen ist und wir beiden
Vorwürfen, die vom einen oder vom anderen abhängen, ent-
gehen möchten und keine Möglichkeit dafür sehen, haben wir
euch zusammenberufen, damit mit eurem Bate ihr uns helft
und Ursache seid, dass dieses Reich auch in Zukunft ohne
Schmach lebt, wie es in der Vergangenheit gelebt hat."
Jedem dieser Fürsten schien der Fall sehr wichtig und
beachtenswert zu sein, und wenn auch alle der Ansicht waren,
man müsse die Wahrheit zu erforschen suchen, so waren sie
doch über die Mittel dazu Tersohiedener Meinung. Dem einen
schien es, man solle einen Mann, dem andern, man solle
mehrere, in diese Welt schicken, damit sie persönlich unter-
suchten, ob dies wahr sei Viele andere däuchte es, man könne
das ohne so viele Unannehmlichkeiten machen, indem man
einige Seelen mit verschiedenen Folterqualen zwang, die Wahrheit
zu bekennen. Als aber die Mehrheit rief, man solle jemanden
hinschicken, traten auch die andern dieser Meinung bei Und
da freiwillig keiner dieses Unternehmen auf sich nehmen wollte,
wurde beschlossen, das Los solle entscheiden. Und dieses fiel
auf Belfagor den Erzteufei, der aber vor seinem Fall vom
Himmel Erzengel gewesen war. Obsohon er dieses Amt ungern
übernahm, schickte er sich, von Plutos Befehl gezwungen,
nichts destoweniger an, sich dem Beschlüsse der Versammlung
zu fügen, und verpflichtete sich zu den Abmachungen, die
unter ihnen feierlich getroffen worden waren. Die waren, dass
man sofort dem, welcher für diesen Auftrag bestimmt werde,
die Summe von zweihunderttausend Dukaten auszahle, mit
denen er auf die Welt kommen und ein Weib nehmen sollte,
mit dem er zehn Jahre su leben hatte; und dann sollte er
desgleichen tun, als ob er sterbe, und zurückkehren, und aus
Erfahrung in guten Treuen seinen Obern mitteilen, welches
die Beschwerden und die Annehmlichkeiten des Ehestandes
seien. Weiterhin wurde ihm kund getan, dass er sich wäh-
rend der besagten Zeit allen Unannehmlichkeiten und
Übeln zu unterziehen habe, denen die Menschen unterworfen
sind, und alles andere Unglück, in das die Menschen laufen,
es sei denn, dass er sich dem mit Trug und List entziehen
könne.

Als Belfagor den Auftrag und das Geld in Empfang
genommen, kam er auf die Welt, schaffte sich Pferde und
ein Gefolge an, hielt einen ehrenvollen Einzug in Florenz,
welche Stadt er vor allen andern als seinen Wohnsitz erwählte,


94

weil aie mm die geeigneteste schien for einen, der «ein Geld
zn seinem Unterhalt gut anlegen wollte; und er neu sich
Roderigo yen Kastilien nennen nnd mietete sich em
in Bongo d' Qgmseaafci. Und démet man seinen Veriiälsniesea
weniger anf die Spur komme, sagte er, er sei vor кшсаег Zeit
von Spanien aufgebrochen, nach Syrien gegangen und habe
in Aleppo ein Vermögen gemacht; nun habe er doch nach
Italien keaamen wollen, um aa menschlicheren Orten ein
Weib m nehmen, die auch dem bürgerlichen Leben und seinen
oeelischen Anlagen mehr zusagten, atadexigo war ein gar
schöner Mann und sah ungefähr wie ein Dreianiger aus; und
nachdem er in wenigen Tagen geneigt hatte, was fur einen
Überaus« an Reichtümern er besitze, nnd тіеіе Beispiele «einer
Umgänglichkeit und Freie^hegkeit gegeben natte, kamen ihm
viele vornehme Bürger entgegen, die wenig Geld und viele
Töchter beaaesen; unter dieeen allea wählte Boderige ein sehr
schönes Mädchen Oneeta, Tochter des Amerigo Doaati, der
noch drei andere, alle seau engen mannbar, hatte, mit aammt
drei Söhnen. Und obeohon er aus einer vornehmen Famine
stammte nnd er in Florens in hoher Aoatnng stand, eo war
er doch seiner Dienerschaft und seinem Verkehiakraiee nach
sehr arm. Rederigo hielt eine prächtige und glänzende Hoch-
zeit mad versäumte anine aon den Dingen, die man bei ahn-
lichen itnlnmea топ einem erwartet. Und da er durah das
Gesetz, das ihm beim Verlassen aar Belle gageben worden wax,
-aüem menschlichen Leidenschaften unterwarfen war, fing er
plötzlich an, an den Ehren and dem Tand dieser Welt Ver*
gnügen ви finden and das Lob unter den Menschen hoahau-
schämen, was natürlich nicht geringe Anagaben far um aur
Folge hatte. Ansäendem hatte er nicht lange mit Frau
Oneeta zeeammengeiebt, als er sich über Kopf und Hak in
sie verliebte und es nicht sehen konnte, wenn aie traurig
oder auch nur etwas iniesgestiimnt war. Frau Oneeta hatte
mit ihrem Adel und ihrer Schönheit soviel Hochmut hVs
Haus gebracht, daas selbst Lueifer nie ae viel besessen; ant
Roderigo, der den einen und den andern erfahren, meinte,
derjenige der Frau sei der grössere. Aber er wurde noch
bei weitem grösser, sobald sie bemerkte, wie sehr der <atatte
in sie verlieht war; und da sie der Meinung war, sie sei Aberall
Herr und Meister, erteilte sie ihm ohne Mitleid oder Rück-
sicht ihre Befehle, und zweifelte nioht, sie könne etwas, das
er ihr verweigerte, erreichen, indem sie ihn mit gemeinen und


— 96 —

*

beleidigenden Worte« stichelte, was fur Eoâerigo die Quelle •
astgUtubüohen Ärgere wurde. Nichtsdestoweniger, brachte«
iłm der Schwiegervater, die Brüder, die Verwandsehaft, da«
Band der Ehe und besonders die grosse Liebe za ihr, die
ihn erfasst hatte, dazu, dass er sich geduldete. Ich will die
grossen Ausgaben auf der Seite lasse«, die er machen musste,
um sie zufrieden au stellen, da sie natürlich alb neuen Trachten
and Moden mitmachte, deren es ja in unserer Stadt, die von
Haus aus die Abwechslung liebt, unzählige gab; er war auch
gezwungen, wenn er mit ihr im Frieden leben wollte, seinem
Schwiegervater za helfen, seine andern Töchter unter die
Haube su bringen, was ihn eine ronde Summe kostete. Hier*
auf musste er, wenn er mit ihr auskommen wollte, einen der
Brüder mit Tüchern nach der Levante, einen andern mit
Stoffen nach dem Westen schicken, einem dritten einen Gold-
schmiedladen in Florens errichten, so dass in diesen Dingen
der grossie Teil ociaee Vermögens draufging.

Und ausserdem wellte Frau Onesta in den Zeiten des
Karnevale und um das Johanneefest herum, wo die ganze
Stadt nach alter Gewohnheit vom Festtanmel ergriffen ist
und viele Vornehme und reiche Bürger durch glanzende Gast-
maler sich Ehren zu erwerben suchen, damit sie andern Damen
nicht nachstehe, dass ihr Rodorigo mit ähnlichen Festen alle
andern überrage» Aus dea obengenannten Gründen hatte er
diese Dinge ertragen und sie auszuführen hatte ihm nicht
einmal schwer geschienen, wenn daraus wenigstens Buhe für
sein Haas erwachsen wire und er in aller Gemächlichkeit
seinen Untergang hätte abwarten können. Aber es geschah
das Gegenteil, denn zu den unerträglichen Ausgaben schuf ihre
unverschämte Natur ihm endlose Unannehmlichkeiten, und es
war im Hanse weder Diener noch Magd, die sie auch nnr
ganz karze Tage, geschweige denn längere Zeit ertragen
konnten. Daraus entstand für Boderigo sehr schweres Unbe-
hagen, weil er keinen Diener halten konnte, der zu seinen
Sachen gesehen hätte, and abgesehen von den andern zogen
es sogar die Teufel, die er mitgebracht hatte, vor, in's höllische
Feuer zurückzukehren als auf der Welt unter der Herrschaft
dieses Weibes zu leben. Wie -Boderigo also dieses geräusch-
volle -und unruhige Leben führte und durch die ungeregelten
Ausgaben schon alles aufgebraucht hatte, was er an beweglichem
Gute zurückgelegt, fing er an, von der Hoffnung auf die Er-
trägnisse zu leben, die er ans Ost und West erwartete und


96

da er seiner Stellung nichts vergeben wollte und nooh guten
Kredit genoss, lieh er auf Wechsel, und als schon viele Mark
zu seinen Lasten umliefen, wurde er von denen bemerkt,
welche auf dem Geldmarkte in ahnlichen Geschäften sich ab-
mühen. Und als sein Fall schon ziemlich schlimm stand,
kamen plötzlich aus Ost und West Nachrichten, dass der
eine Bruder der Frau Onesta all das Vermögen Boderigos
verspielt habe und dass der andere, der mit einem mit seinen
Waren beladenen Schiffe zuruokkehrte, mit ihm ertrunken sei,
ohne die Ladung auch nur versichert zu haben. Und kaum
war die Nachricht davon öffentlich bekannt geworden, so
traten auch schon die Gläubiger Boderigos zusammen, und
da sie der Meinung waren, er wolle sich davon machen, und
man dürfe ihm doch noch nicht auf den Fersen sein, weil ihr
Termin noch nicht gekommen war, beschlossen sie, es sei gut,
ihn so geschickt beobachten zu lassen, dass er von einem
Augenblick zum andern sich heimlich nicht entfernen könne.
Boderigo andererseits sah nicht, wie er sich aus der Klemme
ziehen könne, und wusste ja auch, was das höllische Gesetz
ihn zu ertragen zwang; -und so gedachte er auf alle Fälle zu
fliehen. So stieg er denn eines Tages zu Pferde, und da er
in der Nähe der Strasse nach Prato wohnte, Verliese er die
Stadt auf diesem Wege. Kaum war seine Abreise bemerkt
worden, so erhob sich unter seinen Gläubigern em Lärm und
sie wandten sich an die Behörden nioht nur mit Läufern,
sondern verfolgten ihn im eigentlichsten Sinne des Wortes.
Als sich der Lärm hinter ihm her erhob, war Boderigo kaum
eine Meile von der Stadt entfernt, so dass er sich in
schlimmer Lage sah und beechloss, heimlicher zu fliehen, die
Landetrasse aufzugeben und durch die Felder hin sein Glück
zu versuchen. Aber da er darin von den zahlreichen Gräben
gebindert wurde, welche das Land durchziehen, und deswegen
nicht reiten konnte, floh er zu Fuss und liess sein Beitpferd
auf der Strasse, durchquerte ein mit Beben oder Röhricht be-
decktes Feld nach dem andern, woran in dieser Gegend Uber-
fluss ist, und kam in der Nähe von Peretola in'e Haue des
Giovanni Matteo del Bricca, des Bauern des Giovanni del
Bene, und zufällig fand er Giovanni Matteo, der zu Hause
den Ochsen zu Fressen gab, und empfahl sich seinem Schutz,
indem er versprach, ihn reich zu machen, wenn er ihn aus
den Händen seiner Feinde errette, die ihn verfolgten, um ihm
im Gefängnisse den Tod zu geben; und vor seinem Abschied


— 37 —

VolkttttmUoh« Diobtangm in Itftlimtr. 7

wurde er ihm eine eolehe Probe davon geben, daae er ihm
Glanben schenken dürfe; und wenn das nicht der Fall sei,
wolle er nichts dagegen einwenden, wenn er ihn eigenhändig
seinen Feinden ausliefere. Giovanni Matteo besass ein Hera,
wenn er anch nur ein Bauer war, und da es ihm sehien, er
habe niohts zu verlieren, wenn er ihn rette, versprach er es
ihm und versteckte ihn unter einem Misthaufen, der vor
seinem Hause lag, bedeckte ihn mit Röhricht und anderm
säubern Zeug zu, das er zum Verbrennen zusammengeschichtet
hatte. Kaum hatte Boderigo sich vollende verbergen können,
als seine Verfolger in aller Hast herbei kamen; aber mit allen
Schreckmitteln konnten sie aus Giovanni Matteo nioht mehr
herausbringen als dass er ihn gesehen habe, derart, dass sie
weiter zogen und müde nach Florenz zurückkehrten, nachdem
sie ihn umsonst an jenem und am folgenden Tage gesucht
hatten.

Nachdem der Lärm vorbei war und Giovanni Matteo ihn
aus seinem Versteck hervorgezogen hatte, ersuchte er ihn, sein
Versprechen einzulösen. Boderigo sprach zu ihm: „Mein
Bruder, ich bin dir zu grossem Danke verpflichtet und will
mich erkenntlich zeigen. Und damit du glaubst, dass ich es
kann, will ich dir sagen, wer ich bin." Dann erzählte er ihm
sein wahres Wesen und die Bedingungen, die ihm beim Ver-
lassen der Hölle auferlegt worden waren. Und wie er ein
Weib genommen; und zu gleicher Zeit teilte er ihm die Art
und Weise mit, wie er ihn zu bereichern gedenke und die
bestände in der Hauptsache in folgendem : Sobald er, Giovanni
Matteo, höre, dass ein Weib von einem Geiste besessen sei,
so möge er annehmen, er, Rodrigo, sei hinter ihr her, und
er werde nie aus einer fahren, es sei denn, dass er ihn
heraushole; dabei würde er dann Gelegenheit haben, sieh nach
seinem Belieben von deren Verwandten bezahlt zu machen;
und nachdem sie diese Vereinbarungen getroffen hatten, ver-
schwand er. Viele Tage vergingen. Da verbreitete sieh durch
ganz Florenz das Gerücht, eine Tochter des Herrn Ambrogi
Amedi, die er mit Buonajuto Tebalducci verheiratet hatte, sei
von einem bösen Geiste besessen. Und es verfehlten natürlich
die Verwandten nicht, bei ihr jene Mittel anzuwenden, die in
ähnlichen Fällen gebräuchlich sind, indem man ihr den Schädel
des heiligen Zanobi und den Mantel des heiligen Giovanni
Guarberto auf's Haupt legte, was aber alles von Roderigo
vereitelt wurde. Und um jeden darüber aufzuklären, dass


98

die Krankheit dee jungen Weibes ein Dämon sei und nicht
etwa eine phantastische Einbildung, sprach er lateinisch,
philosophierte über die letzten Dinge des Seine, und offenbarte
die Sünden vieler, und besondere die eines Mönchs, der vier
Jahre lang in seiner Zelle ein Weib unterhalten hatte, das
nach Art eines Mönchleine gekleidet war: Dinge, welche jeden
in Erstaunen versetzten. Aber Herr Ambrogio war seines
Lebens gar nicht froh; er hatte schon alle Mittel umsonst
angewandt und jede Hoffnung, sie zu heilen aufgegeben, als
Giovanni Matteo ihn aufsuchte und ihm Heilung seiner
Tochter versprach, wenn er ihm fünfhundert Gulden geben
wolle, dass er sich ein Landgut in Peretola kaufen könne.
Herr Ambrogio nahm den Vorschlag an, worauf Giovanni
Matteo zunächst einige Messen lesen und andere Zeremonien
ausführen liess, um der Sache einen bessern Anstrich zu
geben, sich dann den Ohren des jungen Weibes näherte und
sagte: „ Rodrigo, ich bin gekommen, dich aufzusuchen, damit
du mir mein Versprechen haltest.w Worauf Rodrigo ant-
wortete: „ Einverstanden ; aber das genügt nicht, dich reich
zu machen. Sobald ich also von hier verschwunden bin, will
ich in den Leib der Tochter Karls von Anjou, des Könige
von Neapel, fahren, und ich werde sie ohne dich nicht ver-
lassen. Dann bitte dir ein Trinkgeld nach deinem Belieben
aus und lass mich dann in Buhe." Nachdem er dies gesagt,
Verliese er diese zum Wohlgefallen und zur Verwunderung
von ganz Florenz.

Es verging nicht lange Zeit und in ganz Italien ver-
breitete sich die Nachricht von dem Unfall, der die Tochter
des Königs Karl betroffen; und als die Mittel der Mönche
nichts genützt hatten und der König von Matteo Giovanni
erfahren, lies er ihn von Florenz nach Neapel kommen, wo
er sie nach einer vorgeblichen Zeremonie heilte. Aber Roderigo
sagte, bevor er aus ihr fuhr: „Du siehst, Giovanni Matteo,
ich habe das Versprechen, dich reich zu machen, gehalten.
Jetzt bin ich meiner Verpflichtung ledig und dir nichts mehr
schuldig. Tritt mir also nicht mehr unter die Augen; denn
während ich dir bis jetzt nur Gutes getan, hättest du in
Zukunft von mir nur Böses zu erwarten."

Nachdem Giovanni Mattes sehr reich — er hatte vom
König mehr als fünfzigtausend Dukaten bekommen — nach
Florenz zurückgekehrt war, gedachte er, diese Beichtümer
friedlich zu gemessen; immerhin nicht in der Meinung, dass


— 99 —

Boderigo darauf sinne, ihm zu schaden. Aber diese seine
Absicht wurde plötzlich durch eine Nachricht gestört, dass
eine Tochter Ludwigs des Siebenten, König von Frankreich,
von einem Geiste besessen sei; eine Nachricht, welche den
Geist Giovanni Matteos in grosse Aufregung versetzte, wenn
er an das Ansehen dieses Königs und an die Worte dachte,
welche Boderigo ihm gesagt hatte. Da der König für seine
Tochter keine Heilung fand, Hees er ihn zunächst einfach
durch einen Boten ersuchen, nach Paris zu kommen; als
aber dieser ein Unwohlsein vorschützte, wurde der König
gezwungen, die oberste Behörde von Florenz anzugehen, und
diese nötigte Giovanni Matteo dem König zu willfahren. Ale
dieser nun so ganz trostlos nach Paris gegangen war, sagte er
dem König, dass er allerdings in der verflossenen Zeit einige
Besessene von ihren bösen Geistern befreit habe, dass er aber
deswegen nicht im Stande sei, alle zu heilen; denn einige
dieser Geister seien so verruchter Art, dass man sie weder
mit Drohungen noch mit Zaubersprüchen noch mit Be-
schwörungemitteln austreiben könne; immerhin wolle er seine
Pflicht tun, und wenn er keinen Erfolg habe, bitte er um
Entschuldigung und Verzeihung. Da sah ihn der König er-
zürnt an und sagte zu ihm, wenn er sie nicht heile, lasse er
ihn hangen. Giovanni Matteo empfand deswegen grossen
Schmerz, fasste aber doch Mut, liess die Besessene kommen,
näherte sich ihrem Ohre, empfahl sich Boderigo demütig, rief
ihm die erwiesene Wohltat in Erinnerung und zeigte ihm, was
für ein Beispiel schwarzen Undankes er gäbe, wenn er ihn
in solcher Not stecken liesse. Welchem Boderigo also ant-
wortete: „Was! verräterischer Schuft, du wagst es noch, mir
unter die Augen zu treten? Glaubet du, du könntest dich
rühmen, durch meine Hände reich geworden zu sein? Ich
will dir und jedermann zeigen, dass ich nach meinem Belieben
alles geben und nehmen kann; bevor du von hier weggehst,
bammelst du auf jeden Fall am Galgen.u Da Giovanni Matteo
im Augenblick kein anderes Mittel sah, gedachte er, sein Glück
auf anderem Wege zu versuchen, liess die Besessene von dannen
gehen und sprach zu dem König: „Majestät, wie ich Euch
schon gesagt habe, gibt es viele Geister, die so bösartig
sind, das man mit ihnen nicht im Guten auskommt, und der
ist einer von diesen. Aber ich will noch eine letzte Probe
machen ; wenn die glückt, haben Eure Majestät und ich unsern
Zweck erreicht; wenn sie nicht glückt, bin ich in Eurer

7*


— 100 —

Gewalt, und Ihr werdet mit mir daa Mitleid haben, das meine
Schuldlosigkeit verdient. Laset also auf dem Platze unserer
lieben Frau ein grosses Schaugerüst errichten, auf dem deine
Ritterschaft und deine ganze Geistlichkeit der Stadt Platz
hat; laset das Gerüst mit seidenen und goldenen Tüchern
zieren; laset in dessen Mitte einen Altar bauen; und am
nächsten Sonntag Morgen sollt Ihr mit Eurem ganzen Klerus
und allen Euren Fürsten nnd Baronen, mit königlichem Ge-
pränge, mit prächtigen und kostbaren Gewändern angetan
Euch dort versammeln, wohin Ihr auch nach Abhaltung einer
feierlichen Messe die Besessene kommen laset. Ausserdem
sollen in einer Ecke des Platzes zwanzig Personen mindestens
mit Trompeten, Hörnern, Trommeln, Dudelsäcken, Zimbeln und
Pauken und anderen Lärminstrumanten versehen sein, die,
wenn ich den Hut lüfte, mit ihrem Spiel plötzlich anheben
und in der Richtung nach dem Gerüste mit klingendem Spiel
marschieren. Diese Dinge werden mit andern geheimen Heil-
mitteln, wie ich glaube, den Geist vertreiben." Alles wurde
vom König sofort anbefohlen, und als der Sonntag Morgen
gekommen, das Schaugerüst voll Leute und der Platz vom
Volke gedrängt gefüllt war, wurde die Messe gefeiert und die
Besessene von zwei Bischöfen an der Hand auf die Schau-
bühne geführt. Als Rodrigo so viel Volk beisammen und so
viel Prunk hergerichtet sah, war er sozusagen ganz betäubt
und sprach bei sich selbst: „Was hat dieser Lump, dieser
Bauer, ausgetüftelt? Glaubt er etwa mich mit diesem Pomp
zu erschrecken? Weiss er nicht, dass ich die Pracht des
Himmele und die Schrecken der Hölle zu sehen gewohnt bin?
Er soll's mir auf alle Fälle hassen 1" Und als sich Giovanni
Matteo ihm näherte und ihn bat, er möge ausfahren, da sagte
er: „0! da hast du etwas schönes ausgeklügelt. Was willst
du mit diesen Zurüstungen ausrichten? Glaubet du damit
meiner Macht und dem Zorn des Königs entfliehen zu können ?
Bauernlümmel, noch heute sollst du am Galgen bammeln!"
Und der bat ihn von neuem wieder und dieser wiederholte
seine Beschimpfungen, bis es Giovanni Matteo schien, es sei
jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, und er gab mit dem Hute
das Zeichen zum Losbrechen, worauf diese ein Getöse anhüben,
dass zum Himmel drang, und damit dem Gerüste näher rückten.
Bei diesem Lärm richtete Roderigo seine Blicke in die Höhe,
und da er nicht wusste, was das zu bedeuten habe, und sehr
verwundert war, fragte er ganz verdutzt Giovanni Matteo,


101

was das sei Diesem sagte Giovanni Matteo ganz aufgeregt:
„0 weh! mein Boderigo, das ist deine Frau, die dich auf-
sucht!" Es war wunderbar zu sehen, was für eine Gemüts-
Veränderung der Name seines Weibes bei Boderigo hervor-
brachte; so gross war sie, dass er nicht einmal bedachte, ob
es möglich oder auch nur wahrscheinlich sei, dass sie es sei,
sondern ohne eine Antwort abzuwarten, voller Schrecken davon
floh und das Weib losliess; und er wollte lieber in die Hölle
zurückkehren und Rechenschaft über seine Handlungen ablegen
als sich von neuem mit so viel Arger, Ingrimm und Gefahren
dem Ehejoch unterwerfen. Und so kehrte Belfagor in die
Hölle zurück, legte Zeugnis ab über das Elend, das eine Frau
mit ins Haus bringt; und Giovanni Matteo, der davon noch
mehr wusste als der Teufel, kehrte fröhlich nach Hause zurück.



Піссоїо madriapeÜTs

il mandragola. U

Deutsch
von

Jakob Ulrich.



ProlOg-

Gott grues' Euch, die Ihr mit geneigtem Ohr mir zuhört,
da es ja scheint, ale ob dies Wohlwollen davon abhängt, ob
man es Euch zu Dank machen kann. Wenn Ihr wie jetzt
keinen Lärm macht, so sollt Ihr einen neuen Fall hören, der
in diesem Lande vorgekommen ist. Seht nun die Scene, auf
der man dies Mal Euer Florenz vorweist; ein ander Mal wird
es Born oder Pisa sein. Es ist eine Geschichte, um sich vor
Lachen die Kiefer auszurenken.

Die Haustür, die sioh mir zur rechten Hand befindet,
öftnet und schlisset das Haus eines Doktors, der sich ziemlich
viel zusammengebüffelt hatte. Die Strasse, die in dieser Ecke
liegt, ist die Strasse der Liebe, wo, wer fallt, niemals wieder
aufsteht. Dann wirst du am Kleide einen Geistlichen irgend
einer Stufe erkennen können, der die gegenüberliegende Kirche
bewohnt; wenn du dich nicht allzu eifrig entfernst.

Ein junger Mann, Callimaco Guadagni, der vor kurzem
von Paris zurückgekehrt ist, wohnt hier im Hause links. Der
trägt, wenn nicht alle Zeichen trügen, unter allen fröhlichen
Gesellen den Siegespreis der Anmut und feinen Sitte davon.
Eine treffliche junge Frau wurde von ihm sehr geliebt und
hintergangen, wie Ihr hören werdet und wie Ihr Frauen hinter-
gangen würdet, wenn es nach meinem Willen ginge.

Das Stück nennt sich Mandragola und den Grund dafür
werdet Ihr, wie ich mir einbilde, bei der Aufführung sehen.
Der Verfasser ist nicht berühmt; immerhin, wenn Ihr nicht
lacht, bin ich bereit, Euch den Wein zu bezahlen. Ein elender
Verliebter, ein wenig schlauer Doktor, ein Pfaffe von schlechtem
Lebenswandel, ein Parasit, der Ausbund der Bosheit, werden
heute unsern Zeitvertreib ausmachen. Und wenn dieser Gegen-
stand, wenn er allzu leicht ist, eines Mannes, der weise und


— 106 —

ernst scheinen will, unwürdig sein sollte, so entschuldigt ihn

damit, dass er sich Mühe gibt, mit eiteln Gedanken seine

traurige Zeit angenehmer zu gestalten, denn anderswohin kann

er sein Antlitz nicht wenden, weil es ihm verunmöglicht

worden, mit andern Unternehmen andere Tüchtigkeit zu zeigen,

da seinen Mühen kein Preis beschieden war.

Der Lohn, den man erhofft, ist, dass jeder zur Seite

...

trete und grinst, indem er übles redet von dem, was er siebt
und hört. Davon rührt es ohne Zweifel her, dass sich das
gegenwärtige Geschlecht ganz und gar von der alten Tüchtig-
keit entfernt, weil die Leute, wenn sie sehen, dass jeder tadelt,
sich nicht abmühen und abrackern, um mit tausend Un-
annehmlichkeiten ein Werk zu Stande zu bringen, das der
Wind verweht oder der Nebel zudeckt.

Wenn aber einer glauben sollte, dass er mit seinen
Lästerreden ihn am Kragen fassen und ihn zur Seite drücken
könne, so mache ich einen solchen darauf aufmerksam und
sage ihm, dass auch er eine lose Zunge hat, die er in seinem
ursprünglichen Berufe gebrauchte, und dass er in keinem Teile
der Welt, wo die italienische Sprache erklingt, von irgend
jemand glaubt, und spiele er diesem gegenüber noch so sehr
den Unterwürfigen, dass er einen bessern Mantel trage als er,
der Verfasser.

Aber lassen wir nun jedermann schimpfen, wie es ihm
gut scheint. Kehren wir zu unserm Gegenstand zurück, dass
die Zeit nicht zu rasch verstreiche. Auf die Worte muss
man nicht zu sehr Acht geben und einen für ein Ungeheuer
ansehen, von dem man vielleicht nicht weiss, ob er noch am
Leben ist. Callimaco tritt jetzt auf und hat Syro bei sich,
seinen Diener, und wird den Gegenstand entwickeln; jeder sei
aufmerksam und erwarte für jetzt keinen andern Stoff.


— 107 —

Erster Akt.1)

Ente Szene.

Callimaco. Syro.

Calllmaco: Syro. geh nicht weg. Ich muss etwas mit
dir reden.

Syro: Da hin ich.

Callimaco: Ich denke, du verwundertest dich über meine
plötzliche Abreise von Paris; und jetzt verwunderst du dich,
dass ich schon einen Monat hier bin, ohne etwas zu tun.

Syro: So ist es.

Callimaco: Wenn ich dir bis jetzt nicht gesagt habe,
was ich dir jetzt sagen will, so geschah es nicht, weil ich
kein Zutrauen zu dir hatte, sondern weil ich der Meinung
war, Dinge, welche der Mensch erstrebe, brauche nicht jeder-
mann zu wissen, und man brauche sie bloss mitzuteilen, wenn
man dazu gezwungen wird. Deswegen will ich dir nun alles
sagen, weil ich der Meinung bin, ich habe deine Mit-
wirkung nötig.

Syro: Ich bin Euer Diener, und Diener sollen ihre
Herren nie nach etwas fragen noch nach ihren Angelegenheiten
forschen, aber wenn sie sie aus eigenem Antrieb mitteilen,
sollen sie ihnen treu dienen, und so tat ich und gedenke ich
weiterhin zu tun.

Callimaco: Ich weiss es. Ich glaube, du hast mich
schon tausend Mal sagen hören — es macht aber nichts aus,
wenn du es zum tausendhundersten Male hörst — dass ich als
zehnjähriger Knabe nach dem Tode meines Vaters und meiner
Mutter von meinen Vormündern nach Paris geschickt wurde,
wo ich zwanzig Jahre geblieben bin, und weil nach Verlauf
von zehn Jahren durch den Zug des Königs Karl die
Kriege in Italien begannen, welche unsere Provinz in's Ver-
derben stürzten, beschloes ich, gemächlich in Paris weiter zu
leben und niemals nach meinem Vaterlande zurückzukehren,
in der Meinung, an diesem Oste sicherer zu leben als hier.

Syro: So ist's.

Calllmaco: Und da hier alle meine Güter mit Ausnahme
des Hauses verkauft worden waren, beschloes ich, weiterhin

*) Die Einteilung in Szenen stammt von mir.


— 108 —

dort su leben, wo ich in gröseter Glückseligkeit weitere zehn
Jahre verbrachte.

Syro: Ich weiss es.

Calllmaco: Indem ioh so meine Zeit einteilte und sie
den Studien, den Vergnügungen und den Geschäften derart
widmete und mich in allen diesen Dingen so abmühte, dass
keines mir den Weg zu den andern versperrte, und ich des-
wegen, wie du weiset, ganz gemächlich lebte, indem ich mich
jedem gegenüber hilfsbereit zeigte und mir Mühe gab, niemanden
zu beleidigen, so dass es mir schien, ich sei bei Bürgern und
Edelleuten, bei Fremden und Einheimischen, in gleichem
Masse beliebt.

Syro : Das ist richtig.

Calllmaco: Aber da das Schicksal fand, es gehe mir
zu gut, bewirkte es, dass ein Gamillo Galfucci in Paris ankam.

Syro: Ich errate allmälich Euer Unglück.

Calllmaco : Dieser war wie die andern Florentiner häufig
bei mir eingeladen, und bei unserer Unterhaltung gerieten
wir eines Tages in Streit, wo es schönere Frauen gebe, in
Italien oder in Frankreich, und da ich nicht von den
Italienerinnen reden konnte, da ich ja, als ich fortging, noch
so klein war, ergriff ein anderer Florentiner, der anwesend
war, die Partei der Französinnen, und Camillo die der
Italienerinnen, und nachdem von beiden Seiten viele Gründe
angeführt worden waren, sagte Camillo beinahe zornig, dass,
wenn alle Italienerinnen Ungeheuer wären, eine seiner Ver-
wandten ihre Ehre wieder herzustellen im Stande wäre.

Syro: Ich bin nun im Ellaren über das, was Ihr
sagen wollt.

Calllmaco : Und er nannte den Namen der Frau Lukresia,
der Gemahlin des Herrn Nicia Calfucci, der er so viel Lob
spendete, sowohl was die Schönheit als die Sitten anbetrifft,
dass jeder von uns wie auf den Kopf geschlagen da sass.
Und seine Worte erweckten in mir einen solchen Wunsch,
sie zu sehen, dass ich jede andere Überlegung zur Seite
schiebe, nicht mehr an die Kriege und den Frieden Italiens
denke und mich aufmache um hierher zu kommen, wo ich
bei meiner Ankunft gefunden habe, dass der Buf der Frau
Lukresia hinter der Wirklichkeit noch zurückbleibe, was ja
selten passiert. Und jetzt bin ich so von dem Wunsche ent-
flammt, bei ihr zu sein, dass ich es nirgends aushalte.


— 109 —

Syro: Wenn Ihr mit mir in Paris davon geredet hättet,
könnte ich Ench einen Bat geben; aber jetzt weiss ich nicht,
was ich Ench sagen soll.

Calllmaco: Ich habe dir das anch nicht gesagt um
einen Rat zu erhalten, sondern um mir die Sache wenigstens
vom Hersen za reden, nnd damit du dich darauf gefasst
machest, mir beizustehen, wenn es die Not erfordern sollte.

Syro: Dazu bin ich ganz bereit. Aber was für eine
Hoffnung hegt Ihr?

Callimaco: Acb! keine oder geringe. Und ich sage
dir, dass in erster Linie ihre Art mir hinderlich ist, da віє
sehr ehrbar und Liebeehändeln durchaus abgeneigt ist; dann,
dass sie einen sehr reichen Mann hat, von dem sie sich ganz
leiten läset; und wenn er nicht gerade jung ist, so ist er auch
nicht ganz alt, wie es scheint; weiterhin, dass sie keine Ver-
wandte oder Nachbarn hat, mit denen sie bei irgend einer
Abendunterhaltung oder einem Peste oder einem gesellschaft-
lichen Anläse, wo sich die jungen Frauen zu ergötzen pflegen,
zusammenkommt; Handwerbleute kommen auch keine ins
Haus; Mägde und Diener zittern alle vor ihr, sodass keine
Möglichkeit irgend einer Bestechung vorhanden ist.

Syro: Was gedenkt Ihr denn ausrichten zu können?

Calllmaco: Niemals ist etwas so verzweifelt, dass man
nicht einen Schimmer von Hoffnung haben dürfte. Und wenn
diese Hoffnung auch schwach und eitel ist, so läset doch
Wille and Wunsch, die Sache zum Ziele führen, sie nicht so
erscheinen.

Syro: Was flösst Euch schliesslich etwas Hoffnng ein?

Callimaco: Zwei Dinge: Erstens die Einfalt des Herrn
Nicia; denn wenn er auch Doctor juris ntriueque ist, so lebt
doch in ganz Florenz kein so einfältiger und dummer Mensch
wie er. Zweitens : Den Wunsch, den er und sie haben, Kinder
zu bekommen, dean da sie nun sechs Jahre verheiratet ist,
ist sie immer noch kinderlos, und da sie sehr reich sind, ver-
gehen sie fast vor Sehnsucht, Erben zu haben. Drittens:
ihre Mutter war ihrerzeit keine Spielverdarbeiin, aber sie ist
so reich, dass ich nicht weiss, wie ich es anstellen soll.

Syro: Habt Ihr zu diesem Zwecke bis jetzt schon
etwas versucht?

Calllmaco: Ja, aber wenig.
Syro: Was denn?


Calllmaco: Du kennst Ligurio, der beständig zu mir
zum Essen kommt. Der war einst Ehevermittler, dann hat
er sich dem Bettel ergeben, indem er sich zu Mittag- und
Abendessen einlädt. Und weil er ein unterhaltender Mann
ist, lebt Herr Nicia auf dem Fusse einer engen Vertraulichkeit
mit ihm. Łigurio macht sich über ihn lustig, und obschon
er ihn zum Esßen nach Hause führt und ihm manchmal Geld
leiht, habe ich mir ihn doch zum Freunde gemacht und habe
ihm meine Liebe mitgeteilt; er hat mir versprochen, mir mit
Händen und Füssen zu helfen.

Syro: Nehmt Euch in acht, dass er Euch nicht übers
Ohr haut. Diese Schmarotzer pflegen es mit Treue und
Glauben nicht so genau zu nehmen.

Calllmaco: Das ist richtig. Nichte desto weniger, wenn
einer etwas für einen tut, darf man glauben, wenn man sich
erkenntlich zeigt, er diene einem treu; ich habe ihm für den
Fall des Gelingens eine hübsche Summe Geldes versprochen.
Wenn es nicht gelingt, erwischt er ein Mittag- und ein Abend-
essen, denn ich esse keinenfaUs allein.

Syro: Was hat er euch bis jetzt versprochen zu tun?
Calllmaco: Er hat versprochen, Herrn Nicia zu über-
reden, mit seiner Frau diesen Mai ins Bad zu gehen.

Syro: Was kann das Euch nützen?

Calllmaco: Was mich das nützen kann? Dieser Ort
könnte eine andere Stimmung in ihr erzeugen; an solchen
Orten gibt es nichts ab Festlichkeiten; und ich würde auch
hingehen und aller Arten Vergnügen veranstalten und mich
nicht lumpen lassen; ich würde ihr und ihres Gatten Ver-
trauter oder was man so Hausfreund nennt werden ; eins gibt's
andere und es braucht nur Zeit.

Syro: Das ist nicht so ungeschickt.

Calllmaco: Ligurio ging heute morgen von mir weg
und sagte, er werde mit Herrn Nicia davon sprechen und
mir darüber Bericht zukommen lassen.

Syro: Da kommen ja beide zusammen.

Calllmaco: Ich will zur Seite treten, um zur rechten
Zeit mit Ligurio reden zu können, wenn er von dem Doktor
loskommen kann. Geh du unterdessen im Hause deinen
Geschäften nach, denn wenn ich dir etwas aufzutragen habe,
werde ich es dir sagen.

Syro : Ich geh schon.


Zweite Szene.

Herr Nicia. Ligurio*

Herr Nicia: Ich glaube, daes deine Bäte gut seien und
ich sprach gestern abend darüber mit meiner Frau; sie sagte,
sie wolle mir heute Antwort sagen; aber um dir die Wahr-
heit zu gestehen, ich bin nicht mit ganzer Seele dabei.

Ligurio: Warum nicht?

Herr Nicia: Ich halte mich nicht gern an fremden
Orten auf. Und dann Weib, Dienstmädchen, Hausgeräte trans-
portieren lassen zu müssen, das passt mir nieht. Ausserdem
sprach ich gestern am Abend noch mit einigen Ärzten; der
eine rät mir, nach San Filippo zu gehen« der andere nach
Porretta, ein dritter nach Villa; so viel Arzte, so viel Dumm-
köpfe, scheint es mir; um dir meine Meinung zu sagen, diese
Doktoren der Medicin wissen sich keinen Bat.

Ligurio: Was Ihr zuerst sagtet, wird Euch eben Muhe
machen: dass Ihr nämlich nicht gewohnt seid, die Kuppel des
Doms aus den Augen zu verlieren.

Herr Nicia: Da irrst du. Als ich junger war, bin ich
viel herumgerutscht. Nie wurde ein Markt in Prato abge-
halten, ohne dass ich dabei war. Und es ist kein Kastel in der
Umgebung, dass ich nicht gesehen. Ich will dir weiter nichts
sagen: Ich bin in Pisa, ich bin in Livorno gewesen, geh mir.

Ligurio: Dann habt ihr wohl die Winde von Pisa gesehen?

Herr Nicia: Du willst sagen die Warze.

Ligurio: Ha, natürlich die Warze. Und in Livorno
saht Ihr auch das Meer?

Herr Nicia: Selbstverständlich sah ich's.

Ligurio: Wie viel mal grösser ist es als der Arno?

Herr Nicia: Als der Arno? es ist vier Mal grösser,
sechs Mal, sieben Mal. Was sag ich? Man sieht nichts
als Wasser, Wasser, Wasser!

Ligurio: Da Ihr so weit herumgekommen seit, wundere
ich mich, dass es Euch so schwer ankommt, in's Bad zu gehen.

Herr Nicia: Du redest wie ein Kind. Scheint es dir
ein Spass, das ganze Haus drunter und drüber zu werfen?
Und doch, ich habe eine solche Sehnsucht, Kinder zu haben,
dass ich bereit bin, alle Opfer zu bringen. Bede also ein
bischen mit den Herren Ärzten; sieh, wohin sie mir zu gehen
raten, und ich will unterdessen mit der Frau reden, und
nachher wollen wir uns wieder treffen.

Ligurio: Ganz richtig.


Dritte Szene.

Lfgnrlo. Calllmaco.

Ligurio: Ich glaube nicht, dass es auf der Welt einen
dummern Menschen gebe als diesen! Und wie hat ihn das
Schicksal begünstigt! Er ist reich; er hat eine schöne, ver-
ständige Frau von guten Sitten, die wohl befähigt wäre ein
Königreich zu regieren. Und es scheint mir, dass selten das
Sprichwort sich erwahre: Gott erschafft die Menschen und
Gleich und Gleich gesellt sich; denn oft sieht man, daas das
Loos einem Menschen mit guten Eigenschaften ein Vieh be-
stimmt und umgekehrt eine kluge Frau einen Narren bekommt.
Aber aus der Narrheit dieses Tropfe ergibt sich wenigstens
das Gute, dass Gallimaoo Hoffnung schöpfen darf. Aber da
ist er ja. Wem lauerst du auf, Callimaco?

Calllmaco : Ich hatte dich mit dem Dokter gesehen und
wartete, bis du dkh von ihm losgemacht hättest, um zu er-
fahren, was du ausgerichtet hast.

Ligurio: Er ist ein Mann von den Eigenschaften, die
du an ihm kennst: von wenig Klugheit, von weniger Verstand,
und er trennt sich ungern von Florenz; und doch habe ich
ihm wieder tüchtig mit der Badekur eingeheizt, und er hat
mir versprochen, er wolle alles tun, und ich glaube, wenn
wir wollen, bringen wir ihn zu Allem. Aber ich weiss nicht,
ob wir dabei auf unsere Kosten kommen.

Calllmaco: Weswegen?

Ligurio: Was weiss ich. Du weiset, in diesen Bädern
sind allerhand Leute. Es könnte dahin einer kommen, dem
Frau Lukrezia ebenso in die Augen stäche wie dir, und der
reicher wäre als du, der gefälliger wäre als du, so dass man
Gefahr läuft, diese Unannehmlichkeit für einen andern über
sich ergehen zu lassen; oder es könnte auch vorkommen, dass
die Menge der Bewerber sie noch widerspenstiger macht oder,
wenn sie ein menschliches Bühren spürt, sie sich einem andern
als dir zuwendet.

Calllmaco: Ich erkenne, dass du die Wahrheit redest.
Aber was soll ich dann machen? Welchen Entschluss soll
ich fassen? Wohin soll ich mioh wenden? leb muss etwas
unternehmen: etwas Grosses, etwas Gefährliches, etwas Sohaden-
bringendes, etwas Ruchloses; es ist besser zu sterben, als so
zu leben. Wenn ich des Nachte schlafen, wenn ich essen,
wenn ich mich unterhalten, wenn ich an irgend etwas Ver-


gnugen finden könnte, kein Mensch wäre geduldiger, die Zeit
abzuwarten, als ich; aber hier ist nicht zu helfen; und wenn
man mir nicht einen Schimmer von Hoffnung läset, werde
ich auf alle Fälle sterben; und wenn ich sehe, dass ich
sterben muss, so brauche ich nichts zu fürchten, vielmehr
muse ich irgend einen viehischen, graueamen, verruchten Ent-
schluss faeeen.

Ligurio: Sprich nicht so; zügle vielmehr dieses Ungetüm
der Seele.

Callimaco: Du siehst wohl, dass, um es zu zügeln, ich
mich mit solchen Gedanken füttere; und deswegen ist es not-
wendig, dass wir mit unserm Plane fortfahren, ihn in ein
Bad zu schicken, oder dass wir einen anderen Weg einschlagen,
damit ich mich mit einer andern, wenn auch ungegründeten,
mindestens falschen Hoffnung labe, wodurch ich einen Gedanken
nachhängen kann, der wenigstens zum Teil meine Qualen

Ligurio: Du hast recht und ich werde es tun.

Callimaco: Ich glaube es, obschon ich weiss, dass
Leute deinesgleichen davon leben, die Leute an der Nase
herumzuführen. Nichts desto weniger glaube ich nicht, dass
du unter diese zählst; denn wenn du so tätest und ich es
merkte, solltest du nicht so leichten Kaufs davon kommen
und mit dem Verkehr in meinem Hause wäre es vorbei und
der Hoffnung, das zu bekommen, was ich dir versprochen,
könntest du dich entschlagen.

Ligurio: Zweifle nicht an meiner Treue; denn abgesehen
von dem Nutzen, der mir in dieser Angelegenheit erwachsen
kann und, wie ich hoffe, erwachsen wird, sind wir ja mit
einander blutverwandt, und ich wünsche, dass dies dein
Sehnen in Erfüllung gehe, ungefähr so sehr wie du. Aber
lassen wir das. Der Doktor hat mir aufgetragen, einen Arzt
zu suchen, von dem er erfahren mag, in welches Bad er am
besten gehen soll. Nun sollst du nach meinen Anordnungen
handeln und die gehen dahin, das du sagst, du habest Medizin
studiert und in Paris eine Zeit lang praktiziert. Er wird es
in seiner Einfalt leicht glauben, und weil du ja litterarische
Bildung hast, kannst du ihm leicht etwas auf lateinisch weiss
machen.

Calllmaco: Wozu soll das dienen?
Ligurio: Es wird zunächst dazu dienen, dass wir ihn
in das Bad schicken, das wir wollen; dann, um irgend einen

VolkttQmliche Lichtung«! der Italiener. 8


— 114 —

Zweiter Akt.
Erste Szene.

Ligurio. Herr Nicia.

Ligurio : Wie ich Euch gesagt habe, glaube ich, Gott
hat Euch diesen gesandt, um Euren Wunsch in Erfüllung
gehen zu lassen; er hat in Paris sehr grosse Erfahrungen
gesammelt, und wundert Euch nicht, wenn er in Florenz
seinen Beruf nicht ausgeübt hat; der erste Grund ist, dass er
reich ist; zweitens steht er jeden Augenblick auf dem Sprung,
nach Paris zurückzukehren.

Herr Nicia: Nun ist dies aber von grosser Wichtigkeit,
denn ich möchte nicht, dass er mich in ein Wirreal hinein-
führte, um mich dann in einem Sumpfe stecken zu lassen.

Ligurio : Zweifelt nicht an diesem. Einzig zu befürchten
ist, dass er diese Kur nicht übernehmen will; aber wenn er

Weg einzuschlagen, den ich ausgedacht habe und der kurzer,
sicherer und leichter gangbar ist als das Bad.
Calllmaco: Was sagst du?

Ligurio: Ich sage, dass, wenn du Mut und Zutrauen
zu mir hast, du diese Sache morgen um diese Stunde als
abgemacht ansehen kannst. Und wenn er der Mann wäre —
der er nicht ist, um Nachforschungen anzustellen, ob du Arzt
bist oder nicht, so wird die Kurze der Zeit und die Sache
an sich bewirken, dass er nicht davon spricht oder dass er
nicht zur rechten Zeit unsern Plan stören kann, selbst wenn
er davon redete.

Calllmaco: Du gibst mir das Leben wieder. Das ist
ein zu grosses Versprechen und du labst mich mit zu süsser
Hoffnung. Wie stellst du das an?

Ligurio: Du erfährst es, wenn es Zeit sein wird. Für
jetzt brauche ich es dir nicht zu sagen, denn die Zeit wird
nicht ausreichen, es zu machen, geschweige denn es zu sagen.
Geh jetzt in's Haus und erwarte mich hier. Ich gehe den
Doktor zu holen, und wenn ich ihn dir zuführe, gehst du
eben auf meine Bede ein und richtest dich darnach.

Calllmaco: So will ich tun, obschon du mich mit einer
Hoffnung nährst, von der ich fürchte, dass sie in Bauch aufgehe.


— 116 —

8*

aie übernimmt, so ist er nicht der Mann, sie nicht su Ende
zu fuhren.

Herr Nlcla: So will ich mich in diesem Punkte auf
dich verlassen. Was aber die Wissenschaft anbetrifft, so will
ich dir sagen, wie ich mit ihm rede; er wird mir kein X für
«in U vormachen.

Ligurio: Und weil ich Euch kenne, werde ich Euch das
noch viel weniger machen. Redet also mit ihm, und wenn
Ihr mit ihm geredet habt und er Euch in seinem Auftreten,
seiner Wissenschaft, seiner Sprache nicht ein Mann scheint,
dem man ruhig das Haupt in den Schooss legen kann, so
sagt, ich sei nicht ich.

Herr Nicia: So sei es denn in Gottes Kamen! Gehen
wir! Aber wo ist er denn?

Ligurio: Er wohnt an diesem Platze; da in diesem
Hause, das Ihr Euch gegenüber seht.

Herr Nicia: Das trifft sich ja gut

Ligurio: Da sind wir ja schon,

Syro: Wer ist da?

Ligurio: Ist Callimaco zu Hause?

Syro: Ja.

Herr Nicia: Warum sagst du nicht Magister Callimaco?
Ligurio: Er kümmert sich nicht um solche Possen.
Herr Nicia: Bede nicht so. Tu deine Schuldigkeit,
und wenn er es übel nimmt, so pfeife er darauf.

Zweite Szene.

Calllmaco. Herr Nicia. Ligurio«

Callimaco: Wer verlangt nach mir?
Herr Nicia: Bona dies, domine magister.
Callimaco: Et vobis bona, domine doctor.
Ligurio: Kun, wie dünkt er Euch?
Herr Nicia: Gut beim Himmel.

Ligurio: Wenn Ihr wollt, daß ich bei Euch bleibe, so
redet, dass ich Euch verstehe; sonst sind wir geschiedene Leute.

Callimaco: Was steht zu Euren Diensten?

Herr Nicia : Was weiss ich ? Ich jage zwei Dingen nach,
die ein anderer vielleicht fliehen würde; das ist, mir und
andern Mühsal zu schaffen: ich habe keine Kinder und möchte
welche haben; und um mir diese Plackerei zu verschaffen,
komme ich Euch zu belästigen.


— 116 —

Calllmaco: Mir wird es nie unlieb sein, Euch und allen
tüchtigen und wackern Männern wie Ihr seid, einen Gefallen
zu erweisen; ich habe mich nicht umsonst so manches Jahr
in Paris um das Studium abgemüht, es sei denn, um Eures-
gleichen dienen zu können.

Herr Nlcla: Besten Dank. Für den Fall, dass Ihr
einmal meine Kunst nötig hättet, stehe ich Euch gern zu
Diensten. Aber kehren wir ad rem nostram zurück. Habt
Ihr darüber nachgedacht, welches Bad am besten geeignet
wäre, um meine Frau für eine Schwangerschaft günstig vor-
zubereiten? Denn ich weiss, dass Ligurio hier Euch gesagt
hat, was Euch zu sagen war.

Calllmaco: Das ist richtig. Aber wenn man Euren
Wunsch erfüllen will, muss man die Ursachen der Unfrucht-
barkeit Eurer Frau kennen, denn es können deren verschiedene
sein. Nam causa sterilitatis sunt: aut in semine aut in
matrice, aut in instrumentis seminariis, aut in virga, aut in
causa extrinseca.

Herr Nlcla: Das ist der trefflichste Mann, den man
finden kann.

Calllmaco: Ausserdem könnte diese Unfruchtbarkeit
auch von Euch wegen Impotenz herrühren; und wenn das
wäre, würde es natürlich kein Heilmittel dagegen geben.

Herr Nicia: Ich impotent? G, Ihr macht mich lachen.
Ich glaube nicht, dass es einen kräftigern und rüstigem Mann
als ich bin in Florenz gebe.

Calllmaco: Wenn das nicht der Fall ist, seid guten
Mutes; wir werden schon ein Mittel für Euch finden.

Herr Nlcla: Sollte es ein anderes Mittel als Bäder
geben? Ich möchte dieser Unbequemlichkeit aus dem Wege
gehen und auch meine Frau würde sich nur ungern von
Florenz entfernen.

Ligurio: Sicherlich gibt es welche; ich will antworten.
Callimaco ist die Zurückhaltung selbst, so dass das wirklich
zu weit geht. Habt Ihr mir nicht gesagt, dass Ihr einen
gewissen Trank verordnen könnt, der sicher schwanger macht?

Calllmaco: Allerdings; aber mit Leuten, die ich nicht
kenne, gehe ich behutsam vor; denn ich möchte nicht, dass
man mich für einen Quacksalber hielte.

Herr Nicia: Zweifelt nicht an mir. Ihr habt mich
derart in Staunen versetzt, dass ich alles auf der Welt, was
durch Eure Hände geht, glaube und tue.


— 117 —

Ligurio: Ich glaube, man mues das Wasser sehen.

Calllmaco: Ohne Zweifel; ohne das geht es nicht.

Ligurio: Rufe Syro, dass er mit dem Doktor nach
Hause gehe, um es zu holen; wir werden hier warten.

Calllmcao: Syro, geh mit ihm; und wenn Ihr einver-
standen seid, Herr Doktor, so kehrt sofort wieder zurück;
wir werden etwas Gutes ausdenken.

Herr Nicia: Wie, wenn ich einverstanden bin? In einem
Augenblick bin ich wieder hier; denn ich habe mehr Zu-
trauen zu Euch als die Ungarn in ihre Schwerter.

Dritte Szene.

Herr Nicia. Syro.

Herr Nicia: Dieser, dein Herr, ist ein sehr tüchtiger Mann.
Syro: Tüchtiger als Ihr sagt

Herr Nicia: Der König von Frankreich muss ihn sehr
in Ehren halten.
Syro : Sehr.

Herr Nicia : Und deswegen muss er sich gern in Frank-
reich aufhalten.

Syro: Ich glaube.

Herr Nicia: Hier kann er sich recht nützlich erweisen.
In dieser Gegend gibt es nur Dummköpfe; irgend eine Tüchtig-
keit wird da nicht geschätzt; würde er hier niedergelassen
sein, sähe ihn kein Mensch an. Ich kann davon reden; ich
habe mir fast die Kutteln aus dem Leibe gearbeitet, um
den Spiritus asper und den Spiritus lenis unterscheiden zu
können, und wenn ich davon leben musste, wäre ich schön
angeschmiert.

Syro: Verdient Ihr hundert Dukaten im Jahre?

Herr Nicia: Nicht hundert Lire; nicht hundert Grossi,
geh! Die Sache ist: Wenn einer in diesem Lande kein Amt hat
wie unsersgleichen, findet er keinen Hund, der ihn anbellt,
und wir sind zu nichts anderem gut als zu Leichenschmäusen
und zu Hochzeiteseen zu gehen, und den ganzen Tag auf
der Bank des Pro konsul s zu sitzen, um uns dort hin und her
zu wiegen. Aber die können mir gestohlen werden; ich brauche
niemanden. Ginge es jedem so, der es schlechter hat als
ich! Aber ich will nichts gesagt haben; ich könnte sonst


— 118 —

einen Anstand oder eine Unannehmlichkeit kriegen, die mich
zum Schwitzen brächte.
Syro: Seid eicher.

Herr Nlcla: Wir sind zuhause; erwarte mich hier, ich
komme sofort wieder.
Syro: Geht nur.

Vierte Szene.

Syro allein.

Syro: Wenn die andern Doktoren so beschaffen wären
wie der da, hätten wir es mit Steinen für Backöfen zu tun.
Sicherlich führen ihn Ligurio, der schlechte Kerl und mein
Herr, der verliebte Narr, an einen Grt, wo ihm Schmach
angetan wird. Und ich hätte ja auch nichts dagegen, wenn
ich sicher wäre, dass es nicht auskommt; denn wenn es aus-
kommt, so geht es mir an den Kragen und meinem Herrn
an den Kragen und an Hab und Gut. Jetzt ist er Arzt
geworden; ich weiss nicht, welchen Plan sie verfolgen und
wo ihr Betrug hinauswill. Aber da ist ja schon der Doktor
mit der Urinflasche in der Hand. Wer sollte denn über einen
solchen Schafskopf nicht lachen?

Fünfte Szene.

Herr Nicia. Syro.

Herr Nicia: In allem habe ich deinen Willen befolgt; in
diesem Punkte sollet du mir gehorchen. Wenn ich geglaubt
hätte, ich bekäme keine Kinder, hätte ich eher ein Bauern-
mädchen zum Weibe genommen als — Bist du da, Syro?
Was für eine Mühe habe ich gehabt, bis meine törichte Frau
mir schliesslich dieses Wasser gegeben hat! Und das will
nicht heissen, daee sie nicht auch gern Kinder hätte; sie
denkt mehr daran als ich; aber sobald ich sie zu irgend
etwas bringen will, setzt es eine Geschichte ab.

Syro: Habt nur Geduld; mit guten Worten kann man
die Weiber dahin bringen, wo man will.

Herr Nicia: Was gute Worte! Ich habe die Geschichte satt.
Geh schnell und sag dem Magister und Ligurio, dass ich hier bin.

Syro: Da treten sie ja schon heraus.


— 119 —

Sechste Szene.

Ligurio. Calllmaco. Herr Nicia.

Ligurio : Der Doktor wird leicht zu überreden sein ; die
Schwierigkeit liegt bei der Frau. Aber auch dafür gibt
es Bat.

Callimaco: Habt Ihr den Urin?

Herr Nicia: Syro hält ihn unterm Bock.

Callimaco: Gib ihn her. 0, dieses Wasser weist auf
Schwäche der Nieren.

Herr Nicia: Es scheint mir ganz trübe, und doch ist es
gerade vorhin gemacht worden.

Calllmaco: Verwundert Euch darüber nicht. Nam
mulieris urinse sunt semper maj oris glossitici et albedinis et
minoris pulchritudinie quam virorum; hujus autem in cetera
causa est amplitudo canalium; mixtio eorum qua ex matrice
exeunt cum urina.

Herr Nicia: 0, o, bei der Möse des heiligen Puccio! Der
wird mir ja unter den Händen immer feiner! Wie trefflich
er von diesen Dingen redet!

Callimaco : Ich furchte, die ist während der Nacht nicht
gut zugedeckt und deswegen ist das Wasser so wenig fein.

Herr Nicia: Sie hat immerhin eine gute Bettdecke; aber
bevor sie ins Bett kommt, braucht sie immer vier Stunden,
um Vaterunser herunterzuleiern; es ist zu dumm, wie sie
dabei friert.

Callimaco: Machen wir's kurz, Doktor. Entweder Ihr
habt Vertrauen zu mir oder nicht. Entweder, ich werde Euch
ein sicheres Mittel zeigen oder ich werde es Euch in die
Hand geben; wenn Ihr Zutrauen zu mir habt, so nehmt Ihr
es ; und wenn heute übers Jahr Eure Frau nicht einen Knaben
im Arm hält, so zahle ich Euch zweitausend Dukaten.

Herr Nicia: Fahrt nur fort, denn ich glaube Euch in
allem, und mehr als meinem Beichtvater.

Calllmaco : Ihr mtisst nämlich wissen, dass nichts sicherer
ist, um eine Frau schwanger zu machen, als ihr einen Trunk
von Mandragola zu trinken zu geben. Das ist eine Sache,
die ich einige Male aus Erfahrung festgestellt und immer
wahr erfunden habe; und wenn dem nicht so wäre, hätte die
Königin von Frankreich keine Kinder, und unzählige andere
Fürstinnen dieses Beiches auch nicht.

Herr Nicia: Ist das möglich?


— 120 —

Calllmaco: Es ist so, wie ich Euch sage. Und das
Glück hat Euch so sehr begünstigt, daee ich alle die Ingre-
dienzen hierher mitgebracht habe, die für die Bereitung des
Trankes notwendig sind, und ihr könnt ihn haben, wenn es

Euch beliebt.

Nlcla: Wann soll sie ihn einnehmen?

Calllmaco: Heute Abend nach dem Nachtessen, denn
der Mond hat eine günstige Stellung, und auch das Wetter
kann nicht günstiger sein.

Herr Nlcla: Das ist ja nicht schwierig; macht ihn auf alle
Falle bereit; ich werde dafür sorgen, dass sie ihn einnimmt.

Calllmaco: Nun muss man nur noch daran denken,
dass derjenige, der zuerst mit ihr verkehrt, nachdem sie den
Trank getrunken, innerhalb acht Tagen stirbt, und die ganze
Welt könnte ihm nicht helfen.

Herr Nlcla: Verdammt! Von diesem garstigen Spass will
ich nichts wissen.

Calllmaco: Erschreckt nicht! Auch dafür gibt es ein
Mittel.

Herr Nicia: Was für eins?

Calllmaco: Sofort einen andern zu ihr legen, der indem
er die ganze Nacht bei ihr bleibt, das ganze Gift der Man-
dragola an sich zieht; und dann könnt Ihr ohne Gefahr bei
ihr schlafen.

Herr Nicia: Das werde ich nicht tun.

Calllmaco: Weswegen nicht?

Herr Nlcla: Weil ich meine Frau nicht zur Dirne und
mich nicht zum Hahnrei machen will.

Calllmaco: Was sagt ihr, Doktor? Ihr seid doch nicht
so verstandig, wie ich glaubte. Ihr zögert also, das zu tun,
was der König von Frankreich und so viele hohe Herren
jenes Beiches getan haben?

Herr Nlcla: Wen soll ich denn finden, der eine solche
Narrheit begeht? Sage ioh es ihm, wird er nicht wollen; sage
ich es ihm nicht, so bin ich ein Verräter an ihm und dies
ist ein Fall, der vor die Acht gehört, und ich will dabei nicht
in's Unglück geraten.

Calllmaco: Wenn Euch nichts anderes stört, so laset
die Sorge mein sein.

Herr Nlcla: Wie würde sich denn die Sache machen?

Calllmaco: Ich will es Euch sagen. Ich werde Euch heute
Abend nach dem Nachtessen den Trank geben, und Ihr gebt


— 121 —

ihn ihr zu trinken. Dann bringt Ihr aie sofort zu Bett, und
lassen wir es ungefähr vier Uhr Nachts werden. Dann
werden wir uns verkleiden, Ihr, Ligurio, Syro nnd ich, und
wir werden auf dem Neumarkt, dem Altmarkt und in jenen
Winkeln herum suchen, und den ersten Burschen, den wir
müssig finden, werden wir knebeln und unter dem Klang der
Prügel in's Haus und in Eure Kammer in der Dunkelheit
fuhren; dort legen wir ihn in's Bett und sagen ihm, was er
zu tun hat; er wird keine Sckwierigkeiten machen; dann am
Morgen schickt Ihr ihn vor Taganbruch weg; Ihr laset Eure
Frau sich waschen, und bleibt bei ihr, so lang es Euch be-
nagt, ohne alle Gefährde.

Herr Nlcla: Das bin ich zufrieden, da du sagst, dass
auch Könige, Fürsten und hohe Heiren dieses Verfahren befolgt
haben. Aber um der Acht willen soll Niemand etwas davon
erfahren.

Callimaco: Was soll er denn sagen?
Herr Nicia: Eine Schwierigkeit bleibt noch, und eine
beträchtliche.

Callimaco: Was für eine?

Herr Nicia: Meine Frau dazu zu überreden, denn ich
glaube, sie wird nie darauf eingehen.

Callimaco: Ihr sagt die Wahrheit. Aber ich möchte
lieber nicht Ehmann sein, wenn ich meine Frau nicht be-
stimmen könnte, nach meinem Willen zu handeln.

Ligurio: Ich habe ein Mittel gefunden.

Herr Nicia: Was für eins?

Ligurio: Wenden wir uns an den Beichtvater.

Callimaco: Wer wird aber den Beichtvater bestimmen?

Ligurio: Du, ich und das Geld; unsere Schlechtigkeit
und die seine.

Herr Nicia: Ich zweifle, abgesehen von dem, was ich schon
gesagt, dass sie zum Beichtvater gehen wird, um mit ihm zu
sprechen.

Ligurio: Auch dafür ist Bat.
Callimaco: Sprich.
Ligurio: Man führt sie zur Mutter.
Herr Nicia: Ja, ihr glaubt sie.

Ligurio : Und ich weiss, dass die Mutter unserer Meinung
ist. Also vorwärts, sparen wir Zeit, denn es wird schon
Abend. Callimaco, geh spazieren und mach, dass wir um
zwei Uhr dich mit dem fertigen Trank zu Hause finden; der


— 122 —

Dritter Akt.

Erste Szene.

Sostrata. Herr Nicia. Ligurio.

Sostrata: Ich habe immer sagen hören, dass es die
Aufgabe eines klugen Menschen sei, unter schlechten Ent-
schlieeeungen noch die beste zu wählen. Wenn, um Kinder
zu bekommen, es kein anderes Mittel gibt, so muss man dieses
wählen, wenn das Gewissen dabei nicht beschwert wird.

Herr Nicia: So ist es.

Ligurio: Holt also Eure Tochter, und der Herr Doktor
und ich werden den Bruder Timotheo aufsuchen, ihren Beicht-
vater, und ihm den Fall erzählen, damit Ihr ihn nicht vor-
zutragen braucht; Ihr werdet sehen, was er euch sagt.

Sostrata: So soil's geschehen; Euer Weg geht hier
durch und ich will Lucrezia aufsuchen und sie auf jeden Fall
zu dem Frater zu einer Unterhaltung bringen.

Zweite Szene.

Herr Nicia. Ligurio.

Herr Nlcla: Du wunderst dich vielleicht, Ligurio, dass es
so viele Geschichten braucht, um die Einwilligung meiner Frau
zu erhalten; aber wenn du alles wüsstest, würdest du dich
nicht verwundern.

Ligurio: Es mag schon so sein; alle Weiber pflegen ja
argwöhnisch zu sein.

Doktor und ich gehen nun zur Mutter, um eie günstig zu
stimmen, denn ich kenne sie ja auch; dann gehen wir zum
Mönchsbruder und wir werden dich dann auf dem Laufenden
halten über das, was wir ausgerichtet haben.

Calllmaco: Ach! lass mich nicht allein!

Ligurio: Du scheinet mir recht aufgeregt zu sein.

Calllmaco: Wo soll ich denn jetzt hingehen?

Ligurio: Dahin, dorthin; schlag diesen, schlag jenen
Weg ein; Florenz ist ja so gross.

Calllmaco: Ich bin verloren.


— 123 —

Herr Nlcla: Das ist es nicht. Sie war das sanfteste
Ding von der Welt, und gar leicht zu behandeln. Aber als ihr
von einer Nachbarin gesagt worden war, dass, wenn sie gelobe,
vierzig Metten der Messe dei Servi zu hören, sie schwanger
würde, gelobte sie es, und besuchte vielleicht zwanzig Metten;
wiest, dass da einige von diesen dreckigen Mönchen anfingen
um sie herum zu streichen, so dass sie nicht mehr dorthin
zurückkehren wollte; es steht in der Tat schlimm, dass die,
welche das gute Beispiel geben sollten, so beschaffen sind.
Sag ich nicht die Wahrheit?

Ligurio: Zum Teufel, wie wahr ist es!

Herr Nicia: Und von dieser Zeit an ist sie furchtsam wie
ein Hase; und so bald man ihr etwas sagt, macht sie tausend
Schwierigkeiten.

Ligurio: Ich wundere mich nicht mehr; aber wie lief
.denn dieses Gelübde aus?

Herr Nicia: Sie liess sich dispensieren.

Ligurio: Ganz recht; aber, gebt mir, wenn Ihr sie bei
Euch habt, fünfundzwanzig Dukaten, denn in solchen Fällen
muse man nicht auf das Geld schauen und sich den Mönch
rasch zum Freunde machen, und ihm Aussicht auf mehr ein-
flössen.

Herr Nlcla: Nimm sie nur; das macht mir keine Be-
schwerden: ich bringe sie anderswo wieder ein.

Ligurio: Diese Mönche sind ausgemachte Schlauberger,
und das ist nur begreiflich, denn sie kennen unsere Sünden
und die ihrigen, Und wer keinen Verkehr mit ihnen hat,
könnte sich leicht täuschen lassen und mit ihnen nicht zu
seinem Ziele kommen. Ich möchte also nicht, dass ihr alles
mit Eurem Beden verdürbt, denn einer Euresgleichen, der
den ganzen Tag nicht aus dem Studierzimmer herauskommt,
versteht eich zwar auf seine Bücher, aber von den Dingen
dieser Welt weiss er nichts. (Zur Seite) Der ist so dumm,
dass ich fürchte, er verdirbt uns das ganze Spiel.

Herr Nlcla: Sag mir, was ich tun soll.

Ligurio: Nur mich reden lassen, und bloss reden, wenn
ich Euch einen Wink gebe.

Herr Nicia : Gern, aber was für ein Zeichen wirst du geben ?

Ligurio: Ich werde ein Auge schliessen; ich werde mich
auf die Lippe beissen. Nicht doch; wir wollen es andere
machen. Wie lange ist's her, dass ihr nicht mit dem Mönch
gesprochen habt?


— 124 —

Herr Nicia: Mehr als zehn Jahre.

Ligurio: Schon recht; ich werde ihm sagen, Ihr seid
taub geworden, und ihr gebt nur Antwort und redet, wenn
wir laut sprechen.

Herr Nicia: So will ich tun.

Ligurio: Und es darf Euch auch nicht beunruhigen,
wenn ich etwas sage, was mit dem, was wir wollen, nichts
zu tun zu haben scheint; schliesslich wird sich alles als
zweckmässig erweisen.

Herr Nicia: So seis denn!

Dritte Szene.

Bruder Timotheo. Eine Frau.

Bruder: Wenn ihr beichten wollt, so stehe ich zu
Diensten.

Frau: Heute nicht; man wartet auf mich. Es genügt
mir, wenn ich mir die Sache etwas vom Herzen geredet habe.
Habt Ihr jene Messen unserer lieben Frau gelesen?

Bruder: Ja, Frau.

Frau: Nehmt nun diesen Gulden und lest zwei Monate
lang jeden Montag die Totenmesse für meinen Mann; und
wenn es auch etwas windig mit ihm stand, so hat man doch
angenehme Erinnerungen. Wenn ich an ihn denke, kann ich
nicht umhin, angenehme Gefühle zu empfinden. Aber glaubt
Ihr wirklich, er sei im Fegefeuer?

Bruder: Ohne Zweifel

Frau: Davon verstehe ich ja nichts. Ihr wiest ja, was
er hie und da mit mir anfing! 0, wie oft hatte ich mich bei
Euch über ihn zu beklagen! Ich entfernte mich von ihm, so
viel ich konnte. Aber er war so zudringlich! Ach! unser
Herr — —

Bruder: Zweifelt nicht, die Barmherzigkeit Gottes ist
gross; wenn nur der Wille vorhanden ist, fehlt auch nie die
Zeit zur Bene.

Frau : Glaubt Ihr, dass der Türke heuer Italien überziehe?

Bruder: Wenn Ihr nicht betet, sicherlich.

Frau : Meiner Treu, Gott helfe uns gegen diese Teufeleien.
Ich habe eine grassliche Angst vor dem Pfählen; aber ich
sehe hier in der Kirche eine Frau, der ich etwas Hanf an-
vertraut habe; ich will sie aufsuchen. Becht guten Tag.

Bruder: Bleibt gesund.


125

Vierte Szene.

Bruder Timotheo« Ligurio. Herr Nicia.

Bruder: Die barmherzigsten Personen, die auf der Welt
sind, sind die Weiber, zugleich aber auch die langweiligsten.
Wer sie verjagt, verjagt die Langweile und den Nutzen; wer
es mit ihnen aushalt, hat den Nutzen und die Langweile
zusammen. Es ist allerdings richtig, dass man den Honig
nicht ohne die Fliegen bekommt. Was macht ihr denn, ihr
wackern Leute? Erkenne ich nicht den Herren Nicia?

Ligurio: Sprecht laut, denn er ist derart taub geworden,
dass er nichts mehr hört.

Bruder: Seid willkommen, Herr Doktor.

Ligurio: Lauter!

Bruder: Seid willkommen!

Herr Nicia: Seid gegrüsst, Bruder!

Bruder: Wie geht's?

Herr Nicia: Ganz gut.

Ligurio: Eichtet die Sprache an mich, ehrwürdiger
Vater, denn wenn er Euch verstehen sollte, müsstet Ihr diesen
ganzen Platz in Aufruhr bringen.

Bruder: Und was wollt Ihr von mir?

Ligurio: Herr Nicia hier und ein anderer wackerer
Mann, von dem Ihr nachher hören werdet, wollen an Almosen
ein paar hundert Dukaten ausgeben.

Herr Nicia: Hol' dich der Teufel!

Ligurio: Haltet doch einmal den Mund! Es werden
ja nicht so viele sein. Wundert Euch nicht, Vater, über
das, was er sagt, denn er hört nichts ; und er meint manchmal
er höre, und gibt dann unzusammenhängende Antworten.

Bruder: Fahr nur fort und lass ihn sagen, was er will.

Ligurio: Aber bevor dieses Almosen gespendet wird,
mfleet Ihr uns in einem sonderbaren Falle helfen, der dem
Herrn Doktor passiert ist: und Ihr allein könnt da helfen,
wo es sich durchaus um die Ehre seines Hauses handelt.

Bruder: Worum handelt es sich?

Ligurio: Ich weiss nicht, ob Ihr Camillo Calfucci, den
Neffen des Herrn Doktors hier, kennt.

Bruder: Ja, ich kenne ihn.

Ligurio: Der ging in gewissen Geschäften vor einem
Jahre nach Frankreich, und da er keine Frau hatte — sie


— 126 —

war gestorben — liess er eine mannbare Tocbter in der Obhut
eines Klosters, dessen Name hier nichts zur Sache tut.

Bruder: Und was ist weiter passiert?

Ligurio: Durch die mangelhafte Aufsicht der Nonnen
oder durch die Torheit des Mädchens passierte es, dass sie
im vierten Monat schwanger ist, so dass, wenn man nicht mit
Klugheit vorgeht, der Doktor, die Nonnen, das Mädchen,
Camillo, das Haus der Calfucci in Schmach gerät; und der
Doktor schätzte diese Schmach so hoch, dass er gelobt hat,
falb sie nicht offenbar wird, um Gottes Willen dreihundert
Dukaten zu stiften.

Herr Nicia: Was für ein dummes Gewäsch!

Ligurio: Seid ruhig. Und er wird sie durch Eure Hände
verteilen lassen, und bloss Dir und die Äbtissin könnt da
Hilfe schaffen.

Bruder: Wie das?

Ligurio: Indem Ihr die Äbtissin überredet, dass sie ihr
einen Trank gibt, der bewirkt, dass das Mädchen abortiert.

_ _ ___ ■

Bruder: Die Sache muss überlegt werden.

Ligurio: Seht, wenn Ihr das tut, was für gute Folgen
sich daraus ergeben: Ihr erhaltet dem Kloster, dem Mädchen,
den У erwandten die Ehre; Ihr gebt dem Vater eine Tochter
zurück; Ihr erweist dem Herrn Doktor hier einen grossen
Dienet und so vielen seiner Verwandten ; Ihr spendet so viele
Almosen, als Ihr mit diesen dreihundert Gulden ausrichten
könnt; und auf der andern Seite schädigt Ihr nur ein noch
nicht geborenes Stück Fleisch, das noch keinen Verstand hat
und das auf tausend Weisen zu Grunde gehen kann ; und ich
glaube, dass das gut ist, was für die Mehrzahl gut ist und
zu deren Befriedigung ausfällt.

Bruder: So sei es denn in Gottes Namen, und es
geschehe, was Ihr wollt, und um Gottes und der Nächsten-
liebe Willen werde alles gemacht. Nennt mir das Kloster,
gebt mir den Trank und wenn es Euch gut scheint, auch das
Geld, damit man mit einer Wohltat beginnen kann.

Ligurio: Nun scheint Ihr mir der Gottesmann, für den
ich Euch hielt. Nehmt hier diesen Teil des Geldes. Das
Kloster heisst — — Aber wartet; es ist hier in der Kirche
eine Frau, die mir winkt. Ich komme gleich wieder; trennt
Euch nicht von Herrn Nicia, ich will ein paar Worte mit
ihr sprechen.


— 127 —

Fünfte Szene.

Der Bruder und Herr Nicia.

Bruder: Wie alt iet dieses Mädchen?

Herr Nicia: Ich werde noch verrückt.

Bruder: Ich sage, wie alt dieses Mädchen ist?

Herr Nicia: Gott strafe ihn!

Bruder: Weswegen?

Herr Nlcla: Weil er ihn strafe.

Bruder: Ich möchte meinen, ich sei in einem Yiehstall;
ich habe es mit einem Narren und einem Tauben zu tun.
Der eine läuft weg und der andere hört nicht. Aber wenn
diese Batzen da gut sind, komme ich besser davon als sie;
da kehrt ja Ligurio zurück.

Sechste Szene.

Ligurio. Der Bruder. Herr Nlcla.

Ligurio: Seid ruhig, Herr Doktor. O Pater, ich habe
eine grosse Neuigkeit.

Bruder: Was für eine?

Ligurio: Die Frau, mit der ich gesprochen, hat mir
gesagt, dass das Mädchen die Leibesfrucht von selbst ver-
loren hat.

Bruder: Gut, da geht ja das Almosen in Bauch auf.
Ligurio: Was sagt Ihr?

Bruder: Ich sage, dass Ihr um so eher ein Almosen
stiften sollt.

Ligurio: Das Almosen wird gestiftet sobald Ihr wollt;
aber Ihr musst zum Wohle des Doktors hier etwas anderes tun.
Bruder: Was denn?

Ligurio: Etwas von minderer Beschwerde, von minderer
Anstössigkeit, uns angenehmer, Euch nützlicher.

Bruder: Was ist's? Ich verhandle mit Euch und es
scheint mir, wir stehen nun schon auf einem so vertrauten
Fusse mit einander, dass ich alles für Euch täte.

Ligurio: Ich will es Euch unter vier Augen in der
Kirche sagen, und der Doktor wird es zufrieden sein, hier
auf uns zu warten; wir kommen gleich wieder.

Herr Nicia: Wie die Kröte zur Egge sagte.

Bruder: Gehen wir.


— 128 —

Siebente Szene.

Herr Nicia allein.

Herr Nicia : Ist ee Tag oder Nacht ? Bin ich's oder träume
ich? Bin ich betrunken und habe heute noch keinen Schluck
getan, um auf dieses Geschwätz einzugehen? Wir haben dem
Bruder etwas zu sagen und er sagt etwas anderes; dann musste
ich den Tauben spielen und mir die Ohren yerpechen wie Ogier
der Däne, wenn ich seine Narrheiten nicht hören wollte, die
er gesagt hat, und Gott weise, zu welchem Zwecke. Ich
habe fünfundzwanzig Dukaten weniger und von meiner An-
gelegenheit ist noch kein Wort geredet worden. Und jetzt
lassen sie mich hier stehen, wie den Ochsen am Berg; aber
da kommen sie ja, und schlecht soll es ihnen gehen, wenn sie
meine Sache nicht besprochen haben.

Achte Szene.
Der Bruder. Ligurio. Herr Nlcla.

Bruder: Macht; dass die Frauen kommen! Ich weiss,
was ich zu tun habe, und mein Ansehen wird mir zu statten
kommen. Diese Verbindung soll heute abend zu Stande
kommen.

Ligurio: Herr Nicia, Bruder Timotheo ist zu allem
bereit; es bleibt nur noch übrig, die Frauen hierher zu bringen.

Herr Nlcla: Du gibst mir wahrhaftig das Leben wieder.
Wird es ein Knabe sein?

Ligurio: Ein Knabe.

Herr Nlcla: Ich weine vor Bührung.

Bruder: Geht in die Kirche; ich will die Frauen hier
erwarten. Stellt Euch an einem Orte auf, wo sie Euch nicht
sehen, und sobald sie weg sein werden, will ich Euch mit-
teilen, was sie gesagt haben.

Neunte Szene.

Bruder Timotheo allein.

Bruder: Ich weiss nicht, welcher den andern übers Ohr
gehauen hat. Dieser Gauner von Ligurio kam zu mir mit
der ersten Geschichte, um mich auf die Probe zu stellen, so


129

dass er mir, wenn ich mich nicht willig zeigte, die zweite
nicht erzählt hätte, um nicht unnütz ihre Pläne zu offenbaren.
Und um die erste Geschichte, die falsch war, kümmerten sie
sich nicht mehr; da bin ich allerdings erwischt worden; aber
bei diesem Hereinfall habe ich doch profitiert. Herr Nicia
und Callimaco sind reiche Leute und in verschiedener Hinsicht
kann ich viel aus ihnen ziehen. Die Sache muß geheim ge-
halten werden« denn es liegt ihnen gerade so viel daran, sie
auszuschwatzen, als mir. Sei dem, wie ihm wolle, ich bereute
es nicht. Es ist allerdings richtig, dass ohne Zweifel dabei
Schwierigkeiten entstehen werden; denn Frau Lukrezia ist
verständig und gut, aber gerade auf ihre Gute werde ich bei
meiner Üb erlistung bauen; und alle Weiber haben wenig
Hirn ; und wenn eine nur zwei Wörter gacksen kann, gilt sie
für ein Meerwunder, denn im Lande der Blinden ist der Ein-
äugige König. Und da ist sie ja schon mit der Mutter, die
eine Gans ist; die wird mir mächtige Hilfe leisten, um sie
nach meinem Willen zu lenken.

Zehnte Szene.

Sostrata» Lukrezia.

S os trata: Ich glaube, meine Tochter, dass du auch der
Meinung bist, ich sei auf deine Ehre bedacht wie irgend je-
mand auf der Welt, und daß ich dir nichts anrate, was dir
nicht ansteht. Ich habe dir gesagt und sage dir noch einmal,
dass Bruder Timotheo dir sagt, dass das Gewissen nicht da-
bei beschwert wird.

Lukrezia: Ich habe immer vermutet, der Wunsch des
Herrn Nicia, Kinder zu bekommen, werde ihn auf eine falsche
Bahn treiben, und deswegen hatte ich immer Verdacht und
war auf meiner Hut, wenn er mir von etwas sprach; besonders,
seit mir das passierte, was Euch bekannt ist, als ich zur
Messe in die Kirche dei Servi ging; aber von allen Dingen,
die man probiert hat, scheint mir dies das ungeheuerlichste,
meinen Leib dieser Schmach unterwerfen zu müssen; die Ur-
sache des Todes eines Menschen zu sein, um diese Schande
auf mich zu laden; denn ich glaube nicht, dass mir, wenn ich
allein auf der Welt zurückgeblieben wäre und es von mir
abhinge, das menschliche Geschlecht fortzusetzen, derartiges
zugemutet würde.

Volkstümliche Dichtungen der Italiener. 9


— 130 —

Sostrata: Ich kann dir nicht viel sagen, meine Tochter.
Du wirst mit dem Bruder reden; du wirst sehen, was er dir
sagt, und du wirst tun, was er dir rat in seinem, in unserm
Namen, im Namen aller, die dir wohl wollen.

Lukrezia: Der Schweies bricht mir auf diesem Leidens-
gange aus.

Elfte Szene.

Bruder. Lukrezia« Sostrata«

Bruder: Seid willkommen; ich weiss, was ihr von mir
hören wollt, denn Herr Nicia hat mit Euch gesprochen. Wahr-
haftig, ich habe mehr als zwei Stunden über den Büchern
gesessen, um diesen Fall zu studieren; und nach vielen Nach-
forschungen finde ich viele Dinge, die im besondern und im
allgemeinen uns angehen.

Lukrezia: Sprecht Ihr im Ernste oder spasst Ihr?

Bruder: Ah, Frau Lukrezia, sind das Dinge zum Spassen?
Kennt Ihr mich erst jetzt?

Lukrezia: Pater, nein; aber das scheint mir die sonder-
barste Geschichte, die man je gehört hat.

Bruder: Frau Lukrezia, das glaub ich Euch; aber Ihr
dürft so nicht weiter sprechen. Es gibt viele Dinge, die aus
der Entfernung schrecklich, unerträglich und unerhört er-
scheinen; wenn man ihnen aber näher tritt, so stellen sie sich
als menschlich, erträglich, vertraut heraus, und deswegen sagt
man, dass der Schrecken grösser ist als das tJbel, und dieses
ist eins davon.

Lukrezia: Gott wolle es.

Bruder: Ich will zu dem zurückkehren, was ich zuerst
gesagt habe. Was das Gewiesen anbetrifft, habt Ihr folgende
allgemeine Grundsätze ins Auge zu fassen. Wo ein Gutes
sicher und ein Übel unsicher ist, muss man das Gute aus
Angst vor dem TJbel nie unterlassen. Hier ist ein Gut sicher:
Ihr werdet schwanger werden und dem Herrgott eine Seele
erwerben. Das unsichere Übel ist das, dass der, welcher nach
dem Trank bei Euch liegt, stirbt. Aber es finden sich auch
solche, die nicht sterben, aber weil die Sache zweifelhaft ist,
ist es doch gut, dass Herr Nicia diese Gefahr nicht laufe.
Wae nun den Akt anbetrifft, der eine Sünde sein soll, so ist
das eine Fabel, denn der Wille sündigt und nicht der Leib,
und die Ursache der Sünde ist das Miesvergnügen, das man


— 131 —

9*

dem Mann bereitet; nnd Ihr lebt ihm zu Gefallen, wenn Ihr
Vergnügen daran findet, und Ihr habt ja Miesvergnügen.
Ausserdem muss man in allen Dingen auf den Zweck sehen.
Euer Zweck ist, einen Platz im Paradise zu besetzen und
Euren Gatten zufrieden zu stellen. Es sagt die Bibel, dass
die Töchter Lothe, als sie glaubten, sie seien allein auf dieser
Welt zurückgeblieben, mit ihrem Vater verkehrten, und weil
ihre Absicht gut war, sündigten sie nicht.

Lukrezia: Und wozu überredet Ihr mich also?

Sostrata: Lass dich überzeugen, meine Tochter. Siehst
du nicht, dass eine Frau, die keine Kinder hat, kein Haus
hai, und wenn der Gatte stirbt, wie ein dummes Tier da
steht, das von jedermann im Stiche gelassen wird?

Bruder: Ich schwöre Euch, Frau Lukrezia, bei dieser
geheiligten Bruet, dass in diesem Falle Eurem Gatten zu
willfahren das Gewissen ebensowenig bedrückt als am Mittwoch
Fleisch zu essen, eine Sünde, die man mit Weihwasser abwäscht.

Lukrezia: Wozu wollt Ihr mich bringen, Pater?

Bruder: Ich werde Euch zu Dingen bringen, für die Ihr
mir zu danken immer Grund haben werdet, und das nächste
Jahr wird Euch mehr Befriedigung gewähren als das heurige.

Sostrata: Sie wird tun, was Ihr wollt. Ich will sie
heute abend selbst zu Bette bringen. Vor was hast du
eigentlich Angst, du dummes Naschen? Fünfzig Frauen sind
in diesem Lande, die Gott dafür mit aufgehobnen Händen
danken würden.

Lukrezia: Ich bin's zufrieden; aber morgen früh glaube
ich nicht mehr am Leben zn sein.

Bruder: Hab keine Angst, meine Tochter; ich werde für
dich zu Gott beten; ich will das Gebet des Erzengels Baphael
für dich hersagen, dass er dir beistehe; geht mit Gott und
bereitet Euch auf das Mysterium, das eich Euch heute nacht
offenbaren wird.

Sostrata: Bleibt im Frieden, Pater.

Lukrezia: Gott helfe mir und unsere liebe Frau, dass
mir kein Unglück begegne.

Zwölfte Szene.

Bruder. Ligurio. Herr Nicia.

Bruder: He, Ligurio, komm her!
Ligurio: Wie gehte?


— 132 —

Vierter Akt.
Erste Szene«

Calllmaco allein«

Ich möchte nur hören, was diese ausgerichtet haben. Ist
es möglich, dass ich Ligurio nicht wieder sehe? Und es ist
erst elf Uhr; und auf zwölf war es abgemacht. In welcher
Seelenangst habe ich gestanden, und steh ich noch! Es ist
allerdings richtig: Glück und Natur halten die Wage gerade;
sie erweisen dir nie eine Wohltat, dass nicht zuf der anderen
Seite ein Unheil emporschnellt. Je mehr mir die Hoffnung
wuchs, desto grösser wurde mir wieder die Furcht. Ich
Unglückseliger! Ist es möglich, dass ich es in solcher Pein

Bruder: Gut; sie sind nach Hause gegangen, bereit, alles
zu tun. Und es wird keine Schwierigkeiten absetzen, denn
die Mutter will bei ihr bleiben und will sie zu Bett bringen.

Nicia: Sprecht Ihr die Wahrheit?

Bruder: Nun, nun, seid Ihr von der Taubheit geheilt?

Ligurio: Sankt Klemens hat ihm eine Gnade erwiesen.

Bruder: Da muss man dem heiligen Klemens eine Kerze
stiften, dass Ihr nicht allzu sehr ins Kraut schiesst und ich
auch meinen Schnitt mache.

Nlcla: Wir kommen da auf Allotria. Meine Frau macht
also keine Schwierigkeiten, meinen Willen zu tun?

Bruder: Nein, sag ich Euch.

Nicia: Dann bin ich der zufriedenste Mensch der Welt.

Bruder: Das glaub ich. Ihr lest Euch da einen Knaben
auf, und wer keinen hat, bekommt sonst keinen.

Ligurio: Geht nun Euren Gebeten nach, Bruder. Und
wenn wir Euch nötig haben, wollen wir Euch holen. Ihr,
Herr Doktor, geht zu ihr, um sie bei ihrem Entschluss fest-
zuhalten. Und ich gehe, um den Magister Gallimaco zu
suchen, dass er Euch den Trank schickt. Und um ein Uhr
sorgt dafür, dass ich Euch wieder sehe, um das anzuordnen,
was um vier Uhr geschehen soll.

Nicia: Du hast recht. Leb wohl.

Bruder: Geht in Frieden.


— 133 —

aushalte, durcheinander gewirbelt von so vielen Befürchtungen
und so vielen Hoffnungen? Ich bin wie ein Schiff, das von
verschiedenen Winden hin* und hergetrieben wird und das
um so mehr fürchtet, je näher es am Hafen ist. Die Einfalt
des Herrn Nicia läset mich hoffen; die Vorsicht und Härte
Lukrezias läset mich fürchten. Nirgends finde ich Ruhe.
Manchmal suche ich Herr meiner selbst zu werden; ich tadle
diese Aufregung an mir und spreche zu mir: „Was tust du?
Bis du verrückt geworden? Und wenn du sie gewinnst, was
weiter? Wirst du deinen Irrtum erkennen? Wirst du deine
Anstrengungen und deine Kümmernisse bereuen, die du gehabt
hast? Weist du nicht, wie so wenig Gutes man an den
Dingen findet, die man ersehnt hat, im Verhältnis zu dem,
was er in ihnen vorausgesetzt hatte? Auf der andern Seite
war ja das schlimmste, das mir bevorstand, der Tod und das
Hinunterfahren in die Hölle; und es sind so viele Meuschen
gestorben und so viele wackere Leute belinden sich in der
Hölle, müsstest du dich schämen, dorthin zu ziehen? Zeige
dem Schicksal dein Antlitz, fliehe das Übel, und wenn du
ihm nicht entgehen kannst, so ertrage es wie ein Mann;
lass dich nicht niederdrücken und sei nicht feige wie ein
Weib; und so mache ich mir Mut, aber das hält nur kurze
Zeit vor, weil mich von allen Seiten eine solche Sehnsucht
übermannt, einmal mit ihr zu sein, dass ich fühle, wie ich
von den Fusssohlen bis zum Scheitel aufgeregt bin; die Beine
zittern mir, die Eingeweide geraten in Aufruhr, das Herz
reiset sich mir aus der Brust, die Arme fallen schlapp her-
unter, die Zunge verstummt, die Augen werden geblendet,
das Gehirn dreht sich mir im Kopfe! Wenn ich nur Ligurio
fände, hätte ich doch jemand, mit dem ich mich aussprechen
könnte., Aber da kommt er ja in schnellem Schritt auf mich
zu. Was er berichtet, wird mich noch ein bieschen am Leben
erhalten oder mich vollends töten.

Zweite Szene.

Ligurio. Callimaco.

Ligurio: Nie wünschte ich so sehnlich, Callimaco anzu-
treffen, und nie hatte ich grössere Mühe, ihn zu finden. Hätte
ich ihm schlechte Neuigkeiten mitzuteilen, wäre er mir längst
begegnet. Ich bin bei ihm zu Hause gewesen, auf dem Platze,


— 134 —

auf dem Markt, auf dem Pancone dei Spini, in der Loggia
dei Tornaquinci und habe ihn nicht gefunden. Diese Ver-
liebten haben Quecksilber unter den Füssen; sie können nie
still stehen.

Callimaco: Was stehe ich da und rufe ihn nicht? Und
doch scheint er fröhlich zu sein. He! Ligurio! Ligurio!
Ligurio: 0, Callimaco, wo hast du gesteokt?
Callimaco: Wae gibt's für Neuigkeiten?
Ligurio: Gute.
Calllmaco: Wirklich gute?
Ligurio: Ganz gute?

Callimaco: Und Lukrezia ist einverstanden?
Ligurio: Ja.

Callimaco : Hat der Bruder die Sache in Ordnung gebracht?
Ligurio: Ja.

Callimaco: 0 gesegneter Bruder! Ich werde immer für
ihn zu Gott beten.

Ligurio: Famos! Wie wenn man für das Böse noch
Dank wüsste! Übrigens verlangt der Bruder jedenfalls anderes
als Gebete.

Callimaco: Was denn?

Ligurio: Geld.

Calllmaca: Wir werden ihm solches geben. Wie viel
hast du ihm versprochen?

Ligurio: Dreihundert Dukaten.
Callimaco: Hast wohlgetan.

Ligurio: Der Doktor hat auch fünfundzwanzig locker
gemacht.

Callimaco: Wie?

Ligurio: Es mag dir genügen, dass er sie ausgegeben hat.

Callimaco: Was hat die Mutter Lukreziens gemacht?

Ligurio: Fast alles. Sobald sie hörte, dass ihre Tochter
diese Freudennacht ohne Sünde gemessen werde, hörte sie
nicht auf, Lukrezia mit Bitten, Befehlen, Tröstungen zu be-
arbeiten, bis sie sie schliesslich zum Bruder führte, und dort
bestimmte sie sie zur Einwilligung.

Callimaco: 0 Gott, durch welches Verdienst darf ich
so viel Glück gemessen? Ich sterbe noch vor Freude.

Ligurio: Was für Leute sind doch diese! Jetzt stirbt
dieser sicher vor Freude, und eben starb er noch vor Schmerz.
Hast du den Trank bereit?

Callimoco: Ja.


— 135 —

Ligurio: Wae wirst du ihm schicken?

Calllmaco: Einen Becher Hypokras, der für die Ge-
legenheit ganz passend den Magen in Stimmung bringt und
das Gehirn erheitert. O weh! o weh! Ich bin geliefert.

Ligurio: Was ist's? Was kann's sein?

Callimaco: Da ist nicht zu helfen.

Ligurio: Wae Teufels, ist's denn?

Callimaco: Ich habe mich selbst in einen Ofen ein-
gemauert.

Ligurio: Wodurch? Warum sagst du es nicht? Nimm
doch die Hände vom Gesicht.

Callimaco: Weiset du denn nicht, dass ich Herrn Nicia
gesagt habe, dass du, er, Syro und ich einen abfangen wollen,
um ihn zu seiner Frau zu legen?

Ligurio: Was ist denn dabei?

Callimaco: Was dabei ist? Wenn ich bei Euch bin,
kann ich doch nicht der sein, den man abfangen soll; und wenn
ich nicht dabei bin, wird er den Betrug merken.

Ligurio: Du sprichst die Wahrheit. Aber ist wirklich
nichts dagegen zu machen?

Callimaco: Ich glaube nicht

Ligurio: Doch, doch.

Callimaco: Was denn?

Ligurio: Ich will ein wenig darüber nachdenken.
Calllmaco: Da bin ich schön angeführt, wenn du erst
jetzt darüber nachdenken musst.
Ligurio: Ich hab's.
Callimaco: Was?

Ligurio: Der Bruder, der uns bisher geholfen hat, muss
uns bis zum Ende helfen.

Callimaco: In welcher Weise?

Ligurio: Wir werden uns ja alle verkleiden; ich werde
auch den Bruder sich verkleiden lassen; er wird deine Stimme,
dein Gesicht, deine Haltung nachahmen, und ich werde dem
Doktor sagen, du seiest es, und er wird es glauben.

Callimaco: Das gefällt mir. Und was soll ich tun?

Ligurio: Ich würde einen ärmlichen Kittel anziehen,
eine Laute in die Hand nehmen; komm dann um die Ecke
seines Hauses daher, ein Liedchen trällernd.

Callimaco: Mit unbedecktem Gesicht?

Ligurio: Ja, denn wenn du eine Maske trügest, würde
er Verdacht schöpfen.


— 136 —

Callimaco: Dann erkennt er mich aber.

Ligurio: Nein. Du muest ein wenig das Gesicht, ver-
ziehen, den Mund öffnen, spitzen oder grinsen; schliesse ein
Auge; probier'e ein wenig.

Callimaco: Ist's so recht?

Ligurio: Nein.

Callimaco: Aber so?

Ligurio: Genügt noch nicht.

Callimaco: Auf die Art?

Ligurio: Ja, ja; behalte das im Gedächtnis. Ich habe
eine Nase zu Hause, du sollst sie aufsetzen.

Callimaco: Nun gut. Was dann nachher?

Ligurio: Sobald du an der Ecke erscheinet, sind wir
dort; wir nehmen dir die Laute, drehen dich herum, führen
dich ins Haue, legen dich ins Bett, und das Übrige muset du
dann allerdings selber besorgen.

Callimaco: Die Hauptsache ist aber das Benehmen.

Liguiro: Das ist nun eben deine Sache. Zu machen,
dass du zu ihr zurückkehren kannst, liegt in deiner Hand,
nicht in unserer.

Callimaco: Wie?

Ligurio: Du musst sie dir in jener Nacht gewinnen;
bevor du weggehet, musst du dich ihr zu erkennen geben; ent-
decke ihr den Betrug; zeig ihr die Liebe, die du ihr ent-
gegenbringst, sag ihr, wie gut du ihr bist und wie sie ohne
Schande deine Freundin sein kann und mit grosser Schmach
ihrerseits deine Feindin, und es ist unmöglich, dass sie nicht
mit dir einig werde und dass sie will, dass diese Nacht die
einzige sei.

Calllmaco: Glaubst du das?

Ligurio: Ich bin dessen sicher. Aber verlieren wir
keine Zeit mehr, es ist schon zwei Uhr. Hufe Syro, schicke
Herrn Nicia den Trank; erwarte mich zu Hause, ich werde
den Bruder holen; und ihn sich verkleiden lassen; wir werden
ihn herführen und den Doktor aufsuchen und tun, was
noch fehlt

Callimaco: Du redest gut; geh also.

Dritte Szene.

Callimaco« Syro.

Callimaco: He, Syro!
Syro: Zu Befehl.


— 137 —

Callimaco: Komm ber.
Syro: Da bin ich schon.

Callimaco: Nimm den silbernen Becher in dem Schranke
der Kammer und decke ihn mit ein bisschen Tuch zu ; bring
ihn mir und giess ihn auf dem Wege nicht aus.

Syro: Es soll geschehen.

Callimaco: Dieser steht zehn Jahre in meinen Diensten
und hat sich immer als treu erwiesen; ich glaube ihm auch
in diesem Falle trauen zu dürfen; und ob ich ihm gleich
von diesem Betrug nichts gesagt habe, so errät er ihn, denn
er hat es hinter den Ohren, und ich sehe, dass er sich anpasst.

Syro: Da ist der Becher.

Callimaco: Schon gut. Mach dich auf nach dem
Hause des Herrn Nicia und sag ihm, das sei die Medizin,
die seine Frau sofort nach dem Nachtessen einzunehmen
habe; und je früher sie zu Abend isst, desto besser wird
es sein, und dass wir zur rechten Zeit in der Nähe der
der Ecke sein werden, und er soll dafür sorgen, dass er auch
dort ist. Geh schnell!

Syro: Ich geh schon.

Callimaco: Hör noch! Wenn er will, dass du auf ihn
wartest, warte, und komm mit ihm hierher; wenn er nicht
'will, kehr hierher zurück, sobald du ihm den Trank gegeben
und die Botschaft ausgerichtet hast.

Syro: Ja, Herr.

Vierte Szene,

Callimaco allein.

Callimaco: Ich warte, bis Ligurio mit dem Bruder
zurück ist, und wenn einer sagt: das Warten ist eine harte
Sache, hat er recht. Jede Stunde nehme ich zehn Pfund ab,
wenn ich denke, wo ich jetzt bin, wo ich in zwei Stunden sein
könnte, voller Furcht, es könnte irgend etwas entstehen, was
meinen Plan zu stören im Stande wäre; denn wenn dem so wäre,
schlüge die letzte Stunde meines Lebens; denn entweder
werfe ich mich in den Arno, oder hänge mich auf oder ich
stürze mich aus dem Fenster oder ich stosse mich auf ihrer
Schwelle ein Messer in die Brust; irgend etwas muss ich tun,
um zu sterben. Aber sehe ich da nicht Ligurio? Er ist's;
er hat einen bei sich, der verkrüppelt und lahm scheint;
sicherlich ist es der verkleidete Pfaffe. O ihr Pfaffen ! Kenne


— 138 —

einen und du kennst alle. Wer ist denn dieser andere, der
ihnen zur Seite schreitet? Er scheint mir Syro zu sein, der
dem Doktor die Botschaft schon ausgerichtet hat; ich will
sie hier erwarten, um mit ihnen eine Verabredung zu treffen.

Fünfte Szene.

Syro. Ligurio. Der verkleidete Bruder. Callimaco.

Syro: Wer ist bei dir, Ligurio?

Ligurio: Ein wackerer Mann.

Syro: Hinkt er oder tut er dergleichen?

Ligurio: Kümmere dich um andere Sachen.

Syro: 0, er sieht wie der Oberstrolch aus.

Ligurio : He, sei doch einmal ruhig, denn du langweilst
uns. Wo ist Callimaco?

Callimaco: Ich bin hier; seid willkommen.

Ligurio: Callimaco, weise doch diesen Narren, den Syrio,
zurecht; er hat schon tausend Narrheiten gesagt.

Callimaco: Syro, hör' mal; du must heute abend alles
tun, was dir Ligurio sagt, und nimm an, wenn er dir etwas
befiehlt, ich sei es, und was du siehst und hörst, muss das
tiefste Geheimnis bleiben, bei allem, was du hochschätzest:
mein Gut, meine Ehre, mein Leben, und deinen Nutzen.

Syro: So soll's geschehen.

Callimaco: Hast du dem Doktor den Becher gegeben?
Syro: Ja, Herr.
Callimaco: Was sagte er?

Syro: Er werde gleich ganz zur Verfügung stehen.
Bruder: Ist das Callimaco?

Callimaco: Ich stehe zu Eurem Befehl. Unsere Ab-
machungen sollen gelten. Ihr könnt über mich und all mein
Vermögen verfügen wie über Euch.

Bruder: Ich habe es gehört und glaube es; deswegen
habe ich mich entschlossen, so viel für Euch zu tun, was ich
nie für einen Menschen der Welt getan hätte.

Callimaco : Eure Mühe soll nicht umsonst gewesen sein.

Bruder: Es genügt, dass Ihr mir wohl wollt.

Ligurio: Lassen wir die Förmlichkeiten. Wir gehen,
uns zu verkleiden, Syro und ich. Du, Callimaco, komm mit
uns, um deine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und
der Bruder wird uns hier erwarten; wir kommen sofort wieder
zurück, um Herrn Nicia aufzusuchen.


— 139 —

Callimaco: Du hast recht; gehen wir!
Bruder: Ich erwarte Euch.

Sechste Szene.

Der verkleidete Bruder allein«

Bruder: Und diejenigen haben recht, welche sagen, dass
die bösen Gesellschaften die Menschen an den Galgen bringen,
und ebenso oft geht es einem schlecht, weil er zu gefällig
ist, weil er zu gutmütig ist, wie weil er schlecht ist. Gott
weiss, dass ich nicht daran dachte, irgendjemand zu schaden;
ich war in meiner Zelle, sprach die vorgeschriebenen Gebete,
unterhielt meine Gläubigen; da erscheint Ligurio, dieser Teufel,
der mich den Finger in ein Versehen tauchen liess, wo ich
dann den Arm hineinsteckte, und dann den ganzen Menschen ;
und ich weiss noch nicht, wie weit das gehen wird. Ein
Trost bleibt mir: Wenn viele ein Interesse an etwas haben,
müssen dazu auch viele Sorge tragen. Aber da ist ja Ligurio
und der Diener.

Siebente Szene

Der verkleidete Bruder. Ligurio* Syro.

Bruder: Seid willkommen.
Ligurio: Sehen wir gut aus?
Bruder: Sehr gut.

Ligurio: Es fehlt uns nur noch der Doktor. Gehen wir
zu seinem Haus; es ist schon mehr als drei Uhr. Gehen wir!
Syro: Wer öffnet seine Haustür? Ist es der Diener?
Ligurio: Nein; er ist es. Ha ha ha! Hi hi hi!
Syro: Du lachst?

Ligurio: Wer sollte da nicht lachen? Er hat ein
Röcklein an, das ihm nicht einmal den Arsch bedeckt! Was
Teufels hat er denn auf dem Kopf? Er sieht ja aus wie so
ein Uhu von einem Kanonikus ! Und ein kurzes Schwert trägt
er auch noch, ha ha! Und etwas brummt er auch noch!
Treten wir zur Seite und hören wir irgend ein Unglück, das
seiner Frau zugestossen ist.

Achte Szene.

Herr Nicia verkleidet.

Nicia: Wie hat sich meine Frau, die Närrin, geziert!
Sie hat die Mägde zur Mutter geschickt, den Diener aufs


140

Landgut; darin kann ich sie nur loben; aber darin lobe ich
sie nicht, dass sie so viele Schwierigkeiten gemacht hat, bevor
віє zu Bette gehen wollte: „Ich will nicht. Wie soll ich das
tun? Wozu wollt ihr mich bringen? Ach, Mutter! Und
wenn ihr die Mutter nicht ordentlich die Leviten gelesen
hätte, hätte sie sich kaum in jenes Bett gelegt. Das Fieber
kriege sie! Es ist ja schon recht, wenn die Weiber zurück-
haltend sind, aber zu viel ist zu viel. Wer hat uns denn
den Verstand geraubt, Katzenhirn? Wenn jemand sagt:
„Gehängt werde die verständigste Frau von Florenz!44, so
würde sie sagen: „Was habe ich dir denn zu Leide getan?u
Ich weiss, dass der Türke in Konstantinopel einziehen wird;
und wenn ich aus dem Spiel austrete, kann ich mit Frau
Ghinga sagen: „Mit den Händen habt ihr mich gesehen!41 Ich
sehe doch nicht schlecht aus. Wer würde mich erkennen?
Ich scheine grösser, jünger, schlanker; es gibt gewiss kein
Weib, das mir für ein Schäferstündchen Geld abnähme. Aber
wo soll ich die linden?

Neunte Szene.

Ligurio« Herr Nicia. Der Bruder verkleidet« Syro.

Ligurio: Guten Abend, Herr Doktor.
Nicia: Oho, he he!

Ligurio: Fürchtet Euch nicht, wir sind's.

Nicia: 0, ihr seid alle hier? Wenn ich Euch nicht
gekannt hätte, hätte ich Euch mit diesem Stilet direkt durch-
bohrt. Bist du Ligurio? und der? Syro; und der andere?
Aha, der Magister.

Ligurio: Herr, ja!

Nicia: Sieh, der ist gut verkleidet; sicher würde ihn
kein Mensch erkennen.

Ligurio: Ich habe ihm zwei Nüsse in den Mund stecken
laseen, dass man ihn nicht an der Stimme erkenne.

Nicia: Du bist unverständig.

Ligurio: Weswegen?

Nicia: Warum hast du das nicht vorher gesagt? Dann
hätte ich mir auch zwei in den Mund gesteckt, um nicht an
der Stimme erkannt zu werden.

Ligurio: Nehmt und steckt das in den Mund.

Nicia: Was ist's?


— 141 —
Ligurio: Eine Wachskugel.

Nicia: Gib sie her! Ka, pu, Ka, pu, Ko, Ku, Ku, spu!
Бої dich der Teufel, verdammter Lümmel!

Ligurio: Verzeiht mir, ich habe eine mit der andern
verwechselt, ohne es zu bemerken.

Nicia: Ka, Ka, pu, pu. Woraus bestand denn die?

Ligurio: Aus Aloë.

Nicia: Verdammt! Spu, Spu! Magister, sagt Ihr denn
nichts dazu?

Bruder: Ligurio hat mich böse gemacht.

Nicia: 0, Ihr verstellt die Stimme gut.

Ligurio: Verlieren wir keine Zeit mehr hier. Ich will
der Hauptmann sein und das Heer an diesem Tage leiten.
Auf dem rechten Flügel1) sei Callimaco, auf dem linken ich;
zwischen den beiden Flügeln der Doktor; Syro kommt als
Kachhut und stützt den Teil, der wanken sollte. Der Schlacht-
ruf ist Sankt Kukuk.

Nicia: Wer ist Sankt Kukuk?

Ligurio: Das ist der Heilige, der in Frankreich die
höchsten Ehren geniesst. Gehen wir weg und legen wir an
dieser Ecke den Hinterhalt. Horcht! Ich höre eine Laute.

Nicia» So ist's. Was wollen wir tun?

Ligurio: Syro, geh voraus. Weiset du, was du zu tun
hast? Prüfe, überlege, kehr' bald zurück, berichte.

Syro: Ich geh schon.

Nicia: Ich möchte nicht, dass wir einen Wurmstichigen
abfingen, irgend einen schwächlichen Alten oder einen Kränk-
lichen, und dass das Spiel morgen abend von neuem beginnen
musste.

Ligurio : Habt keine Sorge. Syro ist ein tüchtiger Mensch.
Da kommt er ja schon zurück. Was findest du, Syro?

Syro: Es ist der schönste Bursche, den man gesehen
hat. Er zählt keine fünfundzwanzig Jahre, und er kommt in
einem Kittel daher und spielt auf der Laute.

Nicia: Das ist unser Fall, wenn du die Wahrheit sagst.
Aber sieh zu, denn du hättest diese Suppe auszulöffeln.

Syro: Es ist, wie ich gesagt habe.

Ligurio: Warten wir, bis er um die Ecke kommt, und
dann packen wir ihn sofort.

*) Das Original hat „Horn"; der dadurch entstehende Wort-
witz kann im Deutschen nicht wiedergegeben werden.


142

Nicia: Magister, Ihr scheint ja eine Holzfigur. Da kommt
er ja.

Callimaco: Der Teufel solle zu dir ins Bett steigen,
da ich nicht dorthin gelangen kann.

Ligurio: Vorwärts, gib diese her.

Callimaco: O weh! was habe ich denn getan?

Nicia: Du wirst es sehen. Deck ihm den Kopf zu und
8 toss ihm einen Knebel in den Mund.

Ligurio: Dreh ihn um.

Nicia: Dreh ihn noch einmal! noch einmal! Und jetzt
bringt ihn ins Haus.

Bruder: Herr Nicia, ich gehe jetzt, um auszuruhen, denn
der Kopf tut mir zum Sterben weh, und da ich weiter nicht
nötig bin, so komme ich morgen vormittag wieder.

Nicia: Ja, Magister, kommt nicht wieder. Wir werden
jetzt selbst fertig.

Zehnte Szene.

Der Bruder allein.

Bruder: Jetzt sind sie im Hause wohl versorgt, und ich
gehe ins Kloster. Und Ihr Zuschauer haltet Euch darüber
nicht auf. denn in dieser Nacht wird niemand schlafen, so
dass die Akte nicht durch die Zeit unterbrochen werden.
Ich werde die Messe lesen, Ligurio und Syro werden zu Abend
speisen, denn sie haben heute noch nicht gegessen; der Doktor
wird aus der Kammer in den Saal gehen, damit die Küche
sauber sei; Callimaco und Frau Lukrezia werden nicht schlafen,
denn ich weiss, wenn ich an seiner und Ihr an ihrer Stelle
wäret, wir nicht schlafen würden.

Fünfter Akt.

Erste Szene.

Der Bruder allein.

Ich habe diese Nacht kein Auge schliessen können;
so gross ist mein Sehnen, zu hören, wie es Callimaco
und den andern ergangen ist, und ich war darauf bedacht.


mir die Zeit mit verschiedenen Dingen zu vertreiben. Ich
sagte die Mette, ich las ein Heiligenleben, ging in die Kirche
und zündete eine Lampe an, die erloschen war, wechselte
einer wundertuenden Madonna den Schleier. Wie oft habe
ich doch den andern Brüdern gesagt, sie sollten sie sauber
halten; und sie verwundern sich dann, wenn keine Frömmig-
keit mehr da ist! Ich erinnere mich, dass einst fünfzig
Bilder da waren, und jetzt sind es ihrer nur zwanzig. Daran
sind wir schuld, denn wir haben es nicht verstanden, unseren
Ruf hoch zu halten; nach der Compléta pflegten wir jeden
Abend eine Prozession zu veranstalten und jeden Samstag
dabei Lauden zu singen; wir taten da immer Gelübde, damit
wir frische Büder bekämen; wir ermahnten da immer Männer
und Frauen, Gelübde zu tun. Jetzt geschieht nichts mehr von
all diesen Dingen, und dann wundern wir uns noch, wenn die
Geschäfte flau gehen. 0, wie wenig Gehirn haben diese meine
Brüder! Aber ich höre vom Hause des Herrn Nicia her
einen grossen Lärm. Da sind sie, meiner Treu, und nehmen
den Gefangenen heraus. Ich bin offenbar zur rechten Zeit
gekommen: nun, sie haben sich beim Auströpfeln Zeit gelassen;
schon steigt die Morgenröte herauf. Ich will einmal hören,
was sie sagen, ohne mich zu erkennen zu geben.

Zweite Szene.

Herr Nicia. Ligurio. Syro. [Callimaco.]

Nicia: Nimm ihn von jener Seite und ich von dieser;
und du, Syro, halt ihn von hinten am Kittel.
Callimaco: Tut mir nicht weh!

Ligurio: Hab keine Angst; mach nur, dass du fort-
kommst.

Nicia: Gehen wir nicht mehr weiter.

Ligurio: Ihr habt recht; lassen wir ihn hier laufen;
drehen wir ihn ein paar Mal, dass er nicht weiss, woher er
gekommen ist. Dreh' ihn einmal, Syro.

Syro: Ist geschehen.

Nicia: Dreh ihn noch einmal.

Syro: Ist auch geschehen.

Callimaco: Meine Laute!

Ligurio: Fort, du Lümmel; wenn ich dich noch einmal
reden höre, hau' ich dir den Kopf ab.


— 144 —

Nicia: Er hat eich auf die Strümpfe gemacht. Legen
wir uns auch noch ein bisschen aufs Ohr; wir müssen morgen
früh ausgehen, damit es nicht scheint, als hätten wir die
Nacht durchgewacht.

Ligurio: Dir habt recht.

Nicia: Ihr und Syro geht und sucht Meister Callimaco
auf und sagt ihm, dass die Sache gut gegangen ist.

Ligurio: Was können wir ihm sagen? Wir wissen ja
nichts. Ihr wiest, dass, als wir in Eurem Hause angekommen
waren, wir sofort uns entfernten, um einen Trunk zu tun.
Ihr und die Schwiegermutter bliebt ihr zur Hand, und wir
haben uns seither nicht mehr gesehen als jetzt, wo Ihr uns
rieft, um ihn hinaus zu fördern.

Nicia: Ihr habt recht. 0, ich habe Euch hübsche Dinge
zu melden. Meine Frau war im Dunkeln im Bett. Sostrata
erwartete mich am Herd. Ich kam mit dem Burschen herauf,
und damit nichts ungeprüft bleibe, führte ich ihn in eine
Vorratskammer, die über dem Speisezimmer liegt, wo ein
Nachtlicht brannte, das ein bisschen Licht spendete, so zwar,
dass er mir nicht ins Gesicht sehen konnte.

Ligurio: Sehr verständig.

Nicia: Ich liess ihn sich ausziehen; er klagte; ich wandte
ihn wie einen Hund, so dass er es kaum erwarten konnte,
bis er aus den Kleidern war, und nackt dastand. Er ist
hässlich von Angesicht; er hat eine grosse Nase, einen krummen
Mund, aber schöneres, weisses, weiches und doch festes Fleisch
hast du nie gesehen, und nach dem übrigen braucht Ihr nicht
zu fragen.

Ligurio: Davon kann man nicht gut reden; das musste
man ja sehen.

Nicia: Du willst schlechte Witze machen. Nachdem
ich einmal Hand ans Werk gelegt hatte, wollte ich auch auf
den Grund gehen und sehen, ob er gesund sei. Wenn er
venerische Ausschläge gehabt hätte, wie wäre ich dagestanden!
Was sagst du dazu?

Ligurio: Ihr habt recht.

Nicia: Als ich gesehen hatte, dass er gesund war, zog
ich ihn hinter mir her und führte ihn im Dunkeln in die
Kammer, legte ihn ins Bett; und bevor ich wegging, wollte
ich mit der Hand spüren, wie die Sache stand; denn ich bin


— 145 —

Volkfftttaüioht Diehtnngen der Italiener. 10

nicht gewohnt, mir Schweineblasen für Laternen anhängen
zu lassen.

Ligurio: Mit welcher Vorsicht habt Ihr die ganze An*
gelegenheit geleitet!

Nicia: Als ich alles befühlt nnd betastet hatte, ging ich
aus der Kammer, schlose die Türe und ging zu meiner
Schwiegermutter, die am Feuer sass, und die ganze Nacht
widmeten wir der Unterhaltung.

Ligurio: Und was war denn deren Gegenstand?

Nicia: Wir redeten von der Torheit Lukrezias, und wie
besser es gewesen wäre, wenn sie ohne so vieles Hin und Her
gleich nachgegeben hätte. Dann redete ich von dem Kinde,
das ich schon in den Armen zu halten glaubte, den lieben
Schatz, bis ich ein Uhr schlagen hörte und ich fürchtete, der
Tag möchte uns überraschen. Ich ging in die Kammer. Wae
sagt Ihr dazu, dass ich den Lümmel kaum zu wecken im
stände war?

Ligurio: Das glaub ich.

Nicia: Er hatte Geschmack an dem Bissen gefunden;
dennoch erhob er sich schliesslich; ich rief Euch und wir
haben ihn hinausgeführt

Ligurio: Die Sache ist gut abgelaufen.

Nicia: Was sagst du dazu, dass ich etwas bedauere?

Ligurio: Den armen jungen Mann, der nun so bald
sterben muss, und den die Sache nun so teuer zu stehen
kommt.

Ligurio: 0, wie unbedacht seid Ihr! Uberlaset die
Sorge ihm!

Nicia: Du hast recht. Aber ich kann es kaum erwarten,
bis ich Magister Callimaco antreffe und mich mit ihm freuen
kann.

Ligurio: In einer Stunde wird er draussen sein. Aber
es ist ja schon heller Tag. Wir legen tins ein wenig nieder»
Was macht Ihr?

Nicia: Auch ich geh9 nach Hause, um frische Kleider
anzuziehen. Ich lasse meine Frau ein Bad nehmen und dann
in die Kirche gehen, um das Heiligtum zu betreten. Ich
möchte, dass Ihr und Callimaco auch da wäret, dass wir dem
.Binder dankten und uns für das, was er für uns getan hat,
1hm erkenntlich zeigten.

Ligurio: Ihr redet gut; so soll es geschehen.


— 146 —

Dritte Szene*

Der Bruder allein«

Ich habe diese Unterhaltung gehört und sie hat mir
gefallen, wenn ich bedenke, wie gross die Dummheit ist, die
in diesem Doktor steckt. Aber besonders der Schluss hat
mich ergötzt. Da sie nun mich bei mir aufsuchen wollen,
will ich nicht mehr hier bleiben, sondern in die Kirche gehen,
wo meine Ware mehr wert ist. Aber wer tritt da zum Haus
heraus? Es scheint mir Ligurio zu sein und mit ihm muss
sich Callimaco befinden. Aus den angeführten Gründen sollen
sie mich nicht sehen. Wenn sie mich nicht aufsuchen, wird
es immer noch Zeit sein, zu ihnen zu gehen.

Vierte Szene.

Callimaco. Ligurio.

Callimaco: Wie ich dir gesagt habe, mein Ligurio, war
mir bis neun Uhr nicht recht wohl; und obwohl ich grosses
Vergnügen hatte, schien es mir nicht gut. Aber nachdem
ich mich ihr zu erkennen gegeben und ich die grosse Liebe,
die ich für sie hegte, ihr zu erkennen gegeben hatte, und wie
leicht wir wegen der Einfalt des Mannes, ohne irgend welche
Schande, glücklich leben könnten, und ich ihr versprochen,
sie zur Frau zu nehmen, wenn ihm etwas menschliches begegnen
sollte, und ausser den eigentlichen Gründen sie den Unter-
schied gekostet hatte, der zwischen dem Liebesspiel mit mir
und dem mit Nicia, zwischen den Küssen eines jungen Lieb*
habere und eines alten Mannes ist, sagte sie nach einigen
Seufzern: Da deine Schlauheit, die Dummheit meines Mannes,
die Einfalt meiner Mutter, die Schlechtigkeit meines Beicht-
vaters mich dazu gebracht haben, das zu tun, was ich von
mir aus nie getan hatte, will ich der Ansicht sein, es beruhe
dies auf einem göttlichen Ratschluss, der es so gewollt hat.
Und ioh bin nicht im stände, das zurückzuweisen, was ich
nach dem Willen des Himmels annehmen soll; und so nehme
ich dich zu meinem Herrn, Beschützer, Führer, Vater, Ver-
teidiger, und ich will, dass du mein ganzes Gut ausmachst.
Und das, was mein Gatte für einen Abend gewollt hat, soll
er nun für immer haben; werde also sein Gevatter und komm
diesen Morgen zur Kirche, und von da wirst du mit uns


147 —

10*

frühstücken and das Gehen und Bleiben wird deine Sache
sein und wir können zu jeder Stunde ohne Verdacht zusammen-
kommen. Als ich diese Worte hörte, dachte ich vor Wonne
zu sterben; ich konnte nicht das geringste von dem ant-
worten, was ich gerne gesagt hätte, so dass ich jetzt der
glücklichste und zufriedenste Mensch der Welt bin, und
wenn dieses Glück nicht im Verlaufe der Zeit oder durch
den Tod ein Ende haben musste, wäre ich seliger als die
Seligen und heiliger als die Heiligen.

Ligurio: Über alles, was dir Gutes geschieht, empfinde
ich grosses Vergnügen, und dir ist passiert, was ich dir
vorhin sagte. Aber wohin gehen wir jetzt?

Callimaco: Gehen wir nach der Kirche, denn ich habe
ihr versprochen dort zu sein; auch die Mutter und der Doktor
werden hinkommen.

Ligurio: Ich höre an seine Haustür klopfen. Sie sind's
und kommen aus dem Haus und haben' den Doktor hinter
ihnen her.

Fünfte Szene.
Herr Nicia. Lukrezia. Sostrata.

Nicia: Lukrezia, ich glaube, es sei gut, das Leben in
Gottesfurcht und nicht närrisch zu führen.

Lukrezia: Was habt Ihr jetzt wieder vor?

Nicia: Sieh, wie sie antwortet! Sie ist ja eingebildeter
als ein Hahn.

Sostrata: Wundert Euch nicht; sie ist ein bisschen auf-
geregt.

Lukrezia: Was wollt Ihr sagen?

Nicia: Ich sage, es sei gut, wenn ich vorausgehe, um
mit dem Bruder zu sprechen und ihm zu sagen, er möge dir
bis auf die Schwelle der Kirche entgegenkommen, um dich
in s Heiligtum zu geleiten, denn du siehst heute morgen
eigentlich wie neugeboren aus.

Lukrezia: Weswegen geht Ihr nicht?

Nicia : Du bist heute sehr kühn ; gestern abend schienst
du halb tot.

Lukrezia: Das bewirkt Eure Anmut

Sostrata: Sucht den Bruder auf. Aber nein, das ist
nicht nötig, er steht ja ausserhalb der Kirche.


— 148 —

Sechste Szene.

Bruder. Herr Nicia. Lukrezia. Ligurio. Sostrata.

Bruder: Ich komme heraus, weil mir Callimaco und
Ligurio gesagt haben, dass der Doktor und die Frauen zur
Kirche kommen.

Nicia: Bona dies, Pater.

Bruder: Seid willkommen, ihr Frauen, und wohl mag
es Euch, Frau Lukrezia, bekommen, dass Gott Euch zu einem
schönen Jungen verhelfe.

Lukrezia: Gott wolle es.

Bruder: Er wird es auf alle Fälle wollen.

Nicia: Sehe ich nicht Ligurio und Magister Callimaco
in der Kirche?

Bruder: Ja, Herr.

Nicia: Gebt Ihnen einen Wink.

Bruder: Kommt.

Callimaco: Gott grüss' Euch.

Nicia: Magister, gebt hier meiner Frau die Hand!

Callimaco: Gerne.

Nicia: Lukrezia, das ist der, welcher die Ursache sein
wird, dass wir in unserm Alter einen Stab haben werden.

Lukrezia: Er ist mir recht lieb; er soll unser Haus-
freund werden.

Nicia: Gesegnet seist du; er und Ligurio sollen heute
vormittag mit uns zum Frühstück kommen.

Lukrezia: Auf jeden Fall.

Nicia: Und ich will ihnen den Schlüssel zu dem Zimmer
im Erdgeschoss über der Laube geben, dass sie herkommen
können, wenn es ihnen beliebt; denn sie haben keine Frauen
zu Hauee und leben nicht wie Menschen.

Callimaco: Ich nehme ihn an, um ihn vorkommenden-
falls zu gebrauchen.

Bruder: Bekomme ich das Geld für die Almosen?

Nicia: Ihr wisst wohl, noch heute werdet Ihr's bekommen.

Ligurio: An Syro denkt niemand.

Nicia: Er verlange. Was ich bei mir habe, gehört ihm.
Du, Lukrezia, wie viel Grossi hast du dem Bruder zu geben,
um ins Heiligtum zu treten?

Lukrezia: Gebt ihm zehn.

Nlcla: Verdammt!


— 149 —

Ende.

Bruder: Біг, Frau Sostrata, habt nach meiner Ansicht
im Alter neue Kraft erlangt.

Sostrata: Wer sollte da nicht fröhlich sein?

Bruder: Gehen wir alle in die Kirche, und dort wollen
wir das gewöhnliche Gebet sprechen. Nach dem Essen geht
Ihr nach Eurem Belieben zum Frühstück. Ihr Zuhörer
wertet nicht mehr länger, dass wir herauskommen; das Amt
ist lange; ich bleibe in der Kirche und die anderen gehen
durch eine Seitentùre nach Hause. Lebt wohl.


Nachwort

Niccolö Machiavelli1) wurde ale Sohn eines Florentiner
Juristen am 3. Mai 1469 in der Arnostadt geboren. Von
seiner Jugend wissen wir nichts; er scheint die in den *
besseren Kreisen übliche Erziehung empfangen zu haben.
1498 wurde er als Sekretär des Bates der Zehn — der Dieci
di libertâ e di pace — gewählt und heiratete 1502 Marietta
Corsini, die ihn mit einer zahlreichen Familie beschenkte.
Nachdem er im Dienste des Staates, namentlich auch als
Gesandter gewirkt, wurde er mit der Rückkehr der Medici
(1512) von allen Amtern entfernt und das folgende Jahr als
in eine Verschwörung verwickelt gefoltert. Längere Zeit
lebte er in seinem Landhause in der Nähe von Florenz, wo
er neben leichtem Lebensgenuss sich ernsten Studien hingab.
Das Vertrauen der Medici vermochte er nicht zu gewinnen,
wurde aber auch nach ihrer Vertreibung (1527) nicht wieder
mit einem Amte betraut und starb so enttäuscht im gleichen
Jahre.

Machiavelli ist hauptsächlich als Träger eines „unmora-
lischen" politischen Systeme bekannt, dessen Apologie am
besten Cecil Rhodes geschrieben hätte; es ist in seinem Buche
„vom Fürstenu (1513) entwickelt. Von seinen philosophisch-
historischen Werken sind von hervorragender Bedeutung die
„Unterhaltungen über die erste Dekade des T. Liviustf und
die „ Florentinischen Geschichten.u

Auf dem Gebiete der schönen Litteratur ist „der
Florentiner Sekretär" durch eine Komödie bekannt, welche
für den Ruhm eines andern vollständig ausgereicht hätte.
Auch die Man drag o la2) ist, wie der Prolog andeutet, in

*) Über Machiavelli redet am besten K. Hillebrand in
Profile. Berlin. 1878. p. 296.

2) Schwarzwurz (nach der darin angeblich verwendeten Arznei)


seiner unfreiwilligen Muesezeit verfasst worden (um 1513).
Machiavelli soll mit dieser Komödie sein Volk haben bessern
wollen. Er hat selbst gesagt, er überlasse das Predigen den
Pfaffen. Er schildert die Verderbnis der Kirche in „Fra
Timotheo", aber er träumt nicht топ der Möglichkeit einer
Beform wie Luther; er zeigt uns in Callimaco den reichen
Müseiggänger, der mit Hilfe eines erfindungsreichen Parasiten
der Tugend Fallstricke legt, aber er teilt die Illusionen
Savonarolas nicht. Den Latein radebrechenden Schafskopf
hat er nach dem Leben gezeichnet, aber die Doctores abzu-
schaffen hat er nie gehofft. Dass nun gar Lukrezia in ihrer
zweiten Hochzeitenacht ihrem Kamen hätte Ehre machen
können oder sollen, war der launige Einfall eines deutschen
Professors. Machiavelli war ein genialer Beobachter, der
einfach sagt: „So geht's auf der Welt zu. Findet ihr nicht
auch?" Er unterdrückt nichts, wenn er nieht hinzufügt:
„Bessert euch!" oder: „Tröstet euch! So geht'e auoh in Born
nnd Paris zu." Was Herder im 08. Briefe zur Beförderung
der Humanität vom „Fürsten" sagt, gilt auoh von der Meister-
komödie dieses „moralinfreien" Renaissancemenschen: er
wollte weder eine Satire no eh eine Predigt schreiben; er hat
die Geschichte wie das tägliche Leben als kühler Beobachter
als eine Reihe von Begebenheiten angesehen.

Belfagor soll für das häusliohe Ungemach Machiavellis
zeugen, meint Macaulay in seinem viel zu sehr gelobten Auf-
satz. Der Stoff lässt eich bis in die altindische Literatur
hinauf verfolgen; von den italienischen Novellisten haben ihn
Brevio, Doni, Faginoli ebenfalls behandelt, La Fontaine hat
nach Machiavelli eine seiner hübschesten Erzählungen daraus
gezogen.1)

*) Vgl. G. Meyer, Essays 1, 263—268.
Zürich, am 23. September 1905.

Jakob Ulrich.


Inhaltsverzeichnis.

Einleitung.....................V

I. Liombruno..................1

II. Geschichte von drei verzweifelten Burschen und drei Feen 13

III. Novelle von drei Frauen, die einen Bing fanden ... 29

IV. Grillo als Arzt................42

V. Campriano..................63

VI. Der Eifersüchtige...............75

VII. Die Nencia von Prato oder die Feile........82

Nachtrag zur Einleitung...............91

Belfagor....................92

Mandragola...................103

Nachwort....................150

 

 

 


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